SUTTA-NIPĀTA, Lehr-Dichtungen
I.9. Hemavata (Hemavata-Sutta) - [Pali]
(Im K auch Sātāgira-sutte genannt. Dort wird die Geschichte und Vorgeschichte
der beiden Geister oder Dämonen (yakkha) erzählt. Hieraus sei nur erwähnt, daß
die beiden einander versprochen hatten, sich gegenseitig von merkwürdigen
Geschehnissen, von denen sie Kenntnis erhielten, zu verständigen. Es war
Sātāgira, der als erster vom Erscheinen des Buddha vernahm, seine Lehrpredigt
hörte und es seinem Freunde mitteilte. Hier setzt nun unsere Sutte ein.)
153 SATAGIRA, der Geist
- Heut am Fest der Mondesmitte [1]
- Göttlich ist die Nacht erstanden!
- Ihn, den Meister ohnegleichen,
- Lasset sehn uns Gotama!
154 HEMAVATA, der Geist
- Ist denn auch wohlgesinnt das Herz
- Zu allen Lebewesen einem solchen?
- Ist bei Erwünschtem, Unerwünschtem
- Bemeistert wohl sein Denken ihm?
155 SATAGIRA
- Sein Herz, ja, es ist wohlgesinnt
- Zu allen Lebewesen einem solchen.
- Und bei Erwünschtem, Unerwünschtem
- Sein Denken ist bemeistert ihm.
156 HEMAVATA
- Nimmt er auch nicht, was nicht gegeben?
- Ist zu den Wesen er auch rücksichtsvoll [2]?
- Hält er von Lässigkeit sich fern?
- Versäumt er auch die Schauung nicht?
157 SATAGIRA
- Er nimmt nicht, was ihm nicht gegeben,
- Und zu den Wesen ist er rücksichtsvoll.
- Von Lässigkeit hält er sich fern,
- Versäumt als ein Erwachter Schauung nicht.
158 HEMAVATA
- Er spricht doch wohl kein Lügenwort?
- Und ist von Barschheit seine Rede frei?
- Wird er auch nicht Verleumdung sprechen?
- Wird er auch müßig reden nicht?
159 SATAGIRA
- Er spricht gewiß kein Lügenwort,
- Und seine Rede ist von Barschheit frei.
- Er wird auch nicht Verleumdung sprechen;
- Als Weiser spricht er sinnvoll nur.
160 HEMAVATA
- Ergötzt er sich auch nicht an Lüsten?
- Bleibt wohl sein Geist ihm unerregt?
- Ist er dem Wähnen wohl entgangen?
- Hat er für alle Dinge klaren Blick?
161 SATAGIRA
- An Lüsten ist er nicht ergötzt,
- Und unerregt ist ihm der Geist.
- Entgangen ist er allem Wahn,
- Erwacht, hat klaren Blick er für die Dinge.
162 HEMAVATA
- Ist hohes Wissen ihm zu eigen?
- Sein Lebenswandel, ist er lauter wohl?
- Sind seine Triebe ganz versiegt?
- Gibt es für ihn kein Wiedersein?
163 SATAGIRA
- Hohes Wissen ist ihm wohl zu eigen,
- Und lauter ist sein Lebenswandel,
- All seine Triebe sind versiegt,
- Kein Wiedersein gibt es für ihn.
163a (HEMAVATA)
- Vollendet wie sein Geist ist Tat und Wort des Muni!
- Ihn, der vollkommen ist im Wissen und im Wandel,
- mit Recht ja hast du ihn gelobt!
163b (SATAGIRA)
- Vollendet wie sein Geist ist Tat und Wort des Muni!
- Ihn, der vollkommen ist im Wissen und im Wandel,
- mit Recht ja stimmst du freudig zu! [3]
164 (SATAGIRA und HEMAVATA)
- Vollendet wie sein Geist ist Tat und Wort des Muni!
- Ihm, der vollkommen ist im Wissen und im Wandel,
- laßt sehen uns Herrn Gotama!
165 (HEMAVATA)
- Den Helden hager, mit gazellenschlanken Schenkeln,
- karg sich ernährend, ungelüstig,
- Den Muni, der im Walde sinnt [4], - komm,
laßt uns sehen Gotama!
