DER EINZIGE WEG

AUS DER MAHAYANA-LITERATUR

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Nāgārjuna [44]

Die vier Grundlagen der Achtsamkeit wurden unmißverständlich als der einzige Weg gezeigt, den die Buddhas, gegangen sind. Wache über sie eifrig allezeit. Denn Nachlässigkeit hierin macht alle Anstrengungen nutzlos, und' ihre stete Übung ist es, die als „geistige Sammlung" gilt.


[44] Nāgārjuna (ca. 2. Jh. n. Chr.) ist der Begründer der Mādhyamika-Schule und einer der bedeutendsten Denker des Mahāyāna. Unser Text ist entnommen aus dem „Freundesbrief" (Suhrd-lekhā), der der Überlieferung nach an einen König Udayana gerichtet war und ein kleines Kompendium der buddhistischen Lehre darstellt. Er ist nur in tibetischer Übersetzung erhalten.


76

Asvaghosa [45]

Bewahre Achtsamkeit und Wissensklarheit in allen Handlungen, wie denen des Sitzens, Gehens, Stehens, Umherblickens und Sprechens.

Wer die Achtsamkeit als Torwächter an die Pforte seines Geistes eingesetzt hat, der kann nicht von den Leidenschaften überwältigt werden, ebenso wenig wie Feinde eine gut bewachte Stadt erobern können.

Keine Leidenschaft wird in dem entstehen, der die auf den Körper gerichtete Achtsamkeit besitzt; er wird den Geist unter allen Umständen behüten, wie eine Amme das Kind.

Wem der schützende Harnisch der Achtsamkeit mangelt, der ist wahrlich eine Zielscheibe der Leidenschaften, ebenso wie ein ungepanzerter Krieger in der Schlacht den Pfeilen seiner Feinde ausgesetzt ist.

Ein Geist, der nicht durch Achtsamkeit geschützt ist, muß wahrlich als hilflos angesehen werden. Er gleicht einem Blinden, der sich ohne Führer auf unebenem Gelände bewegt.

Zugetan dem Üblen sind die Menschen, und von ihrem eigenen wahren Wohl kehren sie sich ab; vor der Gefahr, die ihnen nahe ist, kennen sie keine Besorgnis. All dies beruht auf dem Mangel an Achtsamkeit.

Sittliche Lebensführung und all die anderen guten Eigenschaften bleiben alle in ihrem eigenen Bezirk (als wären sie isoliert); doch die Achtsamkeit folgt ihnen wie ein Hirt seinen umherschweifenden Kühen (und sammelt sie).

Wer Achtsamkeit verliert, verliert das Todlose (d. i. Nibbana). Doch wer die auf den Körper gerichtete Achtsamkeit besitzt, der hält das Todlose (gleichsam) in seinen Händen.

Vgl. Angereihte Sammlung (Anguttara-Nikaya), Einer-Buch.

Wer keine Achtsamkeit besitzt, wie könnte er sich die edle Methode (der Leidbefreiung) aneignen? Und wem diese edle Methode mangelt, der hat den rechten Pfad verfehlt.

Wer den rechten Pfad verfehlt, der verfehlt auch die todlose Stätte. Wer das Todlose aus den Augen verlor, der kann keine Befreiung finden vom Leiden.

Daher gebührt es sich, daß du beim Gehen weißt: Ich gehe', beim Stehen: Ich stehe', und so zu allen Zeiten die Achtsamkeit wahrst.


[45] Asvaghosa (ca. 1. Jh. n. Chr.), Verfasser der berühmtesten Versdichtung vom Leben des Buddha (Buddha-carita). Unser Text stammt aus einer anderen gleichfalls dem Buddha-Leben gewidmeten epischen Dichtung, dem Saundarānandakavya, dessen Mittelpunkt die Episode vom Vetter des Buddha, Nanda, und seiner Gattin Sundari bildet.


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Sāntideva:[46] DIE SUMME GEISTIGER SCHULUNG

Aus Kapitel VI: Selbstschutz

Wie schützt man wohl sich selbst? Indem man Übles scheut. Und wie geschieht dann dies? Wenn fruchtlos Werk man meidet.

Dies wiederum vollbringt die stete Achtsamkeit.
Und sie wird stark, wenn (zu der hohen Übung) man sein Herz
Mit starker Hingabe erfüllt, die ihrerseits entsteht
Aus jenem Eifer, der die Erhabenheit der inneren Stille kennt.

(Leitverse 7-8)

Die folgenden zwölf Arten der Achtsamkeit führen zur Vermeidung fruchtlosen Werks (nutzloser Anstrengung):

1. Man sei ehrfurchtsvoll eingedenk der hohen karmischen Frucht, die das Nichtübertreten und Befolgen der Anordnungen des Vollendeten bringt.

2. Man achte stets auf eine unbewegliche Haltung des gesamten Körpers (wenn keine Tätigkeit erforderlich).

3. Wenn nun ein Anlaß (zu einer Betätigung) vorliegt, so reagiere man nicht sofort darauf, sondern verhalte sich zunächst bewegungslos, um eine erhöhte Achtsamkeit darauf (d. i. auf jenen Anlaß) zu richten. Dann bringe man seinen Willen unter Kontrolle und richte die Achtsamkeit auf eine gründliche und energische Durchführung der Tätigkeit.

