In Benares lebte ein junger Laienanhänger des Erwachten namens Nandiyo. Seine Eltern waren ebenfalls religiös und im Vertrauen zum Erwachten lebend. Er war ein großzügiger Spender des Ordens. Seine Eltern wollten ihn nun mit einem Mädchen aus dem Hause gegenüber vermählen, einer Tochter des Bruders seiner Mutter, also seiner Kusine. Sie hieß Revatī und war ohne jedes religiöse Gefühl, daher auch geizig und hartherzig. Nandiyo wollte sie daher nicht zur Frau. Seine Mutter, die ihn aber gern mit ihrer Nichte vermählen wollte, riet Revatī nun, ins Haus zu kommen und sorgfältig alles für die Spende an den Orden vorzubereiten. Revatī tat dies, grüßte die ankommenden Mönche ehrfürchtig, nahm ihnen ihre Schalen ab, stellte Wasser bereit und wusch nach dem Mahle die Schalen aus. Dann sagte die Mutter zu Nandiyo, daß Revatī ihre Ermahnung angenommen und die Mönche versorgt habe. Da stimmte Nandiyo zu, und es wurde Hochzeit gehalten. Nandiyo sagte zu ihr: "Solange du dem Mönchsorden und meinen Eltern dienst, ist dies Haus das deine, sei daher klug." Sie tat so, als ob sie ihm zustimmte und handelte auch längere Zeit im Sinne ihres Gatten. Sie gebar ihm im Laufe der Zeit zwei Söhne.
Bald darauf starben Nandiyos Eltern, und nun war Revatī die Herrin im Hause. Nandiyo aber spendete immer freudiger und immer reichlicher. Er gab regelmäßig an den Orden, und er ließ regelmäßig an der Tür seines Hauses Essen an Bettler und Wanderer verteilen. Dann ließ er im großen Kloster am Sehersteine vor der Stadt eine schöne Speisehalle bauen, die rings um einen Innenhof viele Räume enthielt, die nach dem Hof hin offen waren. Als er die Schenkungszeremonie der Übertragung an den Orden vollführte, erschien im gleichen Augenblick im Himmel der Dreiunddreißig ein prächtiger goldener Palast, geschmückt mit schönsten Juwelen und tausend Nymphen als Dienerinnen.
Der ehrwürdige Mahāmoggallāno sah auf einer Himmelsreise diesen Palast und fragte die Götter, wessen Vimāna dies wohl sei. Da erklärten sie ihm, daß dieser Palast für den Wohltäter Nandiyo ins Dasein getreten sei. Die Nymphen dort aber sagten zu Moggallāno, er möge Nandiyo bestellen: "Die Göttinnen, die erschienen sind, um deine Dienerinnen zu sein, sind unzufrieden, daß du so lange zögerst, hierher zu kommen. Der Vorzug der Himmelswelt ist außerordentlich groß, so wie ein goldener Topf gegenüber einem kaputten aus Ton." Dann kehrte Moggallāno zur Erde zurück und fragte den Erwachten, ob es wahr sei, daß himmlische Pracht schon erscheine, während der Verdienst Wirkende noch in der Menschenwelt weile. Der Erwachte erwiderte, er habe es doch selber gesehen, und sprach dann folgende Verse:
Als Nandiyo davon erfuhr, daß ihm im Himmel ein Schloss erstanden sei, tat er noch mehr gute Werke und spendete noch mehr. Als er dann einmal zu einer Geschäftsreise aufbrach, sagte er zu Revatī: "Meine Liebe, fahre sorgsam fort mit Almosen für den Orden und mit der regelmäßigen Verteilung von gekochtem Essen für die Armen, die von mir eingerichtet wurde." Sie versprach es ihm. Selbst unterwegs fuhr Nandiyo fort, an jedem Aufenthaltsort im Rahmen seiner Möglichkeiten weiter an Mönche, Arme und Bettler zu spenden. Revatī aber setzte nach seiner Abreise die Spenden nur einige Tage fort. Dann stellte sie die Spenden an die Armen völlig ein. Den Mönchen aber gab sie nur Bruchreis und saure Grütze. Auf dem Platz, an dem die Mönche gespeist hatten, verstreute sie gekochte Reiskörner, dazu Stücke Fisch und Fleisch, Knochen und halb gegessene Fleischstücke. Das waren die Überbleibsel ihrer eigenen Mahlzeit. Das zeigte sie dann den Leuten und beschuldigte die Mönche, die aus Vertrauen gegebenen Spenden verschwendet zu haben.
Als Nandiyo von seiner sehr erfolgreichen Geschäftsreise, die ihm viel eingebracht hatte, zurückkehrte und von Revatīs Benehmen hörte, schickte er sie kurzerhand in ihr Elternhaus zurück. Am nächsten Tage vollführte er eine große Speisung der Mönche mit dem Erwachten an der Spitze. Dann richtete er eine regelmäßige tägliche Versorgung des Ordens ein und ebenso Nahrung für die Armen. Auf inständige Bitten seiner Freunde nahm er Revatī dann aber wieder auf. Er gab ihr jedoch nur die einfachste Nahrung und Kleidung.
