„Am höchsten Berg“ [1]
§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf einen dem Almosen Spenden ergebenen Mönch. Dieser nämlich, ein Sohn aus edler Familie zu Savatthi, hatte die Predigt des Meisters angehört und war gläubigen Sinnes Mönch geworden. Er erfüllte vollständig die Gebote, betätigte die für einen Mönch verdienstlichen Handlungen [2] und war voll Liebe zu den anderen, die mit ihm einen heiligen Wandel führten. Dreimal des Tages bezeigte er voll Eifer dem Buddha, der Lehre und der Gemeinde seine Ergebenheit; er war voll richtigen Benehmens und hatte seine Lust am Almosen Spenden. In Erfüllung der Tugend der Liebenswürdigkeit gab er das ihm selbst Geschenkte andern Empfängern, wenn solche vorhanden waren, so dass er selbst seiner Nahrung verlustig ging.
Dass er aber so auf Almosen Spenden aus war und am Almosen Spenden seine Freude hatte, wurde unter der Gemeinde der Mönche bekannt. Eines Tages begannen sie in der Lehrhalle folgendes Gespräch: „Freund, der Mönch so und so ist sehr auf Almosen Spenden aus und hat seine Freude am Almosen Spenden. Wenn er auch nur eine Handfläche voll Wasser erhält, unterdrückt er die Begierde danach und gibt es seinen Genossen im heiligen Wandel. Dies ist die Gesinnung eines Bodhisattva!“ Der Meister vernahm diese Rede mit seinem göttlichen Gehör; er verließ sein duftendes Gemach, kam zu den andern und fragte: „Zu welcher Unterhaltung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Als sie antworteten: „Zu der und der“, sprach er weiter: „Dieser Mönch, ihr Mönche, hatte früher nicht die Tugend des Almosen Spendens, sondern war geizig und gab nicht einmal einen Tropfen Öl her, soviel auf eine Grasspitze geht. Da bezwang ich ihn, brachte ihn zur Selbstverleugnung, schilderte ihm die Frucht des Almosen Spendens und befestigte ihn dadurch in der Freigebigkeit. Er erbat sich von mir den Wunsch, auch wenn er nur eine Handfläche voll Wasser erhielte, nicht zu trinken, ohne andern davon zu spenden. Durch die Frucht davon ist er auf Almosen aus und hat seine Freude an Almosen.“ Nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.
§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, lebte dort ein reicher Hausvater, der achthundert Millionen besaß [3]. Ihm übertrug der König das Amt des Obersten der Kaufleute. Als nun dieser so vom König und von den Bewohnern des Landes geehrt wurde, betrachtete er eines Tages seine Glücksfülle und dachte dabei: „Diesen Ruhm habe ich nicht dadurch erlangt, dass ich in der verflossenen Existenz schlief und böse Werke des Körpers usw. ausführte, sondern dadurch, dass ich gute Werke tat. Auch für die Zukunft muss ich mir eine Hilfe verschaffen.“ Er ging zum Könige hin und sprach: „O Fürst, in meinem Hause ist ein Vermögen im Betrage von achthundert Millionen; nimm es hin!“ Doch jener entgegnete: „Ich brauche dein Geld nicht, ich habe selbst viel Geld. Nimm du davon, so viel du willst!“
Darauf sagte der andere weiter: „Darf ich denn, o Fürst, mein Geld als Almosen verschenken?“ Als der König erwiderte: „Tue nach Belieben“, ließ er an den vier Stadttoren, in der Mitte der Stadt und am Tore seines Hauses im ganzen sechs Almosenhallen errichten und spendete dort reiche Almosen, indem er täglich Sechshunderttausend dafür aufopferte. Nachdem er zeitlebens Almosen gespendet, ermahnte er seine Söhne, sie sollten diese seine Almosentradition nicht zerstören, und wurde am Ende seines Lebens als der Gott Sakka wiedergeboren. Auch sein Sohn gab ebenso Almosen und wurde als der Gott Canda [4] wiedergeboren, dessen Sohn als der Gott Suriya, dessen Sohn als Mātali und dessen Sohn wurde als Pancasikha wiedergeboren.