4. Achtsamkeit darauf, daß im Falle irgend einer Gemütsbewegung, z. B. bei Gefahren, freudigen Anlässen usw., die Körperbewegungen nicht unkontrolliert sind.

5. Achtsamkeit auf das Einnehmen (d. i. den Wechsel) der vier Körperhaltungen.

6. Man achte zwischendurch auf die Harmonie der eingenommenen Körperhaltung, um etwaigen Verzerrungen und Verkrampfungen dabei vorzubeugen. (Vgl. Geistestraining, S. 59 f.)

7. Während des Sprechens achte man darauf, daß unter dem Einfluß starker Aufregung, Streitlust oder Parteilichkeit keine übermäßigen und unziemlichen Gesichtsverzerrungen, Kopf-, Hand- oder Fußbewegungen vorkommen.

8. Man spreche nicht zu laut, sondern bloß mit solcher Stimmstärke, daß der Hörer die Worte versteht; andernfalls möchte der Fehler der Einschüchterung des Anderen entstehen.

9. Wenn man mit ungebildeten Personen zusammenkommt, so achte man darauf, daß die eigenen Gedanken für deren Geistesstufe annehmbar und verständlich bleiben.

10. Man wache darüber, daß der einem gefährlichen, brünstigen Elefanten vergleichbare Geist stets fest an den Pfeiler innerer Ruhe gebunden bleibt.

11. Man prüfe regelmäßig seinen Geisteszustand.

12. In einer großen Menschenversammlung stelle man seine Achtsamkeit auf die Einhaltung der obigen Regeln ein, selbst wenn dies das Aufgeben einer anderen Tätigkeit bedeutet.

Bei einer derartigen Einstellung der Achtsamkeit wird einem die Vermeidung fruchtloser Tätigkeit gelingen. Von solcher Achtsamkeit heißt es nun (im Leitvers), daß sie aus starker Hingabe entsteht. Hingabe bedeutet, daß man sich mit seinem ganzen Wesen den jeweiligen Aufgaben zuwendet; sie ist der Gegensatz zu einer geringschätzigen, gleichgültigen Einstellung.

Solche Hingabe, so heißt es weiter, entsteht aus dem Eifer, der sich einstellt, wenn man um die Erhabenheit der inneren Stille weiß (und nach ihr Verlangen trägt).

78

Was ist nun zunächst diese Stille (sama)? Es ist jene Geistesstille (samatha), die im edlen Sutra von der Unverstörbarkeit (Arya-Aksayamati-Sutra) beschrieben wird:

„Was ist die Unverstörbarkeit der Geistesstille? Die Ruhe des Geistes und des Körpers; die Zügelung einer nicht mehr flatterhaften Sinnentätigkeit; Freisein von Aufregung, Aufdringlichkeit, Unstetheit und Wankelmut. der Besitz von Sanftmut, Selbstbeherrschung, edler Gesinnung und geistiger Sammlung; Abkehr von Geselligkeit und Gefallen an der Einsamkeit; körperliche Zurückhaltung und Freisein von schweifenden Gedanken; innere Einstellung auf das Waldleben, Bedürfnislosigkeit, Wachsamkeit über die Körperhaltungen; die Kenntnis der rechten Zeit, der rechten Umstände und (Eingedenksein) der Erlösung; Anspruchslosigkeit, einfache Lebensführung."

79

Und worin besteht nun die Erhabenheit jener inneren, Stille? Darin, daß sie die Kraft besitzt, wirklichkeitsgemäße Erkenntnis zu erzeugen. Es heißt im Leitvers 9:

„Der große Muni hat es ja verkündet:
,Wer geistige Sammlung hat, erkennt die Wirklichkeit‘"

So heißt es auch im Dharmasangiti-Sutra:

,Mit gesammeltem Geist kommt man zu wirklichkeitsgemäßer Erkenntnis. Der Bodhisattva, der wirklichkeitsgemäße Erkenntnis besitzt, wird von tiefem Mitleid ergriffen mit den Lebewesen. Und er denkt also: Diese Geistessammlung als ein Zugang zur wirklichkeitsgemäßen Erkenntnis aller Dinge muß ich für alle Wesen erreichbar machen.' Von diesem tiefen Mitleid angespornt, erfüllt er die Schulung in hoher Sittlichkeit, hoher Geistigkeit (d. i. Meditation) und hoher Weisheit und erwacht schließlich zur erhabenen, vollkommenen Erleuchtung. ,Daher', so sagt er, muß ich gut gegründet sein in einer Sittlichkeit, die unerschütterlich ist und nicht lax'."

Wenn man nun begriffen hat, daß es im Wesen (und der Macht) der inneren Stille liegt, für einen selber und andere das Entkommen aus unermeßlichem Leiden zu erwirken, wie dem der niederen Welten; (für einen selber und andere) gleichfalls unermeßliches, köstliches Glück zu erwirken, weltliches und überweltliches; und schließlich zur Erreichung des jenseitigen Ufers (d. i. Nibbana) zu führen, - dann soll man mit innigem Verlangen nach diesen (Ergebnissen der inneren Stille) seinen Eifer wecken. Wie einer, der in ein brennendes Haus geraten ist, nach kühlendem Wasser Verlangen hegt, so wird aus jenem Eifer eine starke Hingabe entstehen zu den hohen Schulungen (in Sittlichkeit, Sammlung und Weisheit). Und eben dadurch wird auch die Achtsamkeit gewärtig bleiben und gewärtige Achtsamkeit wird alles Fruchtlose und Wertlose vermeiden. Wer aber Fruchtloses meidet, für den wird Übles und Schädliches nicht entstehen. Wer sich selber schützen will, soll daher zur Wurzel, der Achtsamkeit, vordringen und sie stets gewärtig halten.

