In Vis. VIII heißt es: „Wer diese Übung zu entfalten wünscht, begebe sich in die Einsamkeit, und abgeschieden stelle er in gründlicher Weise die Erwägung an: ,Einst wird kommen der Tod; die Lebenskraft wird versiegen!’ oder: ,Sterben muß ich! Sterben muß ich!’ Wer nämlich diese Erwägung nicht gründlich anstellt, dem steigt Kummer auf, sobald er über den Tod geliebter Menschen nachdenkt, genau wie der leiblichen Mutter, wenn sie an den Tod ihres Kindes denkt. Beim Nachsinnen über den Tod unliebsamer Menschen steigt ihm Freude auf, genau wie den Feinden, wenn sie an den Tod ihres Feindes denken. Beim Nachsinnen über den Tod eines ihm gleichgültigen Menschen aber kommt es zu keiner Ergriffenheit, genau so wenig wie in dem Leichenverbrenner beim Anblick einer Leiche. Und beim Nachsinnen über den eigenen Tod steigt ihm Entsetzen auf, genau wie der einen Mörder mit gezücktem Schwerte Erblickende von Entsetzen ergriffen wird . . . So möge man denn, wenn man hier oder da Erschlagene oder andere Tote erblickt, nachsinnen über den Tod von solchen verstorbenen Wesen, die einst im Glücke gelebt haben, und möge die Achtsamkeit, Ergriffenheit und Einsicht anspornen und in den Worten: ,Eintreten wird der Tod usw.’ die Erwägung anstellen . . . Nur in dem, der die Betrachtung so anstellt, festigt sich die Achtsamkeit in der Vorstellung des Todes und erreicht die geistige Übung die angrenzende Stufe (upacāra-samādhi)."
Auch in der folgenden Weise mag man nach dem Vis. VIII über den Tod nachdenken: Man betrachtet ihn wie einen vor einem stehenden Mörder mit gezücktem Schwerte; sage sich, daß alles Glück mit dem Tode endet; daß selbst die mächtigsten Wesen in der Welt dem Tode nicht entrinnen können; daß wir diesen Körper mit den darin hausenden unzähligen Würmern und anderen Lebewesen teilen müssen; daß dieses Leben etwas von Ein- und Ausatmung Abhängiges ist; daß das Leben nur solange funktioniert, als die Elemente, Nahrung und Atmung richtig funktionieren; daß man nicht weiß, wann, wo und woran man sterben wird; was für ein Schicksal einen nach dem Tode erwartet; daß das Leben gar kurz und begrenzt ist usw.
Die Betrachtung über den Tod, ihr Mönche, entfaltet und häufig geübt, bringt hohen Lohn und Segen, hat das Todlose zum Ziele und Ausgang. Auf welche Weise aber entfaltet und häufig geübt, ihr Mönche, bringt die Betrachtung über den Tod hohen Lohn und Segen, hat das Todlose zum Ziele und Ausgang?
Sobald, ihr Mönche, der Tag zur Neige geht oder sobald die Nacht weicht und der Tag anbricht, da denkt der Mönch bei sich: ,Wahrlich, viele Möglichkeiten zum Sterben bestehen für mich: Es möchte mich eine Schlange beißen, oder ein Skorpion oder ein Hundertfuß möchte mich stechen, und dabei möchte ich ums Leben kommen. Das aber wäre für mich ein Hindernis. Ich möchte einmal straucheln und hinfallen, oder die genossene Speise möchte mir schlecht bekommen, Galle, Schleim oder stechende Gase möchten erregt werden, Menschen oder Unholde möchten mich anfallen. Und dabei möchte ich ums Leben kommen. Das aber wäre für mich ein Hindernis.’ Da hat nun der Mönch also bei sich zu überlegen: ,Finden sich in mir wohl noch unüberwundene üble, unheilsame Dinge, die mir, wenn ich in der heutigen Nacht oder am heutigen Tage sterben sollte, zum Schaden gereichen könnten (im nächsten Leben)?’ Wenn nun, ihr Mönche, der Mönch bei seiner Betrachtung merkt, daß in ihm noch üble, unheilsame Dinge anzutreffen sind, so hat er eben äußersten Willensentschluß, Tatkraft, Streben, Ausdauer, Standhaftigkeit, Achtsamkeit und Geistesklarheit zu zeigen, um diese üblen, unheilsamen Dinge zu überwinden.
Wenn aber, ihr Mönche, der Mönch bei seiner Betrachtung merkt, daß in ihm keine üblen, unheilsamen Dinge mehr anzutreffen sind, die ihm, wenn er stürbe, zum Schaden gereichen könnten, so mag eben dieser Mönch in seliger Freude verweilen, im Guten sich übend bei Tag und bei Nacht.
Wer unter den Mönchen im Geiste häufig von der Vorstellung des Todes erfüllt ist, dessen Geist schreckt zurück vor der Lebenslust, wendet sich weg, kehrt sich ab, fühlt sich nicht dazu hingezogen; und Gleichmut oder Abscheu stellen sich ein.
