Sāriputta blieb nun bei Buddha und wurde von ihm in dessen Lehre unterwiesen. Wenn Buddha mit anderen redete, stand er hinter ihm, fächelte ihm Kühlung und hörte zu. So stand er auch hinter Buddha, als dieser eine Unterredung mit dem Samanen Dīghanakha hatte. - Samanen war im alten Indien eine Sammelbezeichnung für alle nicht-brahmanischen Philosophen. -
Dīghanakha war ein Vertreter des Pessimismus. Seine Parole war: "Nichts gefällt mir." Buddha zeigte ihm, daß er damit nicht zum Ziel komme und sich in Widersprüche verwickle. Wenn ihm nichts gefalle, so müsse er folgerichtig auch sagen, daß ihm diese seine Parole selbst nicht gefalle, also zu verwerfen sei. Dann belehrte er ihn über die rechte Art, den Körper und die Gefühle zu betrachten: Der Körper ist aus den vier Elementen entstanden, von Vater und Mutter gezeugt, durch Speise und Trank entwickelt; er muß früher oder später sich aufreiben, sich auflösen, zugrunde gehen; er ist wandelbar, schmerzempfänglich, gebrechlich, hinfällig und nichtig. Ebenso sind die Gefühle wandelbar, bedingt entstanden, sie kommen und gehen, müssen schließlich aufhören und hinschwinden, mögen es nun Lüstgefühle oder Unlustgefühle oder neutrale Gefühle sein. Wer alles dies so betrachtet, wendet sich vom Körper und von den Gefühlen ab, haftet nicht mehr an ihnen, und da sich an ihnen und in ihnen die ganze Welt darstellt, haftet er an nichts in der Welt, wird wunschlos und frei, löst sich von allem innerlich los und gelangt zu der Erkenntnis, daß er erlöst ist. - Als Sāriputta dies hörte, gelangte er selbst zur Erlösung und erlebte das Nirvana. (M 74)
Er bestätigte dies mit folgenden Versen (Thg 995-997):
- "Es trug der Buddha einst die Lehre jemand vor,
- Verlangend neigte ich beim Vortrage mein Ohr.
- Das Hör'n war nicht umsonst; befreit bin ich, genesen.
- Nach früherer Geburt, nach himmlischem Gesicht,
- Gedankenlesekunst, dem Ab und Auf der Wesen,
- Nach himmlischem Gehör - nach all' dem frag' ich nicht."
In der zweiten Hälfte dieser Strophe sagt Sāriputta, daß er die übernormalen Fähigkeiten, die Buddha in der Bodhi erlangte und die auch mehrere seiner Jünger besaßen, nicht hatte und auch nicht anstrebte. Es sind die Fähigkeiten, sich seiner früheren Lebensläufe zu erinnern, den Lauf der Wiedergeburten der anderen Wesen zu schauen, räumliches Hellsehen und Verkehr mit übermenschlichen Wesen sowie Telepathie und Gedankenlesen. Sāriputta hielt nichts davon und charakterisierte sich dadurch selbst als einen nüchternen Denker, bei dem der Verstand überwiegt, Gefühl und Phantasie aber zurücktreten.
Später fragte ihn einmal sein Freund Moggallāna, wie es ihm bei der Erlangung des Nirvana ergangen sei. Es gebe, sagte er, vier Wege: den mühsamen Weg verbunden mit langsamer Durchschauung, den mühsamen Weg verbunden mit schneller Durchschauung, den mühelosen Weg verbunden mit langsamer Durchschauung und den mühelosen Weg verbunden mit schneller Durchschauung, und er fragte, auf welchem dieser vier Wege Sāriputta zum Nirvana gelangt sei. "Mühelos und mit schneller Durchschauung", erwiderte Sāriputta (A IV, 168). Hier durfte er so antworten, denn Moggallāna wußte längst, daß Sāriputta, wie er selbst, ein Heiliger war.
Sāriputta hatte aber nicht nur, wie viele andere, die Buddha-Lehre begriffen, sondern er verstand es auch meisterlich, sie anderen zu erklären. Nach dem Vorbild Buddhas suchte er sich dabei der Auffassungskraft seiner Zuhörer anzupassen, doch ging er einmal, wie es scheint, in der Rücksicht auf die Denkweise des andern etwas zu weit.