80

Aus dem Arya-Ratnacuda-Sutra

Jene Achtsamkeit, kraft deren keinerlei Leidenschaften in Erscheinung treten; die den Werken Māras keinen Raum gibt; durch die man weder auf Abwege noch auf falsche Bahn gerät; die, in ihrer Eigenschaft als Torwächter, keinem der unheilsamen Bewußtseinszustände und Geistesfaktoren Zulaß gewährt, - sie ist die rechte Achtsamkeit.

81

Aus dem Arya-Ratnamegha-Sutra

Vom Geist geführt sind alle Dinge. Wenn der Geist durchschaut wird, werden alle Dinge durchschaut sein ...

Geist wirbelt, wie ein geschwungener Feuerbrand; Geist wogt auf und ab, wie eine sich türmende Welle; Geist brennt, wie ein loderndes Waldfeuer; Geist schwillt an, wie eine mächtige Flut.

Sich dies eindringlich vor Augen haltend, lebt man mit sorgsam auf den Geist gerichteter Achtsamkeit. Nicht kommt man dann unter die Macht des Geistes, sondern der Geist ist es, den man in seine Macht bekommt; und mit einem bemächtigten Geist hat man alle Dinge bemächtigt.

82

Im Arya-Dharmasangiti-Sutra heißt es:

Es sprach der Bodhisattva Mativikrama: Was man die Lehre (dharma) nennt, so befindet sie sich nicht in dieser oder jener Gegend, vielmehr vom eigenen Geiste ist die Lehre abhängig. Daher muß ich meinen Geist gut in Ordnung bringen, ihn gut in Obhut nehmen, mit ihm gut vertraut werden, ihn voll einsetzen, ihn gut beherrschen. Und warum? Tugenden und Schwächen wohnen dort, wo der Geist ist. So hält denn der Bodhisattva den Geist von den Schwächen zurück und bestärkt ihn in den Tugenden. Daher heißt es: Vom Geiste abhängig ist die Lehre (dharma) und von der Lehre die Erleuchtung (bodhi).'«

83

Im Gandavyuha-Sutra wird fernerhin erklärt:

Den eigenen Geist eben soll man festigen in allen Wurzeln des Guten; ihn durchtränken mit den befruchtenden Regenschauern der Wahrheitslehre; ihn läutern von den hemmenden Dingen; ihn stark machen durch Tatkraft.

84

Nicht lasse man den Geist aus seiner Stille unstet schweifen;
Man halte ihn von äußerer Geschäftigkeit zurück.

(Leitvers 9)

Bei Verlust von Wissensklarheit und Trübung der Achtsamkeit wird der Geist unstet, denn er läßt sich dann von seinem erstrebten Ziel ablenken. Wird aber äußere Geschäftigkeit mit Hilfe von Achtsamkeit und Wissensklarheit vermieden, dann kann durch deren Kraft der Geist, solange er es wünscht, bei einem einzigen Objekte verharren.

85

Die Wachsamkeit darüber, wie man anderen keinen Anstoß gibt, wird im Arya-Sagaramati-Sutra kurz derart gelehrt:

,Noch eine andere Regel gilt als Quintessenz des Mahāyāna: Indem man sich um das eigene Straucheln bekümmert, schützt man alle Wesen'."

86

Im Bodhisattva-Pratimoksa, der Ordensregel des Bodhisattva", heißt es:

,Wenn man, o Sāriputta, andere zu schützen wünscht, so muß man sich selbst schützen."

Vgl. hierzu Text 16.

87

Aus Kapitel XII:

Die vorbereitende Schulung des Geistes

In diesem Kapitel des Siksa-Samuccaya werden unter anderem die Gegenmittel gegen Gier, Haß und Verblendung besprochen.

Es heißt hierzu im Arya-Ratnamegha-Sutra:

"Er benutzt das Gegenmittel gegen Gier und meidet die Ursachen für das Entstehen von Gier. Was ist nun das Gegenmittel gegen Gier, und was sind die Ursachen für ihr Entstehen? Die Meditation über die Unreinheit (des Körpers) ist das Gegenmittel, und (beispielsweise) eine schöne Frau ist eine Entstehungsursache.

„Und was ist die Meditation über die Unreinheit? An diesem Körper gibt es Kopfhaare, Körperhaare, Nägel, Zähne, Staub, Schmutz, Haut, Fleisch, Knochen, Sehnen, Nerven, Nieren, Herz, Milz, Zwerchfell, Gedärm, Weichteile, oberer und unterer Magenteil, Mageninhalt, Leber, Kot, Tränen, Schweiß, Speichel, Nasenschleim, Gewebesaft, Gelenköl, Fett, Galle, Schleim, Eiter, Blut, Hirn, Urin.