Dessen Sohn aber, der sechste Oberste der Kaufleute (Großkaufmann), hieß Maccharikosiya (= der geizige Schatzbesitzer) und besaß auch achthundert Millionen. Dieser dachte: „Meine Ahnen waren töricht, sie warfen das schwer verdiente Geld fort. Ich aber werde mein Geld zurückbehalten und werde niemandem etwas geben.“ Er riss die Almosenhallen ein, verbrannte sie mit Feuer und wurde ein arger Geizhals. An seinem Haustore aber versammelten sich die Bettler und jammerten laut, indem sie die Arme ausstreckten: „Du großer Oberster der Kaufleute, zerstöre nicht die Tradition deiner Ahnen, spende Almosen!“ Als dies die Menge des Volkes hörte, tadelten sie ihn mit den Worten: „Von Maccharikosiya wurde seine Tradition zerstört!“
Beschämt stellte er nun eine Wache an seiner Türe auf, um die Bettler abzuhalten, sich dort aufzustellen. Als diese so ihre Hilfe verloren, schauten sie sein Haustor nicht mehr an. Von da an scharrte er immer Geld zusammen. Er genoss es weder selbst, noch gab er seinen Kindern, seiner Frau und anderen davon. Er verzehrte gekochten Reis mitsamt dem Reisstaub und dazu sauren Reisschleim. Er bekleidete sich mit groben Gewändern, die nur aus den Fäden von Wurzeln und Früchten gewebt waren; einen Sonnenschirm aus Blättern hielt er über sein Haupt und fuhr in einem abgenutzten Wagen, der mit alten Kühen bespannt war. So war für diesen unweisen Mann sein Vermögen wie eine Kokosnuss, die ein Hund findet. —
Als er eines Tages fortging, um dem Könige seine Aufwartung zu machen, dachte er: „Ich werde mit dem Vizegroßkaufmann gehen“, und ging in dessen Haus. In diesem Augenblick saß gerade der Vizegroßkaufmann dort, umgeben von seinen Söhnen und Töchtern, und verzehrte feinen Reisbrei, der mit frisch zerlassener Butter und mit gekochten, süßen Zuckerkörnern zubereitet war. Als dieser den Maccharikosiya sah, stand er von seinem Sitze auf und sprach: „Komm, großer Oberster, setze dich auf dieses Polster; wir wollen Reisbrei essen.“
Als der andere seinen Reisbrei sah, lief ihm im Munde der Speichel zusammen und er bekam Lust zum Essen. Er dachte aber folgendermaßen: „Wenn ich davon essen werde, so wird dem Großkaufmann, wenn er in mein Haus kommt, auch wieder eine Ehrung zu erweisen sein. So wird mein Geld zugrunde gehen. Ich werde keinen Reisbrei essen.“ Als er daher immer wieder gebeten wurde, sprach er: „Jetzt habe ich schon gespeist; ich bin satt.“ Während er aber zuschaute, wie der Großkaufmann aß, saß er immer da, den ganzen Mund voll Speichel. Dann ging er, nachdem dessen Mahl zu Ende war, mit ihm in den Palast des Königs.
Als er wieder nach Hause gekommen war, wurde er durch die Lust nach Reisbrei gequält; aber er dachte bei sich: „Wenn ich sagen werde, ich wolle Reisbrei essen, so wird eine große Menge mitessen wollen und viele Reiskörner u. dgl. werden dazu verbraucht werden; ich werde es deshalb niemandem sagen.“ Während er so Tag und Nacht nur an Reisbrei dachte und trotz seiner Gedanken aus Furcht, sein Vermögen zu verlieren, niemand etwas davon sagte, hielt er sein Verlangen danach zurück. Allmählich aber konnte er es nicht mehr zurückhalten und wurde davon über und über gelb. Weil er es aber trotzdem aus Furcht, sein Vermögen zu verlieren, niemand sagte, wurde er krank und wickelte sich in sein Bett ein.
