„Als er den König sitzen sah“
§A. Dies erzählte der Meister, da er im Mangowalde des Jīvaka von Savatthi verweilte, mit Beziehung auf den Vatermord des Ajātasattu. Als dieser nämlich auf Veranlassung des Devadatta auf sein Wort hin seinen Vater getötet hatte, hörte er, wie Devadatta am Ende der Spaltung der Gemeinde [1], als seine Gefolgschaft verloren gegangen war, von einer Krankheit befallen wurde und sich, um den Vollendeten um Verzeihung zu bitten, auf einer Sänfte nach Sāvatthī begab, aber am Tore des Jetavana in die Erde versunken war. Da dachte er: „Weil Devadatta ein Feind des völlig Erleuchteten geworden, ist er in die Erde versunken und in die Hölle gekommen. Auch durch mich wurde mein Vater, ein Recht liebender König der Gerechtigkeit, getötet; vielleicht werde auch ich in die Erde versinken.“ Voll Furcht fand er keine Befriedigung mehr über seine königliche Pracht. Sobald er dachte: „Ich will ein wenig schlafen“, und kaum in Schlaf versunken war, stand er wieder auf, indem er Schreckenstöne ausstieß, als würde er auf eine neun Meilen dicke Erzfläche geworfen und mit eisernen Pfählen zerstoßen oder als würde er von Hunden gebissen und aufgefressen.
Eines Tages, in der Vollmondsnacht am vierzehnten des Monats [2], betrachtete er, von der Schar der Minister umgeben, seine Ehrung; da dachte er: „Die Ehrung meines Vaters war noch größer als diese; und einen solchen Tugendkönig habe ich auf Veranlassung Devadattas getötet!“ Während er so dachte, entstand in seinem Körper ein Brennen; sein ganzer Leib war von Schweiß benetzt. Darauf dachte er: „Wer befreit mich von dieser Furcht?“ Da kam ihm der Gedanke: „Außer dem mit den zehn Kräften Ausgestatteten gibt es keinen anderen“, und er dachte: „Ich habe mich schwer gegen den Vollendeten versündigt; wer wird mich zu ihm führen und mich ihm zeigen?“ Da merkte er: „Niemand anderer außer Jīvaka [3].“
Indem er eine List gebrauchte, damit dieser hingehe und ihn mitnehme, stieß er den begeisterten Ausruf aus: „Entzückend fürwahr ist die klare Nacht!“, und fügte hinzu: „Welchen Asketen oder Brahmanen werden wir heute noch ehren?“ Als nun die Schüler der früheren Sekten [4] die Vorzüge ihrer Sektenhäupter aufzählten, nahm er ihre Worte nicht an, sondern fragte Jīvaka. Da dieser die Tugenden des Vollendeten pries und hinzufügte: „Ihn, den Erhabenen, möge der Fürst ehren“, ließ er Elefantengespanne herrichten und begab sich nach dem Mangowalde des Jīvaka. Hier ging er zu dem Vollendeten hin und begrüßte ihn ehrfurchtsvoll.
Nachdem er mit dem Vollendeten ein liebenswürdiges Gespräch begonnen, fragte er nach der Frucht des Asketenlebens in dieser Welt und hörte darauf die süße Predigt des Vollendeten von den Früchten des Asketenlebens. Am Ende des Lehrstücks verkündete er, dass er Laienbruder sein wolle, bat den Vollendeten um Verleihung und entfernte sich hierauf. — Von da an spendete er Almosen, hielt die Gebote, verkehrte in Eintracht mit dem Vollendeten und hörte der süßen Verkündigung der Lehre zu. Durch die Eintracht mit seinem tugendhaften Freunde aber verlor er seine Furcht; das Haarsträuben hörte auf und er erhielt die Beruhigung wieder. Mit Glück betätigte er die vier edlen Pfade.
Darauf begannen eines Tages die Mönche in der Lehrhalle folgendes Gespräch: „Freund, Ajātasattu war, weil er seinen Vater ermordet hatte, in Furcht geraten. In seinem königlichen Glanz fand er keine Befriedigung und war unglücklich bei allen edlen Betätigungen. Jetzt aber ist er durch den Vollendeten infolge seiner Eintracht mit einem tugendhaften Freunde von Furcht befreit worden und genießt wieder das Glück der Herrschaft.“ Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Unterhaltung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Als sie antworteten: „Zu der und der“, sprach er: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, sondern auch schon früher verübte dieser einen Vatermord und kam durch mich wieder zu Ruhe und Glück.“ Nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.