Gleichwie, ihr Mönche, eine Hahnenfeder oder ein Stück Bogensehne, ins Feuer geworfen, zusammenschrumpft, sich krümmt, zusammenrollt und sich nicht mehr ausstreckt: Ebenso auch, ihr Mönche, schreckt der Geist eines solchen Mönches zurück vor der Lebenslust, wendet sich weg, kehrt sich ab, fühlt sich nicht dazu hingezogen; und Gleichmut oder Abscheu stellen sich ein.
Wenn nun, ihr Mönche, bei einem Mönche, der häufig im Geiste von der Vorstellung des Todes erfüllt ist, der Geist zur Lebenslust hinstrebt und keine Abscheu davor besteht, so sollte der Mönch erkennen, daß er die Vorstellung des Todes nicht entfaltet hat, daß für ihn zwischen einst und jetzt kein Unterschied besteht und daß er das Ziel der Entfaltung nicht erreicht hat. So ist er sich dessen klarbewußt.
Wenn aber, ihr Mönche, bei einem Mönche, der im Geiste häufig von der Vorstellung des Todes erfüllt ist, der Geist zurückschreckt vor der Lebenslust, sich wegwendet, abkehrt, sich nicht dazu hingezogen fühlt und sich Gleichmut oder Abscheu einstellen, so sollte der Mönch erkennen, daß er die Vorstellung des Todes entfaltet hat, daß bei ihm zwischen einst und jetzt ein Unterschied besteht und daß er das Ziel der Entfaltung erreicht hat. So ist er sich dessen klarbewußt.
- Die Tage und Nächte entfliehen,
- Es schwindet das Leben dahin;
- Der Sterblichen Leben versieget
- Wie’s Wasser im winzigen Fluß.
Gar kurz, Brahmane, ist das Leben der Menschen, begrenzt und flüchtig, voller Leiden und Qualen. Weise sollte man dies erkennen, Gutes tun und den heiligen Wandel führen; denn kein Geborener entrinnt dem Tode.
Gleichwie etwa, Brahmane, der Tautropfen an der Spitze eines Grashalmes beim Aufgehen der Sonne gar schnell zergeht, nicht lange bleibt: So auch, Brahmane, ist das dem Tautropfen vergleichbare Leben der Menschen gar begrenzt und flüchtig.
Oder gleichwie, Brahmane, beim Herabgießen mächtig geballten Regenwolke die Blasen auf dem Wasser gar schnell zergehen, nicht lange bleiben: So auch, Brahmane, ist das der Wasserblase vergleichbare Leben der Menschen gar begrenzt und flüchtig.
Oder gleichwie, Brahmane, die mit einem Stocke im Wasser gezogene Furche gar schnell verschwindet, nicht lange bleibt: So auch, Brahmane, ist das der Wasserfurche vergleichbare Leben der Menschen gar begrenzt und flüchtig.
Oder gleichwie, Brahmane, der fernhin eilende, schnellströmende, alles mit sich fortreißende Gebirgsstrom auch nicht für einen Augenblick, eine Weile, eine Minute, stillesteht, sondern immer weitereilt, weiterfließt, weiterströmt: So auch, Brahmane, ist das dem Gebirgsstrom vergleichbare Leben der Menschen gar begrenzt und flüchtig.
Oder gleichwie, Brahmane, ein kräftiger Mann mit der Zungenspitze einen Speichelkloß bildet und ohne jede Anstrengung ausspeit: So auch, Brahmane, ist das dem Speichelkloß vergleichbare Leben der Menschen gar begrenzt und flüchtig.
Oder gleichwie, Brahmane, wenn man bei Tage in einen glühendheißen Metalltopf ein Stück Fleisch wirft, dasselbe gar schnell zergeht, nicht lange bleibt: So auch, Brahmane, ist das dem Fleischklumpen vergleichbare Leben der Menschen gar begrenzt und flüchtig.
Oder gleichwie, Brahmane, das Schlachtvieh, das zum Schlachten bestimmt ist, ganz gleich, welchen Fuß es auch hochhebt, stets ganz nahe am Rande des Todes steht: So auch, Brahmane, ist das dem Schlachtvieh vergleichbare Leben der Menschen gar begrenzt und flüchtig, voller Leiden und Qualen. Weise sollte man dies erkennen, Gutes tun und den heiligen Wandel führen, denn kein Geborener entrinnt dem Tode.
- Gleichwie am Morgen man befürchtet
- Das Fallen der gereiften Frucht:
- So fürchten stets sich vor dem Tode
- Die sterblichen Geschöpfe all.
Alle Wesen sind dem Tode unterworfen, enden im Tode, können dem Tode nicht entgehen.
- Wie jedes irdene Gefäß,
- Gebildet von des Töpfers Hand,
- Ganz einerlei, ob klein, ob groß,
- Am Ende doch zerbrechen muß.
Genau so auch sind alle Wesen dem Tode unterworfen, enden im Tode, können dem Tode nicht entgehen.
- Sterben müssen alle Wesen,
- Das Leben endet mit dem Tod.