„Diese Dinge betrachtet der Bodhisattva regelmäßig, und ihm, der sie so betrachtet, wird da also zumute: ,Selbst ein Tor, ein Wirrkopf, ein unbegabter und untüchtiger Mensch wird, wenn er diese Dinge kennenlernt, keinen Giergedanken aufsteigen lassen. Um wie viel weniger sollte es einer tun, der natürliche Intelligenz besitzt!'

,Derart pflegt der Bodhisattva häufig die Meditation über die Unreinheit."

Man beachte die gewiß keine Verbesserung darstellende Abweichung der obigen Aufzählung der Körperteile von derjenigen in den Pali-Texten (s. Text 39). In der vorstehenden Liste sind auch äußere Verunreinigungen des Körpers angeführt. Eine wiederum unterschiedliche Aufzählung gibt Text 88.

Im Anschluß an den obigen Text folgt nun ein Zitat aus der Bhagavati, das folgende Abschnitte der Körper-Betrachtung aus dem Satipatthāna-Sutta enthält.

Auch hier sind die Texte der Sanskritfassung gegenüber dem Pali leicht verändert.

Im folgenden wird dann in diesem Kapitel als Gegenmittel gegen den Haß die Meditation der Güte genannt und erläutert, und als Gegenmittel gegen die Verblendung: das Verstehen der bedingten Entstehung (pratityasamutpāda). Hierzu wird u. a. das im Mahāyāna hochangesehene Dasabhumaka-Sutra zitiert, in dem die Reihe der bedingten Entstehung, ebenso wie in der

Theravada-Tradition, auf drei Existenzen verteilt wird.

Aus Kapitel XIII:

88

Die Grundlage der Achtsamkeit

Mit derart gefügig gewordenem Geist möge man an die Grundlage der Achtsamkeit (smrtyupasthāna) herantreten. Hierbei wurde

die Grundlage der Achtsamkeit beim Körper

im Hinblick auf dessen Unreinheit gelehrt. Diese wird mit einem Mindestmaß von Einzelheiten im Dharmasangiti-Sutra wie folgt erklärt:

„Da richtet ferner, o edler Jüngling, der Bodhisattva seine Achtsamkeit auf den Körper in folgender Weise: ,Dieser Körper ist nichts als ein Gemächte von Füßen, Zehen, Beinen, Brust, Lenden, Unterleib, Nabel, Rückgrat, Herz, Rippen, Händen, Vorder- und Oberarmen, Schultern, Hals, Kiefern, Stirn, Kopf und Schädel. Er wurde angehäuft durch das, was den karmischen Daseinsprozeß (karmabhava) verursacht (nämlich das Begehren), und er ist die Wohnstätte von hunderttausend verschiedenartigen Leidenschaften, Wünschen und Phantasien ...

Dieser Körper kam nicht aus der Vergangenheit und geht nicht in die Zukunft hinüber. Nicht hat er Bestand in Vergangenheit oder Zukunft, es sei denn in verkehrten und unwirklichen Vorstellungen. Er ist ohne ein (innewohnendes) handelndes oder leidendes Prinzip [47], er ist wurzellos zu Beginn, Mitte und Ende; er ist herrenlos, nicht eigen und eigentumslos. Mit ihm fremdartigen Benennungen wird er bezeichnet: als Körper, Leib, köstlicher Besitz, Lebensstütze, Körpergebilde, Kadaver oder Sinnenbereich. Kernlos ist dieser Körper, entstanden durch mütterliches Blut und väterlichen Samen; er ist seiner Natur nach unrein, fäulnishaft und übelriechend. Er wird ständig aufgestört durch das Eindringen solcher Diebe wie Gier, Haß, Verblendung, Furcht und Verzweiflung; ständig ausgesetzt dem Fallen und Stürzen der Gebrechlichkeit, der Auflösung und Vernichtung, und er ist eine Brutstätte von hunderttausend verschiedenen Krankheiten."


[47] Ohne ein (innewohnendes) handelndes oder leidendes Prinzip« (Skr. kāraka-vedaka-rahito). Diese auch im Pali gleichlautende Formulierung findet sich sehr häufig in den alten Kommentaren zum Pali-Kanon, dem Visuddhi-Magga usw. Hiermit sollen jene spekulativen Auffassungen zurückgewiesen werden, die dem hypothetischen Ich oder Selbst entweder einen aktiven Anteil an der Welt oder, wie beim bloß „zuschauenden" Selbst der Upanischaden, eine rein passive Natur zuschreiben.


89

Die Grundlage der Achtsamkeit bei den Gefühlen

Im Arya-Ratnacuda-Sutra heißt es:

Der Bodhisattva, der die Grundlage der Achtsamkeit übt, nämlich die Betrachtung der Gefühle bei den Gefühlen, wird von tiefem Mitleid ergriffen mit jenen Lebewesen, die sich an das Glück der Gefühle klammern. So lernt er es gründlich verstehen: Das ist Glück, wo es kein Gefühl gibt.' Und so entfaltet er denn die Grundlage der Achtsamkeit bei den Gefühlen, um allen Lebewesen im Aufgeben der Gefühle (zu helfen). Um die Lebewesen zur Aufhebung der Gefühle zu bringen, legt er den Harnisch geistiger Rüstung an; doch für sich selber erstrebt er nicht die Gefühls-Aufhebung.

