BUDDHA UND SEINE JÜNGER

Sāriputtas Eigenheiten

 

Vergleicht man Sāriputtas Lehrreden mit denen Buddhas, so bemerkt man, daß sie sich im Stil deutlich unterscheiden. Buddha sprach stets anschaulich, bilderreich; er erläuterte alle seine Lehren durch Gleichnisse aus dem Leben. Sāriputta dagegen bevorzugte abstrakte Begriffe, die er zergliederte; er stellte die Begriffe zu Gruppen zusammen, die er aufzählte; nur selten erfand er ein Gleichnis. Selbst wenn nach dem Nirvana gefragt wurde, das dem Denken nicht zugänglich ist und von dem daher nichts Positives ausgesagt werden kann, sprach Buddha - zwar verneinend, denn anders ist es nicht möglich - aber doch eindrucksvoll in Bildern: "Dort glänzt kein Stern, die Sonne strahlt dort nicht, dort scheint kein Mond und auch kein andres Licht, und doch ist keine Finsternis zu sehen" (Ud.I,10) und an anderer Stelle: "Wie die von Windesmacht verwehte Flamme verschwindet und kein Wort sie nennen mag, so schwindet hin ein Weiser, der befreit von Leib und Leben, und kein Wort mehr nennt ihn" (Sn.1074). Sāriputta dagegen sagt abstrakt und nüchtern: "Das Verschwinden von Begierde, das Verschwinden von Haß, das Verschwinden von Verblendung, dies wird Nirvana genannt" (S.38.1). Inhaltlich stimmen beide überein, aber wie groß ist der Unterschied im Ausdruck!

Buddhas Reden sind erfüllt von Weisheit, Sāriputtas Reden von Gelehrsamkeit. Dadurch erscheint Sāriputta als Vorläufer und als Vorbild der späteren Scholastiker, die den Abhidhamma verfaßten. Dieser Zug tritt besonders hervor in Sāriputtas langen Reden D.33 und D.34, falls diese echt sind, was allerdings zu bezweifeln ist. Wenn aber diese Reden später verfaßt und ihm nur zugeschrieben wurden, so würde das beweisen, daß man seine Art zu lehren richtig erkannt hatte.

Sāriputta unterschied sich aber nicht nur im Stil seiner Lehrreden von Buddha, sondern auch im sachlichen Gehalt seiner Darlegungen finden sich charakteristische Abweichungen. Während Buddha erklärte, daß ihn die abstrakten Versenkungen, die er zu Beginn seiner Studien bei seinen Lehrern Alāra Kālāma und Uddaka Rāmaputta gelernt hatte, nicht befriedigten, und statt ihrer das von ihm gefundene Jhāna-Verfahren empfahl, hielt Sāriputta an jenem Verfahren der damaligen Yoga-Meister fest, das er wahrscheinlich aus dem Lehrkreise Sanjayas mitbrachte. Sāriputta scheint es gewesen zu sein, der die später so genannten Arūpajjhāna in den buddhistischen Bhikkhu-Orden einführte. Näheres über die beiden Jhāna-Arten, die ich Buddha-Jhāna und Yoga-Jhāna nenne, habe ich in meinem Buch "Leer ist die Welt", Seite 60 ff ausgeführt.

Eigene Wege ging Sāriputta auch in der Lehre von den Daseinsarten oder Daseinssphären. Während Buddha nur zwei Sphären unterschied: Rūpa und Arūpa, d.h. das Sichtbare und das Unsichtbare, nahm Sāriputta drei an: Kāmabhava = Dasein in der Sphäre der Sinnenlust, Rūpabhava = Dasein in der Sphäre reiner Formen oder des reinen, wunschlosen Anschauens, und Arūpabhava = Dasein in der Sphäre des Nichtgestalthaften oder der abstrakten Begriffe. Aus dieser Dreiteilung Sāriputtas entwickelte sich mehr als tausend Jahre später die Lehre von den "drei Welten". Weitere Eigenheiten Sāriputtas finden sich in seiner Lehrrede M 43.


