SUTTA-NIPĀTA, Lehr-Dichtungen

I.12. Der Muni (Muni-Sutta) - [Pali]

 

(Das Muni-Sutta gehört zu den sieben von Asoka empfohlenen Lehr-Texten, s. Einleitung.)

(Muni, d.i. der Schweiger, ist ein Ausdruck schon aus vor-buddhistister Zeit und bezeichnete einen schweigsamen, einsam lebenden Asketen, dem ein besonders hoher Grad von Verinnerlichung, Selbstbeherrschung und Zurückhaltung eignete und der häufig auch das Schweige-Gelübde abgelegt hatte. In buddhistischem Gebrauch ist es eine Bezeichnung des Buddha (Sakya-Muni, der Muni aus dem Sakyer-Geschlecht), sowie des Heiligen im allgemeinen und zwar in alten Texten, wie dem unseren, besonders eines Heiligen von der oben charakterisierten Eigenart. So erscheint er in den Sutten: Das Nashorn; Der Muni; Nālaka; Gewalt; Sāriputta usw. Dieses scharf umrissene Charakterbild verlor etwas von seinen Konturen, als in späterer Zeit - und zwar schon im Niddesa - Muni als 'der Weise' erklärt wurde und das entsprechende mona (das Schweigen) als Erkenntnis, Weisheit (ñāna, paññā). Es wird dann von dem Verb munāti abgeleitet, das seinerseits wieder von den Kommentaren mit mināti (abwägen) erklärt wird. Dem PTS-Wörterbuch zufolge kommt munāti im Kanon nur einmal vor und zwar in Dhammapada v.269. Dieser Vers wird auch in der Niddesa-Stelle über den Muni zitiert.)

 

207

Vertrauter Umgang zeugt Gefahr [1],
häusliches Zugesellen [2] brütet Schmutz [3].
Vertrauten Umgang, häuslich Zugesellen meiden, -
dies wahrlich, ist die Denkart eines Muni.

 

208

Entstandenes wer tilgt [4] und nicht es wachsen läßt
Dem, was in ihm entstehen will, nicht Einlaß gibt,
Von ihm, dem Muni, einsam wandernd, sagt man:
'Er sah die Friedensstätte als ein großer Seher!'

209

Den Boden [5] prüfend und die Keime [6] tilgend,
Dem sie befeuchtenden Verlangen [7] gibt er keinen Einlaß.
Er als ein Muni sieht Geburt und Sterben enden,
Vom Grübeln frei [8], geht nicht mehr ein er in Benennbarkeit [9]

 

210

Der jede Daseins-Wohnstatt [10] hat verstanden.
Nach keiner mehr Verlangen trägt,
Er, als ein Muni, gierbefreit und wunschlos,
Hat nicht zu kämpfen mehr, ist hingelangt zum Ufer [11].

 

211

Wer alles hat bezwungen, alles hat erkannt, ein Weiser,
Bei allen Dingen unbefleckten Geistes,
Wer alles hat gelassen, frei durch Durst-Versiegung.
Auch diesen, wahrlich, wissen Weise als den Muni.

 

212

Den Weisheitsstarken, Tugendfesten, Regeltreuen,
Geeint im Geiste, Schauung liebend, achtsam,
Vom Fesselwerk gelöst, der unverschlackt und triebfrei,
Auch diesen, wahrlich, wissen Weise als den Muni.

 

213

Einsamer Wanderer, schweigsam [12], unermüdlich,
Von Lobeswort und Tadel unberührt,
Dem Löwen gleich, den Lärmen nicht erschreckt,
Dem Winde gleich, der nicht am Netze haftet,
Dem Lotus gleich, der unbenetzt vom Wasser,
Ein Lenker anderer, nicht von andern lenkbar,
Auch diesen, wahrlich, wissen Weise als den Muni.

 

214

Der wie ein Pfeiler in den Fluten aufragt [13],
An dem der Wortschwall anderer sich bricht [14],
Von Leidenschaft befreit, mit wohlgeeinten Sinnen,
Auch diesen, wahrlich, wissen Weise als den Muni.

 

215

Der steten Herzens, aufrecht wie das Weberschiff,
Vor üblen Werken Widerwillen hegt,
Ergründend krumme und die gerade Bahn [15],
Auch diesen, wahrlich, wissen Weise als den Muni.

