AUS DEM PALI-KANON
- 1. Vom Wesen und Ziel der Satipatthāna-Übung
- 2. Voraussetzungen der Satipatthāna-Übung
- 3. Allgemeine Übungsanweisungen
- 4. Zur Erläuterung des Satipatihāna-Sutta
- 5. Satipatthāna in Verbindung mit anderen Übungen
- 6. Gleichnisse
AUS DER NICHTKANONISCHEN PALI-LITERATUR
- 1. Aus den „Fragen des Königs Milinda"
- 2. Aus der Kommentar-Literatur
Die vorliegende Auswahl buddhistischer Texte gruppiert sich um ein einzelnes Thema, das aber in so hohem Maß den Inbegriff der buddhistischen Heilslehre darstellt, dass der Buddha davon als dem einzigen Wege sprach, der zur Läuterung und Klärung des Geistes führt, zur Überwindung von geistigem und körperlichem Leiden, zur Gewinnung, d. i. Nutzbarmachung der vollständigen Heilsmethode, nämlich des edlen achtfachen Pfades, und schließlich zur Verwirklichung jenes höchsten Ziels, in das dieser einzige Weg mündet: Nibbāna, die endgültige Aufhebung von Gier, Haß und Verblendung.
Dieser einzige Weg ist die Entfaltung rechter Achtsamkeit, wie sie vom Buddha im Satipatthāna-Sutta, der Lehrrede von den Grundlagen der Achtsamkeit", gewiesen wurde. Dieser Grundtext mit dem alten Kommentar und Übungsanweisungen wurde in anderen Werken des Verfassers veröffentlicht.
Das vorliegende Buch ist als Ergänzung hierzu gedacht, wird aber auch unabhängig davon den Leser in den Geist dieser Methode der Geistesschulung einführen können.
Rechte, d. h. recht gerichtete und recht angewandte Achtsamkeit bildet innerhalb des buddhistischen Lehrgebäudes das siebente Glied des edlen achtfachen Pfades, der zur Aufhebung des Leidens führt. In der dreifachen Gruppierung dieses achtfachen Pfades gehört die rechte Achtsamkeit zu der Gruppe der geistigen Sammlung oder Meditation, hat aber einen bestimmenden Einfluß auch auf die beiden anderen Pfadgruppen, Sittlichkeit und Weisheit.
Achtsamkeit steht am Beginn und am Höhepunkt der Entwicklungsmöglichkeiten des menschlichen Geistes. Sie ist die Voraussetzung für jeden einfachen Wahrnehmungsakt, für jede Orientierung und Betätigung in der uns umgebenden Welt. Doch sie ist auch, wie vom Buddha gezeigt wurde, der Einsatzpunkt für jene höchste Läuterung, Meisterung und Aufhellung des Geistes, in der sich die endgültige Befreiung von seiner Fesselung durch Gier, Haß und Verblendung vollzieht. Zwischen jenen beiden Grenzpunkten, dem unteren und dem höchsten, erstreckt sich ein ausgedehntes Kraftfeld der Achtsamkeit, in ihrem Einfluß auf Lebensgestaltung und Geistesschulung, auf Forschung und künstlerisches Schaffen, auf philosophische und psychologische Erkenntnis; denn aller Fortschritt in diesen und anderen Gebieten hängt ab von einem hohen Grad der Achtsamkeit und einer Ausweitung ihres Wirkungsbereiches.
Eine Methode der Geistesschulung und Meditation, die so tiefe und weitverzweigte Wurzeln in einer Grundkraft des Geistes hat, besitzt damit eine organische, ungekünstelte, von Gewaltsamkeit freie Beschaffenheit und eine Wachstums- und Reifekraft aus innerer Gesetzmäßigkeit. Dies trägt viel dazu bei, den Übungsweg der Achtsamkeit zu einem wahrhaft universalen zu machen, dem nichts Exotisches anhaftet und der unabhängig ist von der Zeit und dem geographischen Raum seiner ersten Verkündung. Doch es bedurfte eines Erleuchteten, eines Buddha, um die Wirkungskraft eines so elementaren geistigen Faktors wie der Achtsamkeit in ihrem ganzen Umfang zu erkennen und sie voll zu entfalten.
Achtsamkeit ist gewiß ein Helfer für alles" (s.Text 26), doch die Absicht bei ihrer Ausbildung durch die Satipatthāna-Methode ist nicht Erfolg in weltlichen Angelegenheiten, sondern die Gewinnung des erlösenden Klarblicks, wofür die systematisch entfaltete Achtsamkeit das Haupthilfsmittel bildet. Klarblick" (vipassanā) ist die unmittelbare, d. h. nicht bloß begriffliche Einsicht in die verängliche, leidhafte, unpersönlich-substanzlose Natur der Wirklichkeit, wie sie sich der geschärften Achtsamkeit in der Beobachtung der eigenen körperlichen und geistigen Vorgänge anschaulich darbietet.