§B. Ehedem erhielt zu Benares der König Brahmadatta einen Sohn, namens Prinz Brahmadatta. Damals nahm der Bodhisattva im Hause des Hauspriesters seine Wiedergeburt; als er geboren war, gab man ihm den Namen Prinz Samkicca. Die beiden wuchsen im Palaste des Königs zusammen auf und wurden gegenseitig Freunde. Als sie herangewachsen waren, gingen sie nach Takkasilā, erlernten dort alle Künste und kehrten dann nach Hause zurück. Darauf übertrug der König seinem Sohne die Stelle des Vizekönigs; der Bodhisattva aber weilte immer bei dem Vizekönig.
Eines Tages aber sah der Vizekönig die große Ehrung, die seinem Vater zuteil wurde, als er sich in den Park begab, um sich dort zu ergehen, und bekam Verlangen danach. Er dachte: „Mein Vater gleicht einem Bruder von mir. Wenn ich seinen Tod erwarte, werde ich erst in meinem hohen Alter die Herrschaft erhalten. Wenn ich aber erst dann den Thron besteige, was hat das für einen Zweck? Ich werde meinen Vater töten und selbst die Herrschaft ergreifen.“ Und er teilte dem Bodhisattva diese Sache mit. Der Bodhisattva aber hielt ihn zurück mit den Worten: „Mein Lieber, der Vatermord ist eine schwere Last und führt zur Hölle. Das kann man nicht tun; tue es nicht!“
Als er es ihm aber immer wieder erzählte und zum dritten Male von ihm zurückgehalten wurde, besprach er es mit seinen Begleitern. Diese stimmten zu und dachten über ein Mittel nach zur Tötung des Königs. Als der Bodhisattva diese Begebenheit erfuhr, dachte er: „Ich will nicht mit diesen zusammen sein.“ Ohne sich von seinen Eltern zu verabschieden, verließ er durch das Haupttor die Stadt, zog in den Himalaya und betätigte hier die Weltflucht der Weisen. Er erlangte die Fähigkeit zur Ekstase und die Erkenntnisse und lebte dort, indem er sich von den Wurzeln und Früchten des Waldes nährte.
Als dieser aber fortgegangen war, tötete der Prinz seinen Vater und genoss nun große Ehrung. Auf die Kunde jedoch, dass der junge Samkicca die Weltflucht der Weisen betätigt habe, zogen viele Söhne aus edlen Familien fort und wurden bei ihm Asketen. Von einer großen Schar von Asketen umgeben, weilte der Bodhisattva dort, die sämtlich die Vollendungen erlangt hatten.
Nachdem aber der König seinen Vater getötet und eine kurze Zeit hindurch das Glück der Königsherrschaft genossen hatte, bekam er von da an Furcht, empfand keine Befriedigung mehr und war wie einer, der in der Hölle Mühen erdulden muss. Da erinnerte er sich an den Bodhisattva und er dachte: „Mein Freund hielt mich zurück mit den Worten: ‘Der Vatermord ist eine schwere Last’; als er es aber nicht fertig brachte, dass ich seine Worte annahm, machte er sich selbst frei von Schuld und entfloh. Wenn er hier gewesen wäre, hätte er mich den Vatermord nicht ausführen lassen. Auch diese meine Furcht würde er mir nehmen. Wo weilt er wohl jetzt? Wenn ich seinen Aufenthaltsort kennte, würde ich ihn zu mir rufen lassen. Wer könnte mir seinen Aufenthaltsort verkündigen?“ Von da an sprach er in seinem Harem wie in der Königsversammlung immer von dem Ruhme des Bodhisattva.
