PETA-VATTHU

Nachwort

1. Das Petareich

Ebenso wie es innerhalb des Menschentums die größten Unterschiede zwischen Glück und Unglück gibt - vom Slum-Bewohner bis zum Mahārāja -, so gibt es auch innerhalb des Gespensterreichs eine außerordentlich große Variationsbreite von qualvollstem Elend bis zu paradiesischem Wohl. Und so wie die Menschenklassen der Bedauernswerten oder der Beneidenswerten ausschließlich durch eigenes Wirken bestimmt sind, so sind auch die Gespensterklassen selber gewirkt und verdient.

In grober Einteilung grenzen die Gespenster einerseits an die Hölle und andererseits an den Himmel. Zwischen Dunkel und Licht, innerer und äußerer Finsternis bis zu innerer und äußerer Helle, spannt sich der weite Bogen der existentiellen Empfindungsmöglichkeiten. Ebenso wie bei den Menschen meistens Dunkel und Licht gemischt sind, so ist es auch bei den Petas: Die extremen Formen der Höllen- oder Himmelsnähe sind die Ausnahmen. Die breite Mitte zwischen Schwarz und Weißaber ist das Grau.

In der dunkelsten und trübsten Jahreszeit unserer Breiten, im November, gedenkt die Katholische Kirche seit bald tausend Jahren am Allerseelentag der Armen Seelen im Fegefeuer und regt an zu Mitleid mit ihnen, zu Fürbitte und Seelenmessen. Es ist kein Zufall, daß auch das säkularisierte Denken der Moderne Totensonntag, Volkstrauertag und Bußtag auf den November gelegt hat. Grau, fahl, trüb, wolkenverhangen, sonnenlos, kühl, öde - dieses Bild des Novembers ist ein passendes Abbild der Stimmung und des Klimas der Gespensterwelt. Während in der Hölle nicht das geringste natürliche Himmelslicht leuchtet und künstliches Licht von peinigendem Feuer herrscht, während die Götterwelten dagegen völlig hell und sonnig im milden Licht eines Maitags glänzen, während die Menschenwelt den ewigen Wechsel zwischen Tag und Nacht, Sonne und Dunkel hat, liegt die Gespensterwelt in fahler Dämmerung und düsterem Grau. Zwischen stockdunkler Nacht und eitel Sonnenschein liegt die Dimension ewiger Bewölkung, die Region der Petas.

Was bei den alten Juden das Totenreich (Scheol), was in der griechischen Mythologie das Schattenreich (Hades), was bei den Germanen Nebelheim (Niflheim) war, und was das Christentum Fegefeuer oder Bereich der Armen Seelen nannte, das ist in Indien die Gespensterwelt (peta-loka).

Die Peta-Welt als Grauzone läßt sich vielleicht an einem Beispiel aus der Mitte unseres Jahrhunderts und Kontinents verdeutlichen und in ihrer Vielfalt verständlicher machen, nämlich an den Besatzungszonen nach 1945:
Die Gespensterhölle der höllennahen Petas ähnelt der russischen Zone mit ihrem systematischen Terror, mit den geplanten Vergewaltigungen am Anfang, den Verschleppungen nach Osten, der Vernichtung durch Arbeit, dem Spitzelsystem und der Unterdrückung jedes selbständigen Gedankens. Das Grau in Grau dieser mürrischen Öde war durch ständige Furcht vor der Willkür der Machthaber gekennzeichnet.

Die normale Mitte der Gespensterwelt ähnelt den Westzonen, wo es keine Folterungen und keinen Terror gab, dafür aber wie im Osten denselben Mangel an Lebensmitteln, verbunden mit etwas Demokratie und mit blühendem Schwarzmarkt.

Der Gespensterhimmel ist vergleichbar der neutralen Schweiz, die Freiheit und Wohlstand besaß und nur durch gewisse Rationierung einen Reflex des mitteleuropäischen Mangels erlebte.

Kurz: Ostzone = Hunger plus Terror; Westzonen = Hunger ohne Terror; Schweiz = weder Hunger noch Terror. Ebenso weit, wie hier die Unterschiede im Wohlbefinden waren, ebenso weit sind sie in der Petawelt mit ihren drei Klassen oder Zonen.


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