Jedes Gefühl, das er empfindet, ist durchdrungen von tiefem Mitleid. Empfindet er ein freudiges Gefühl, so ergreift ihn tiefes Mitleid mit den Wesen, die sich in Begierden ergehen, und er selber entledigt sich der Neigung zu den Begierden. Empfindet er ein leidiges Gefühl, so hegt er tiefes Mitleid mit den Wesen, die sich in Gehässigkeit ergehen, und er selber entledigt sich der Neigung zur Gehässigkeit. Empfindet er ein weder leidiges noch freudiges Gefühl, so hegt er tiefes Mitleid mit den Wesen, die sich in Verblendung ergehen, und er selber entledigt sich der Neigung zur Verblendung. Nicht läßt er sich bei einem freudigen Gefühle anziehen; nach der Ausmerzung der Zuneigung strebt er. Nicht läßt er sich bei einem leidigen Gefühle abstoßen; nach der Ausmerzung der Abneigung strebt er. Nicht überläßt er sich bei einem indifferenten Gefühl dem Nichtwissen; nach der Ausmerzung des Nichtwissens strebt er. Welches Gefühl auch immer er wahrnimmt, jegliches Gefühl weiß er als vergänglich, jegliches Gefühl weiß er als leidvoll, jegliches Gefühl weiß er als ichlos. Das freudige Gefühl empfindet er als vergänglich, das leidvolle als Stachel, das weder freudige noch leidvolle als Frieden.[48] So ist denn das Freudige vergänglich, das Leidige ist genau so wie das Freudige, und das Weder-Freudige-noch-Leidige ist ohne ein Ich.


[48] Vgl. hierzu den folgenden Text aus dem Pali-Kanon (Samy.36.5):

,Wer Freude sieht als Leid und Leidiges als Stachel,
Und als vergänglich ansieht, was so friedlich ist,
Das weder freudige noch leidige Gefühl,
Solch' klargeäugter Mönch, Gefühl durchschaut er völlig.
Ist es durchschaut, wird wahnfrei er in diesem Leben schon
Und nach des Leibs Zerfall, fest in der Lehre stehend,
Geht nicht mehr ein er in Benennbarkeit, als Wissensmeister."

90

Die Grundlage der Achtsamkeit beim Geist

Hierzu heißt es im Arya-Ratnacuda-Sutra:

Derart forscht er nach dem Geist: Und was ist dies für ein Geist? Es ist ein Geist, der giert oder haßt oder wähnt.[49] Ist er vergangen, zukünftig oder gegenwärtig? Der da vergangen ist, ist dahingeschwunden, der zukünftige ist noch nicht gekommen, und für den gegenwärtigen gibt es kein Stillstehen. [50] Den Geist, o Kāsyapa, kann man weder innen, noch außen, noch dazwischen finden. Denn der Geist, o Kāsyapa, ist unkörperlich, unsichtbar, unberührbar, unbegreifbar, ohne Stützpunkt, ohne Behausung . . .

Der Geist nämlich, o Kāgyapa, ist einem Truggebilde gleich: aufgrund unwirklichen Sinnens und Trachtens ist es, daß er allerlei Wiedergeburten annimmt. Der Geist, o Kāsyapa, ist wie die Strömung eines Flusses, die nimmer still steht und im Heben und Senken (der Wellen) entgleitet. Der Geist, o Kāsyapa, ist wie das Licht einer Lampe, in seinem Bestehen von Ursachen und Bedingungen abhängig. Der Geist, o Kāsyapa, ist dem Blitze gleich, augenblicklich abbrechend, ohne Bestand. Der Geist, o Kāsyapa, ist dem Raume gleich, von hinzukommenden Befleckungen verunreinigt.[51] Der Geist, o Kāsyapa, ist einem schlechten Freunde gleich, der allerlei Ungemach zufügt.

Der Geist ist wie ein Fischköder: leidbringend, mit dem Aussehen von Angenehmem. Der Geist ist wie die blauglänzende Schmeißfliege: unrein, mit dem Anschein von Reinem. Der Geist ist wie ein Widersacher, der einem vielerlei Qual bereitet. Der Geist ist wie ein Vampir, der die Kraft aussaugt: er sucht ständig nach einem schwachen Punkt. Er ist auch wie ein Dieb, denn er stiehlt alle Wurzeln des Guten.

Der Geist, o Kāsyapa, ergötzt sich an Formen, wie ein Schmetterlingsauge; er ergötzt sich an Tönen, wie eine Kriegstrommel; er ergötzt sich an Gerüchen, wie ein Schwein an Unrat; er ergötzt sich an Geschmäcken, wie eine Magd an Essensresten; er ergötzt sich an Berührungen, wie eine Fliege im Öltopf.


[49] Vgl. die „Geist-Betrachtung" im Satipatthāna-Sutta: Da weiß der Mönch vom lustbehafteten - haßbehafteten - verblendeten Geist: Lustbehaftet usw. ist der Geist'."

[50] Vgl. das Motto zu diesem Buch.

[51] Skr: āgantukaih klesair upaklisyate; vgl. im Pali. āgantukehi upakilesehi samkilittham (Anguttara-Nik., Einer-Buch: " . . doch er ist von hinzukommenden Befleckungen verunreinigt).