166
- Der einsam wandert wie der Löwe,
- der Hehre, der nach Lüsten nicht mehr trachtet, -
- Zu ihm gekommen, wollen wir erfragen,
- wie man des Todes Schlinge löst!
(Die beiden Geister erscheinen vor dem Buddha)
167 (SATAGIRA UND HEMAVATA)
- Ihn, der da Künder ist und Deuter, ein Meisterkenner aller Dinge,
- Erwachter, lauteren Gewissens [5], - wir
möchten fragen Gotama
168 HEMAVATA
- Wo ist entstanden diese Welt?
- Was schafft Vertraulichkeit [6] mit ihr?
- Woran gehangen ist die Welt,
- Und wodurch ist gepeinigt sie?
-
169 DER ERHABENE
- In sechsen ist entstanden diese Welt.
- Durch sechs schafft man Vertraulichkeit [7].
- An sechsen eben angehangen,
- Durch sechs gepeinigt ist die Welt.
170 (HEMAVATA)
- Was ist dies für ein Hangen denn, wobei die Welt gepeinigt ist?
- Befragt nach einem Ausweg, sage uns:
- Wie wird vom Leiden man befreit?
171 (DER ERHABENE)
- Fünf Sinnendinge in der Welt,
- der Geist als sechstes sind verkündet worden.
- Wenn hiervon man den Willen löst,
- dann wird vom Leiden man befreit.
172
- Solch' Ausweg aus der Welt hab', wie er wirklich ist, euch gewiesen.
- Vom Leiden macht man so sich frei,
- und dies ist's was ich euch verkünde.
173 (HEMAVATA)
- Wer ist es, der die Flut hier kreuzt? Wer kreuzt hier diesen Ozean?
- Wer sinkt nicht unter in der Tiefe, die oben ohne Halt
[8]?
174 (DER ERHABENE)
- Wer stets in Tugend fest, wer weise und gesammelt ist,
- Verinnerlicht und achtsam lebt, der kreuzt die Flut,
- Die wahrlich schwer ist zu durchkreuzen.
175
- Wer abgewandt von Sinnlichkeits-Gedanken,
- entgangen allen Fesseln ist,
- Wer abgetan hat weltliches Ergötzen [9],
- der sinkt nicht unter in der Tiefe.
-
176 (HEMAVATA)
- Dem Weisheitstiefen, der verborgenen Sinn erschaut,
- Entledigt [10], nicht am Sinnen-Dasein
hängend,
- Erblicket ihn, der gänzlich ist befreit,
- Den großen Seher, der auf Götter-Pfaden schreitet!
177
- Ihn, ohnegleichen, der verborgenen Sinn erschaut,
- Geber der Weisheit, nicht am Sinnen-Reize hängend,
- Erblicket ihn, der alles kennt, den Weisen,
- Den großen Seher, der auf Heiligem Pfade schreitet!
178
- Herrlicher Anblick wahrlich ward uns heut zuteil!
- Ein Morgen köstlich stieg herauf, -
- Daß wir den Voll-Erwachten schauten,
- den trieberlösten Fluten-Überwinder!
179
- Sieh diese tausend Geister hier, so machtgewaltig, reich an Ruhm!
- Dich nehmen sie als ihre Zuflucht! Der höchste Meister bist du uns!
180
- Von Dorf zu Dorfe wollen wir nun wandern,
- vom einen Berg zum andern hin,
- Verehrung bringen dem Erwachten
- und dem vorzüglichsten Gesetz, der Lehre!
[1] Wörtlich: der fünfzehnte (des Mond-Monats),
ein Uposatha.
[2]
Rücksichtsvoll (samyato), wtl.: gezügelt.
[3] Die beiden Verse 163A/B finden sich nicht in
allen Manuskripten, sind aber im K erläutert.
[4] Sinnt = jhāyati, Verb zu
jhāna, meditative Versenkung
(hier mit 'Schauung' wiedergegeben).
