PETA-VATTHU

Buch III

III,10: Der Reliquienverächter

Nach dem Tode des Buddha wurden die Asche und Knochenreste an die Abgesandten verschiedener Stämme verteilt, und diese errichteten dafür auf ihrem Gebiet insgesamt zehn "Schreine" (Stupa: Kuppelmal). Auch König Ajatasattu von Magadha errichtete ein solches Kuppelmal, und zwar auf der Felsenburg bei seiner Hauptstadt Rājagaham. Diesem Kuppelmal erwies er sieben Jahre, sieben Monate und sieben Tage Verehrung, d.h. solange er noch lebte. Er wurde, so wie er seinen Vater ermordet hatte, von seinem Sohn ermordet.

Die meisten seiner Untertanen eiferten ihm nach und erwiesen dem Kuppelmal des Buddha ebenfalls ihre Verehrung, doch gab es auch einige tausend Ungläubiger, die vom Buddha nichts wissen wollten und über den Reliquienkult lachten. Unter ihnen war auch ein steinreicher Hausvater in Rājagaham. Eines Tages sah er, wie seine Frau, seine Tochter und Schwiegertochter, die alle Anhänger des Buddha waren, gläubigen Herzens mit Blumen, Duftstoffen und anderen Gaben zum Schrein ziehen wollten. Er aber äußerte verächtlich: "Was soll's, diese Knochen zu verehren?", und er wollte sie davon abhalten. Sie aber ließen sich nicht hindern und gingen zum Kuppelmal, diesmal und weiterhin. Diese drei Frauen erkrankten bald und wurden dann in der Götterwelt wiedergeboren, der Hausvater aber später als ein höllennahes Gespenst. Eines Tages ließ der ehrwürdige Mahākassapo, der den Buddha überlebte, aus Mitleid dieses Gespenst bei dem Kuppelmal und die drei Göttinnen sichtbar werden und redete den Peta an:
 

(506)
Mahākassapo:
Ich seh im Luftraum stehen dich,
dein Atem übel riechend stinkt.
Aus deinem Munde, dem da fauler Duft entströmt,
da kriecht Gewürm. Was hast gewirkt du früher?
 
(507)
Warum erheben Schwerter sich
und sausen auf dich da herab?
Warum folgt ätzend Lauge nach
und träufelt auf dich stets herab?
 
(508)
Was hast du Böses denn getan
in Taten, Worten und im Geist,
daß du als Ernte für dies Werk
hast solches Leiden jetzt erlangt?
 
(509)
Peta:
Im schönen Rājagaham einst,
am Geierkulm, der lieblich ist,
da hatte großen Reichtum ich
und herrschte über Geld und Gut.
 
(510)
Mein Eheweib, die Tochter mein
und meine Schwiegertochter auch,
die nahmen Lotosblüten und
auch neues Öl sie packten ein.
So wollten sie zum Schreine gehn,
doch ich verbot es ihnen da.
Dies böse Werk hab ich gewirkt.
 
(511)
Gar viele Tausend sind wir hier,
und jeder leidet Wehgefühl.
Weil Schrein-Verehrung tadelt' ich,
werd in der Hölle ich gequält.
 
(512)
Wer, wenn von großen Heiligen
ein Schrein von ihnen wird verehrt,
abhalten jemand will davon,
der erntet dafür Elend nur.
 
(513)
Sieh aber diese Frauen da,
mit Blumen sind sie schön geschmückt,
sie ernten ihrer Blumen Frucht,
Erfüllung ernten sie und Ruhm.
 
(514)
Wer weise ist, der wird verehrn,
was da erstaunlich, wunderbar,
und was die Haare sträuben läßt,
und loben, großer Denker, dich.
 
(515)
Wenn diesen Zustand ich verlaß
und wieder geh in Menschenschoß,
dann werd verehren ich den Schrein,
gar unermüdlich, immerzu.

Bemerkungen:

Diese Erzählung wird auf Widerspruch stoßen. Hat nicht der Buddha immer wieder betont, daß Ritualismus nutzlos ist und daß es allein auf die innere Läuterung ankommt? Und ist nicht der Reliquienkult des Christentums ein abschreckendes Beispiel für primitiven Aberglauben und eine blühende Devotionalien-Industrie? Nägel vom Kreuz Christi gibt es tonnenweise, und die Stücke vom Kreuz Christi machen einen Wald aus. Daher ist das vorliegende Stück als spätere Zutat aus der Zeit des Verfallsbuddhismus zu werten, so wird mancher denken.
Darauf wäre zu erwidern: Es gibt eine Geisteshaltung, die den Ritualismus verachtet, aber selber noch unterhalb von dessen Niveau steht. Und es gibt eine Haltung zum Ritualismus, die ihn nur als Anlaß für innere Erhebung und Zuwendung zu Höherem benutzt.

Die Frauen, die hier die Reliquien des Buddha verehrten, taten es, wie es heißt, mit heiterem Herzen. Und der Buddha selber sagt von den Kuppelmalen: Wenn die Gläubigen dort Blumen niederlegen und das Herz heiter zuwenden, gelangen sie nach dem Tode in himmlische Welt (D 16 V).

Und genau das wird hier von den drei Frauen geschildert. Der Reiche aber stand noch unterhalb des Niveaus des ersten Grades religiöser Zuwendung, er war ein Vollblut-Materialist, der nur sein Geld und dieses eine Leben kannte. Aus dieser seichten und egoistischen Haltung, die alles Religiöse ablehnte, lebte und webte er. Der Versuch, die Frauen an dem Gang zum Kuppelmal zu hindern, war nur ein Ausfluß dieser Haltung. Und deswegen ging es ihm im Jenseits schlecht. Er wurde ein höllennahes Gespenst. "Hölle" steht im Text, das Wort Peta kommt gar nicht vor, aber in der Rahmenerzählung.

Im Buddhismus ist der uferlose Reliquienkult schon dadurch eingeschränkt, daß nur zehn Kuppelmale mit Resten des Körpers des Buddha errichtet wurden. Trotzdem hat es auch im Buddhismus eine Ausweitung gegeben, die zu oberflächlichem Ritualismus ohne tieferen Gehalt führte. Davor ist keine Religion geschützt.


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