Es war ihm gelungen, einen Brahmanen namens Dhānanjāni, einen üblen Intriganten, durch gütigen Zuspruch dahin zu bringen, daß er sich besserte. Dhānanjāni war dafür bekannt, daß er am Königshofe andere anschwärzte und verleumdete, und auch sein Familienleben war nicht einwandfrei. Als nun dieser Brahmane schwer krank wurde und den Tod vor Augen hatte, ließ er Sāriputta zu sich rufen, damit er ihn geistlich auf den Tod vorbereite.
Und nun sprach Sāriputta so auf den Kranken ein, daß sich dessen Geist zum höchsten Himmel, zur Brahma-Welt, erhob. Mit anderen Worten: er lehrte ihn, die vier Erweckungen üben, die unter dem Namen Brahmavihārā (auf Deutsch: Verweilen in Brahma) bekannt sind: seinen Geist ganz mit selbstloser Liebe, mit Mitleid für alle lebenden Wesen, mit Mitfreude und mit völligem Gleichmut erfüllen und mit solchem Geist die ganze Welt durchstrahlen. Wer in solcher Andacht stirbt, der läßt die irdische Welt hinter sich und geht zum höchsten Gott, zu Brahma, ein, da er sich ja tatsächlich schon in ihm befindet.
Die himmlische Seligkeit in der Brahma-Welt, für die Inder dasselbe wie für die Christen das himmlische Paradies Dantes, ist jedoch nicht zu vergleichen mit dem Nirvana. Sie ist wohl von unvorstellbar langer Dauer, aber doch nicht, wie das Nirvana, ewig, sondern findet einmal ein Ende, und dann beginnt von neuem der Lauf der Wiedergeburten, der nicht nur wieder herab zur Menschenwelt, sondern auch zu tieferem, qualvollem Dasein führen kann.
Sāriputta hatte also den sterbenden Brahmanen zwar auf einen guten, aber nicht auf den besten Weg gebracht. Darum fragte ihn nachher Buddha - und ein leiser Tadel klingt an - : "Warum hast du den Brahmanen Dhānanjāni, obwohl noch mehr zu tun war, in die hinfällige Brahma-Welt eingeführt?" Sāriputta verteidigte sich: "Die Brahmanen haben nun einmal eine Neigung zur Brahma-Welt." Höher hinauf, meinte er wohl, geht ihr Streben doch nicht, und der Versuch, ihn zum Nirvana zu bringen, wäre wahrscheinlich vergeblich gewesen. (M 97)
Hier betätigte sich Sāriputta einem Andersdenkenden gegenüber als weiser Seelsorger. Ein anderes Mal finden wir ihn als Verteidiger der Buddha-Lehre in einer Disputation mit andersdenkenden Samanen. Im Bambushain bei Rājagaha hatten sie sich versammelt, um mit ihm über die Karma-Lehre zu reden. Als feststehend nahmen sie die ursprünglich von Brahmanen als Geheimlehre in den Upanischaden, dem jüngsten Teil des Veda, aufgestellte, dann aber von Buddha öffentlich verkündete Lehre an, daß jedes Tun, gut oder böse, eine entsprechende Folge nach sich zieht, die sich in dem gegenwärtigen oder in einem späteren Dasein auswirken wird, und daß demgemäß unser gegenwärtiges Dasein selbst die Frucht unseres früheren Handelns ist.
Zweifelhaft war ihnen aber, wer für das Karma verantwortlich ist und ob derjenige, der in seinem gegenwärtigen Leben die Folgen des Karmas trägt, derselbe ist, der in einem früheren Dasein die Taten getan hat, oder ein anderer, oder teils er selbst, teils ein anderer, oder weder er selbst noch ein anderer, daß es also auf Zufall beruht. Diese vier Theorien trugen sie vor, um ihren Gegner in Verlegenheit zu bringen. Eine von ihnen könne nur richtig sein, und wenn sich der Gegner für eine entschieden hätte, würden sie nachweisen, daß er sich damit in Widersprüche verwickle und daß das Ergebnis unhaltbar sei. Diesen Disputierkünstlern war es, wie manchen Sophisten im alten Griechenland, weniger darum zu tun, die Wahrheit zu ermitteln, als vielmehr ihren Gegner in der Redeschlacht niederzukämpfen.