91

Die Grundlage der Achtsamkeit bei den Daseinselementen

Es heißt im Arya-Ksayamati-Sutra:

Der Bodhisattva, der bei den Daseinselementen (dharma) [52] in Betrachtung der Daseinselemente weilt, nimmt keine Daseinselemente wahr, aus denen sich nicht Buddha-Lehren [53], aus denen sich nicht Erleuchtung (bodhi), aus denen sich nicht der (achtfache) Pfad, aus denen sich nicht die Entrinnung (ergeben könnte). Derart wissend, daß alle Daseinseleinente Entrinnung bieten [54], erreicht er die als ungehindert geltende Geistessammlung im großen Erbarmen.


[52] Der Begriff dharma wird hier, wie aus dem Zusammenhang ersichtlich, nicht als „Geistobjekte" aufgefaßt (wie wir ihn in den Pali-Texten wiedergaben), sondern in einem mehr allgemeinen Sinne als die Phänomene, Erscheinungen, unpersönlichen Elemente oder Daseinselemente.

[53] Skr: buddha-dharma; kann auch aufgefaßt werden als "Buddha-Eigenschaften".

[54] Skr: sabba-dharma-nihsaranam; die Übersetzung folgte der in der englischen Übersetzung unseres Textes erwähnten tibetanischen Wiedergabe dieses Kompositums, das mehrfache Deutung zuläßt.


92

Auch im Arya-Ratnacuda-Sutra heißt es:

Da weilt, o edler Jüngling, der Bodhisattva in der Vergewärtigung der Achtsamkeit, nämlich in der Betrachtung der Daseinselemente, und er denkt dabei also: Bloße Daseinselemente sind es, die entstehen, bloße Daseinselemente sind es, die vergehen.[55] Hierbei gibt es aber nichts an Ichheit, Wesen, Seele, Geschöpf, Mensch, Mann, Persönlichkeit oder Menschenwesen[56], das da entsteht, altert, dahinschwindet und wiedergeboren wird. Dies ist die Natur jener Daseinselemente: wenn sie (durch entsprechende Bedingungen) hervorgebracht werden, treten sie in Erscheinung; doch werden sie nicht hervorgebracht, so kommen sie nicht ins Dasein. In welcher Art sie hervorgebracht werden, in eben dieser Art treten sie ins Dasein, sei es heilsame, unheilsame oder unerschütterliche. [57] Nicht gibt es einen Hervorbringer (Schöpfer) für die Daseinselemente, doch, keines von ihnen entsteht ursachlos.'

Ferner heißt es im gleichen Text:

Selbst wenn er (der Bodhisattva) Daseinselemente betrachtet, die wenig Tiefgründiges an sich haben, so verliert er dabei doch nicht den Gedanken der Allwissenheits-Erleuchtung.


[55] Skr: dharmā ev'otpadyamānā utpadyante, dharmā eva nirudhyamānā nirudhyante. Diese Formulierung ist offenbar als ein Anklang beabsichtigt an das bekannte Buddha-Wort im Pali-Kanon: „Leiden nur entsteht, wenn etwas entsteht; Leiden nur vergeht, wenn etwas vergeht" (dukkham eva uppajiamanam uppajiati, dukkham nirujjhamānam nirujjhati; Samy.12.15).

[56] Diese Synonymreihe findet sich genau wie hier zuerst im Niddesa des Pali-Kanons und später häufig in den Pali-Kommentaren.

[57] Dies ist die übliche Dreiteilung der samskāra (Pali: sankhāra), wenn dieser Begriff, wie z. B. in der Reihe der Bedingten Entstehung, die Bedeutung „karmische Willensformationen" hat.


93

Sāntideva: DER EINTRITT IN DEN LEBENSWEG DER ERLEUCHTUNG

Wer die Satzungen [58] befolgen will, muß sorgsam seinen Geist bewachen; er kann den Satzungen nicht folgen, hütet er nicht den unsteten Geist. (V. 1)


[58] Skr: sikjāni, wtl: Schulungen, nämlich die dreifache Schulung in Sittlichkeit, Sammlung und Weisheit.


Ungezähmte Elefanten in Brunst richten hienieden nicht solches Unheil an wie der Geist, dieser ungezügelte Elefant, der uns in höllische Welt bringt und in anderes Ungemach. (V. 2)

Wenn dieser ungebärdige Elefant, der Geist, völlig in die Bande der Achtsamkeit geschlagen ist, dann ist alle Gefahr gewichen, und alles Gute ist genaht. (V. 3)

Tiger, Löwen, Elefanten, Bären, Schlangen, alle Feinde, alle Höllenwächter, Hexen und Dämonen; sie alle sind gefesselt, wenn einzig und allein der Geist gefesselt (d. i. gezügelt) ist; sie alle sind gezähmt, wenn einzig und allein der Geist bezähmt ist. (V. 4-5)

Denn aus dem Geist allein gehen alle Gefahren hervor und die endlosen Leiden, so hat der Wahrheitskünder gelehrt. (V. 6)

Wohin könnte ich die Fische und andere Lebewesen hinschaffen, um sie der Tötung zu entziehen? Doch wenn nur der Gedanke des Verzichts (auf Töten usw.) gefaßt ist, so gilt dies als die Vollkommenheit der Tugend' (sila-paramitā). (V. 11)