Diese methodische Anwendung der Achtsamkeit auf die Entfaltung des Klarblicks erhielt zu Beginn dieses Jahrhunderts einen neuen, starken Antrieb in Burma durch den Ehrwürdigen U NARADA-MAHATHERA, bekannt als Mengon (oder Mingun)-Sayado. [Das burmesische Wort Sayado (in englischer Schreibweise Sayadaw) ist eine respektvolle Bezeichnung für ältere oder hervorragende buddhistische Mönche und bedeutet großer Lehrer"]. Er starb im Jahre 1955, 87jährig, im Rufe der Heiligkeit. Zu den bedeutendsten Sattipatthāna-Lehrern des heutigen Burma gehört der Ehrwürdige U SOBHANA-MAHATHERA, bekannt als Mahāsi-Sayado. Unter seiner weisen und erfahrenen Führung haben in Burma viele Tausende an Kursen strikter Übung teilgenommen: Mönche und Laien, Männer und Frauen, Gelehrte und Ungebildete, alt und jung. Es scheint, als ob eine neue große Blütezeit in der Übung des einzigen Weges anhebt, die recht wohl weltweite Ausbreitung finden mag.
Die vorliegende Anthologie will zunächst ein Quellenbuch zur buddhistischen Satipatthāna-Lehre sein, daneben aber auch ein Buch der Betrachtung, das dem Leser als ein wiederholter und variantenreicher Weckruf zur Entfaltung rechter Achtsamkeit dienen möge.
Das Kernstück dieser Sammlung bilden die Texte aus der Pali-Literatur und besonders aus den kanonischen Werken, welche die älteste und zuverlässigste Überlieferung der Buddha-Lehre enthalten. Es ist lediglich eine Auswahl, die hier wiedergegeben wurde, doch sie veranschaulicht zur Genüge, welchen bedeutenden Platz Satipainhāna im Pali-Kanon innehat. Diese Texte aus der Pali-Literatur zeigen Satipatthāna im Verhältnis zu vielen anderen Lehrgebieten, woraus wesentliche Anregungen und Einsichten gewonnen werden können. Sie geben ferner wertvolle Ergänzungen und Erklärungen zu Teilen des Grundtextes, des Satipatthāna-Sutta. Eine Hauptquelle von bisher in deutscher Sprache unveröffentlichten Texten bildete hier die Gruppierte Sammlung" (Samyutta-Nikaya) der Lehrreden des Buddha, vor allem: das Satipatthāna-Samyutta, das schon sein Name als hierher gehörig bezeichnet; ferner das Anuruddha-Samyutta, das jenem großen heiligen jünger gewidmet ist, der diesen Texten zufolge Satipatthāna besonders pflegte; und schließlich das Salāyatana-Samyutta, die Suttengruppe vom Sechssinn, die viel wertvolles Übungsmaterial für die Entfaltung des Klarblicks enthält.
Die Bücherreihe, der dieser Band angehört, ist dem Pali-Buddhismus gewidmet. Doch der Verfasser hätte es als eine Unterlassung empfunden, wenn in dieser Anthologie nicht auch das schöne Echo wiederklingen würde, das Satipatthāna in der frühen Mahāyāna-Literatur gefunden hat. Vor allem durfte hier SANTIDEVA nicht fehlen. Sein an Schönem und Tiefem so reiches Hauptwerk, Bodhicaryāvatāra, wie auch die von ihm herausgegebene Anthologie früher, klassischer Mahāyāna-Sútras, (Siksāsamuccaya), zeigen, wie hoch er die Bedeutsamkeit der Achtsamkeits-Entfaltung im Rahmen der Gesamtlehre einzuschätzen wußte. Manche seiner eindringlichen Formulierungen dürfen als geradezu klassisch bezeichnet werden und sollten den Wanderer auf dem „Einzigen Wege" stets begleiten.
Im ostasiatischen Buddhismus ist es Zen, das, trotz vieler grundlegender Unterschiede in Lehrgehalt und Methodik, dem Geiste Satipatthānas am nächsten steht, und zwar besonders in der Betonung der unmittelbaren Anschauung der Wirklichkeit, der Einbeziehung des Alltags in die Übung usw. Die Eigenart des Zen-Buddhismus erlaubt es jedoch nicht, ihm im Rahmen dieser Anthologie durch Auszüge aus seiner Literatur gerecht zu werden. Doch seine Erwähnung durfte hier nicht unterbleiben.
Die hier als Anhang beigefügten „Stimmen aus dem Westen" sind gleichsam im Vorbeigehen gepflückte Blüten und Früchte, die leicht vermehrt werden können. Abgesehen vom Eigenwert, den sie besitzen, sollen sie auf die Anknüpfungspunkte hinweisen, welche der buddhistische Übungsweg der Achtsamkeit und Bewußtseinsklarheit auch im westlichen Kulturkreis besitzt.