Seine Frau ging zu ihm und fragte, indem sie mit der Hand seinen Rücken rieb: „Was fehlt dir, Herr?“ Er antwortete: „Mache dir die Krankheit an deinem eigenen Körper; ich bin nicht krank.“ Doch seine Frau fuhr fort: „Herr, du hast eine gelbe Farbe bekommen. Hast du irgendeinen Kummer oder zürnt dir der König oder haben dich deine Kinder nicht genug geehrt oder hat dich irgendeine Begierde befallen?“ „Ja, Mutter, eine Begierde hat mich befallen.“ „Sprich, Gatte.“ „Wirst du denn im Stande sein, dies bei dir zu bewahren?“ „Die Dinge, die man bewahren soll, werde ich auch bewahren.“
Trotzdem aber getraute er sich aus Furcht, sein Geld zu verlieren, nicht, es ihr zu sagen. Als er jedoch immer wieder von ihr gedrängt wurde, sprach er zu ihr: „Liebe, ich sah eines Tages, wie der Vizegroßkaufmann Reisbrei aß, der mit zerlassener Butter, Honig und Zuckerkörnern zubereitet war, und habe von da an Lust bekommen, solchen Reisbrei zu essen.“ Seine Frau erwiderte: „Du unkluger Mann, bist du denn arm? Ich werde Reisbrei kochen, der für alle Bewohner von Benares ausreicht.“ Ihm war, als hätte man ihm mit einem Stocke aufs Haupt geschlagen. Zornig sagte er ihr: „Ich kenne ja dein großes Vermögen; wenn du etwas aus dem Hause deiner Familie mitgebracht hast, so koche nur Reisbrei und gib ihn den Stadtbewohnern.“ „So will ich also soviel zubereiten, dass er für die Bewohner einer Straße ausreicht.“ „Was gehen dich diese an? Sie sollen ihr Eigentum verzehren.“ „So will ich also soviel machen, dass er für die Bewohner von sieben Häusern nach den verschiedenen Richtungen ausreicht.“ „Was gehen dich diese an?“ „Dann also für die Dienerschaft in diesem Hause.“ „Was geht dich diese an?“ „Dann koche ich also nur für die Schar der Verwandten?“ „Was tust du mit dieser?“ „Dann also koche ich nur für dich und mich, mein Gatte.“ „Wer bist du? Dir kommt dies nicht zu.“ „So koche ich also für dich allein, Gatte.“ Doch er erwiderte: „Koche auch für mich nicht. Wenn er im Hause gekocht wird [5], werden viele danach verlangen. Gib mir aber ein Pfund Reiskörner, ein Viertel Milch, eine Handvoll [6] Zucker, eine Schachtel Honig und einen Kochtopf. Ich werde in den Wald gehen, dort Reisbrei kochen und ihn dort verzehren.“ Sie tat so.
Darauf gab er das Ganze einem Diener zu tragen und schickte ihn voraus mit den Worten: „Gehe und warte an dem und dem Orte.“ Er selbst machte sich einen Schleier und ging in unkenntlich machender Kleidung dorthin. Am Flussufer machte er am Fuße eines Gesträuches eine Kochgrube, ließ den Diener Holz und Wasser herbeiholen und schickte ihn dann fort mit folgenden Worten: „Gehe, stelle dich an einem Wege auf, und wenn du irgend jemand siehst, so gib mir ein Zeichen. Wenn ich dich dann rufe, so komme wieder her!“ Darauf machte er Feuer und kochte den Reisbrei.
In diesem Augenblicke betrachtete gerade Sakka, der Götterkönig, seine zehntausend Meilen umfassende reich geschmückte Götterstadt, die sechzig Meilen messende Gold-Straße, seinen tausend Meilen hohen Vejayanta-Palast, die fünfhundert Meilen umfassende Gerichtshalle Sudhammā, seinen sechzig Meilen messenden Pandukambala-Steinsitz [7], seinen mit goldenen Girlanden gezierten weißen Sonnenschirm, der fünf Meilen in der Runde maß, und die fünfundzwanzig Millionen zählenden Göttermädchen, die seine Person zierten und umgaben; indem er diese Glanzesfülle betrachtete, dachte er darüber nach, durch welche Tat er dieses Glück erlangt habe. Dabei sah er, wie er als Großkaufmann zu Benares Almosen gespendet hatte. Darauf betrachtete er, wo seine Söhne und weiteren Nachkommen ihre Wiedergeburt genommen hatten, und sah ihre ganze Entwicklung, wie sein Sohn zum Göttersohn Canda geworden sei, dessen Sohn zu Suriya usw.
