SUTTA-NIPĀTA, Lehr-Dichtungen

I.8. Güte (Mettā-Sutta) - [Pali]

 Dieses Hohe Lied der Güte, das Mettā-Sutta, ist einer der bekanntesten buddhistischen Texte. Es findet sich auch im Khuddakapātha (übersetzt v. Seidenstücker). Ebenso wie andere in das Kuddakapātha aufgenommene Texte, wird das Mettā-Sutta in den buddhistischen Ländern des Ostens als ein paritta benutzt, d.h. eine Schutz-Inkarntation, die, als schutz- und heilbringend, von den Mönchen bei bestimmten Gelegenheiten vorgetragen wird. Laut K soll auch der Buddha diese Sutte ursprünglich zum Zweck des Schutzes gesprochen haben. Als sich nämlich eine Anzahl Mönche in einem Walde zwecks Meditation niedergelassen hatte und dort von den Baumgeistern gestört wurde, gab ihnen der Buddha das Mettā-Sutta als Schutz (oder 'Harnisch', wie es im Dhammapada-Kommentar heißt), und jene Geister wurden durch die Kraft der Güte von Störern zu Helfern. -

Zur methodischen Entfaltung der Güte-Meditation vgl. Visuddhi-Magga ("Der Weg zur Reinheit"), Teil IX, 1 (Übers. v. Nyanatiloka). Siehe auch des Verfassers kleine Schrift "Die Erhabenen Weilungen" ("Die Einsicht" I, 1).

 

  143

Dies soll erwirken, wer des Heiles kundig
Und wer die Friedens-Stätte zu verstehen wünscht [1]:
Stark [2] soll er sein und aufrecht, aufrecht voll und ganz [3].
Zugänglich [4] sei er, sanft und ohne Hochmut.

144

Genügsam sei er und sei leicht befriedigt,
Nicht viel geschäftig und bedürfnislos.
Die Sinne still, und klar sei der Verstand,
Nicht dreist, nicht gierig, geht er unter Menschen [5].

145

Auch nicht im Kleinsten soll er sich vergehen,
Wofür ihn andere, Verständige, tadeln möchten.
Sie mögen glücklich und voll Frieden sein,
Die Wesen alle! Glück erfüll' ihr Herz! [6]

146

Was es an Lebewesen hier auch gibt,
Die schwachen und die starken [7], restlos alle;
Mit langgestrecktem Wuchs und groß an Körper,
Die mittelgroß und klein, die zart sind oder grob.

147

Die sichtbar sind und auch die unsichtbaren,
Die ferne weilen und die nahe sind,
Entstandene und die zum Dasein drängen [8], -
Die Wesen alle: Glück erfüll' ihr Herz!

148

Keiner soll den anderen hintergehen;
Weshalb auch immer, keinen möge man verachten
Aus Ärger und aus feindlicher Gesinnung [9]
Soll Übles man einander nimmer wünschen!

149

Wie eine Mutter ihren eigenen Sohn,
Ihr einzig Kind mit ihrem Leben schützt,
So möge man zu allen Lebewesen
Entfalten ohne Schranken seinen Geist!

150

Voll Güte zu der ganzen Welt
Entfalte ohne Schranken man den Geist:
Nach oben hin, nach unten, quer inmitten,
Von Herzens-Enge, Haß und Feindschaft frei! [10]

151

Ob stehend [11], gehend, sitzend oder liegend,
Wie immer man von Schlaffheit frei,
Auf diese Achtsamkeit [12] soll man sich gründen.
Als göttlich Weilen gilt dies schon hienieden.

152

In falscher Ansicht nicht befangen,
Ein Tugendhafter, dem Erkenntnis eignet,
Die Gier nach Lüsten hat er überwunden
Und geht nicht ein mehr in den Mutterschoß. [13]
 

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[1] Und wer die Friedensstätte zu verstehen wünscht (yan tam santam padam abhisamecca).

