„Von edlem Aussehn bist du“
§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf die Betätigung der Uposatha-Pflichten. — Nachdem nämlich damals der Meister, um die Laienbrüder und Laienschwestern zu loben [1], gesagt hatte: „Die Weisen der Vorzeit gaben das Naga-Glück [2] auf und betätigten nur das Uposatha“, erzählte er auf ihre Bitte folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.
§B. Ehedem herrschte zu Rājagaha der König von Magadha. Damals nahm der Bodhisattva im Schoße der ersten Gemahlin dieses Königs seine Wiedergeburt; man gab ihm den Namen Duyyodhana. Nachdem er, zum Jüngling herangewachsen, zu Takkasilā die Künste erlernt hatte, kehrte er zurück und suchte seinen Vater auf. Darauf weihte ihn sein Vater zum König; er selbst betätigte die Weltflucht der Weisen und nahm im Parke seinen Aufenthalt. Der Bodhisattva kam täglich dreimal zu seinem Vater, so wurde diesem große Achtung und Ehrung zuteil.
Da er aber infolge dieser Verhinderung nicht einmal die Vorbereitungen zur Herbeiführung der Ekstase betätigen konnte, dachte er bei sich: „Groß ist meine Ehrung und Auszeichnung; ich bin nicht im Stande, solange ich hier weile, diese Fessel zu brechen. Ohne meinem Sohne etwas davon zu sagen, werde ich anderswohin gehen.“ Ohne jemand etwas davon wissen zu lassen, verließ er den Park, durchschritt das Königreich Magadha und erbaute sich im Königreich Mahimsaka an einer Krümmung des aus dem Samkhapala-See kommenden Kannapenna-Flusses bei dem Candaka-Berge eine Laubhütte. Dort wohnte er, betätigte die Vorbereitungen zur Herbeiführung der Ekstase und erlangte dadurch die Fähigkeit zur Ekstase und die Erkenntnisse; durch Sammeln der liegen gebliebenen Ähren und Früchte ernährte er sich. Ihn besuchte ein Naga-König namens Samkhapala manchmal, indem er mit großem Gefolge aus dem Kannapenna-Flusse herausstieg, und jener verkündete ihm die Wahrheit.
Sein Sohn aber wünschte ihn zu sehen, und da er nicht wusste, wohin er gegangen sei, ließ er Nachforschungen anstellen und erfuhr, dass er an dem und dem Orte weile. Um ihn zu besuchen, zog er mit großem Gefolge dorthin, schlug auf der Seite ein befestigtes Lager und ging, nur von einigen Ministern begleitet, nach der Einsiedelei hin. — In diesem Augenblicke saß gerade Samkhapala dort mit großem Gefolge. Als dieser den König herankommen sah, bezeigte er dem Asketen seine Ehrfurcht, stand auf und entfernte sich.
Nachdem nun der König seinen Vater ehrfurchtsvoll begrüßt und eine liebenswürdige Unterhaltung mit ihm begonnen hatte, setzte er sich nieder und fragte:
„Herr, was für ein König [3] ist da zu Euch gekommen?“ „Mein Sohn, dies war der Naga-König Samkhapala“, war die Antwort. Da wurde jener wegen dessen Herrlichkeit von Begierde nach dem Dasein als Naga erfasst. Nachdem er noch einige Tage dort geblieben war und für seinen Vater beständig Almosenspeise ausgemacht hatte, kehrte er in seine Stadt zurück, ließ an den vier Stadttoren Almosenhallen erbauen und spendete Almosen, dass er den ganzen Jambu-Erdteil damit in Aufregung versetzte. Auch hielt er die Gebote und beobachtete die Uposatha-Bestimmungen. Weil er aber dabei nach der Existenz als Naga verlangte, wurde er nach Beendigung seines Lebens in der Naga-Welt wiedergeboren und ward der Naga-König Samkhapala. Als aber die Zeit verging, bekam er trotz seiner Herrlichkeit Gewissensbisse und beobachtete von da an, indem er dabei nach der Existenz als Mensch verlangte, das Uposatha [4]. Während er jedoch in seiner Naga-Behausung weilte, gelang ihm das Halten der Uposatha-Bestimmungen nicht; seine Tugend ging zugrunde. Von da an verließ er immer seine Naga-Behausung und legte sich unweit des Kannapenna-Flusses zwischen der Heerstraße und dem Fußweg um einen Ameisenhaufen herum [5]. Um das Uposatha zu halten, dachte er mit vollendeter Tugend: „Wer nach meinem Fleische verlangt, soll mein Fleisch, wer nach meiner Haut u. dgl. verlangt, meine Haut u. dgl. mitnehmen“, und gab sich so selbst zum Geschenke hin. Während er so an dem Ameisenhaufen liegend die Asketentugend betätigte, blieb er am vierzehnten und fünfzehnten des Monats [6] dort und kehrte dann abermals in seine Naga-Behausung zurück.