 

216

Der, selbst-gezügelt, Schlechtes nicht begeht,
Ob Jüngling oder Mann, ein Schweiger, selbst-bezähmt,
Der, selber unerzürnbar, niemanden erzürnt,
Auch diesen, wahrlich, wissen Weise als den Muni.

 

217

Ob oben aus dem Napf, ob aus der Mitte oder auch den Rest
Als Brockenspeise er erhält, der von den Gaben anderer lebt
Kein Anlaß ist's für ihn, Lob oder Tadel auszusprechen.
Auch diesen, wahrlich, wissen Weise als den Muni.

 

218

Der schweigend wandert, von der Paarung absteht,
In seiner Jugend schon sich nirgendwo verkettet,
Betörung, Lässigkeit vermeidend, ganz befreit,
Auch diesen, wahrlich, wissen Weise als den Muni.

 

219

Die Welt erkennend, schauend höchstes Ziel,
Hinübersetzend über Flut und Meer, vollkommen [16],
Ihn, der die Ketten brach, der hanglos, triebbefreit,
Auch diesen, wahrlich, wissen Weise als den Muni.

 

220

Ungleich sind diese beiden, weit entfernt in ihrer Art zu leben:
Der Hausner, der ein Weib ernährt, und Sittenreiner, dem nichts angehört [17].
Nicht kennt der Hausner Hemmung, andere Wesen zu erschlagen,
Doch ständig schützt die Wesen ein bezähmter Muni.

 

221

Wie blau-behalster Pfau, sich in die Lüfte hebend,
Niemals erreichen kann des Schwanes Schnelligkeit,
So kann ein Hausner nicht dem Mönch es gleich tun,
Dem Muni, der in Waldestiefen einsam sinnt.

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[1] Vertrauter Umgang zeugt Gefahr; vgl. v. 37, 168, 169.

[2] Häusliches Zugesellen: niketa bedeutet 1) Haus, 2) Gesellschaft. Die Übersetzung bringt beide Bedeutungen zum Ausdruck. Das Wort kehrt als (a-)niketa-sārī wieder in v. 844 und 970, wo es mit 'Heimstatt' übersetzt wurde. Auch in diesen beiden Versen findet es sich in einer Darstellung des Muni.

Zu unserem Vers 207 zitiert K den folgenden Satz aus Samyutta-Nikāya 22.3 (s. Anhang B 1), wo Vers 844 von Mahākaccāna erklärt wird: "Wegen des Umherschweifens in den Form-Vorstellungen, Ton-Vorstellungen etc. als einer Heimstatt (niketa), wegen des Sichbindens an sie, deswegen gilt man als einer 'der sich in der Heimstatt ergeht' (niketa sārī)." Hier wird niketa also als ein bildlicher Ausdruck für die Bewußtseinsobjekte genommen, da diese eine 'Wohnstatt der Befleckungen' sind. In erster Linie ist aber zweifellos zunächst nur an die eingangs genannten üblichen Bedeutungen von niketa zu denken, die sich hier auf das 'hauslose' und einsame Leben des Muni beziehen.

[3] . . .brütet Schmutz; K: "Den Schmutz der Gier, des Hasses und der Verblendung." - Zur Metapher vom Schmutz vgl. v.334, v.406, v.974.


[4] Entstandenes wer tilgt . . . 

Yo jātam ucchijja / na ropayeyya jāyantam / assa nānuppaveccha.

Die Erklärung in K zerlegt die beiden Verszeilen ihrem Sinne nach, wie oben durch / gekennzeichnet, bezieht also jāyantam auf na ropayeyya. Die vorliegende Übersetzung zieht jedoch vor, jede Verszeile als eine Einheit zu betrachten.