[5] Lauteren Gewissens; wtl.: "der hinaus ist
über die gefährlichen Übeltaten" (verabhayatītam). Dies bezieht sich auf
die fünf 'gefährlichen Übeltaten', d.h. die Verstöße gegen die fünf elementaren
buddhistischen Sittenregeln. Siehe
A.V.174.
Die Zuteilung der Verse 163A-167 folgte K.
[6] Vertraulichkeit (santhava), K: "Das
Eingehen von Verbundenheit oder Vertraulichkeit mit der Welt geschieht in Form
von Begehren oder Ansichten und zwar auf Grund der Gedanken des Ich und Mein."
[7] Die 'sechs', die 'Vertraulichkeit' mit der
Welt schaffen, sind die inneren und äußeren Sinnengrundlagen, d.i. Auge und
Formen etc.
[8] Unten ohne Boden, oben ohne Halt (appatitthe
anālambe). Die Wiedergabe folgte K: "nach unten ohne Standfläche, nach oben
ohne etwas, woran man sich anhängen oder halten kann." Zur Metapher vom
Versinken vgl. v.939. - Lt. K fragt
die erste Verszeile nach dem sekha, dem kämpfenden Jünger; die zweite
nach dem asekha, dem kampfesledigen Heiligen.
[9] Wer das Ergötzen ganz versiegen ließ (nandī-bhava-parikkhīno);
so auch in v.637, worauf in
vv. 639-640 entsprechend folgt:
kāmabhavaparikkhīno und tanhābhavaparikkhīno (Parallele in Dhammapada
v.413, 415-416). Die Bedeutung
dieses Kompositums ist nicht sicher. K erklärt es zu unserer Stelle als
Kopulativ-Kompositum,
nandiñca bhavañca (Ergötzen und Dasein), was jedoch eine nicht sehr
wahrscheinliche Zusammenstellung ist; zu v.637 erklärt er es jedoch als
bhava-nandī (Ergötzen am Dasein). Wäre dies beabsichtigt, so stände hier
sicher nicht die Umkehrung sondern dieser sehr häufige und auch ebenso gut ins
Metrum passende Begriff selber. Eine Umkehrung bei den Parallelbegriffen würde
das ungebräuchliche bhava-kāma
ergeben. Beide Erklärungen des K sind daher unbefriedigend. Vielleicht hat
bhava
hier die im Pali seltene, aber im Sanskrit häufige Bedeutung von 'Zustand', d.h.
wird als Abstrakt-Endung gebraucht, wie das im späteren Pali sehr häufige -bhāva.
Vgl. iti-bhava (So-sein) in v.6
(s. Anm.). Diese Auffassung zugrundelegend, wurde bhava im Sinne einer
bloßen Abstraktendung genommen und in der Übersetzung nicht berücksichtigt. Vgl.
aber Anm. zu v. 367.
Vers 173-175: Parallele mit Varianten in
Samyutta-Nikāya 2.15.
[10] Entledigt = akiñcano (wtl.
'nicht irgendetwas'), im Sanskrit: der Arme, Besitzlose. In der Anwendung dieses
Begriffes im Sn lassen sich zwei Bedeutungs-Nuancen erkennen: einer, der nicht
irgend etwas
ist und nicht irgend etwas hat. Das erstere besagt, daß der
Heilige, auf den dieser Begriff angewandt wird, mit nichts identifiziert werden
kann, da er jede Ich-Identifizierung aufgegeben hat. Unsere Wiedergabe mit
'entledigt' deckt beide Bedeutungen. Nur in v. 455,
wo eine deutliche Beziehung auf die erste Bedeutung gegeben ist, haben wir das
Wort mit 'unzugehörig' wiedergegeben. Eine entsprechend spezifizierte Wiedergabe
der zweiten Bedeutung wäre 'besitzlos', die vor allem für
v. 622 passen würde. Bei der hier gewählten allgemeinen Übersetzung mit
'entledigt' sind stets beide Bedeutungen mitzudenken, die dann den betreffenden
Stellen ihr volles Gewicht geben werden. Akiñcano ist ein im Sn sehr
häufiges und für den Charakter dieses Buches bezeichnendes Attribut des Buddha
und des Heiligen oder Muni.