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„Da hast du denn, Bahiya, dich in solcher Weise zu üben: Das Gesehene soll lediglich ein Gesehenes sein; das Gehörte lediglich ein Gehörtes; das mit den anderen Sinnen Wahrgenommene lediglich ein so Wahrgenommenes [17]; das Erkannte lediglich ein Erkanntes." [18]
[17] Der betreffende Palibegriff ist muta (,das Empfundene«) und bezieht sich hier auf Geruchs-, Geschmacks- und Tastobjekte. Die hier gebrauchte vierfache Einteilung des Sinnengebietes ist eine altertümliche. Sie war offenbar populär und wurde daher vom Buddha manchmal neben der genaueren sechsfachen benutzt, und zwar besonders häufig im Sutta-Nipāta.
[18] In dieser Übung soll das Denken bei der Beobachtung des reinen Objekts und des Wahrnehmungsvorganges innehalten, ohne jegliche gedankliche Zutat durch Abneigung, Zuneigung oder andere Bewertungen und Interpretierungen. Absicht und Wert dieser Übung sind vielfältig: Zügelung leidenschaftlicher Reaktionen, Vermeidung vorschneller Entscheidungen und Urteile; Einsicht in die einzelnen Phasen des scheinbar einheitlichen Wahrnehmungsvorgangs, den man sich gewöhnt hat, mit seiner Bewertung gleichzusetzen; unmittelbare Einsicht in den vergänglichen, ursächlich bedingten und unpersönlichen Ablauf der Wirklichkeit. Siehe Text 53, 54 mit Anm. und Geistestraining.
32
Savatthi. Nachdem sich der Ehrwürdige Ananda eines Morgens angekleidet hatte, begab er sich, mit Gewand und Schale versehen, zu einem Nonnenkloster. Dort angelangt, setzte er sich auf vorbereitetem Sitze nieder. Die Nonnen kamen heran und, nachdem sie den Ehrwürdigen Ananda ehrerbietig begrüßt hatten, setzten sie sich zur Seite nieder. Seitwärts sitzend, sprachen jene Nonnen zum Ehrwürdigen Ananda also:
"Es haben hier, Herr Ananda, viele Nonnen, ihren Geist fest gegründet in den vier Grundlagen der Achtsamkeit, ein köstliches, stetig wachsendes Ergebnis erfahren."
„So ist es, Schwestern. So ist es, Schwestern. Wahrlich, o Schwestern, wer da als Mönch oder Nonne mit einem Geiste weilt, der fest gegründet ist in den vier Grundlagen der Achtsamkeit, von dem ist zu erwarten, daß er ein köstliches, stetig wachsendes Ergebnis erfahren wird."
Und der Ehrwürdige Ananda, nachdem er jene Nonnen durch ein Lehrgespräch unterwiesen, ermahnt, angeregt und erfreut hatte, erhob sich von seinem Sitz und entfernte sich. Darauf ging der Ehrwürdige Ananda in Savatthi um Almosenspeise, und nach Rückkehr vom Almosengang, nach beendetem Mahl, begab er sich zum Erhabenen, begrüßte ihn ehrerbietig und setzte sich zur Seite nieder. Seitwärts sitzend, berichtete er dem Erhabenen von seinem Besuch im Nonnenkloster. Und der Erhabene sprach:
„So ist es, Ananda. So ist es, Ananda. Wahrlich, o Ananda, wer da als Mönch oder Nonne mit einem Geiste weilt, der fest gegründet ist in den vier Grundlagen der Achtsamkeit, von dem ist zu erwarten, daß er ein köstliches, stetig wachsendes Ergebnis erfahren wird.