Als er nun eines Tages so die Tugend betätigend da lag, waren gerade sechzehn Leute, die in einem Grenzdorfe wohnten, um sich Fleisch zu verschaffen, mit Waffen in der Hand im Walde umhergeschweift, kehrten aber wieder um, ohne etwas gefunden zu haben. Da sahen sie jenen oben auf dem Ameisenhaufen liegen und sie dachten: „Wir konnten heute nicht einmal eine junge Rieseneidechse fangen; darum wollen wir diesen Schlangenkönig töten und verzehren.“ Doch da kam ihnen der weitere Gedanke: „Er ist aber groß; auch wenn wir ihn fangen, könnte er uns entwischen. Darum wollen wir ihn, so wie er daliegt, an seiner Haube mit spitzen Pfählen durchbohren, ihn dadurch schwach machen und so ihn fangen.“ Und sie nahmen spitze Stäbe und gingen auf ihn zu. Der Körper des Bodhisattva aber war groß, von der Größe eines Lastkahnes und glich einer umgedreht aufgestellten Girlande aus Jasminblüten; er war mit Augen, die wie die Früchte eines Gunja-Strauches glänzten, und mit einem der Jayasumana-Blume [7] gleichenden Haupte ausgeschmückt und überaus schön.
Beim Klang der Schritte jener sechzehn Männer streckte er seinen Kopf aus der Haube heraus, öffnete seine roten Augen und dachte, als er sie mit spitzen Stäben in den Händen kommen sah: „Heute wird mein Wunsch in Erfüllung gehen. Ich liege hier, indem ich mich zum Opfer hingegeben und den festen Entschluss dazu gefasst habe. Auch wenn sie meinen Körper mit ihren Speeren zerstoßen und mich durchlöchern, werde ich nicht im Zorn die Augen öffnen, um sie anzuschauen.“ So fasste er aus Furcht, die Gebote zu verletzen, einen festen Entschluss und legte sich nieder, indem er sein Haupt innerhalb der Haube verbarg.
Die andern aber gingen auf ihn zu, fassten ihn am Schwanze, zogen ihn fort und warfen ihn auf die Erde. Mit ihren spitzen Stäben verwundeten sie ihn an acht Stellen, trieben mit Dornen besetzte Kala-Stängel [8] und Stöcke durch die Öffnungen der Wunden und machten sich auf den Weg, indem sie ihn an den acht Stellen wie mit Tragstangen trugen. — Seitdem aber das große Wesen von den spitzen Stäben verwundet war, öffnete es nicht ein einziges Mal die Augen, um sie zornig anzuschauen. Während es indes an den acht Tragstangen mitgeführt wurde, hing sein Haupt herab und schlug auf dem Boden auf. Als sie merkten, dass sein Kopf herabhing, legten sie ihn auf der Heerstraße nieder, durchbohrten mit einem dünnen Stabe seine Nasenwände, zogen einen Strick durch und hoben sein Haupt empor; und als sie die Schnur einmal hängen ließen, hoben sie abermals sein Haupt empor und setzten ihren Weg fort.
In diesem Augenblicke kam ein in der Stadt Mithila im Reiche Videha wohnender Gutsbesitzer namens Alara mit fünfhundert Lastwagen des Weges, indem er selbst auf einem schönen Wagen fuhr. Als er sah, wie diese gefräßigen Leute so den Bodhisattva gefangen hatten und daherkamen, gab er den sechzehn Leuten außer sechzehn Zugochsen jedem eine Handvoll kleiner Goldmünzen, für sie alle Ober- und Unterkleider und auch für ihre Frauen Kleider und Schmucksachen; so bewog er sie, den Bodhisattva loszulassen.
Dieser begab sich in seine Naga-Behausung, verließ sie wieder unverzüglich mit großem Gefolge und kehrte zu Alara zurück, dem er die Herrlichkeit der Naga-Behausung schilderte. Er begab sich mit ihm nach der Naga-Behausung, ließ ihm dort von dreihundert Naga-Mädchen große Ehrung zuteil werden und befriedigte ihn mit göttlichen Freuden.
Nachdem Alara in der Naga-Behausung ein Jahr lang geweilt und die göttlichen Freuden gekostet hatte, sagte er dem Naga-König: „Freund, ich wünsche, die Welt zu verlassen.“ Er erhielt von ihm die Ausrüstungsgegenstände für einen Weltflüchtling und begab sich von der Naga-Behausung nach dem Himalaya, wo er die Weltflucht betätigte.