Als er aber dann betrachtete, wie beschaffen der Sohn des Pancasikha sei, gewahrte er, wie von diesem seine Almosentradition zerstört worden war. Da kam ihm folgender Gedanke: „Dieser unkluge Mann ist ein Geizhals geworden und genießt weder für sich selbst, noch gibt er anderen. Meine Tradition ist von ihm zerstört worden. Wenn er stirbt, wird er in der Hölle wiedergeboren werden. Ich werde ihm eine Ermahnung geben, ihn veranlassen, meine Tradition wiederherzustellen und so bewirken, dass auch er die Fähigkeit erhält, in dieser Götterstadt wiedergeboren zu werden.“ Er rief Canda und die andern zu sich und sprach zu ihnen: „Kommt, wir wollen in das Bereich der Menschen gehen. Von Maccharikosiya wurde unsere Tradition zerstört; er hat die Almosenhallen verbrannt und genießt weder selbst etwas, noch gibt er anderen. Jetzt aber hat er Lust bekommen, Reisbrei zu essen; weil er jedoch denkt, wenn dieser im Hause gekocht werde, müsse er auch anderen davon geben, ist er in den Wald gegangen und kocht ihn allein. Wir wollen ihn bändigen, ihn zur Einsicht der Frucht des Almosen Gebens bringen und dann zurückkehren. Wenn er aber von uns allen zusammen gebeten würde, so würde er auf der Stelle sterben. Ich will zuerst hingehen und ihn um Reisbrei bitten; wenn ich dann dasitze, so kommt alle der Reihe nach, wie Brahmanen aussehend, und bittet ihn!“
Nachdem er so gesprochen, ging er selbst in Brahmanenkleidung zu jenem hin und fragte: „He, welches ist der Weg nach Benares?“ Darauf sagte Maccharikosiya zu ihm: „Bist du verrückt? Kennst du nicht einmal den Weg nach Benares? Was kommst du hierher? Gehe dorthin!“ Sakka aber stellte sich, als höre er seine Worte nicht, und ging auf ihn zu mit den Worten: „Was sagst du?“ Jener schrie nun: „Verflucht, du tauber Brahmane, was kommst du hierher? Gehe anderswohin!“ Darauf sprach Gott Sakka: „He, warum schreist du? Man sieht Rauch, man sieht Feuer, es wird Reisbrei gekocht: dies muss ein Einladungsort für Brahmanen sein. Auch ich werde zur Zeit, wenn die Brahmanen essen, ein wenig erhalten; warum treibst du mich fort?“ Als der andere versetzte: „Hier ist keine Einladung für Brahmanen; gehe anderswohin!“, erwiderte Sakka: „Warum bist du also zornig? Wenn du speisest, werde ich ein wenig erhalten.“ Darauf sprach jener zu ihm: „Ich werde dir kein einziges Klümpchen geben. Dies wenige reicht nur zu meiner Mahlzeit aus; auch ich erhielt dies nur auf meine Bitte. Hole du dir anderswoher deine Nahrung!“ Und er sprach mit Bezug darauf, dass er seine Gattin darum gebeten und es so erhalten habe, folgende Strophe:
Als dies Sakka hörte, entgegnete er: „Auch ich werde dir mit süßer Stimme einen Vers sagen.“ Und obwohl jener immer wieder abwehrte: „Ich brauche deinen Vers nicht“, sagte er ihm doch folgendes Strophenpaar:
Als jener diese Worte hörte, antwortete er: „Schön hast du gesprochen, Brahmane. Wenn der Reisbrei gekocht ist, wirst du ein wenig erhalten; setze dich!“ Sakka setzte sich zur Seite.
Als er sich niedergesetzt hatte, kam Canda auf dieselbe Weise herbei und wechselte ebenso mit ihm Worte. Trotzdem jener ihn immer wieder abhielt, sprach er folgendes Strophenpaar:
Als jener dessen Worte vernommen, sagte er mit Mühe und Not: „Setze dich also hin; du wirst ein wenig erhalten.“ Canda ging hin und setzte sich neben Sakka.
Darauf kam Suriya auf dieselbe Weise herbei und wechselte dieselben Worte mit ihm. Trotzdem jener ihn immer wieder abhielt, sprach er folgendes Strophenpaar:
Auch nachdem er dessen Worte vernommen, sagte er mit Mühe und Not: „Setze dich also nieder; du wirst ein wenig erhalten.“ Jener ging hin und setzte sich neben Canda.