Da weilt, Ananda, ein Mönch beim Körper in Betrachtung des Körpers, eifrig, wissensklar und achtsam, nach Überwindung von Begierde und Trübsal hinsichtlich der Welt. In ihm, der so beim Körper in Betrachtung des Körpers weilt, tritt da, mit dem (betreffenden) körperlichen Vorgang als Objekt, körperliche Erregung auf oder geistige Schlaffheit, oder der Geist verliert sich nach außen. Dieser Mönch, o Ananda, soll dann seinen Geist zu irgend einer erhebenden Vorstellung hinwenden. [19] Hat er den Geist zu irgendeiner erhebenden Vorstellung hingewandt, so entsteht in ihm Freude. Im freudig Gestimmten entsteht Entzücken, entzückten Geistes beruhigt sich das Innere, mit beruhigtem Inneren empfindet er Glück, und des Glücklichen Geist sammelt sich. Da überlegt er also: Zu welchem Zwecke ich den Geist dahin wandte, dieser Zweck ist nun erfüllt. Sollte ich mich nicht jetzt davon abkehren?' [20] Und er kehrt sich davon ab, erwägt und überlegt nicht mehr.[21] Frei von Erwägen und überlegen bin ich, nach innen achtsam, glücklich!', so weiß er.
Ferner, o Ananda, weilt ein Mönch bei den Gefühlen in Betrachtung der Gefühle, beim Geisteszustand in Betrachtung des Geisteszustandes, bei den Geistobjekten in Betrachtung der Geistobjekte, eifrig, wissensklar und achtsam, nach Überwindung von Begierde und Trübsal hinsichtlich der Welt. In ihm, der so . . . weilt, tritt da, mit einem Gefühl, einem Geisteszustand, einem Geistobjekt als Objekt, körperliche Erregung auf oder geistige Schlaffheit, oder der Geist verliert sich nach außen. Dieser Mönch, o Ananda, soll dann seinen Geist zu irgendeiner erhebenden Vorstellung hinwenden. Hat er den Geist zu irgendeiner erhebenden Vorstellung hingewandt, so entsteht in ihm Freude. Im freudig Gestimmten entsteht Entzücken, entzückten Geistes beruhigt sich das Innere, mit beruhigtem Inneren empfindet er Glück, und des Glücklichen Geist sammelt sich. Da überlegt er also: ,Zu welchem Zwecke ich den Geist dahin wandte, dieser Zweck ist nun erfüllt. Sollte ich mich nicht jetzt davon abkehren?' Und er kehrt sich davon ab, erwägt und überlegt nicht mehr. Frei von Erwägen und Überlegen bin ich, nach innen achtsam, glücklich!', so weiß er.
So, Ananda, vollzieht sich unterbrochene Meditation. [22]
Und wie, Ananda, vollzieht sich ununterbrochene Meditation? [23]
Läßt, Ananda, der Mönch seinen Geist nicht durch Außenliegendes unterbrechen, so weiß er: Ununterbrochen durch Außenliegendes ist mein Geist." [24] Und er weiß: Beim Früheren wie Späteren (der Übung) [25] ist er ohne Stockung [26], frei, ohne Unterbrechung.' Und er weiß nun: Beim Körper weile ich in Betrachtung des Körpers, eifrig, wissensklar und achtsam, - glücklich bin ich!'
Läßt, Ananda, der Mönch seinen Geist nicht durch Außenliegendes unterbrechen, so weiß er: Ununterbrochen durch Außenliegendes ist mein Geist.' Und er weiß: Beim Früheren wie Späteren (der Übung ist er ohne Stockung, frei, ohne Unterbrechung.' Und er weiß nun: ,Bei den Gefühlen weile ich in Betrachtung der Gefühle, beim Geisteszustand in Betrachtung des Geisteszustandes, bei den Geistobjekten in Betrachtung des Geistobjektes, eifrig, wissensklar und achtsam, - glücklich bin ich!'
So, Ananda, vollzieht sich ununterbrochene Meditation.
So habe ich denn, Ananda, die unterbrochene Meditation gezeigt und die ununterbrochene Meditation. Was da ein Meister für seine Schüler tun kann, ihr Wohl wünschend, aus Mitleid und Erbarmen, das habe ich für euch getan. Hier sind, Ananda, Bäume und leere Klausen! Pfleget Vertiefung, Ananda! Seid nicht nachlässig, damit ihr später nicht Reue empfindet! Dies sei euch unser Gebot!"