Nachdem er dort lange geweilt, machte er sich in der Folgezeit auf die Wanderung und kam dabei nach Benares, wo er im königlichen Parke die Nacht verbrachte. Am nächsten Tage ging er, um Almosen zu sammeln, in die Stadt und kam an das Tor des Königspalastes. Befriedigt über seinen edlen Wandel ließ ihn der König von Benares zu sich rufen und wies ihm einen hergerichteten Sitz an. Nachdem er ihn mit Speise von verschiedenartigem höchstem Wohlgeschmack bewirtet hatte, setzte er sich selbst auf einen niederen Sitz, bezeigte ihm seine Verehrung und sprach, indem er ihn anredete, folgende erste Strophe:
Im folgenden ist der Zusammenhang der Strophen als Rede des Königs und Gegenrede des Asketen zu verstehen.
O Großkönig, nachdem so der Naga-König gesprochen, sprach er, um noch weiter seine Behausung zu preisen, folgendes Strophenpaar:
So kam er zu mir her und sprach folgende Strophe:
Darauf fuhr jener fort:
Die folgenden Strophen enthalten die Rede und die Gegenrede der beiden:
Nachdem so Alara gesprochen, fügte er hinzu: „Darauf sagte ich, o Großkönig, zu dem Naga-König: ‘Lieber, mich verlangt nicht nach Schätzen, sondern ich wünsche, die Welt zu verlassen.’ Ich bat ihn um die Ausrüstungsgegenstände für Weltflüchtlinge, verließ mit ihm die Naga-Behausung, ließ ihn umkehren und zog in den Himalaya, wo ich die Weltflucht betätigte.“ Darauf sprach er, um dem König die Wahrheit zu verkünden, folgendes Strophenpaar:
Da dies der König hörte, sprach er folgende weitere Strophe:
Um aber in ihm den Eifer dazu zu stärken, sprach der Asket folgende Schlussstrophe:
Nachdem er so den König in der Wahrheit unterwiesen, blieb er die vier Monate der Regenzeit dort und kehrte dann in den Himalaya zurück. Hier betätigte er zeitlebens die vier Vollkommenheiten [19] und gelangte danach in die Brahmawelt. — Samkhapala über beobachtete auch, solange er lebte, die Uposatha-Bestimmungen; der König endlich verrichtete gute Werke wie Almosen Geben u. dgl. und gelangte hierauf an den Ort seiner Verdienste.
§C. Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen, verband er das Jātaka mit folgenden Worten: „Damals war der Vater, der Asket wurde, Kassapa, der König von Benares war Ānanda, Alara war Sāriputta, Samkhapala aber war ich.“
Ende der Erzählung von Samkhapala
[1] Diese Bemerkung steht im Texte fälschlich schon bei den Worten Buddhas.
[2] D. h. das Glück ihrer Existenz als göttliche Schlangenwesen.
[3] Diese göttlichen Schlangenwesen zeigen sich vor den Menschen gewöhnlich in menschlicher Gestalt.
[4] Besonders sind hier gemeint die Enthaltung von der Unzucht und von der Verletzung anderer, was unten als „Asketentugend'' bezeichnet ist. Vgl. Jātaka 1 Anm. 13.
[5] In Schlangengestalt.
[6] Dies waren die Haupt-Uposatha-Tage.
[7] Die Pflanze Pentapetes phoenicea.
[8] Kala ist Ipomoea turpethum, eine große Windenart.
[9] Der Kommentator fasst „pavattakayo“ in der Bedeutung „mit ausgewachsenem Körper“.
[10] Der Redende stammte, wie oben angeführt ist, aus dem Reiche Videha.
[11] Calamus Rotang; Jambu ist der Rosenapfelbaum, Eugenia Jambu.
[12] Nach dem Kommentator ist dies eigentlich ein Name für den Berg Meru; hier aber sei Indras (Vasavas) Himmel damit gemeint.
[13] Die Lesart einer Handschrift „va“ verdient den Vorzug vor dem sonst überlieferten „ca“.
[14] Nach der Interpunktion des Textes ist es nicht klar, wo die Gegenrede des Alara beginnt. Die nächsten zwei Verse sind aber sicher von diesem gesprochen zu denken.
[15] Die Gandharvas (= himmlische Musikanten) gehören zu den niederen Gottheiten; ihr Fürst ist Dhatarattha.
[16] Nur als Mensch kommt er zum Nirvana.
[17] Francis übersetzt etwas zu bestimmt: „No one, I trust, has offered thee a slight.“
[18] Diese beiden Verse kommen öfters in den Jātakas vor; so im Jātaka 391 Strophe 6, Jātaka 505 Strophe 29 und Jātaka 506 Strophe 40.
[19] Es sind wohl die vier Stufen der Ekstase gemeint.