Sāriputta erkannte sofort den schwachen Punkt in der Fragestellung der anderen. Der liegt darin, daß sie voraussetzten, im Individuum oder in der Person sei etwas ewig Dauerndes oder eine unsterbliche Seele, die den Tod überdauert und im späteren Dasein eine neue körperliche Gestalt annehme. Das war die auf unklarem Denken beruhende Theorie von der Seelenwanderung, die Buddha widerlegt und durch die Lehre von der Wiedergeburt berichtigt hatte. Seele, so wies er nach, ähnlich wie es später Kant getan hat, ist ein leerer Begriff, dem nichts Tatsächliches entspricht; eine unsterbliche Seele gibt es nicht.
Das Individuum oder die Person ist nichts weiter als die Zusammenfassung der fünf Gruppen: Körperlichkeit, Empfindung, Wahrnehmung, unbewußte Tätigkeiten und Bewußtsein. Diese Gruppen sind in unaufhörlicher Wandlung begriffen, sie entstehen bei der Geburt, ändern sich in jedem Augenblick und schwinden dahin im Tode. In der Erscheinungswelt gibt es nichts Unwandelbares, das als Seele durch die aufeinanderfolgenden Lebensläufe wandern könnte. Und doch ist die Karma-Lehre richtig, denn jedes Tun hat notwendig die ihm entsprechenden Folgen, und wenn diese Folgen nicht im gegenwärtigen Leben eintreten, müssen sie sich in einem späteren zeigen. Die Frage nach dem Subjekt des Tuns und des Erleidens der Folgen ist als falsch gestellt abzuweisen, denn es ist die Frage nach dem jenseits aller Erkenntnismöglichkeit liegenden Transzendenten.
Demgemäß erwiderte Sāriputta: Eure vier Theorien vom Karma beruhen auf einer irrigen Voraussetzung. Allerdings ist das Leiden, die Folge des Karmas, ursächlich entstanden, aber die Ursache ist nichts anderes als Berührung. Denn niemand kann anders empfinden als durch Berührung. - Ein anderer Jünger Buddhas, Ānanda, den wir später näher kennen lernen werden, hatte der Disputation zugehört und Buddha darüber berichtet, und dieser billigte die Erklärung Sāriputtas. Ānanda rühmte besonders, daß Sāriputta es verstanden hatte, den ganzen Gegenstand mit einem einzigen Wort, dem Wort Berührung, auszusprechen und damit die schwierige Frage zu lösen, und führte dann selbst, auf Wunsch Buddhas, näher aus, wie das zu verstehen ist:
Das, was man Leiden oder Übel nennt, besteht im wesentlichen im Altwerden und Sterben. Altern und Sterben aber hat Geburt zur Voraussetzung. Geburt hat zur Voraussetzung, daß Leben überhaupt da ist. Leben hat zur Voraussetzung, daß ein Ergreifen, Erfassen stattfindet; Ergreifen oder Erfassen gibt es nur, wenn Daseinsdurst, Drang oder Trieb zum Leben vorhanden ist; dieser wieder kann nur dann auftreten, wenn Empfindung vorhanden ist; Empfindung setzt Berührung voraus. Damit Berührung stattfinden kann, müssen die sechs Sinnesbereiche da sein: die Fähigkeiten zu sehen, zu hören, zu riechen, zu schmecken, zu tasten und zu denken. Und umgekehrt: wenn die sechs Sinnesbereiche verschwinden, dann gibt es keine Berührung, ohne Berührung keine Empfindung, ohne Empfindung keinen Daseinsdurst, ohne Daseinsdurst kein Ergreifen, ohne Ergreifen kein Leben, ohne Leben keine Geburt, ohne Geburt kein Altern und Sterben. "Auf diese Weise kommt die Aufhebung der ganzen Masse des Leidens zustande." (S.12.24)
So hat Sāriputta mit dem einen Wort Berührung die ganze Lehre von der Kette der Abhängigkeitsverhältnisse oder von der Bedingtheit alles Entstehens kurz zusammengefaßt, dieselbe Lehre, die er schon erkannt hatte, als ihm Assaji seinen berühmten Spruch sagte. Darin liegt zugleich, daß die Frage der Andersdenkenden falsch gestellt war: In der Erscheinungswelt ist alles ursächlich bedingt, es gibt hier nichts Unbedingtes, Absolutes, nichts Ewiges, Unwandelbares, also keine Seele, die wandern könnte; also hat es keinen Sinn, zu fragen, ob derjenige, der die Folgen des Karmas trägt, derselbe ist, der das Karma in einem früheren Leben geschaffen hat, oder ein anderer.