Also sprach der Erhabene. Beglückten Herzens freute sich der Ehrwürdige Ananda über das Wort des Erhabenen.
[19] "soll . . . hinwenden" (panidahitabbam). Hiermit werden die beiden Kennworte dieses Textes erklärt (panidhāya bhāvanā, apanidhāya bhāvanā), die hier als Titel der Sutte verwandt wurden und im Verlauf des Textes ausdrücklich genannt und erläutert werden. Für die beiden Begriffe wurde eine freie, doch wie aus dem folgenden ersichtlich sein wird, sinngetreue Übersetzung mit unterbrochene" bzw. ununterbrochene Meditation" gewählt.
Kommentar: Wenn derart Erregung des Körpers durch Leidenschaften (kilesa) oder geistige Schlaffheit oder Zerstreutheit aufgetreten sind, so soll man sich nicht durch diese Geistesbefleckungen beeinflussen lassen. Man soll dann vielmehr das Denken an das Meditationsobjekt (zeitweise gleichsam) ablegen (thapetabbam; als Erklärung für das Textwort panidahitabbam), und zwar bei irgend einem erhebenden, freudiges Vertrauen einflößenden Gegenstand wie der Betrachtung über den Buddha usw."
[20] Kommentar: D. h. er richtet den Geist wieder auf das ursprüngliche Meditationsobjekt."
[21] Kommentar: Er erwägt und überlegt nicht mehr eine Erwägung und Überlegung geistiger Befleckung."
[22] Unterbrochene Meditation« (panidhāya bhāvanā). Kommentar: thapetvā bhāvanā, d. h. mit (zeitweisem) Niederlegen oder Abstellen des Hauptobjekts, d. h. also zeitweiliger Unterbrechung der Hauptübung. Siehe Komm., S. 58. Der Kommentar gibt das folgende Gleichnis: Es hat da ein Mann ein großes Bündel Zuckerrohr aufgeladen, um es zur Preßmaschine zu bringen. Wenn er unterwegs müde wird, setzt er das Bündel auf den Boden ab (thapetvā), kaut ein Stück Zuckerrohr, lädt die Last wieder auf und setzt seinen Weg fort. Ähnlich ist es mit dem, der ein Meditationsobjekt gelernt hat, um die Heiligkeit zu erreichen. Wenn ihm bei der Übung körperliche Erregung usw. auftaucht, so legt er das Übungsobjekt (zeitweilig) nieder. Nachdem er dann den Geist, z. B. durch Erinnerung an die Eigenschaften des Buddha angeregt und wieder willfährig gemacht hat, setzt er die ursprüngliche Meditation fort. - Wie dann jener Mann des Gleichnisses, nachdem er das Zuckerrohr zur Mühle gebracht und gepreßt hat, den Zuckerrührsaft trinkt, ebenso ist es mit jenem Mönch, der, nachdem er seine Meditationsübung zur Reife gebracht und die Heiligkeit erreicht hat, das Glück der Zielerreichung genießt."
Diese Unterweisung des Buddha gibt einen für die Meditationspraxis sehr hilfreichen Rat: sich den Störungen der Meditation - inneren oder äußeren - weder auszuliefern, noch mit ihnen zu kämpfen. Man möge vielmehr den Geist auf ein bereit gehaltenes erhebendes, d. h. gleichzeitig anregendes wie beruhigendes Objekt richten, und wenn so die Kraft der inneren Störung gebrochen oder die äußere geschwunden ist, wieder zum ursprünglichen Meditationsobjekt zurückkehren. Mit der gleichen Absicht empfehlen die burmesischen Satipatthāna-Lehrer, eine innere oder äußere Störung ruhig und objektiv zu betrachten, sie dadurch am Anwachsen zu hindern und dann wieder die Hauptübung aufzunehmen.
[23] Ununterbrochene Meditation« (apanidhāya bhāvanā). Kommentar: ohne (den Meditationsgegenstand) abgelegt zu haben (athapetvā)."
