PETA-VATTHU

Buch IV

IV,15: Die Söhne des Gildemeisters

König Pasenadi ritt einmal auf seinem prächtigen Staatselefanten durch seine Hauptstadt Sāvatthī. Da fiel sein Blick zufällig auf das obere Stockwerk eines vornehmen Hauses. Dort sah er eine Frau, blendend schön wie ein Göttermädchen. Sein Herz war sofort entflammt und gefesselt, denn er war sehr lüstern und konnte sein Herz nur schwer zähmen. Er hatte zwar seine geliebte Königin Mallikā und dazu einen Harem voll schönster Frauen, aber all das erschien ihm in der Verblendung durch die momentane Faszination zu nichts hinwegzuschmelzen. Seine Gier wollte nur jenes Weib, um jeden Preis. Als er sich erkundigte, wer sie sei, erfuhr er, daß sie verheiratet sei, gut und glücklich verheiratet. Darüber aber setzte er sich im Geiste schnell hinweg. Er war doch der allmächtige große König. So schmiedete er Pläne, um den Ehemann aus dem Weg zuräumen und verfuhr wie in IV,1 mit dem einzigen Unterschied, daß der Ehemann jener Frau ins Siegerwaldkloster ging, um dort zu übernachten.
In der Nacht aber, als im Palast alles totenstill war, wachte er plötzlich auf. Ganz deutlich hörte er Stimmen, ohne jemanden zu sehen. Es waren vier verschiedene Stimmen, deutlich voneinander zu unterscheiden. Die erste Stimme sagte immer: "sa", die zweite Stimme wiederholte ständig die Silbe "na", die dritte sprach "du", und die letzte äußerte immer "so". Er war entsetzt über diese unheimlichen Geisterstimmen, die Haare sträubten sich ihm, und er konnte nicht wieder einschlafen, als die Stimmen schwiegen. Von Todesangst befallen, setzte sich der König auf und erwartete zitternd den Sonnenaufgang. Um diese Zeit pflegten die Brahmanen seines Hofes ihm aufzuwarten. Auf ihre Frage, ob Seine Majestät wohl gut geruht habe, erwiderte er: "Wie sollte ich, ihr Lehrer! Heute Nacht habe ich schreckliche Laute gehört." Und er berichtete alles. Er wollte nun wissen, was jene dämonischen Stimmen zu bedeuten hätten, welches Unheil sie wohl ankündigten. Der Oberhofpriester, der sehr ehrgeizig und habsüchtig war, erwiderte mit bedenklichem Gesicht: "Es sind gewaltige Töne, o Majestät." "Sind sie wirkungslos zu machen oder nicht?" fragte Pasenadi. Der Oberpriester antwortete: "Von selber ist ihre Wirkung nicht aufzuhalten, aber wir verstehen viel." "Was ist denn zu tun, um die Wirkung aufzuheben?" "O großer König, man kann das Unheil abwenden, wenn man das vierfache Opfer veranstaltet und den Göttern viel Fleisch und viel Geld opfert. "Das vierfache Opfer aber bestand darin, daß von allen Wesen je viergeschlachtet wurden, angefangen vom Menschen über Elefanten, Stiere, Pferde bis zur Wachtel. Dieses vierfache Opfer der heruntergekommenen brahmanischen Tradition ließ der König dann vorbereiten. Viele Lebewesen wurden an Pfosten beim Opferaltar angebunden. Geschäftig eilten die Brahmanen hin und her und waren frohen Sinnes in Erwartung von viel gutem Essen und Geld.

Als Königin Mallikā, die weitblickender und weiser als der König war, dieses sah, fragte sie ihren Gemahl nach dem Grund. Er aber erwiderte ungehalten: "Fürstin, was geht dich das an? Du bist nur auf deinen Ruhm versessen, mein Leid aber kennst du nicht." Und er berichtete alles, was sich seit jener Nacht abgespielt hatte. Seine Verliebtheit aber, die ihm vor Angst vergangen war, erwähnte er nicht. Mallikā aber stellte nun eine Frage: "Großer König, hast du auch den Ersten der Brahmanen in der Welt der Götter und Menschen nach der Bedeutung der Töne gefragt?" Der König wollte wissen, wen sie denn mit dieser Bezeichnung meine. Sie antwortete, das sei der Erhabene, der Erwachte, der Wissens- und Wandelsbewährte.