Die Wiedergabe folgte einer der im K gegebenen Erklärungen: Tam santam nibbāna-padam pativedhavasena abhisamecca viharitukāmena yam karanīyam, "Was zu erwirken ist durch einen, der im Sinne völliger Durchdringung jene friedvolle Nibbāna-Stätte zu verstehen wünscht, (in diesem Zustand) zu verweilen wünscht." Eine andere Erklärung fügt hinzu lokiya-paññāya (abhisamecca), "mit weltlicher Weisheit verstehend", d.h. mit dem Verständnis eines, der noch nicht den Hohen Pfad erreicht hat. Das Wort abhisamecca bedarf hier solcher Ergänzung, da es, ebenso wie das entsprechende Substantiv abhisamaya, im Kanon meist jenes tiefe und anschauliche Verständnis der Vier Wahrheiten bezeichnet, das unmittelbar vom Pfad-Eintritt gefolgt ist. In unserer Sutte aber wird jene Lebensführung behandelt, welche die Voraussetzung für die Erreichung jenes hohen Zieles ist. Das Partizip der Vergangenheit abhisamecca (verstanden habend) wäre daher mißverständlich; wir haben es deshalb im Sinne des K durch das Wort 'wünscht' ergänzt.

[2] Stark (sakko, kraftvoll, fähig). K: "Im Besitz der zweiten und vierten Kampfes-Eigenschaft (padhāniyanga), unbekümmert um Leib und Leben, ist man fähig, die völlige Durchdringung der Wahrheiten (sacca-pativedha; s. o.) zu erreichen.'' Die zwei erwähnten Kampfes-Eigenschaften sind: körperliche Gesundheit und angespannte Willenskraft. Siehe M.85, M.90.

[3]. . . und aufrecht, aufrecht voll und ganz (uju ca sūjū ca). Dies bezieht sich lt. K auf die dritte der Kampfes-Eigenschaften: die Ehrlichkeit. Es ist dies, sagt K, die Geradheit und Aufrichtigkeit in Tat, Wort und Gedanke, hierzu gehöre auch, daß man Tugenden und Errungenschaften, die man nicht besitzt, sich auch nicht zuschreibt und daß man Vorteile nicht annimmt, die einem daraus entstehen, daß man von anderen überschätzt wird.

[4] Zugänglich (suvaco, wtl.: einer, mit dem leicht zu sprechen ist). - K: "Es wird da einer ermahnt: 'Dies sollst du nicht tun!' und er antwortet: 'Was verstehst du davon? Was weißt du davon?' Oder: 'Was hast du denn mit mir zu schaffen, daß du so sprichst? Bist du denn mein Ordensberater, mein Lehrer, mein Freund oder Vertrauter?' Oder auch er schweigt in verletzender Weise dazu; oder trotz äußerlicher Zustimmung handelt er nicht entsprechend. Ein solcher ist weit entfernt von der Erreichung höherer geistiger Ergebnisse. Ein anderer aber antwortet auf eine Ermahnung: 'Recht hast du, o Herr! Gut hast du gesprochen! Wahrlich, es ist schwer, seine Fehler selber zu erkennen. Wenn du wieder solches sehen solltest, sage es mir, von Mitleid bewogen!' Wer so spricht und auch danach lebt, der ist nicht weit entfernt von der Erreichung höherer geistiger Ergebnisse. Wer in dieser Weise dem Wort eines anderen zustimmt und danach handelt, der wird suvaco (zugänglich) genannt.


[5] (nicht gierig,) geht er unter Menschen (kulesu), wtl.: 'bei den Familien', welche der Mönch beim Almosengang, zu einem Spendenmahl oder anderen Gelegenheiten aufsucht. Da aber der Geltungsbereich unseres Textes sich nicht nur auf den Mönch beschränkt, wurde die obige Wiedergabe gewählt.


[6] Bis einschließlich der ersten zwei Zeilen dieses Verses geht, lt. K, die Vorbereitung für die Übung des Meditationsobjektes der Güte, dessen eigentliche Darlegung nun mit den letzten beiden Verszeilen beginnt.


[7] Die schwachen und die starken (tasā vā thavarā va); wtl.: die furchtsamen und die gefestigten. K: "Der erste Begriff bezeichnet die von Begehren und Furcht erfüllten Wesen, der zweite die davon freien Heiligen." Die Wurzel tas hat die Bedeutung 1) dürsten, begehren, 2) zittern, fürchten, worauf die obige Erklärung des K anspielt. - Siehe auch v. 394


[8] Entstandene und die zum Dasein drängen (bhutā vā sambhavesī vā). K: "Der erste Begriff ist eine Bezeichnung der trieberlösten Heiligen, die in diesem Dasein entstanden sind, aber nicht wieder entstehen werden; der zweite Begriff bezeichnet die Jünger der ersten drei Heiligkeitsstufen und alle unerlösten Weltlinge, die die Daseinsfessel noch nicht aufgegeben haben und noch nach künftiger Entstehung suchen. Oder: 'zum Dasein drängend' sind die Lebewesen vor Durchbrechen der Eischale oder vor dem Austritt aus dem Mutterleib; 'entstandenen: wenn sie das Ei oder den Mutterleib verlassen haben. Wesen, die aus der Feuchtigkeit oder spontan entstanden sind, gelten als 'zum Dasein drängend', solange sie in der ersten bei ihrem Entstehen eingenommenen Körperhaltung verharren; bei deren Veränderung gelten sie als 'entstandene'."