Die Kette der Abhängigkeitsverhältnisse, von der hier die Rede ist, in Pali: Paticcasamuppāda, wird gewöhnlich als eine zwölfgliedrige dargestellt, und Buddhaghosa, der rund tausend Jahre nach Buddha lebte, erklärt sie in Visuddhi-Magga XVII, Schluß, so, daß er die zwölf Glieder auf drei Lebensläufe verteilt. Die zwölfgliedrige Kette lautet:
Nach der Auslegung Buddhaghosas betreffen die ersten beiden Glieder den früheren Lebenslauf, das dritte bis zehnte Glied - Bewußtsein bis Leben - das gegenwärtige Leben und die beiden letzten Glieder den künftigen Lebenslauf. Von einer Verteilung auf drei Lebensläufe hat jedoch weder Buddha selbst noch irgend einer seiner unmittelbaren Jünger jemals geredet. Eine solche Auslegung der Lehre von der Bedingtheit alles Entstehens kam zu Gotamas Zeit schon deshalb nicht in Frage, weil damals die Kette nur acht Glieder hatte; sie fing an mit den Sinnesbereichen und der Berührung, wie wir aus Ānandas Erklärung von Sāriputtas Unterredung erfahren. Hier und an mehreren anderen Stellen findet sich nicht die leiseste Andeutung, daß es noch mehr Kettenglieder gebe. Sicherlich ist dies die ursprüngliche Gestalt der Bedingtheitslehre. Erst später verlängerte man sie über den Anfang hinaus rückwärts bis zum lebendigen Organismus und Bewußtsein und ließ diese beiden Glieder voneinander abhängig oder durcheinander bedingt sein (D.15). Diese Darstellung verrät bereits durch ihre Sprache, durch Worte, die in der alten Zeit nicht vorkamen, ihre späte Entstehung. Hier wird die Lehre ausführlich erklärt, aber ohne Verteilung auf mehrere Lebensläufe. Diese Erklärung Buddhaghosas kann erst noch später aufgekommen sein, als man die Kette bis zum Glied "Unwissenheit" rückwärts verlängert hatte, denn erst dann wurde die Erklärung schwierig, während die ursprüngliche achtgliedrige Kette, die Sāriputta und Ānanda kannten, so leicht verständlich ist, daß sie keiner Erläuterung bedurfte und auch heute keiner bedarf.
Daß die Kette ursprünglich mit den Sinnesgebieten und der Berührung begonnen haben muß, ergibt sich aus einer Vergleichung mit der Rede Kaccānas, eines anderen hervorragenden Jüngers, die in M 18 überliefert ist (siehe Seite 56*). Kaccāna hat gelehrt, daß die Berührung der Sinne die äußerste Grenze ist, bis zu der wir den Erkenntnisvorgang zurückverfolgen können. Was jenseits der Berührung liegt, ist der Erkenntnis unzugänglich, d.h. transzendent. Ānanda hatte diese Rede Kaccānas mitangehört und Sāriputta kannte sie auch. Sāriputta hat dies in einem Gespräch mit seinem Ordensbruder Mahākotthita klar ausgesprochen. Mahākotthita fragte ihn, ob es jenseits der Berührung der sechs Sinne noch etwas anderes gebe oder ob da nichts sei, und Sāriputta lehnte die Beantwortung der Frage ab mit der Begründung, wenn man sage, dort sei etwas, aber auch wenn man sage, dort sei nichts, dann mache man etwas, das nicht Erscheinungswelt ist, zur Erscheinungswelt" (appapancam papanceti), d.h. dann überschreite man die Grenze möglicher Erkenntnis. "Soweit die Berührung der sechs Sinne reicht, soweit reicht die Erscheinungswelt; soweit die Erscheinungswelt reicht, soweit reicht die Berührung der sechs Sinne", sagte er. Nachher erklärte Mahākotthita es Ānanda mit denselben Worten (A.IV.174).
Sāriputta und Ānanda wußten also, daß wir über das, was jenseits der Berührung liegen mag, nichts wissen können und daß von Bedingtheit nur diesseits der Berührung geredet werden kann. Erst als die Bhikkhus das nicht mehr verstanden, konnten sie daran denken, die Abhängigkeitskette bis zum Glied "Unwissenheit" zu verlängern und sie dann auf drei Lebensläufe zu verteilen.
