Moggallāna, der mit seinem Freunde Sāriputta zusammen aufwuchs, hieß eigentlich Kolita, von seinen Eltern so genannt nach seinem Geburtsort, einem Dorf Kolita bei Rājagaha. Moggallāna, in Sanskrit: Maudgalyāyana, war der Name seiner Familie, unter dem er bekannt geworden ist. Öfter wird er auch, um ihn von anderen gleichen Namens zu unterscheiden, Mahāmoggallāna, der große Moggallāna oder Moggallāna der Ältere, genannt. Er zeichnete sich durch die Gabe des Hellsehens und anderer übernormaler Fähigkeiten aus. Wie er sich dadurch von Sāriputta, dem nüchternen, klaren Denker, unterschied, wird am besten durch ein Märchen anschaulich gemacht, das im Udāna, dem Buch der Aphorismen Buddhas, erzählt wird:
Einst in einer mondhellen Nacht weilten beide Freunde in der "Taubengrotte" (Kopotakandara), einem Vihāra, einem Bhikkhuheim, im Bambushain bei Rājagaha. Sāriputta, dessen Kopf damals gerade frisch geschoren war, hatte sich unter freiem Himmel niedergesetzt und in eine Andacht vertieft. Da zogen zwei Kobolde oder Poltergeister, die man Yakkhas nannte, durch den Wald. Der eine sagte zum andern: "Ich habe Lust, diesem Asketen einen Schlag auf den kahlen Schädel zu geben". Obwohl der andere ihn warnte, solche Asketen solle man nicht anrühren, denn sie besäßen große magische Kraft, ließ er sich nicht abhalten und schlug Sāriputta auf den Kopf, und zwar gewaltig. Unmittelbar darauf stürzte der Yakkha mit den Worten: "Ich brenne, ich brenne!" in eine große Hölle. Moggallāna sah kraft seiner Gabe des Hellsehens, die im Indischen "das himmlische Auge" heißt, wie der Yakkha Sāriputta schlug, ging hin zu ihm und fragte ihn: "Lieber Freund, wie geht es dir? Hast du irgendwie Schmerzen?" Sāriputta erwiderte: "Mir geht es gut, lieber Moggallāna, nur im Kopf habe ich einen unbedeutenden Schmerz." Darauf sagte Moggallāna: "Das ist doch wunderbar! Soeben hat dir ein Yakkha, wie ich gesehen habe, einen gewaltigen Schlag auf den Kopf versetzt, mit dem er einen ausgewachsenen Elefanten hätte töten oder eine große Bergspitze hätte zerschmettern können. Und doch fühlst du nur einen unbedeutenden Schmerz im Kopf." Sāriputta aber sagte: "Ebenso wunderbar ist es, wie hellsichtig du bist, daß du sogar einen Yakkha siehst! Ich habe keine Spur von einem Gespenst gesehen." (Ud IV, 4)
Wir nannten dies ein Märchen, weil nach abendländischer Auffassung Poltergeister, Gespenster und Yakkhas nur Erzeugnisse der Phantasie sind, obwohl sie auch bei uns zuweilen tatsächlich vorhanden zu sein scheinen, wie man in Max Kemmerichs Buch "Gespenster und Spuk" nachlesen möge, wo eine Menge gut beglaubigter Fälle solcher Vorkommnisse aus neuerer Zeit zusammengestellt sind. In Indien zweifelt man nicht daran, daß es derartige Wesen gibt, und die indische Literatur behandelt sie durchaus als wirklich vorhanden. Für die Inder ist die Geschichte aus dem Bambushain also kein Märchen, sondern der Bericht einer wahren Begebenheit. Wie dem auch sei, die Erzählung zeigt jedenfalls, wie man sich die verschiedene Begabung Sāriputtas und Moggallānas zu denken hat.