Als er gestorben war, erschien er in seinem eigenen Vimāna bei den Göttern der Dreiunddreißig, freudig begrüßt von der Götterschar. Revatī, die nun die alleinige Macht über das gesamte Vermögen hatte, stoppte sofort jegliche Spende. Sie ging herum und beschimpfte und beschuldigte die Mönche, daß sie ihr solange Besitz und Ehre genommen hätten. Mit dieser böswilligen Verleumdung war das Maß ihrer Übeltaten voll. Vessavano, der Große König, befahl zweien seiner Yakkhas, in Benares zu erscheinen und zu verkünden, daß Revatī nach sieben Tagen mitten aus dem Leben gerissen und in die Hölle geworfen würde. Als die Menschen davon hörten, bekamen alle eine Höllenangst und fürchteten die Ernte schlechten Wirkens. Revatī aber stieg in das oberste Stockwerk des Hauses hinauf, schloß die Tür und verkroch sich dort. Nach sieben Tagen erschienen ihr dort durch die Wand zwei Yakkhas, schrecklich anzublicken, düster drohend wie eine schwarze Gewitterwolke, mit blutroten Augen, flachen Nasen und flammend rotem Haar und Bart. Durch ihre bösen Taten hatte sie sich diese Boten Vesssvanos erwirkt. Sie sprachen zu ihr:
Dabei nahmen die beiden Revatī in die Mitte und führten sie von Straße zu Straße durch Benares, um den Menschen einen Denkzettel zu geben, damit sie des Gesetzes von Saat und Ernte eingedenk blieben. Dann verschwanden sie mit ihr der Sichtbarkeit der Menschen und führten sie in den Himmel der Götter der Dreiunddreißig.
Während sie noch in dieser Weise redete, schnitten die Yakkas ihr das Wort ab, indem sie sagten: "Ob du Verlangen hast oder nicht, was nützt dir Verlangen?" Und sie brachten sie bis vor die Hölle:
Nachdem die Yakkhas diese Worte gesprochen hatten, verschwanden sie auf der Stelle, denn ihre Aufgabe war erfüllt. An ihrer Stelle erschienen zwei ähnlich aussehende Höllenwächter, ergriffen sie und zerrten die Widerstrebende in einen Höllenpfuhl. Jammernd rief sie:
Bemerkungen:
Diese Geschichte wird als Pv IV,4 wiederholt, jedoch druckt keine Ausgabe sie dort ab. Vergl. auch Dh A III, S. 290 ff. Deutsche Übersetzung der Verse in Prosa bei: Lucian Scherman, Materialien zur Geschichte der indischen Visionsliteratur, Leipzig 1893, S. 56 - 60.
Nach den Berichten des Petavatthu führte böses Wirken, wie Revatī es tat, noch nicht in die Hölle, sondern "nur" in eine höllennahe Gespensterwelt. Die Grenzen sind aber fließend. Und immer kommt es auf die Intensität der inneren Gesinnung an, die entscheidend über die Ernte bestimmt. Diese aber ist in ihrer Vielschichtigkeit schwer zu fassen, und darum ist ein schematisches Urteil über karmische Wirkungen nicht möglich. Wo aber auch nicht ein Rest von Gutem mehr vorhanden ist, wie bei Revatī offenbar, da hat man sich die Hölle erwirkt.
Bemerkenswert ist auch, daß sie keinerlei Richter der Schatten erlebt, obwohl die Boten Yamas sie ergreifen. Wo eben keinerlei Gutes vorhanden ist, das gegen das Schlechte abzuwägen wäre, da bedarf es keines Richters, da führt der Weg geradewegs zur Hölle. Die Boten Yamas sind Götter (Yakkha) der Vier Großen Könige, hier als Strafengel, als Vollstrecker des Karmagesetzes. Sie führen aber nur bis an die Pforten der Hölle. Dann ist ihre Mission zu Ende. Götter quälen und strafen nicht. Dafür sind die Höllenwärter da, die Schergen der Unterwelt, zu den Dämonen gehörig -, und irgendwann werden sie selber Opfer der Hölle sein. Diese Quälgeister, die das ausführen, was der Übeltäter sich selber erwirkt hat, genießen noch einen Rest von Wohl, solange, bis er aufgezehrt ist.
Eine Nacherzählung in Prosa ist in WW 1965, S. 7 - 10, sowie in der Schatzkiste, 1. und 2. Aufl., S. 475 - 478 abgedruckt, allerdings gekürzt. Dort findet sich auf S. 479 eine bemerkenswerte Parallele: Ein Frommer, der samstags den Armen spendete, erlebte, daß ihm an Samstagen im Himmel ein goldener Palast gebaut wurde (Papst Gregor, Bd. II, München 1933, S. 240).
Bedenkenswert ist auch noch folgendes: Die unselige, wenn auch gut gemeinte Einmischung der Schwiegermutter, die ihren Sohn unbedingt mit der Kusine verheiraten wollte, gab Revatī erst Gelegenheit, ihren schlechten Charakter zu entwickeln. Ohne das wäre sie wohl nur in eine normale Gespensterwelt gekommen und hätte dort bereuen und Erleichterung durch Fürbitte finden können. Der Versuchung, Reichtum zu verweigern und anderen zu mißgönnen, erlag sie in ihrer Position als Hausherrin. Ein Beispiel für das vielerlei Unheil, das durch Heiratspolitik (der Fürsten und der Familien) entsteht. Was mag die Ernte der Schwiegermutter gewesen sein?
In "Buddh. Welt" 1910/11, S. 226 - 229 ist nach der französischen Übersetzung von Minajeff von Ph. Derval eine deutsche Übersetzung von Vv Nr. 52 veröffentlicht (Nacherzählung).