„Ich teile es den Städtern mit“
§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf die Vollendung in der Selbstverleugnung.
§D. Die Begebenheit aus der Vergangenheit gleicht der im Maha-Nārada-Kassapa-Jātaka [Jātaka 544].
§B. Ehedem aber war Benares eine Stadt namens Sudassana; sie beherrschte ein König namens Brahmadatta. Der Bodhisattva nahm im Schoße von dessen erster Gemahlin seine Wiedergeburt. Sein Antlitz glich an Herrlichkeit dem Vollmonde; darum gab man ihm den Namen Prinz Soma. Als er zu Vernunft gekommen, war er ein Freund des gekelterten Somatrankes und verstand sich auf das Keltern; darum nannte man ihn Sutasoma [3]. Nachdem er herangewachsen war und zu Takkasilā die Künste erlernt hatte, kehrte er zu seinem Vater zurück, erhielt von ihm den weißen Sonnenschirm [4] und führte die Herrschaft in Gerechtigkeit. Groß war seine Macht; er besaß sechzehntausend Frauen, von denen Candadevi seine erste Gemahlin war.
In der Folgezeit, als er mit Söhnen und Töchtern gesegnet war, verlor er den Gefallen an dem Leben im Hause und wünschte, in den Wald zu ziehen und die Weltflucht zu betätigen. Eines Tages sprach er zu seinem Barbier: „Freund, wenn du auf meinem Haupte ein graues Haar sehen solltest, so teile es mir mit.“ Der Barbier stimmte seinem Worte zu; und als er in der Folgezeit ein graues Haar sah, teilte er es ihm mit. Der König sagte darauf: „Darum, Freund Barbier, ziehe es heraus und lege es auf meine Hand“; worauf dieser es mit einer goldenen Zange herauszog und es ihm auf die Hand legte.
Als dies das große Wesen sah, rief es: „Vom Alter ist mein Körper überwältigt!“ Voll Furcht nahm er das graue Haar, stieg von seinem Palaste herunter und setzte sich auf seinen hergerichteten königlichen Thron, wo ihn viel Volks aufzusuchen pflegte. Er ließ seine achtzigtausend Hofleute mit dem Heerführer an der Spitze, sechzigtausend Brahmanen unter Führung des Hauspriesters und noch viele andere Bewohner des Reiches und der Stadt rufen und sagte ihnen: „Auf meinem Haupte ist ein graues Haar gewachsen; ich bin alt geworden. Wisset, dass ich die Welt verlassen werde.“ Und er sprach folgende erste Strophe:
Als sie dies hörten, sprach ein jeder voll Betrübtheit folgende Strophe:
Darauf sprach das große Wesen folgende dritte Strophe:
Da die Minister dem Bodhisattva keine Antwort geben konnten, gingen sie zu seiner Mutter hin und teilten ihr die Angelegenheit mit. Diese kam, so schnell sie konnte, herbei, fragte: „Ist es wahr, mein Sohn, dass du die Weltflucht betätigen willst?“, und sprach folgende zwei Strophen:
Während aber so seine Mutter jammerte, sagte der Bodhisattva nichts zu ihr. Weinend trat sie beiseite. — Darauf meldete man es seinem Vater. Dieser kam herbei und sprach nur folgende eine Strophe:
Als dies das große Wesen hörte, blieb es still. Sein Vater aber sagte zu ihm: „Mein Sohn Sutasoma, wenn du auch zu Vater und Mutter keine Liebe empfindest, so hast du doch viele Söhne und Töchter, die noch in zartem Alter stehen. Sie werden ohne dich nicht leben können; wenn sie zu Alter gelangt sind, dann kannst du die Welt verlassen.“ Und er sprach folgende siebente Strophe:
Als dies das große Wesen hörte, sprach es folgende Strophe:
So verkündete das große Wesen seinem Vater die Wahrheit. Als dieser aber seine Wahrheitsunterweisung vernahm, verstummte er. — Man teilte es aber auch seinen siebenhundert Gattinnen mit. Diese stiegen vom Palaste herunter, gingen zu ihm hin, umfassten seine Knöchel und sprachen jammernd folgende Strophe:
Als das große Wesen diese Klagen von ihnen, die sich jammernd zu seinen Füßen wälzten, vernahm, sprach es folgende weitere Strophe:
Man teilte es aber auch seiner ersten Gemahlin mit. Diese aber, die hoch schwanger war und deren Leibesfrucht schon zur Reife gelangt war, kam herbei, bezeigte dem großen Wesen ihre Ehrfurcht und sprach neben ihm stehend folgende drei Strophen:
Darauf sprach das große Wesen folgende Strophe:
Als sie seine Worte vernahm, konnte sie ihren Schmerz nicht länger ertragen, und indem sie rief: „Von jetzt an, o Fürst, habe ich kein Glück mehr“, presste sie die beiden Hände an das Herz und jammerte laut, dass ihr die Tränen herabströmten. Um sie aber zu trösten, sprach das große Wesen folgende Strophe:
Da sie seine Worte vernahm, konnte sie nicht mehr stehen bleiben, sondern stieg in ihren Palast hinauf und setzte sich weinend nieder. Als sie aber der älteste Sohn des Bodhisattva sah, dachte er: „Warum sitzt meine Mutter weinend da?“ Um sie zu fragen, sprach er folgende Strophe:
Darauf sprach die Fürstin folgende Strophe:
Als er ihre Worte vernommen, rief er: „Mutter, was sagst du da? Werden wir nicht, wenn es sich so verhält, hilflos sein?“ Und jammernd sprach er folgende Strophe:
Sein jüngerer Bruder aber, der sieben Jahre alt war, sah die beiden weinen. Er ging zur Mutter hin und fragte sie: „Mutter, warum weint ihr?“ Als er die Sache erfuhr, sagte er: „Weinet darum nicht; ich, meine Lieben, werde ihn nicht die Weltflucht betätigen lassen.“ Nachdem er sie so getröstet, stieg er mit seiner Amme vom Palaste hinunter, ging zu seinem Vater hin und sagte, indem er seinen Vater fest um den Hals fasste: „Väterchen, du sagst, du wollest uns gegen unsern Willen verlassen und die Weltflucht betätigen; ich werde dich nicht die Weltflucht betätigen lassen.“ Und er sprach folgende Strophe:
Da dachte das große Wesen: „Dieser bereitet mir ein Hindernis; durch welches Mittel kann ich ihn wieder zur Ruhe bringen?“ Er blickte die Amme an und sagte: „Mutter Amme, sieh diesen aus einer Menge von Edelsteinen bestehenden Schmuck. Dir soll er gehören, aber bringe meinen Sohn weg; er soll mir kein Hindernis verursachen!“ Da er also selbst seinen Sohn, den er bei der Hand gefasst hatte, nicht entfernen konnte, gestand er jener ein Geschenk zu und sprach folgende Strophe:
Sie nahm das Geschenk entgegen, besänftigte den Knaben und ging mit ihm anderswohin; dabei sprach sie klagend folgende Strophe:
Darauf dachte der erste Heerführer: „Dieser König meint wohl, glaube ich, in seinem Hause sei wenig Geld. Ich werde ihm mitteilen, dass es in Menge da ist.“ Und indem er sich erhob und seine Ehrfurcht bezeigte, sprach er folgende Strophe:
Als dies das große Wesen hörte, sprach es folgende Strophe:
Als jener, nachdem er diese Worte vernommen, fortgegangen war, erhob sich ein Großkaufmann namens Kulavaddhana, bezeigte seine Verehrung und sprach folgende Strophe:
Als dies das große Wesen vernahm, sprach es folgende Strophe:
Als Kulavaddhana, nachdem er dies gehört, sich entfernt hatte, wandte jener sich an seinen jüngeren Bruder Somadatta und sagte zu ihm: „Mein Lieber, ich bin unzufrieden wie ein Hahn, der in einem Käfig gefangen ist. Mich überwältigt die Unlust am Leben im Hause. Heute noch werde ich die Weltflucht betätigen; nimm du dies Reich hin!“ Und indem er ihm die Herrschaft übergab, sprach er folgende Strophe:
Als jener dies hörte, bekam er selbst Lust zur Weltflucht und, um dies zu verkündigen, sprach er folgende weitere Strophe:
Der Bodhisattva aber wies ihn zurück und sprach dabei folgende Halbstrophe:
Als dies die Volksmenge hörte, wälzte sie sich vor den Füßen des großen Wesens und sprach jammernd:
Darauf sagte das große Wesen: „Genug, seid nicht betrübt! Auch wenn ich lange hier geblieben bin, muss ich euch doch einmal verlassen; denn in diesem Leben gibt es nichts Beständiges.“ Und um der Volksmenge die Wahrheit zu erklären, sprach es:
Nachdem so das große Wesen der Volksmenge die Wahrheit verkündigt hatte, stieg es in seinen Pupphaka (= Blumenpalast) genannten Palast hinauf, trat auf das siebente Stockwerk und schnitt sich mit seinem Schwerte seinen Haarschopf ab; indem er rief: „Ich bin für euch nichts mehr, wählt euch einen König!“, warf er den Haarschopf samt dem Diadem unter die Volksmenge hinab. Die Volksmenge ergriff es und wälzte sich immer wieder unter Klagen am Boden. Dadurch entstand an dieser Stelle eine große Staubwolke. — Die Leute, die sich zurückgezogen hatten, blieben stehen, betrachteten diese und dachten: „Der König wird seinen Haarschopf abgeschnitten und samt dem Diadem unter eine Menge Volks geworfen haben; dadurch hat sich unweit des königlichen Palastes ein Staubwirbel erhoben.“ Und sie sprachen jammernd folgende Strophe:
Das große Wesen aber schickte einen Diener fort und ließ sich die Ausrüstungsgegenstände für einen Weltflüchtling herbeibringen; von dem Barbier ließ er sich Haare und Bart abscheren, legte seinen Schmuck auf sein Lager und riss von seinen roten Stirnbinden die Säume ab. Darauf zog er die gelben Asketengewänder an, hängte die irdene Almosenschale oben über die linke Schulter und nahm einen Stock zur Stütze in die Hand. Nachdem er so ein paar Mal auf dem hohen Söller auf und ab gegangen war, stieg er vom Palaste herunter und begab sich auf die Straße; während er aber so dahin ging, erkannte ihn niemand.
Seine siebenhundert Frauen aus edlem Geschlechte [10] aber stiegen in den Palast hinauf; als sie ihn dort nicht fanden, sondern nur das Bündel von seinem Schmuck sahen, stiegen sie wieder hinunter, gingen zu seinen übrigen sechzehntausend Frauen hin und sagten ihnen: „Euer lieber Gatte, der große Herrscher Sutasoma, hat die Weltflucht betätigt.“ Indem sie so mit lauter Stimme klagten, gingen sie hinaus.
In diesem Augenblicke merkte auch die Volksmenge, dass jener die Welt verlassen hatte. Die ganze Stadt geriet in Aufregung, und indem sie riefen: „Unser König hat die Welt verlassen“, versammelten sie sich am Tore des königlichen Palastes. Mit den Worten: „Der König wird hier sein, da wird er sein“, gingen sie in die Paläste und die anderen Vergnügungsorte des Königs; und als sie den König nicht fanden, sprachen sie traurig folgende Strophen [11]:
So klagend gingen sie umher.
Nachdem sie aber so an all diesen Orten geklagt hatten, kehrte die Volksmenge wieder in den Hof des königlichen Palastes zurück und sprach folgende Strophe:
Sie ließen ihr Haus und Vermögen im Stich, nahmen ihre Frauen und Kinder an der Hand, zogen fort und begaben sich zum Bodhisattva hin; ebenso auch die Mütter und Väter, die kleinen Kinder und die sechzehntausend Tänzerinnen des Königs [15]: die Stadt war wie leer. Auch die Landbewohner gingen hinter ihnen drein. Der Bodhisattva aber nahm die zwölf Yojanas bedeckende Versammlung mit sich und zog fort in der Richtung nach dem Himalaya.