Devadattas Spaltungsversuch

 

Im Leben der Jüngergemeinde fiel Sāriputta die Aufgabe zu, die von dem abtrünnigen Bhikkhu Devadatta geplante Spaltung zu verhindern. Der ehrgeizige Devadatta hatte, um die Leitung der Gemeinde an sich zu reißen, fünf Forderungen aufgestellt, die Buddha überbieten sollten, indem sie für die Bhikkhus eine strengere, mehr asketische Ordensregel bezweckten. Er verlangte: 1. die Bhikkhus sollten zeitlebens im Walde wohnen und nie in die Nähe eines Dorfs gehen, 2. sie sollten nur von Almosen leben und nie eine Einladung zum Essen in einem Haus annehmen, 3. sie sollten sich nur mit Lumpen bekleiden, die aus dem Abfall aufgelesen sind, und sich nie ein Gewand von einem Laien schenken lassen, 4. sie sollten nur unter Bäumen wohnen und nie unter ein Dach gehen, 5. sie sollten nie Fleisch oder Fisch essen. Buddha lehnte diese Forderungen als Ordensregeln ab, ohne indessen eine so strenge Askese geradezu zu verbieten, er stellte es vielmehr jedem einzelnen frei, ob er sie befolgen wolle oder nicht. Damit war Devadatta nicht zufrieden, sondern verteilte in der Gemeinde Holzstückchen als Stimmzettel und ließ abstimmen. Eine große Zahl jüngerer Bhikkhus ließen sich überreden und stimmten für Devadattas Forderungen. Sie trennten sich von Buddha und gingen zu Devadatta über. Sāriputta und Moggallāna berichteten darüber Buddha und dieser sandte sie zu den Anhängern Devadattas, um sie von ihrem übereilten Schritt abzuhalten. In einer nächtlichen Ansprache, nachdem sich Devadatta zum Schlafen zurückgezogen hatte, gelang es den beiden Freunden, die Bhikkhus für Buddha zurückzugewinnen, und Devadatta erlitt aus Wut und Ärger darüber, wie einst Sanjaya, einen Blutsturz. (CV VII, 2-4)


Punnas Gleichnis von der Eilpost

 

Einstmals rühmten die Bhikkhus in Gegenwart Buddhas ihren Mitbruder Punna, den Sohn der Mantānī, als einen besonders tüchtigen und eifrigen Jünger, und Buddha bestätigte ihr Urteil. Als Sāriputta dies hörte, wünschte er, Punna kennen zu lernen, und da er hörte, Punna sei nach Sāvatthi gekommen, wo er sich gerade aufhielt, und von dort in den nahen Wald gegangen, um sich am Fuß eines Baums in der Versenkung zu üben, folgte er ihm und begann, nachdem Punna seine Andacht beendet hatte, mit ihm ein Gespräch über das Ziel des Reinheitswandels. Sie waren sich darüber einig, daß es weder die sittliche Reinheit ist, noch die Reinheit des Denkens, noch die der rechten Einsicht, noch die Überwindung des Zweifels, noch das Wissen des rechten Weges oder des rechten Pfades, noch die Reinheit des Wissens überhaupt, sondern das Nirvana. Ferner waren sie sich darüber einig, daß alle jene guten Dinge nicht dem Nirvana gleichzusetzen, aber auch nicht vom Nirvana zu trennen sind. Alle jene anderen Dinge sind noch mit Ergreifen und Anhaften, mit Anhänglichkeit an die Welt verbunden, das Nirvana aber ist frei davon. Wäre aber das Nirvana von jenen Dingen zu trennen, so würde auch ein Weltling, der sich nicht reiner Sittlichkeit, reinen Denkens, rechter Einsicht usw. befleißigt, zum Nirvana gelangen können. Punna macht das an einem Gleichnis klar:

Wenn ein König aus seiner Residenz einen Beamten nach einer fernen Stadt schickt, um dort eine Angelegenheit zu erledigen, so läßt er sieben Eilposten für ihn aufstellen. Der Beamte gelangt dann dahin, indem er unterwegs aus der einen Eilpost in die andere umsteigt. So muß auch der, der zum Nirvana gelangen will, jene sieben Dinge nacheinander pflegen. Ohne sie kann er nicht zum Ziel kommen, aber sie sind nicht selbst das Ziel.

Dieses Gespräch fand statt, ohne daß sich die beiden Jünger einander vorgestellt hatten. Erst nachher nannten sie sich gegenseitig ihre Namen. Darauf entschuldigte sich Punna, daß er so ausführlich geredet hatte, als wenn er Sāriputta hätte belehren wollen, denn Sāriputta sei ja berühmt als erfahrener Jünger und gründlicher Kenner des Meisterworts. Es sei ein großes Glück, ihm zu begegnen und mit ihm reden zu dürfen. "Und wenn den Ordensbrüdern Anblick und Gesellschaft des ehrwürdigen Sāriputta nur verhüllten Hauptes gegönnt wäre, so wären sie auch dann noch gesegnet, hoch gesegnet! Gesegnet, hoch gesegnet bin auch ich, daß ich den Anblick und die Gesellschaft des ehrwürdigen Sāriputta genieße!" (M 24)

Bei den Unterweisungen der Bhikkhu-Gemeinde geschah es öfter, daß Buddha in kurzen Formeln das Thema angab und Sāriputta dann über dieses Thema eine längere Rede hielt. (M 114)