Darauf kam Mātali auf die nämliche Art zu ihm hin, wechselte mit ihm dieselben Worte und sprach, obwohl ihn der andere immer wieder abzuhalten suchte, folgende Strophen:
Auch als jener dessen Wort vernommen, sagte er mühsam, wie wenn er von einer Bergspitze erdrückt würde: „So setze dich also nieder; du wirst ein wenig erhalten.“ Mātali ging hin und setzte sich neben Suriya.
Darauf kam Pancasikha auf die nämliche Art zu jenem hin, wechselte mit ihm dieselben Worte und sprach, obwohl ihn jener immer wieder abzuhalten suchte, folgendes Strophenpaar:
Als dies Maccharikosiya hörte, sagte er mit schmerzlicher Anstrengung stöhnend: „Setze dich also nieder; du wirst ein wenig erhalten.“ Pancasikha ging hin und setzte sich neben Mātali.
So wurde, während die fünf Brahmanen dabeisaßen, der Reisbrei gekocht. Darauf nahm ihn Kosiya vom Ofen weg und sagte zu den anderen: „Bringet für euch Blätter [9] herbei!“ Wie sie dasaßen, streckten sie die Hände aus und holten sich aus dem Himalaya Schlingpflanzenblätter. Als Kosiya diese sah, sagte er: „Ich habe nicht genug Reisbrei, um ihn euch auf diese Blätter zu geben; bringt Akazienblätter oder dergleichen!“ Darauf brachten sie solche Blätter herbei, aber ein jedes war so groß wie eines Kriegers Schild. Nun gab er allen mit einem Löffel; aber auch als er dem allerletzten gegeben hatte, war der Brei in seinem Topfe nicht weniger geworden. Nachdem er aber den fünf Brahmanen gegeben, nahm er selbst seinen Topf und setzte sich.
In diesem Augenblick stand Pancasikha auf, veränderte seine Gestalt und wurde ein Hund. Er kam herbei und machte vor ihnen seinen Urin. Die Brahmanen deckten ihren Reisbrei mit einem Blatte zu; auf den Handrücken des Kosiya aber fiel ein Tropfen Urin. Darauf nahmen die Brahmanen Wasser aus ihren Wassertöpfen, besprengten damit den Reisbrei und stellten sich, als äßen sie. Kosiya sagte: „Gebt auch mir Wasser; ich will mir die Hand waschen und dann essen.“ Doch sie antworteten: „Hole dir selbst Wasser und wasche dir damit die Hand!“ Kosiya erwiderte: „Ich habe euch Reisbrei gegeben; gebt mir ein wenig Wasser!“ Sie aber sagten: „Wir betreiben nicht den Austausch von Almosen [10].“
Darauf sprach Kosiya: „So gebt also auf meine Schüssel Acht; ich werde meine Hand waschen und dann zurückkommen.“ Und er stieg zum Flusse hinunter. In diesem Augenblicke machte der Hund die Schüssel mit seinem Urin voll. Als jener ihn Urin machen sah, kam er mit einem Stecken zurück, um ihn zu verscheuchen; der Hund aber verwandelte sich in ein edles, wildes Pferd und verfolgte ihn. Dabei veränderte es immer sein Aussehen. Einmal war es schwarz, einmal weiß, einmal goldfarbig, einmal gefleckt, einmal hoch, einmal niedrig. So verfolgte es mit seinem verschiedenen Aussehen den Maccharikosiya. Von Todesfurcht erfüllt ging dieser zu den Brahmanen hin; diese aber flogen in die Höhe und schwebten in der Luft. Als jener diese ihre Wunderkraft bemerkte, sagte er:
Als dies der Götterkönig Sakka vernahm, sprach er:
Nachdem er diese Strophe gesprochen, sagte er noch, um dessen Ruhm zu preisen, folgende Strophe:
Als Kosiya diese seine Worte vernommen, fragte er: „Durch was für Taten haben sie diese göttliche Herrlichkeit erlangt?“ Darauf belehrte ihn der Gott: „Diejenigen, die nicht die Tugend der Freigebigkeit besitzen, die Bösewichte und die Geizhälse kommen nicht in die Götterwelt, sondern sie werden in der Hölle wiedergeboren“, und sprach folgende Strophe:
Dann sprach er, um darzulegen, dass die in der Tugend Beharrenden die Götterwelt erlangen, noch folgende Strophe:
Nach diesen Worten fügte er hinzu: „Kosiya, wir sind zu dir nicht des Reisbreies wegen gekommen, sondern wir kamen aus Mitleid, weil wir uns deiner erbarmten.“ Und um dies zu verkündigen, sprach er:
Als dies Kosiya hörte, dachte er: „Sie sind fürwahr mir wohlgesinnt; sie wollen mich der Hölle entreißen und in den Himmel bringen.“ Und erfreuten Sinnes sprach er:
Nachdem Sakka so den Maccharikosiya gebändigt, zur Selbstverleugnung gebracht und ihn die Frucht des Almosen Spendens hatte erkennen lassen, befestigte er ihn noch durch seine Wahrheitsverkündigung in den fünf Tugenden und kehrte dann mit den anderen in seine Götterstadt zurück. Maccharikosiya aber kehrte in die Stadt zurück und spendete mit Erlaubnis des Königs den Bittenden Almosen, wobei er verkündete, sie sollten alle Gefäße, die sie gerade hätten, voll machen und mitnehmen. Dann verließ er sogleich die Stadt und errichtete sich an der Südseite des Himalaya zwischen dem Ganges und einem natürlichen Teiche eine Laubhütte. Hier betätigte er die Weltflucht, und indem er sich von den Wurzeln und Früchten des Waldes ernährte, weilte er lange daselbst und gelangte zu hohem Alter. —
Damals hatte Gott Sakka vier Töchter, Asa [11], Saddha, Siri und Hiri. Diese nahmen einmal viel göttliche Wohlgerüche und Girlanden mit und begaben sich, um sich im Wasser zu ergehen, nach dem Anotatta-See. Nachdem sie dort gespielt, setzten sie sich in der Manosila-Ebene nieder. In diesem Augenblick kam gerade der Brahmanen-Asket Nārada des Weges. Dieser war nach dem Himmel der dreiunddreißig Götter gegangen, um dort den Tag zu verbringen, hatte im Nandavana- und im Cittakutalata-Walde [12] den Tag zugebracht und begab sich nun, indem er ein Paricchattaka-Blatt [13] wie einen Sonnenschirm, um sich Schatten zu verschaffen, über das Haupt hielt, über die Manosila-Ebene nach seinem Wohnorte, der Goldhöhle. Als aber die Mädchen in seiner Hand jene Blume sahen, baten sie ihn darum.
Um diesen Sachverhalt zu erklären, sprach der Meister:
Als die vier dessen Worte vernahmen, sprachen sie folgende Strophe:
Als Nārada diese ihre Worte vernahm, redete er sie an und sprach dabei folgende Strophe:
Darauf sprach der Meister folgende Strophe:
Als sie so fragten und dastanden,
Darauf sprachen sie, um es ihm zu erzählen, folgende Strophe:
Als dies Sakka hörte, dachte er bei sich: „Diese vier sind meine Töchter. Wenn ich sagen werde, unter ihnen habe eine den Vorzug und sei die erste, werden die anderen mir zürnen. Ich kann diesen Streit nicht entscheiden. Ich werde sie in den Himalaya zu dem Asketen Kosiya schicken; dieser wird ihren Streit entscheiden.“ Und er sprach: „Ich entscheide euren Streit nicht. Im Himalaya aber wohnt der Asket Kosiya. Diesem werde ich meine eigene Götterspeise schicken. Er isst nicht ohne einem anderen davon zu geben; bei seinem Spenden aber stellt er eine Untersuchung an und gibt nur dem Tugendhaften. Diejenige unter euch, die aus seiner Hand die Speise erhalten wird, die wird die erste sein.“ Und indem er dies verkündigte, sprach er folgende Strophe:
Um nun zu dem Asketen zu schicken, ließ er Mātali zu sich rufen und sprach, um diesen zu ihm hinzusenden, folgende weitere Strophe:
Darauf sprach der Meister:
Kosiya nahm sie entgegen und sprach, während er so dastand, folgendes Strophenpaar:
Darauf sprach Mātali:
Als dies Kosiya hörte, sprach er, um die Betätigung seines Gelübdes zu offenbaren, folgende Strophe:
Und als Mātali ihn fragte: „Ehrwürdiger, welchen Fehler seht Ihr darin, zu essen ohne anderen zu geben, dass Ihr dieses Gelübde auf Euch nahmt?“, sprach er weiter:
Als dies Mātali hörte, stellte er sich in sichtbarer Gestalt hin. In demselben Augenblicke stellten sich auch die vier Göttermädchen nach den vier Himmelsrichtungen auf: Siri stand im Osten, Asa im Süden, Saddha im Westen und Hiri im Norden.