Als Gott Sakka seine Weltentsagung wahrnahm, sprach er zu Vissakamma [16]: „Freund Vissakamma, der König Sutasoma hat die Weltflucht betätigt. Er muss eine Wohnung erhalten; es wird eine große Versammlung werden. Gehe fort und erbaue im Himalaya-Gebirge am Ufer des Ganges eine dreißig Yojanas lange und fünf Yojanas breite Einsiedelei!“ Jener tat so; dann richtete er in der Einsiedelei die Ausrüstungsgegenstände für Weltflüchtlinge her, machte noch einen Fußpfad und kehrte in die Götterwelt zurück. Das große Wesen ging auf diesem Pfade in die Einsiedelei hinein, betätigte zuerst selbst die Weltflucht und nahm dann auch die übrigen als Weltflüchtlinge auf. In der Folgezeit betätigten noch viele die Weltflucht; ein Platz von dreißig Yojanas im Umfang wurde mit ihnen angefüllt. — Die Art aber, wie Vissakamma die Einsiedelei erbaute, wie die vielen Leute die Weltflucht betätigten und wie der Bodhisattva die Einsiedelei unter sie verteilte, ist der schon im Hatthipala-Jātaka [Jātaka 509] gegebenen Schilderung zu entnehmen.
Jedesmal wenn dort einen ein Lustgedanke oder ein Unzuchtgelüste u. dgl. befiel, so kam das große Wesen durch die Luft zu ihm hin, setzte sich in der Luft mit gekreuzten Beinen nieder und sprach, um ihn zu ermahnen, folgendes Strophenpaar:
Die Asketenschar aber beharrte bei seiner Ermahnung und gelangte dadurch in die Brahmawelt; dies ist alles, wie schon im Hatthipala-Jātaka ausgeführt.
§A2. Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen hatte, fügte er hinzu: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, sondern auch früher schon betätigte der Vollendete die große Weltentsagung.“
§C. Hierauf verband er das Jātaka mit folgenden Worten: „Damals waren die Eltern Angehörige der Großkönigsfamilie, Canda war Rāhulas Mutter, der älteste Sohn war Sāriputta, der jüngste Sohn war Rāhula, die Amme war Khujjuttara, der Großkaufmann Kulavaddhana war Kassapa, der Haupt-Heerführer war Mogallāna, der Prinz Somadatta war Ānanda, der König Sutasoma aber war ich.“
Ende der kleinen Erzählung von Sutasoma
[1] Im Gegensatz zum Jātaka 537, dem Maha-Sutasoma-Jātaka.
[3] Auf Deutsch wohl: „der Somakelterer“.
[4] D. h. sein Vater übertrug ihm die Regierung.
[5] Um den Unterschied mit der oben angegebenen Zahl zu erklären, sagt der Kommentator, so viele seien seine Frauen aus edlem Geschlecht.
[6] Dies ist doch wohl der richtige Sinn. Francis übersetzt: „I now must part for aye.“
[7] D. h. dann hört das häusliche Leben mit seinen Beschäftigungen auf.
[8] Vgl. Jātaka 485 Strophe 1 Zeile 1.
[9] Die Hölle, das Leben als Tier, als büßender Geist und als Dämon sind die vier Strafexistenzen; vgl. Jātaka 467 Anm. 5.
[10] Vgl. oben Anm. 5.
[11] Die folgenden sechzehn Strophen zeigen nur geringe Unterschiede voneinander; doch ist dies charakteristisch für die indische Poesie, weshalb wir sie hier ohne Kürzung wiedergeben.
[12] Wörtlich: „zu allen Jahreszeiten“.
[13] Kanikara ist der Baum Pterospermum acerifolium.
[14] Patali ist die Trompetenblume, Bignonia suaveolens.
[15] Gemeint sind wohl die oben als Frauen des Königs Bezeichneten, die oft Tänzerinnen genannt werden.
[16] Ähnliche Erzählungen finden sich in vielen anderen Jātakas, so in dem unten genannten Hatthipala-Jātaka [Nr. 509].
[18] Ihr früherer Aufenthaltsort, an den sie sich nicht erinnern sollen.