K erklärt, auf Grund seiner oben gegebenen Zerlegung der Verszeilen, wie folgt: "Die Worte 'Wer, Entstandenes abgeschnitten habend . . .' bedeuten: Wer die bei irgendwelchem Objekt entstandene geistige Befleckung abgeschnitten hat (ucchinditvā), d.h. wer sich so anstrengt, wie es bei einem bereits aufgestiegenen Unheilsamen (eben nur möglich ist): nämlich, indem man diese Befleckung bei den betreffenden Objekten nicht wieder erzeugt. Weil das Entstehen der künftigen Befleckung durch die Vereinigung der entsprechenden Bedingungen bevorsteht, weil sie im Sinne der Nähe gleichsam schon gegenwärtig ist, deshalb wird von ihr in der grammatischen Form der Gegenwart, als 'entstehend' (jāyantam) gesprochen. Dieses 'Entstehende' (d.h. die künftige Befleckung) möge man nicht wachsen lassen (na ropaveyya). Der Sinn ist: man möge sich so anstrengen, wie es bei noch nicht aufgestiegenem Unheilsamem (zutrifft), d.h. indem man es nicht entstehen läßt.

Wie läßt man es nicht entstehen? 'Man gibt ihm keinen Einlaß' (assa nānuppaveccha). Durch welche Bedingung die Befleckung entstehen könnte, dieser Bedingung gewährt er keinen Zutritt (na anupaveseyya), er geht mit ihr keine Verbindung ein. So 'läßt er Entstehendes nicht wachsen', indem er einen Ausfall der betreffenden Erfordernisse bewirkt. -

Eine andere Erklärung.

- daher gibt einer der durch Entfaltung des Edlen Pfades,

Unsere Erklärung, welche die Verszeilen-Zäsur beibehält, ist jedoch die folgende: Das bereits entstandene Unheilsame kann man nicht ungeschehen machen, sondern es nur insofern tilgen (wtl.: abschneiden), daß man es 'nicht anwachsen läßt', d.h. es nicht wiederholt (s. obige Erklärung des K), es nicht 'weiterfressen' läßt (siehe v. 1).

Wenn man die äußeren Bedingungen für das Auftreten von Unheilsamem im Entstehen, d.h. sich vorbereiten, sieht, so hat man ihnen keinen Einfluß oder Einlaß in den eigenen Geist zu gewähren; ebenso hat man sofort den Einlaß zu verschließen (s. indriyesu guttadvāratā, 'Wachsamkeit bei den Sinnentoren'), wenn man in sich die leiseste Hinneigung zu dem sich in seinen Bedingungen vorbereitenden Unheilsamen verspürt oder wenn man befürchten muß, daß es zu einer Versuchung wird. Es ist die Methode des principiis obsta (Leiste Widerstand zu Beginn!), die hier empfohlen wird.


[5] Boden (vatthūni, Plur.) vatthu bedeutet: Feld, Boden Grundlage, Möglichkeit, Anlaß. K; "Es ist das, woran diese Welt hängt nämlich jene Stätten oder Möglichkeiten für Befleckungen, welche in den Daseinsgruppen, Sinnengrundlagen und Elementen bestehen." Vgl. v. 473: "Der Leid und dessen Feldbereich durchschaute" (sakhetta-vatthum); v. 524: "der alle Felder hat durchforscht" (khettāni viceyya).

[6] Als Keim (bīja) bezeichnete K das gestaltende, d.h. Wiedergeburt erzeugende Bewußtsein (abhisankhārika viññāna). Vgl. v. 235.

[7] Dem sie befeuchtenden Verlangen. Die Übersetzung gibt beide Nuancen des Wortes sineha wieder: 1) Feuchtigkeit, 2) Anhänglichkeit (so in v. 36 übersetzt), Liebe, Verlangen.

Zu den obigen drei Gleichnissen vgl. A.III.77: "So ist denn, o Ananda,

[8] Von Grübeln frei (takkam pahāya). K erklärt es als vi-takka und bezieht es auf die neun unheilsamen Gedanken (Gedanken der Sinnlichkeit, Gehässigkeit und Schädigung; Gedanken an Verwandtschaft, Heimat und persönliche Unsterblichkeit; Gedanken der Anhänglichkeit an Andere und solche gerichtet auf Gewinn, Ehre, Ruhm und Anerkennung). Es dürfte aber hier vor allem an takka im Sinne von Logik, Sophistik, unruhigem und zweiflerischem Grübeln zu denken sein, wie z.B. in der Charakterisierung der Lehre als atakkāvacara (nicht dem logischen Grübeln zugänglich). Der Sinnzusammenhang mit dem folgenden "geht nicht mehr ein er in Benennbarkeit" ist genau der gleiche wie in v. 911: weil der Muni sich nicht mehr in Theorien und Wissenschaften (v. 911) oder in grüblerischem Denken (v. 209) verfängt, kann er nicht mehr in daraus abgeleiteten Begriffen eingefangen werden.