Sāriputta bewährte sich auch im Verkehr mit seinen Mitbrüdern, den buddhistischen Bhikkhus, als scharfsinniger Denker. Einer von ihnen namens Yamaka glaubte die Buddhalehre so auslegen zu müssen, daß ein Heiliger, einer, der das Nirvana erlangt hat, also keiner Wiedergeburt mehr entgegengeht, beim Tode vernichtet wird und nicht mehr ist. Danach wäre das Nirvana das absolute Nichts, die völlige Vernichtung. Diese Auslegung ist auch heute noch weit verbreitet, nicht nur unter den Gegnern des Buddhismus, sondern auch bei vielen Buddhisten, die der Lehre der Theravadins folgen, daß ein "Ich" nicht existiere; sie haben übersehen oder vergessen, daß Buddha seine Lehrtätigkeit mit den Worten begann: "Das Unsterbliche ist gefunden"?
Als Yamaka seine Ansicht äußerte, versuchten andere Bhikkhus vergeblich, ihn darüber aufzuklären, daß er im Irrtum war. Da er an seiner Ansicht festhielt, wandten sich die anderen Bhikkhus an Sāriputta und baten ihn, sich Yamakas anzunehmen, und Sāriputta war auch sofort dazu bereit. Er suchte ihn auf und fragte ihn, ob er noch an seiner Ansicht festhalte, und da dieser es zugab, begann er mit ihm ein Gespräch nach der Methode, die wir von Sokrates kennen. (Sokrates lebte rund 80 Jahre später als Sāriputta, er wurde geboren, etwa 470 v. Chr., als Sāriputta starb.) Er legte ihm Fragen vor, durch die Yamaka dazu geführt wurde, die Wahrheit selbst zu finden. Das war auch die Methode, nach der Buddha seine belehrenden Zwiegespräche führte. Sāriputtas Unterredung mit Yamaka ist so lehrreich, daß wir sie hier in verkürzter Fassung anführen wollen:
"Was meinst du, Freund Yamaka", fragte Sāriputta, "ist die Körperlichkeit, die Empfindung, die Wahrnehmung, sind die unbewußten Tätigkeiten, ist das Bewußtsein beständig oder unbeständig?" - Yamaka antwortete: "Unbeständig, vergänglich!" - "Ist nun das, was unbeständig, vergänglich ist, leidvoll, das heißt: unbefriedigend, unzulänglich, oder ist es beglückend, voll befriedigend?" - "Es ist leidvoll, unbefriedigend." - "Kann man von dem, was unbeständig und unbefriedigend ist, sagen das gehört mir, das bin ich, das ist mein Ich?" - "Gewiß nicht!" - "Wir wollen festhalten: alles, was es an Körperlichkeit, Empfindung, Wahrnehmung, unbewußten Tätigkeiten und Bewußtsein gibt, das gehört nicht zu mir, das bin ich nicht, das ist nicht mein Ich. Also gibt es in der ganzen Erscheinungswelt nichts, von dem wir sagen könnten: das bin ich; das gilt auch von meinem Körper, meinem Denken, Fühlen und Wollen. Nun weiter: betrachtest du bei einem Vollendeten, einem Heiligen, die Körperlichkeit als den Heiligen?" - "Nein!" - "Oder die Empfindung, die Wahrnehmung, die unbewußten Tätigkeiten, das Bewußtsein als den Heiligen?" - "Nein!" - "Oder meinst du, daß der Heilige außerhalb der fünf Gruppen zu finden sei?" - "Nein, auch das gilt nicht!" - "Oder meinst du, daß die fünf Gruppen in ihrer Gesamtheit den Heiligen ausmachen?" - "Nein, auch das nicht!" - "Oder meinst du, daß etwas Unkörperliches, Empfindungsloses, Wahrnehmungsloses, Untätiges, Bewußtloses der Heilige sei?" - "Nein!" - "Gibst du damit zu, daß für dich schon in dieser sichtbaren Erscheinung der Heilige wahrheitsgemäß und sicher nicht aufzufinden ist?" - "Das gebe ich zu", sagte Yamaka, "und ich sehe jetzt ein, daß ich mich im Irrtum befand." - "Gut, und was würdest du nun sagen, wenn dich jemand fragte, was aus einem Heiligen nach dem Tode wird?" - "Ich würde