Wieviele der üblen Menschen könnte ich töten, deren Zahl so groß ist wie der Himmelsraum? Doch wenn der Zorngedanke tot ist, sind auch alle Feinde tot. (V. 12)

Wo soll man genug Leder finden, um (als Schutz gegen Dornen usw.) die ganze Erde zu bedecken? Doch schon mit dem Leder einer Sandale ist die ganze Erde bedeckt (V. 13)

Es ist ja nicht möglich, auf solch (gewaltsame und äußerliche) Weise den äußeren Umständen zu wehren. Doch ich werde meinen Geist zurückhalten. Was brauche ich dann die anderen abzuwehren? (V. 14)

Vergeblich irren alle diejenigen in der Welt umher, (danach strebend) dem Leid zu entgehen und das Glück zu gewinnen, die jenen Inbegriff der Lehre, den so verborgenen Geist, nicht entfaltet haben. (V. 17)

Daher muß ich darauf sehen, daß mein Geist gut gefestigt und wohl behütet ist. Wenn ich die Übung der Wachsamkeit über den Geist unterlasse, was nützen mir dann die vielen anderen Übungen? (V. 18)

Wie man inmitten einer unruhigen Menge eine Wunde sorgsam schützt, so behüte man unter schlechten Menschen stets seinen Geist wie eine Wunde. (V. 19)

Mögen ruhig die Besitztümer zugrunde gehen, die Ehrerweisungen, Leib und Leben! Mag alles andere Gut verloren gehen, aber niemals (die Herrschaft über den) Geist! (V. 22)

Ehrfurchtsvollen Gruß entbiete ich jenen, die gewillt sind, den Geist zu behüten. Möget ihr mit aller Kraft über die Achtsamkeit wachen und die Wissensklarheit! (V. 23)

Wie ein durch Krankheit geschwächter Mensch zu keiner Arbeit fähig ist, so ist der Geist unfähig zu irgendwelchen Verrichtungen, wenn jene beiden Eigenschaften schwach sind (die Achtsamkeit und die Wissensklarheit). (V. 24)

Wessen Geist ohne Wissensklarheit ist, in dessen Gedächtnis bleibt nicht das durch Lernen, Nachdenken oder Meditieren Erworbene; ebensowenig, wie sich Wasser in einem löcherigen Kruge hält. (V. 25)

Viele und selbst Gelehrte, Vertrauensvolle und Energische beflecken sich mit Schuld infolge der Fehler, begangen aus mangelnder Besonnenheit (Wissensklarheit). (V. 26)

Die da mit getrübter Achtsamkeit leben, werden von ihrer Unbesonnenheit, gleichwie von einem Diebe, selbst der Früchte der von ihnen angesammelten guten Werke beraubt und gehen dann einer üblen Daseinsfährte entgegen. (V. 27)

So soll denn die Achtsamkeit niemals von der Pforte unseres Geistes entfernt werden! Ist sie aber dennoch entwichen, so gedenke man des höllischen Leidens und stelle sie gleich wieder auf ihren Posten.

Wenn die Achtsamkeit an der Pforte des Geistes Wache steht, so kommt auch die Wissensklarheit und geht nicht mehr fort, nachdem sie einmal gekommen ist. (V. 33)

(Bevor man handelt) soll der Geist zunächst in dieser Weise eingestellt werden: Ich muß mich stets so verhalten, als hätte ich keine Sinne, als wäre ich von Holz.' (V. 34)

Vgl. in Text 77 die dritte der zwölf Achtsamkeitsarten.

Die Augen sollen niemals ohne Zweck umherschweifen; stets soll der Blick nach unten gesenkt sein wie bei einem Meditierenden. (V. 35)

Doch um das Auge auszuruhen, mag man auch manchmal in die Weite blicken. Man blicke umher, bloß um einen Eindruck (der Umgebung oder Herankommender) zu gewinnen oder zum Zwecke der Begrüßung. (V. 36)

Um die Gefahren der Straße usw. zu erkennen, mag man gelegentlich nach den vier Richtungen blicken; zum Umher- und Zurückblicken bleibe man stehen. (V.37)

Vgl. Komm., S. 65,72.

,In solche Haltung will ich den Körper bringen', derart die betreffende Tätigkeit bestimmend, soll man sich zwischendurch immer wieder vergewissern, in welcher Stellung sich der Körper befindet. (V.39)

Vgl. in Text 77 die sechste der zwölf Achtsamkeitsarten.

Was man nach reiflicher Überlegung begonnen hat, das soll man zuerst mit ganz darauf gerichtetem Geiste vollenden und nicht an etwas anderes denken. (V. 43)

Denn so wird alles gut ausgeführt sein; andernfalls aber wird aus beiden nichts werden (d. i. weder aus dem ursprünglichen Werk, noch aus dem es unterbrechenden Gedanken), und die Schwäche, die im Mangel an Wissensklarheit besteht, wird anwachsen. (V. 44)

Wenn man sich zu bewegen oder zu sprechen wünscht, so prüfe man zuerst seinen Geist, und dann möge man energisch und in angemessener Weise handeln. (V. 47)

Vgl. Text 47.