Noch märchenhafter mit einem starken Zug von Mythologie erscheint uns eine andere Erzählung, die nach indischer Auffassung auch durchaus der Wirklichkeit entspricht:
Indra, der König im Reich der dreiunddreißig Götter, einem nicht allzu hohen Himmel, der noch zur Region der Sinnenlust gehört, besuchte Buddha und bat ihn um Belehrung über eine Frage. Nachdem Buddha ihm geantwortet hatte, verschwand er wieder. Darauf beschloß Moggallāna, der zugehört hatte, sich in den Himmel der dreiunddreißig Götter zu versetzen und den Götterkönig Indra zu fragen, ob er die Antwort Buddhas recht verstanden habe. Im nächsten Augenblick schon erschien Moggallāna in jenem Himmel und stand vor Indra. Statt zu antworten, erzählte Indra ihm, daß die Götter nach einem Sieg über die Dämonen ein wundervolles Schloß gebaut hätten; er wolle es ihm gern zeigen. Moggallāna folgte ihm und besichtigte das Götterschloß. Da kam ihm der Gedanke: "Allzu leicht lebt wohl dieser Geist dahin, wie wäre es, wenn ich ihn erschütterte?" Darauf ließ er eine magische Erscheinung von solcher Kraft entstehen, daß es schien, als ob er mit der großen Zehe das Götterschloß zum Wanken brächte. Indra und sein Gefolge von Göttern erschraken heftig und waren im Innersten getroffen. Nun wiederholte Moggallāna seine Frage mit dem Erfolg, daß Indra sich herbeiließ, ihm ausführlich zu berichten, was er von Buddha gehört hatte, und ihm dadurch zu bestätigen, daß er die Lehrrede Buddhas verstanden habe. Moggallāna aber kehrte ebenso schnell, wie er im Himmel erschienen war, auf die Erde zurück. Indras Gefolge glaubte, der magiegewaltige Gast sei Buddha selbst gewesen, aber Indra sagte ihnen, daß es Moggallāna, ein Jünger Buddhas war, und die anderen Götter meinten, dann müsse ja die Macht Buddhas noch viel größer sein. (M 37)
Der Erzählung liegt offenbar eine Vision Moggallānas zugrunde, die dichterisch ausgeschmückt ist, um Moggallāna und zugleich Buddha zu verherrlichen.
Eine Vision anderer Art hatte Moggallāna, als er einmal im Bhesakalā-Wald bei Sungsumāragira im Lande der Bhagger weilte und dort an Verdauungsbeschwerden litt. Er hatte Leibschmerzen und sah, daß ihm der Teufel in den Bauch gefahren war, ähnlich wie Luther den Teufel leibhaftig sah und sein Tintenfaß nach ihm warf. Der Teufel, auf Indisch Māra, der Böse, glaubte zunächst, Moggallāna habe ihn nicht erkannt, denn, so sagte er sich, selbst Buddha würde ihn nicht so schnell erkannt haben. Moggallāna aber sprach zu ihm: "Laß die Hoffnung fahren, daß ich dich nicht erkannt hätte. Dort stehst du ja, an den Türpfosten gelehnt, ich sehe dich!" Dann erzählte Moggallāna dem Teufel eine lange Geschichte: Er selbst sei vor langer, langer Zeit einmal ein Teufel gewesen, habe Heilige schikaniert und habe dafür viele tausend Jahre Höllenpein erduldet. Sein Leib sei dabei wie der eines Menschen, sein Kopf aber wie der eines Fisches gewesen. Die Geschichte schließt mit einem Gedicht und kommt zu dem Ergebnis, daß der Teufel verschwand und Moggallāna in Ruhe ließ. (M.50)
Wie gut Moggallāna die Gedanken anderer lesen konnte, bewies er bei einem Zwischenfall, der sich im Amalaki-Wald bei Cātuma im Lande der Sakyas, im Heimatlande Buddhas, ereignete. Dort waren gerade viele jüngere Bhikkhus von ihrer Wanderung angekommen, um Buddha zu sehen und eine Lehrrede von ihm zu hören. Gleich nach der Ankunft hatten sie sich gegenseitig und den schon dort weilenden anderen Bhikkhus viel zu erzählen und machten infolgedessen großen Lärm. Buddha, der die Ruhe liebte, hörte den Lärm und erkundigte sich bei Ānanda nach der Ursache. Darauf ließ er die Bhikkhus rufen und sagte ihnen, sie sollten auseinandergehen, denn es gehöre sich nicht, solchen Lärm zu machen. Den Bhikkhus war es sehr peinlich, so von ihrem Meister zurechtgewiesen zu werden, und sie wollten fortgehen. Die Vornehmen unter den Sakyas aber bedauerten das Zerwürfnis, gingen zu Buddha und brachten Entschuldigungen für die Bhikkhus vor: es seien eben junge Leute, die noch nicht recht wüßten, wie sie sich zu verhalten und zu