Als so eine Zeit vergangen war, dachte der Bodhisattva: „Der König gedenkt an mich; ich muss dorthin gehen, ihm die Wahrheit verkünden und, wenn ich ihn dadurch von seiner Furcht befreit habe, wieder zurückkehren.“ Nachdem er fünfzehn Jahre im Himalaya geweilt, begab er sich, umgeben von fünfhundert Asketen, durch die Luft dorthin, stieg in einem Parke namens Dayapassa auf die Erde hinab und setzte sich, von der Asketenschar umgeben, auf der Steinplatte nieder. Als ihn der Parkwächter sah, fragte er ihn: „Herr, wie heißt der Meister der Schar?“ Als er hörte, es sei der weise Samkicca, und ihn auch selbst erkannte, sagte er zu ihm: „Herr, bleibet so lange hier, bis ich den König herbeibringe; unser König wünscht Euch zu sehen.“ Er bezeigte ihm seine Verehrung und ging rasch nach dem Palaste des Königs, wo er dessen Ankunft dem König meldete. Darauf begab sich der König zu dem Weisen, erwies ihm alle Ehrung, die ihm zustand, und legte ihm eine Frage vor.
Um diesen Sachverhalt zu verkündigen, sprach der Meister:
Um dies zu offenbaren sprach der Meister:
Nachdem er ihm so eine Ermahnung gegeben, sprach er noch dazu, um ihm die Wahrheit zu verkünden:
Nachdem so das große Wesen so viele Höllen geschildert hatte, fügte es, indem es gleichsam eine Öffnung in der Erde herstellte und dem Könige die Götterwelt zeigte, Folgendes hinzu:
Nachdem der König diese Wahrheitsunterweisung des großen Wesens angehört hatte, bekam er von da an Trost und Befriedigung wieder. Da aber der Bodhisattva noch einige Zeit dort verweilt hatte, kehrte er an seinen Wohnort zurück.
§C. Nachdem der Meister diese Lehrunterweisung beschlossen, fügte er hinzu: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, sondern auch früher schon wurde dieser von mir getröstet“, und verband hierauf das Jātaka mit folgenden Worten: „Damals war der König Ajātasattu, die Asketenschar war die Buddhagemeinde, der weise Samkicca aber war ich.“
Ende der Erzählung von Samkicca
[1] Vgl. dazu „Leben des Buddha“, S. 185 ff. Die andere Erzählung von dem Mordversuch des Ajātasattu und dem Tode des Devadatta steht nur in jüngeren Texten.
[2] Wahrscheinlich ist das Vollmondsfest im Frühlingsmonat Kattika gemeint.
[3] Der Leibbarbier des Königs, ein treuer Anhänger Buddhas.
[4] Francis schlägt vor „purana“ groß zu schreiben und dies auf den auch im Jātaka 528 genannten Purana-Kassapa zu beziehen.
[5] Dies sind die fünf Abzeichen des Königtums; die Schuhe waren aus Gold.
[6] Man nimmt auch sonst in den indischen Quellen meist acht große und 128 kleine Höllen an.
[7] Dieser Weise heißt sonst Kisavaccha; vgl. Jātaka 423 vor Strophe 1 und besonders Jātaka 522 vor Strophe 1, wo auch einige andere der hier genannten Könige angeführt sind.
[8] Vgl. Jātaka 497.
[9] D. h. das Reich wurde in eine Wildnis verwandelt und war kein Reich mehr.
[10] Vgl. Jātaka 454.
[11] Yama ist der Todesgott; sein Reich ist die Hölle.
[12] Cecca ist derselbe Name wie Cetiya; vgl. Jātaka 422.
[13] Der Ausdruck ist mir nicht klar. Francis fasst „mago“ als Eigenname. Vielleicht heißt es: wie das Wild den Acker zerstört.
[14] „tapana“ heißt „Qual, Plage“.
[15] Diese sind jedenfalls länger gedacht als die der Menschen.
[16] Wörtlich: „der von dem Stachel (des Lenkers) gepeinigte Elefant“.
[17] Ich lese mit der einen Handschrift „sabala“ statt des sonst überlieferten „ca bala“.
[17a] Mit einem Gebiss aus Erz, d. h. Eisen.
[18] Auf Deutsch: „die Rasiermesserhölle“; vgl. dazu Jātaka 439.
[18a] Veraltet für „grausig“.
[19] Der Höllenfluss.
[20] Der oft als Parkbaum genannte Baum Bombax heptaphyllum.
[21] Diese Art der Jagd mit Lockvögeln oder auch mit Hetzhunden scheint als die grausamste gegolten zu haben.