Unechte Berichte über Sāriputta

 

An zwei Stellen des Samyutta-Nikāya finden sich Berichte über Gespräche Sāriputtas, die offensichtlich unecht sind. An der einen (S XVI, 12) heißt es, Sāriputta habe seinen Mitbruder Kassapa, der zur Unterscheidung von anderen desselben Namens Mahākassapa, Kassapa der Ältere, genannt wurde, im Gazellenhain bei Benares, ebendort, wo Buddha seine erste Lehrrede gehalten hatte, gefragt, was aus einem Heiligen nach dem Tode werde. Kassapa soll ihm geantwortet haben, daß Buddha über diese Frage nichts verkündet habe, und zwar deshalb nicht, weil dies nichts beitrage zu einem reinen Leben und zur Erlangung des Nirvana. Diese Antwort ist zwar richtig, aber es ist höchst unwahrscheinlich, daß Sāriputta jemals den Kassapa darüber gefragt haben sollte, denn er war darüber, wie wir aus dem Gespräch zwischen ihm und Yamaka wissen, durchaus nicht im Zweifel. Der Bericht ist wahrscheinlich später erfunden worden, um das Ansehen Kassapas zu erhöhen. Es gab offenbar eine Gruppe von Bhikkhus, die Kassapa besonders verehrten und daher den Wunsch hatten, ihn dem Sāriputta überlegen erscheinen zu lassen. Von Kassapa wird später noch ausführlich zu reden sein, und man wird dann noch besser beurteilen können, ob ein solches Gespräch zwischen ihm und Sāriputta wahrscheinlich ist.

Der zweite Bericht (S.12.31) besagt, Buddha habe Sāriputta aufgefordert, folgenden Vers aus dem Sutta-Nipāta (Sn 1038) zu erläutern:

 

"Die Wahrheitskenner und die Schüler allgemein,
Von ihnen sag' mir noch: wie soll ihr Wandel sein?"

 

Dies ist eine der Fragen, die der Brahmane Ajita an Buddha richtete und die Buddha so beantwortete:

 

"Beruhigt sei der Geist, den Lüsten nicht ergeben;
Achtsam, in allem gut, so soll der Bhikkhu leben."

 

Im Samyutta-Nikāya wird nun erzählt, Sāriputta habe auf Buddhas Aufforderung geschwiegen, auch nachdem Buddha sie noch zweimal wiederholt hatte. Darauf soll Buddha ihm das Stichwort für die Antwort gegeben haben: "Dies ist geworden", und nun erst habe Sāriputta - kurz zusammengefaßt - geantwortet:

 

"Alles Gewordene entsteht durch seinen Nahrungsstoff. Wenn man dies einsieht, ist man auf dem Wege, sich von allem Gewordenen abzuwenden und sich davon zu befreien. Wenn der Nahrungsstoff fehlt, muß das Gewordene dahinschwinden. Wenn man dies einsieht, ist man auf dem Wege, sich von allem Gewordenen abzuwenden und sich davon zu befreien. Auf diese Weise ist man ein Schüler.

Wenn man aber die Abhängigkeit alles Gewordenen von seinem Nahrungsstoff durchaus verstanden und durchschaut hat, dann ist man bereits durch Abwendung von allem Gewordenen befreit und erlöst. Auf diese Weise ist man ein Wahrheitskenner."

Buddha erklärte diese Antwort für richtig. Sāriputta hätte die Frage freilich auch anders und doch ebenso richtig beantworten können. Er wußte, daß man auf verschiedene Weise antworten kann, und schwieg deshalb zunächst, um abzuwarten, daß Buddha ihm andeute, auf welche Weise er die Antwort wünsche. So wenigstens erklären es die alten Ausleger, deren Aussagen Buddhaghosa überliefert hat. (S. Komm. 2, 77,18).

An der angeblichen Antwort Sāriputtas fällt zunächst auf, daß er nicht den Sinn des Verses erläutert, sondern nur die zwei Worte "Schüler" und "Wahrheitskenner" erklärt. Eine solche Worterklärung war allerdings in den Kreisen der Jünger Buddhas üblich; wir werden ihr auch bei Kaccāna begegnen, und sie beherrscht die ganze indische Kommentarliteratur.

Merkwürdig ist ferner, daß Buddha einen Vers aus dem Sutta-Nipāta angeführt haben soll. Danach müßte der Sutta-Nipāta oder wenigstens dieser Teil davon, der Pārāyanavagga, schon zu Gotamas Lebzeiten in der überlieferten Gestalt festgestanden haben. Das ist in der Tat möglich, ja sogar wahrscheinlich, denn der Pārāyanavagga (übersetzt in meinem Buch "Sprüche und Lieder") ist zweifellos eines der ältesten Stücke der buddhistischen Überlieferung.