[9] Geht nicht mehr ein er in Benennbarkeit (na upeti sankham). Sankhā bedeutet: Zahl, Benennung, Definition, Begriff. Wir begegnen hier zum ersten Mal dem Motiv der Unerfaßbarkeit des Heiligen, das im Sn häufig mit der obigen oder einer ähnlichen Redewendung (kappam n'eti) ausgedrückt wird.

K.E. Neumann bemerkt, vielleicht nicht mit Unrecht: "takkam und sankham weisen mit leisem Humor auf das frühe Tārkyam und Sāmkhyam hin, die schon damals ohne Zweifel berühmte Maß- bzw. Zahlphilosophie."


[10] Daseins-Wohnstatt (nivesanāni); hier vom K erklärt als das dreifache Dasein: sinnliches, feinkörperliches und unkörperliches Dasein

[11] Nicht kämpft er mehr, der hingelangt zum Ufer (nāyūhati pāragato hi hoti). Diese Verszeile erscheint, mit geringer Veränderung (so'ti statt hoti) zweimal im Samyutta-Nik. 2.5: "Solange er keinen Grund findet in den Flüssen, müht sich ab mit allen seinen Gliedern der Mensch. Hat er Grund gefunden und steht auf festem Boden, dann müht er sich nimmer ab; denn er ist ans rettende Ufer gelangt" (Geiger). - Vgl. ferner Samy.-Nik. 1.1: "Ohne Halt, ohne Kampf (anāyūham) habe ich die Flut überschritten." - K erklärt: "er betätigt kein heilsames oder unheilsames, die verschiedenen Daseinsstätten erzeugendes Karma." Das Verb āyuhati und das Substantiv āyūhana bezeichnen nämlich im späteren Kommentar-Stil das 'karmische Anhäufen', ebenso wie abhisankharoti und abhisankharana.

Das Ufer (pāra) bezeichnet, lt. K, das Jenseits aller Daseins-Stätten, das Nibbāna.


[12] Schweigsam (muni). Hier, wo das Wort muni, außer in der sich wiederholenden Schlußzeile auch noch im Vordersatz steht, mag vielleicht die ursprüngliche Bedeutung 'der Schweiger' beabsichtigt sein, ebenso in v. 216, 218.


[13] Der wie ein Pfeiler in den Fluten aufragt (yo ogahane thambho-r-iv'abhijāyati). Ogahana, hier mit Flut (ogha) übersetzt, ist wörtlich 'das, worin man untertaucht'. K erklärt es daher mit Badeplatz oder Furt: "Es ist da an einem, hier ogahana genannten Badeplatz ein vier- oder achteckiger Pfeiler eingerammt, um sich an ihm die Glieder zu reiben. Leute aus edler und aus niedriger Familie reiben sich an ihm die Glieder, doch nicht wird dadurch der Pfeiler gehoben oder niedergedrückt."

[14] Woran der Wortschwall anderer sich bricht -  ist eine freie Wiedergabe von Yasmim pare vaca-pariyantam vadanti, eine Redewendung, deren Bedeutung unsicher ist. Unsere Wiedergabe knüpft an das Bild vom Pfeiler in der Flut an. Seidenstücker: "Bei wem andere sich in ihren Worten Beschränkung (pariyantam) auferlegen." K: 'Die Andersgläubigen sprechen über ihn kein Wort, das nach oben hin durch Lob, nach unten hin durch Tadel begrenzt (pariyanta) ist.' Vielleicht ist der Sinn der, daß im Muni der Einfluß der Worte Anderer seine Grenze gefunden hat.


[15] Zu diesem Verse erzählt K die bekannte Legende von der Weberstochter.


[16] Vollkommen (tadi); wtl.: So-Beschaffener, d.h. Vorbildlicher.


[17] Dem nichts angehört (amamo); wtl.: der nicht 'mein' (sagt).


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