benehmen hätten. Buddha ließ sich schnell versöhnen, rief die Bhikkhus wieder herbei und hielt ihnen, wie sie gewünscht hatten, eine Lehrrede. Vorher aber fragte er Sāriputta, was er wohl gedacht habe, als Buddha die Bhikkhus fortwies. Sāriputta sagte, er habe gedacht, Buddha wolle eben seine Ruhe haben, und er selbst wolle auch seine Ruhe haben. Das war jedoch nicht im Sinne Buddhas. Der tadelte ihn: "Ach, komm, Sāriputta! So etwas darfst du nie wieder denken!" Dann fragte Buddha Moggallāna, und dieser antwortete: "Ich habe gedacht, der Erhabene will jetzt seine Ruhe haben, ich aber will mit Sāriputta hingehen und wir wollen uns der Bhikkhu-Gemeinde annehmen." - "So ist es recht", sagte Buddha, "und nun will ich mich selbst der Bhikkhu-Gemeinde annehmen.'' Darauf hielt er ihnen die Lehrrede, deretwegen sie gekommen waren. Moggallāna hatte in diesem Fall also besser als Sāriputta die Gedanken Buddhas erkannt, er hatte gesehen, daß Buddha wieder voll versöhnt war, während Sāriputta glaubte, er grolle ihnen noch. (M 67)
Moggallāna konnte aber auch Lehrreden halten, und Buddha wies seine Bhikkhus ausdrücklich an, sich außer von Sāriputta auch von Moggallāna belehren zu lassen. (M 141) Allerdings waren seine Vorträge anderer Art als die Sāriputtas. Während dieser vorzugsweise über philosophische, transzendentale Fragen sprach, behandelte Moggallāna mehr das Ethische. So gab er seinen Mitbrüdern zum Beispiel eine ausführliche Anweisung für ihre Gewissensforschung. (M 15) Über eine Frage der Ethik besprach er sich auch mit Sāriputta. Dieser hatte in einem Vortrag vor der Bhikkhu-Gemeinde ausgeführt, daß von zweien, die gleich schuldig sind, derjenige der schlechtere ist, der nicht einsieht, daß er schuldig ist, und von zweien, die gleich schuldlos sind, derjenige der bessere, der sich auch bewußt ist, daß er schuldlos ist. Moggallāna bat Sāriputta um eine Begründung, und Sāriputta erklärte ihm: Ein Schuldiger, der seine Schuld nicht erkennt, hat nicht den Willen und nicht die Kraft sich zu bessern; der aber, der sich seiner Schuld bewußt ist, wird den Willen und die Kraft haben sich zu bessern. Umgekehrt wird ein Schuldloser, der nicht weiß, daß er schuldlos ist, vielleicht nachlässig werden und bei anderer Gelegenheit Unrecht tun; wer aber bewußt schuldlos ist, wird auch künftig danach trachten, schuldlos zu bleiben.
Das ist so, sagte Sāriputta, wie bei einer Messingschüssel: ist sie schmutzig und wird nicht gebraucht, so wird sie auch nicht geputzt, wird immer fleckiger und schmutziger; wird sie aber gebraucht, so wird man sie putzen und sie wird rein. War sie blank und wird nicht benutzt, so wird sie fleckig und schmutzig; wird sie aber benutzt und infolge dessen öfter geputzt, so bleibt sie blank und sauber (M 5).
Hier war zwar Sāriputta der Lehrende, aber Moggallāna hatte ihm durch seine gut angebrachte Frage Anlaß gegeben sich zu äußern.
Als Moggallāna einmal in dem Dorf Kallavālaputta im Lande Māgadha weilte, überfiel ihn Schläfrigkeit, während er dasaß, um zu meditieren. Das merkte Buddha, trat zu ihm und gab ihm Ratschläge, wie er die Schläfrigkeit überwinden könne: Entweder solle er sie nicht beachten, oder er solle über die Lehre nachdenken, oder er solle ein Lehrstück, wie er es gehört und gelernt hat, ausführlich hersagen, oder er solle beide Ohren hin und her schütteln und sich die Glieder reiben, oder er solle aufstehen und sich die Augen mit Wasser spülen, oder er solle bei sich eine Lichtvorstellung hervorrufen und festhalten, auch in finsterer Nacht, oder er solle hin und her gehen mit nach innen gerichteten Sinnen und nicht nach außen gerichtetem Denken, oder schließlich solle er sich auf die rechte Seite niederlegen und ordentlich schlafen, beim Erwachen aber sich schnell erheben und sogleich ganz wach sein. (A VII, 58)
Zum Nirvana gelangte Moggallāna, anders als Sāriputta, auf dem mühsamen Wege, aber doch mit schneller Durchschauung (A IV, 167). Er starb, etwa achtzigjährig, bald nach dem Tode Sāriputtas. Wie Buddha um ihn trauerte, haben wir schon gehört.