Trotzdem ist das Sutta S.12.31 sicherlich unecht, denn es war nicht Buddhas Art, seine Jünger in solcher Weise zu examinieren. In späterer Zeit aber, als man anfing, altertümliche und nicht mehr gebräuchliche Worte und Wortformen zu kommentieren, war man bestrebt, eine nicht ganz sichere Worterklärung dadurch zu sichern, daß man sie einem bekannten Jünger Buddhas zuschrieb. Hier handelt es sich um das Wort "sankhātadhammāse", das überdies mit kurzem a in der zweiten Silbe überliefert und dadurch unverständlich wurde und dessen Endung aus der vedischen Sprache stammt, jedoch mit der im Lande Māgadha üblichen Aussprache (-āse für āsas). Das Wort machte also einige Jahrhunderte nach Buddha den Auslegern erhebliche Schwierigkeiten, und so legten sie die Erklärung Sāriputta in den Mund und ließen sie außerdem noch von Buddha selbst bestätigen. Zu diesem Zweck wurde ein unmögliches Gespräch zwischen Buddha und Sāriputta erfunden.


Sāriputtas Tod

 

Sāriputta hat ein Alter von etwa 80 Jahren erreicht. Er war etwas älter als Buddha und starb nicht lange vor ihm. In dem langen Bericht über die letzte Lebenszeit und den Tod Buddhas, im Mahāparinibbānasutta, wird Sāriputta noch als lebend und redend angeführt, wahrscheinlich irrtümlich; aber daß dieser Irrtum möglich war und nicht auffiel, spricht doch dafür, daß Sāriputtas Tod nicht lange vor der Zeit war, von der dieser Bericht handelt.

Sāriputta starb an einer Krankheit in Nālagāmika, einem Dorf im Lande Māgadha (S.47.13). Während seiner Krankheit, so dürfen wir annehmen, dichtete er folgende Verse, die berühmt wurden und die etwa 200 Jahre später der buddhistische Weise Nāgasena in seinem Gespräch mit dem König Menandros zitierte:

 

"Das Sterben freut mich nicht, mich freut auch nicht das Leben;
Besonnen, klar bewußt, will ich den Leib aufgeben.
 
Das Sterben freut mich nicht, mich freut auch nicht das Leben;
Wie Lohn der Knecht empfängt, will ich den Leib aufgeben.

(Thg 1002,1003)

 

So geduldig, wie der Knecht auf seinen Lohn wartet, wollte Sāriputta den Tod erwarten. Sein letztes Wort war:

 

"Dies sei euch noch gesagt: Strebt eifrig bis zuletzt!
Ich bin von allem frei. Erlöschen will ich jetzt."

(Thg 1117)

 

 

Nach Sāriputtas Tod sprach sein Freund Moggallāna:

 

"Schaurig war es, tief erschütternd,
Als der hohen Weisheit Hort,
Sāriputta, ganz erlöschend,
Ging für immer von uns fort.
Was Erscheinung ist, vergeht,
Was geworden, muß verschwinden.
Ist das Wandelsein zu Ende,
Wird er ew'gen Frieden finden."

(Thg 1158,1159)

 

Der Novize Cunda, der Sāriputtas dienender Begleiter war, begab sich nach der Stadt Sāvatthi, um dem dort weilenden Ānanda den Tod anzuzeigen, und dieser meldete ihn Buddha, der zunächst den um Sāriputta tief trauernden Ānanda tröstete (S.47.13), dann aber, nachdem auch Moggallāna bald darauf gestorben war, in Ukkacela im Lande der Vajji am Ufer des Ganges eine Gedenkfeier für beide abhielt und dabei sagte:

 

"Liebe Bhikkhus! Diese Versammlung kommt mir wie leer vor, da Sāriputta und Moggallāna dahingeschieden sind. Wo diese beiden waren, blieb nichts zu wünschen übrig. Es war etwas Außerordentliches für die Jünger und auch für den Meister, wie sie die Lehre vortrugen, die Ordensregel aufrecht erhielten und allen, die sich auf dem Pfade zur Heiligkeit befinden, ein Gegenstand der Liebe, der Freude, der Hochachtung und Verehrung waren. Ein Vollendeter trauert und klagt jedoch nicht, wenn ein solches Jüngerpaar dahinschied, denn er weiß, daß alles, was geboren ist, notwendig sterben muß." Im Anschluß hieran ermahnte er seine Jünger, ihre Rettung und ihre Zuflucht nur in sich, selbst und in der wahren Lehre zu suchen und nirgends sonst. (S.47.14)


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