- Der Tat entsprechend zieh’n sie hin,
- Gut oder böse Frucht folgt nach.
- Wer Böses wirkt, zur Hölle eilt,
- Wer Gutes wirkt, zu heitrer Welt.
- Drum übet edle Taten aus
- Als Vorkehr für die nächste Welt;
- Denn Gutes gibt in nächster Welt
- Den Wesen allen einen Halt.
Alles, ihr Mönche, ist dem Tode unterworfen. Und was ist dies alles, das dem Tode unterworfen ist?
Das Auge, ihr Mönche, ist dem Tode unterworfen, die Formen sind dem Tode unterworfen, das Sehbewußtsein ist dem Tode unterworfen, der Seheindruck ist dem Tode unterworfen, und auch das, was durch den Seheindruck bedingt an Gefühl aufsteigt, an freudvollem, leidvollem, weder freudvollem noch leidvollem, auch das ist dem Tode unterworfen.
Ohr, Töne und Hörbewußtsein . . . Nase, Düfte und Riechbewußtsein . . . Zunge, Säfte und Schmeckbewußtsein . . . Körper, Körpereindrücke und Körperbewußtsein . . . Geist, Geistobjekte und Geistbewußtsein, geistiger Eindruck und auch das, was durch den geistigen Eindruck bedingt an Gefühl aufsteigt, an freudvollem, leidvollem, weder freudvollem noch leidvollem, auch das ist dem Tode unterworfen.
So erkennend, ihr Mönche, wendet sich der edle Jünger ab von Auge, Formen, Sehbewußtsein, Seheindruck und dem durch Seheindruck bedingt entstandenen Gefühl, von Ohr . . . Nase . . . Zunge . . . Körper . . . Geist, Geistobjekten, Geistbewußtsein, geistigem Eindruck und dem durch geistigen Eindruck bedingt entstandenen Gefühl, freudvollem, leidvollem, weder leidvollem noch freudevollem. Sich aber davon abwendend löst er sich los, durch Loslösung wird er erlöst, und im Erlösten entsteht das Wissen: ,Erlöst bin ich;’ und er erkennt: ,Erloschen ist die Wiedergeburt’ erfüllt der heilige Wandel, die Aufgabe vollbracht, und nicht gibt es Weiteres mehr zu tun für diese Welt.’
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- Gleichwie das mächt’ge Felsgebirg’
- Empor sich reckend himmelhoch,
- Das Land durchziehet ringsumher
- Und allerwärts es niederdrückt:
- So drückt das Alter und der Tod
- Die Wesen nieder in der Welt,
- Die Krieger, Priester, Bürger, Knechte,
- Die Feger, die Verstoßenen.
- Nichts lassen beide unverschont,
- Zermalmen alles, was da ist.
- Ach, gar bald wird dieser Körper
- Hingestreckt am Boden liegen,
- Weggeworfen, ohn’ Bewußtsein,
- Wie ein unbrauchbarer Holzklotz.
- Hast du als Schaumgebilde diesen Leib erkannt,
- Erkannt als eine Spiegelung der Luft,
- Magst du des Mahrens Blütenpfeile tilgen
- Und dieses Todesfürsten Blick entgeh’n.
Dhp. 47
- Den gleichsam Blumen pflückenden,
- Im Herzen angehang’nen Mann,
- Den reißet mit sich fort der Tod,
- Gleichwie die Flut ein schlafend Dorf.
Hier sei noch eine bedeutsame Stelle aus Vis. VIII angeführt: „Im höchsten Sinne (paramatthato) haben die Wesen nur einen sehr kurzen Augenblick zu leben, nur solange, wie ein Bewußtseinsmoment dauert. Gleichwie das Wagenrad, beim Rollen wie beim Stillstehen, sich jedesmal bloß auf einem einzigen Punkte der Peripherie befindet: Genau so währt das Leben eines Wesens nur für die Dauer eines einzigen Bewußtseinsmoments. Sobald dieser Bewußtseinsmoment erloschen ist, gilt auch das Wesen als erloschen. Denn es heißt:
Das Wesen des vergangenen Bewußtseinsmomentes hat gelebt, lebt jetzt nicht mehr, wird auch später nicht mehr leben. Das Wesen des zukünftigen Bewußtseinsmomentes hat noch nicht gelebt, lebt auch jetzt noch nicht, wird später leben. Das Wesen des gegenwärtigen Bewußtseinsmomentes hat früher noch nicht gelebt, lebt nur jetzt, wird aber später nicht mehr leben.
- Das Leben sowie alles Dasein,
- Wie alle Freude, aller Schmerz,
- Hängt bloß an einem Denkmoment,
- Und schnell eilt der Moment dahin.
- Die Daseinsgruppen, die erloschen,
- Zur Lebzeit oder auch beim Sterben,
- Sind ganz in gleicher Weise nun
- Dahin auf Nimmerwiederkehr.
- Nicht lebt im künftigen Moment man,
- Lebt jetzt in diesem Denkmoment;
- Wenn der erlischt, erlischt die Welt:
- Dies Wort ist wahr im höchsten Sinn.