Wenn man aber merkt, daß der eigene Geist durch Zuneigung oder Abneigung beeinflußt ist, so soll man weder handeln noch sprechen, sondern dastehen als wäre man von Holz. (V. 48)

Vgl. Text 45 und Komm., S. 61 f.

Ebenso wenn der Geist aufgeblasen, spöttisch, stolz, eingebildet, grob, unaufrichtig und arglistig ist;

wenn er zu Selbstlob und Nächstentadel neigt, zur Beleidigung anderer und zur Streitsucht, dann auch soll man unbeweglich bleiben, als wäre man aus Holz. (V. 49-50)

(Man möge denken-) Mein Geist verlangt immer nur nach Reichtum, Ehren, Ruhm oder nach Gefolgschaft und Huldigungen; darum bleibe ich unbeweglich, als wäre ich von Holz."

„Dem Wohl des anderen ist er feindlich und bedacht auf Eigenwohl, begierig ist er nach Geselligkeit und redelustig; darum bleibe ich unbeweglich, als wäre ich von Holz."

,Er ist ohne Duldsamkeit, träge und furchtsam, anmaßend, schwatzhaft und eingenommen für den eigenen Standpunkt; darum bleibe ich unbeweglich, als wäre ich von Holz." (V. 51-53)

Wenn man merkt, daß der Geist von Leidenschaften befleckt ist oder eitlen Dingen nachhängt, so soll ihn der Held mit der rechten Gegenwehr kräftig zähmen, und zwar für immer. (V. 54)

Dies ist in Kürze die Definition der Wissensklarheit: die regelmäßige Überprüfung des Zustandes von Körper und Geist. (V. 108)

Durch leibhafte (Ausübung) werde ich die Satzung studieren. Denn wozu dient es, sie in Worten zu lesen? Was hilft einem Kranken die bloße Lektüre medizinischer Bücher? (V. 109)

Nachdem man zuerst die Gesamtheit (seiner Fähigkeiten) geprüft hat, beginne man oder man beginne nicht; denn besser ist es, gar nicht zu beginnen, als aufzugeben, nachdem man angefangen hat.

Auch in einem anderen Leben würde sich solche Gewohnheit zeigen, und infolge dieser Schwäche wird das Leiden wachsen; außerdem ist die Arbeitszeit verloren, und das Werk bleibt unvollendet. (VII. 47-48)

Man hüte sich vor den Angriffen der Leidenschaften und schlage kräftig auf sie ein, wie man mit einem geübten Gegner einen Schwertkampf führt.

Wie man dann das entfallene Schwert voller Furcht schnell wieder aufhebt, ebenso nimmt man das entfallene Schwert der Achtsamkeit wieder auf, der Höllen eingedenk. (VII. 67-68)

Wie ein Mann, der, von Schwertträgern bedroht, ein mit Öl gefülltes Gefäß trägt, genau achtgibt, aus Furcht vor dem ihm beim Straucheln angedrohten Tode, so auch verhalte sich, wer das Übungsgelübde auf sich genommen. (VII. 70)

Vgl. Text 63.

Man suche Gesellschaft oder eine sich bietende Arbeit nur aus dem Grunde (um zu erproben): Wie kann wohl in solchen Lagen die Übung der Achtsamkeit vonstatten gehen?'

So macht er, des (Buddha-) Wortes von der Unermüdlichkeitsg gedenkend, sein Ich behende, so daß er stets bereit ist, ehe noch die Arbeit an ihn herantritt. (VII. 73-74)

Darum genug mit den Wegen der Welt: ich folge den Weisen nach, und eingedenk des Wortes von der Unermüdlichkeit', wehre ich ab die Trägheit und Starre des Geistes.

Um jede Hemmung zu beseitigen, einige ich daher meinen Geist, indem ich ihn von seinen Irrwegen abziehe und ihn unverbrüchlich an seinen eigentlichen Gegenstand binde. (VIII. 185-186)

Wenn einer wie ich, der noch nicht befreit ist von den Leidenschaften, es unternehmen wollte, all die Wesen in den zehn Himmelsrichtungen zu befreien;

dann würde ich mein eigenes Maß nicht kennen und wie ein Schwachsinniger reden. Daher will ich, ohne umzukehren, unablässig die Leidenschaften bekämpfen. (IV. 41-42)

Diesen Entschluß fassend, will ich alle Anstrengung machen, der Satzung gemäß zu leben, so wie sie verkündet ward. Woher sollte wohl Gesundung kommen für einen, der wohl durch Arznei geheilt werden kann, doch von den Vorschriften des Arztes abweicht? (IV. 48)

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Aus dem „Kostbaren Rosenkranz"

Unterweisungen eines tibetanischen Meditationsmeisters

Unerläßlich ist ein System der Geistesentfaltung, das die Fähigkeit erzeugt, den Geist auf was auch immer es sei zu konzentrieren.

Unerläßlich ist eine Kunst des Lebens, die einen befähigt, jegliche Tätigkeit als eine Hilfe auf dem Pfad zu benutzen.

Es ist eine große Freude zu erkennen, daß der Pfad zur Befreiung, auf dem alle Buddhas gewandelt sind, stets da ist, stets unverändert ist und stets offen ist für diejenigen, die gewillt sind, ihn zu beschreiten.


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