sagen: Was an dem Heiligen wahrnehmbar ist, die Körperlichkeit, die Empfindung, die Wahrnehmung, die unbewußten Tätigkeiten und das Bewußtsein, alles dies hat sich beim Tode aufgelöst. Alles dies aber ist unbeständig und unbefriedigend, und dies ist mit dem Tode dahingeschwunden. Mehr kann man nicht sagen." - "Gut", sagte Sāriputta, "damit du aber die Sache noch besser verstehst, will ich dir ein Gleichnis geben. Nehmen wir an, ein Mann trachtete einem reichen Bürger nach dem Leben, er sähe aber ein, daß er ihm mit Gewalt nichts antun könne, weil er wohl behütet sei, und träte deshalb in die Dienste des reichen Bürgers, diente ihm zuvorkommend und freundlich und erwürbe sich dessen volles Vertrauen. Später träfe er ihn an einem einsamen Ort und tötete ihn. Was meinst du, Yamaka, war dieser Mann damals, als er in die Dienste des reichen Bürgers trat, schon sein Mörder oder war er es erst damals, als er ihn an einsamem Ort tötete?" - "Er war von vornherein sein Mörder." - "Genau so verhält es sich mit einem unkundigen Weltling und den fünf Gruppen, die seine Persönlichkeit ausmachen - Körperlichkeit, Empfindung, Wahrnehmung, unbewußte Tätigkeiten und Bewußtsein. Er erkennt nicht der Wirklichkeit gemäß, daß sie nicht sein Ich sind. Sie dienen ihm, er faßt Vertrauen zu ihnen und merkt nicht, daß sie seine Mörder sind.
Dieses falsche Vertrauen, dieser Irrtum, daß er die Persönlichkeit, die nichts weiter ist als die fünf Gruppen, für sein Ich hält, veranlaßt ihn zur Anhänglichkeit an seine Persönlichkeit, das heißt: zu Selbstsucht und Lebensdurst, und bannt ihn in den Lauf der Wiedergeburten, so daß er immer wieder sterben muß, bringt ihm also für lange Zeit Unheil und Leiden. Wer sich aber von diesem Irrtum freimacht, der erkennt die fünf Gruppen als seinen Mörder, gibt die Anhänglichkeit an seine Persönlichkeit auf, wird selbstlos, läßt den Lebensdurst fahren und wird dadurch erlöst. Das Aufgeben gereicht ihm zu Segen und wahrem Glück."
Durch dieses Zwiegespräch wurde Yamaka völlig aufgeklärt, er erkannte die Wahrheit und wurde selbst ein Heiliger. "So geht es", sagte er dankbar, "denen, die solche gütigen, auf das Heil bedachten Ermahner und Berater haben, wie du einer bist, und zu ihren Mitbrüdern zählen!" (S.22.85)
In demselben Sinne wie in dem Gespräch mit Yamaka äußerte sich Sāriputta Buddha gegenüber kurz zum Ich-Problem. Buddha hatte ihn gefragt, was er antworten würde, wenn ihn jemand fragte, wie er auf Grund der Befreiung zu dem Wissen gekommen sei, daß es für ihn keine Wiedergeburt mehr gebe. Darauf erwiderte Sāriputta:
"Ich würde antworten: Auf Grund der Befreiung meines Innern, da ich alles Ergreifen und Haften aufgegeben habe, lebe ich dauernd in solcher Besonnenheit, daß die Einströmungen, die weltlichen Einflüsse, mich nicht überwältigen, und ich leugne das Ich nicht." (S.12.32)
Buddha sprach sich über Sāriputta und Moggallāna wiederholt mit höchster Anerkennung aus und gab ihnen in seiner Gemeinde die Stellung, die ihnen einst Sanjaya in der seinigen angeboten hatte, indem er seine Bhikkhus anwies, sich wegen Belehrung an diese beiden großen Jünger zu wenden (M 141).
Daher sind im Pali-Kanon viele Lehrreden überliefert, die Sāriputta anstelle Buddhas vor der Bhikkhu-Gemeinde gehalten hat, so über die vier edlen Wahrheiten (M 141), über rechte Anschauung (M 9), über die Grenzen der Erkenntnis (A IV.174), über das Nirvana (S.38.1) und über andere Fragen.