Um dies zu verkündigen, sprach der Meister:
Als dies Kosiya hörte, antwortete er:
Jene verschwand sogleich. Darauf wandte sich Kosiya an Asa und sprach:
Darauf sprach sie:
Als dies Kosiya hörte, antwortete er: „Wer dir gefällt, dem gibst du Lust durch die Gewährung der Frucht seines Verlangens; wer dir nicht gefällt, dem gibst du sie nicht. Durch dich gibt es keine Vollendung, sondern du verursachst nur Zerstörung.“ Und um dies zu erläutern, sprach er:
Auch sie verschwand, von ihm zurückgewiesen, auf der Stelle. Darauf wandte sich Kosiya an Saddha und sprach folgende Strophe:
Darauf sprach diese folgende Strophe:
Kosiya antwortete ihr: „Diese Wesen hier glauben dem Worte von jedem Beliebigen, und wenn sie dann dies und das tun, so tun sie mehr solches, was man nicht tun darf, als solches, was man tun soll. Dies ist alles von dir so veranlasst.“ Und er sprach folgendermaßen:
Sie verschwand auf der Stelle. Kosiya aber wandte sich auch zu der im Norden stehenden Hiri und sprach folgendes Strophenpaar:
Darauf sprach sie folgende Strophe:
Als dies der Asket hörte, sprach er folgende zwei Strophen:
Die nun folgenden Strophen sprach der völlig Erleuchtete :
So pries der Erhabene die Einsiedelei des Kosiya. Darauf sprach er, um zu erzählen, wie die Göttin Hiri dort hineinging usw., folgendes [20]:
Nachdem Sakka sie so geehrt hatte, dachte er bei sich: „Aus welchem Grunde hat Kosiya nicht den andern, sondern ihr die Götterspeise gegeben?“ Um den Grund davon kennen zu lernen, schickte er abermals den Mātali zu jenem.
Um dies zu offenbaren, sprach der Meister:
Als jener dessen Worte vernommen hatte, bestieg er den Vejayanta-Wagen [22] und fuhr fort.
Um dies zu verkünden, sprach der Meister:
Als jener dessen Worte vernommen, sprach er folgende Strophe:
Darauf sprach er weiter, um deren Vorzug zu preisen:
Als dies Mātali hörte, sprach er folgende Strophe:
Während er aber noch so sprach, kam in demselben Augenblick für Kosiya die Zeit des Hinscheidens. Da dachte Mātali: „O Kosiya, deine Lebensbedingungen sind zu Ende [25], die Tugend des Almosen Gebens hast du in Vollendung betätigt. Was sollst du in der Menschenwelt? Wir wollen in die Götterwelt gehen.“ Und da er ihn dorthin führen wollte, sprach er folgende Strophe:
Während er so mit Kosiya sprach, starb Kosiya und wurde ein wunderbar erzeugter [26] Göttersohn; er bestieg den Götterwagen und stellte sich darauf. Mātali aber brachte ihn zu Sakka hin. Als ihn Sakka sah, gab er ihm hocherfreut seine eigene Tochter, die Göttin Hiri, zu seiner ersten Gemahlin; unermesslich war seine Majestät.
Da der Meister diesen Sachverhalt einsah, sagte er: „Die Taten [27] hervorragender Wesen werden so geläutert“, und sprach darauf folgende Schlussstrophe:
§A2. Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen hatte, fügte er hinzu: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, sondern auch früher schon bezwang ich ihn, der nicht am Almosen Spenden seine Freude hatte, sondern ein hartnäckiger Geizhals war.“
§C. Darauf verband er das Jātaka mit folgenden Worten: „Damals war die Göttin Hiri Uppalavanna, Kosiya war der Almosen spendende Mönch, Pancasikha war Anuruddha, Mātali war Ānanda, Canda war Mogallāna, Nārada war Sāriputta, Gott Sakka aber war ich.“
Ende der Erzählung von der Götterspeise
[0a] Der Pali-Titel lautet bei Dutoit „Subhabhojana-Jātaka“. Das „b“ anstelle von „d“ ist offensichtlich ein Druckfehler („sudha“ = „Ambrosia“).