[24] Ununterbrochen durch Außenliegendes (bahiddhā apanidhāya). Kommentar: (ununterbrochen) durch irgend ein außerhalb des Haupt-Meditationsgegenstandes liegendes Objekt." Der Kommentar nimmt das obige Gleichnis hier wieder auf. Es ist hier wie mit einem Mann, der eine empfangene Last Zucker zu seinem Dorfe bringt, ohne sie unterwegs abzusetzen (athapetvā). Nur die in sein Gewand gesteckten Zuckerstücke verzehrend, setzt er seinen Weg fort, bis er in sein Dorf kommt. Ebenso verhindert der übende Mönch das Aufsteigen von innerer Erregung und anderer geistiger Befleckungen und geht mit der Übung seines Meditationsobjektes weiter. Wie jener Mann, mit seiner Zuckerlast im Dorf angekommen, sie mit seinen Verwandten verzehrt, ebenso genießt jener Mönch das Glück der Zielerreichung, nachdem er seine Meditation zur Reife gebracht und die Heiligkeit gewonnen hat. - Diese Lehrrede behandelt die Anfangsstufe des Klarblicks (pubba-bhāga-vipassanā)."
[25] Beim Früheren und Späteren« (pacchā-pure). Kommentar. Dies ist zu verstehen mit Bezug
1. Mit Bezug auf das Meditationsobjekt bedeutet das „Frühere" das Sichversenken in das Meditationsobjekt; das „Spätere" bedeutet die dann gewonnene Heiligkeit. Wenn nämlich der Mönch sich ein Haupt-Meditationsobjekt gewählt hat und in seiner Übung der Erregung durch die Leidenschaften, der Erschlaffung und der Zerstreutheit keine Entstehungsmöglichkeit gibt, dann festigt er den Klarblick in solcher Weise, wie man mit einem Gespann wohlgezähmter Ochsen sicher dahinfährt oder wie man einen gut geschnitzten viereckigen Schlüssel in ein viereckiges Schlüsselloch hineinsteckt. So erreicht er dann, ohne sich aufzuhalten und ohne irgendwo steckenzubleiben, die Heiligkeit. -
2. Mit Bezug auf den Körper sind die vorderen Zehenglieder das Frühere', der Schädel das Spätere'. Nachdem der Mönch die Knochen der vorderen Zehenglieder als Betrachtungsgegenstand genommen hat, führt er die Übung allmählich bis zum Schädel weiter, indem er alle Gliedmaßen der Reihe nach hinsichtlich Farbe, Form, Körpergegend, Körperstelle und Abgrenzung erfaßt (siehe VisM, VII.2), so wie man einen Gerstenhaufen nach dem anderen mit einem Dreschflegel drischt. Währenddessen auch das Entstehen innerer Erregung und der anderen Befleckungen verhindernd, erreicht er, ohne sich aufzuhalten und ohne irgendwo steckenzubleiben, die Heiligkeit. -
3. Mit Bezug auf die (Reihenfolge in der) Darstellung: in der Darstellung der 32 Körperteile sind die Kopfhaare das Frühere', das Gehirn ist das Spätere'. Nachdem der Mönch die Kopfhaare als Betrachtungsgegenstand genommen hat, führt er die Übung allmählich bis zum Gehirn weiter, indem er die ganze, mit Kopfhaare' beginnende Reihe hinsichtlich Farbe usw. erfaßt. Währenddessen auch das Entstehen von innerer Erregung und der anderen Befleckungen verhindernd, erreicht er, ohne sich aufzuhalten und ohne irgendwo stecken zu bleiben, die Heiligkeit."
[26] Ohne Stockung« (asankhittam). Das Gegenstück zu diesem Begriff findet sich im Satipatthāna-Sutta, in der Betrachtung des Geisteszustandes, wo vom verkrampften Geist" (sankhittam cittam) gesprochen wird. Es handelt sich dabei um einen Geisteszustand, der aus verschiedenen Gründen in Stockung, Stauung oder Stagnation geraten ist. Siehe Komm., S.110.