[9] Aus Ärger und aus feindlicher Gesinnung (byārosanā patighasaññā). K erklärt den ersten Begriff als die durch Ärger oder Zorn hervorgerufene Veränderung (oder Entstellung, vikara) im körperlichen Ausdruck und in der Rede, den zweiten Begriff als eine solche im Geiste. Offenbar wird hier saññā als Zeichen oder Merkmal aufgefaßt; es kann jedoch auch, wie häufig, als Synonym für samkappa (Gesinnung) und vitakka (Gedanke) verstanden werden. Patigha-saññā wäre dann identisch mit byāpāda-vitakka (gehässige Gedanken). Es würde sich dann auf jene üblen Wünsche (s. letzte Verszeile) beziehen, die man auf Grund überlegter feindlicher Einstellung hegt; der erste Begriff wäre dann auf die augenblicklichen Aufwallungen des Ärgers zu beziehen.


[10] Von Herzensenge . . . frei (asambādham, wtl.: ohne Enge). K erklärt mit bhinna-sīma, d.h. man soll jede Begrenzung (sīma) und Einschränkung der Güte niederreißen und sie so zu einer allumfassenden machen.


[11] Ob stehend . . . Dies soll, lt. K, die Beschränkung auf eine bestimmte Körperhaltung, etwa den Kreuzsitz, ausschließen. Die Meditation der Güte kann vielmehr in jeder einem angenehmen Körperhaltung, in der man sich von Schlaffheit frei halten kann, vorgenommen werden; d.h. sie soll bei jeder Gelegenheit geübt werden, nicht nur während einer beschränkten Meditationszeit.

[12] Auf diese Achtsamkeit. K: "Die Achtsamkeit verbunden mit der durch die Güte-Meditation erzeugten Vertiefung" (mettā-jjhāna sati).


[13] K: "Da nun aber die Meditation der Güte individuelle Lebewesen zum Objekt hat, ist sie der Ich-Ansicht nahe. Daher beginnt diese Strophe mit der Ablehnung des Aufgreifens von falscher Ansicht. In diesem Vers wird vom Erhabenen die 'Stätte der Edlen' (oder die 'Heiligkeits-Stufen', ariyabhūmi) gezeigt und zwar im Falle jener Mönche (der Entstehungs-Geschichte), welche die durch Güte gewonnene Vertiefung (jhāna) als Ausgangspunkt (für den Klarblick) nahmen."

Die ersten zwei Verszeilen beziehen sich auf den 'Strom-Ergriffenen' (sotāpanna); und zwar beziehen sich die Worte "In Ansicht nicht mehr sich ergehend" auf dessen Überwindung der ersten Fessel 'Persönlichkeits-Ansicht' (sakkāyaditthi-samyojana); "ein Tugendhafter": auf die vierte Erfordernis des Strom-Eintritts, d.i. vollkommene Sittlichkeit. "Dem Erkenntnis eignet" (dassanena sampanno) bezieht sich auf die vom Strom-Ergriffenen 'durch Erkenntnis aufzugebenden Dinge' (dassanena pahātabbā dhamma), d.h. die ersten drei 'Fesseln'. Hierzu siehe M.2. und die folgende Kommentarstelle dazu: "Warum wird der Pfad des Stromeintritts als dassana (Erkennen oder Erblicken) bezeichnet? Weil er das erste 'Erblicken' des Nibbāna bietet." Siehe auch Sn 231-232.

Die dritte Verszeile bezieht sich auf die Abschwächung und schließliche Aufhebung der Sinnengier-Fessel (kāmarāga-samyojana) auf der Stufe Einmal-, bzw. Niewiederkehr. Die vierte Zeile bezeichnet die endgültige Aufhebung der Wiedergeburt durch Erreichung der Heiligkeit.


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