[1] Dies ist auffallenderweise nicht der Anfang der ersten Strophe des Jātaka, sondern der 22., die aber die erste ist, welche Buddha selbst spricht. Deshalb beginnen auch mehrere Handschriften hier mit dem Anfang der ersten Strophe.
[2] Es gibt dreizehn sogenannte Dhutangas, die sich im Wesentlichen mit den von Devadatta als für alle Mönche bindend verlangten Vorschriften decken. Vgl. „Leben des Buddha“, S. 181 f.
[3] Vgl. damit das 75. Jātaka (Illisa-Jātaka) und besonders Jātaka 450 (Bilarikosiya-Jātaka).
[4] Dieser und die folgenden Namen stehen auch in dem erwähnten Jātaka 450.
[5] Es muss ebenso wie an der entsprechenden Stelle der nächsten Seite des Textes heißen „paccante“ statt „pacante“.
[6] „accharam“ doch wohl mit einer ähnlichen Bedeutung wie sonst „a. paharati“.
[7] Auf Deutsch: „der mit gelben Tüchern belegte Steinsitz“.
[8] Nach dem Kommentar die Namen zweier Furten. Dona ist ein Maß, hier vielleicht mit „doni“ = „Boot“ zusammenhängend; Timbaru ist der Tinduka-Baum.
[9] Um darauf den Reisbrei zu verzehren. Es ist bezeichnend, dass im Pali das Wort „Blatt“ zugleich auch „Almosenschale“ bedeutet, nur mit Änderung des Geschlechts.
[10] Dies geschäftsmäßig zu betreiben, war verboten. Francis führt dafür zwei Stellen aus dem zweiten und dritten Jātakabuche an.
[11] Die vier Namen bedeuten: Verlangen, Glauben, Glück und Scham.
[12] Dieser, sonst Cittalata genannt, ist ebenso wie Nandavana (= Freudenwald) ein Hain in Indras Garten.
[13] Der Korallenbaum, ein Baum in Indras Himmel.
[14] Ein Beiname von Indras Himmel.
[15] Der Westen ist nicht so vornehm als Osten und Süden.
[16] Die Pflanze Ipomoea turpethum.
[17] Die in dieser Strophe genannten Bäume sind der Reihe nach: Mangifera indica, Buchanania latifolia, der Brotfruchtbaum (Artocarpus integrifolia), Butea frondosa; Hyperanthera moringa, Symplocos racemosa, Lotosbaum?; Tilaka ist die Sesampflanze.
[18] Von den hier genannten Bäumen sind zu identifizieren: Shorea robusta, Capparis trifoliata, Eugenia jambu, Ficus religiosa, Ficus indica, Bassia latifolia, —, Cassia fistula, Bignonia suaveolens, Vitex negundo, Pandanus odoratissimus, Barringtonia acutangula.
[19] Die hier genannten Pflanzen sowie die in den nächsten Strophen vorkommenden Tiernamen sind teils nicht näher zu bestimmen, teils hat dies auch keinen Zweck für das Verständnis der Stelle.
[20] Im Text sind die folgenden fünf Strophen wie zum eigentlichen Jātaka gehörig gedruckt, während sie nach dem Zusammenhang zu den sog. „abhisambuddhagatha“ (den Strophen, die Buddha in die Erzählung einschiebt) gehören.
[21] Im Text ist hier eine an dieser Stelle nicht recht passende Zeile aus einer späteren Strophe eingeschoben, „vor Asa, Saddha, Siri frage Kosiya“.
[22] Wörtlich „der Sieger-Wagen“, Name von Indras Wagen, auch von Indras Palast.
[23] Die vier Haupt- und Nebenhimmelsrichtungen, dazu Zenith und Nadir.
[24] Eine oft mit Brahma identifizierte Gottheit, die schon in den Veden gefeiert wird.
[25] Francis verweist dabei auf eine ähnliche Stelle im ersten Jātakabuche (Band I, S. 183 [Stelle nicht identifizierbar]).
[26] Der Ausdruck „opapatika“ bezeichnet ein nicht durch Eltern erzeugtes Wesen.
[27] Hier wie auch in der ersten Zeile der Schlussstrophe ist mit „Taten“ das Karma gemeint.