Der König stimmte zu, daß er den Erhabenen fragen wolle, und bestieg nach dem Frühstück seinen Wagen und fuhr zum Siegerwaldkloster, berichtete dem Buddha ausführlich die Ereignisse und endete mit der Frage: "Was wird mir geschehen, weil ich diese Töne hörte?" - "Gar nichts, großer König", erwiderte der Erwachte," sei beruhigt, dir droht keinerlei Gefahr von dort." Und dann erzählte er ihm die wahre Ursachenverkettung:
Vor langen, langen Zeiten lebten in Benares vier junge Kaufleute, Söhne des Gildemeisters, die im Jugendrausch Frauen verführten, in andere Ehen einbrachen und nichts weiter im Sinn hatten, als ihre Sinnenlust zu befriedigen. Als ihr Leben zu Ende war, kamen sie gemeinsam in die Hölle und fanden sich in vier großen glühenden Eisenkesseln wiedergeboren. Nachdem sie dort 60.000 Jahre in der eigenen Glut gekocht hatten, näherte sich ihre selbstgewirkte äußerste Leidenszeit dem Ende. Sie kamen langsam und gleichzeitig in den Kesseln empor und sahen schon den Rand, konnten die Köpfe herausstrecken und waren an der Grenze zum Bereich der höllennahen Gespenster. Bisher waren sie stumm vor Leiden gewesen. Jetzt konnten sie sich wenigstens erstmals wieder äußern, und das war in der Menschenwelt dem König hörbar gewesen. Ihre Freiheit reichte aber nur soweit, daß sie je nur eine Silbe von dem sagen konnten, was sie auf dem Herzen hatten, dann sanken sie wieder unter. Sie waren nicht fähig, ihren Vers zu Ende zu sagen. Der Buddha aber, der die Herzen im Herzen erkennen konnte, wußte, was sie sagen wollten:

 

(802)
1. Peta:
Sagt einer mir, wann's Ende nah?
Gar sechzigtausend Jahre voll,
ununterbrochen lange wird
gequält in dieser Hölle man.
 
(803)
2. Peta:
Nah ist kein End! Ach, wär's zu End!
Es zeiget sich kein Ende an
für uns, die taten Böses einst,
für mich, für dich, für unser zwei.
 
(804)
3. Peta:
Du, schlecht'stes Leben lebten wir,
da wir bereit zum Geben nicht.
Obwohl's genug zum Geben gab,
wir schafften uns kein Eiland draus.
 
(805)
4. Peta:
So ich verlasse diesen Ort
und komm zum Menschenschoß empor,
ansprechbar, tugendhaft bewährt
viel Heilsames würd ich dann tun.

 

Nachdem der König dies vernommen, erkannte er das Wesen der Leidenschaft, die ihn immer wieder in ihren Strudel zu reißen drohte. Er sah deutlich das Gesetz von Schuld und Sühne, Saat und Ernte. So gab er seine lüsternen Pläne ebenso auf wie die blutigen Tieropfer und wandte sein Herz dem Buddha zu. Der Ehemann der schönen Frau aber, der einer anschließenden Belehrung des Buddha gelauscht hatte, erlangte die Frucht des Stromeintritts, den der König nicht erlangte. In IV,1 wird nichts Näheres über das Schicksal des Ehemanns berichtet.


Bemerkungen:

Diese Geschichte wird noch an drei weiteren Stellen berichtet, einmal in der Einleitung zum 314.Jātaka, und in Kommentaren. Die drei Erzählungen weichen nur geringfügig voneinander ab:

1. J 314: Vierfaches Opfer; Königssöhne aus Sāvatthī, Reihenfolge der Töne: Du, Sa, Na, So

2. S 3,9: Opfer von je 500 Wesen, Kaufleute aus Benares (ebenso im Kommentar zu Dh 60)

3. Pv IV,6: Hier wird von zwei Söhnen Pasenadis berichtet, die ausschweifend lebten und Petas wurden.

Die Geschichte zeigt gut die Verkettung der Laster: Aus der Idee des Ehebruchs (Verstoß gegen das 3.Sīla) entsprang die Idee des Tötens des Ehemannes (1.Sīla) und dafür ein Gewebe aus Täuschung und Hinterlist (4.Sīla). Und aus Todesangst des Königs entstand wiederum die Idee des Tötens vieler Wesen.

König Pasenadi war ein Mensch mit sehr widerstreitenden Eigenschaften und wegen seiner auch vorhandenen dunklen Triebe konnte er den Stromeintritt nicht erlangen. Seine Lebensgeschichte: WISSEN UND WANDEL 1969, S. 336  359.


  Oben zeilen.gif (1054 bytes)