PETA-VATTHU

Buch II

II,1: Selbsterlösung aus dem Samsāro

Im Reiche Magadha lebten in zwei Dörfern Menschen, die an die Selbsterlösung aus dem Samsāro glaubten, d.h. daß nach sehr langen Zeiten alle Wesen von selbst von der Wiedergeburt erlöst würden. In dem einen Dorf war vor 500 Jahren ein Mädchen geboren worden. Entsprechend der dort herrschenden Irrlehre, daß man keine Tugend zu üben brauche, weil alle von selbst erlöst würden, brachte sie viele Insekten und Grashüpfer um und fand nichts dabei. Infolgedessen wurde sie als Petī wiedergeboren und litt 500 Jahre Hunger und Durst. Zur Zeit des Buddha wurde sie wieder als Mensch inkarniert, und zwar im selben Dorf in einer Familie, wo immer noch die Irrlehre herrschte. Eines Tages spielte das siebenjährige Mädchen mit anderen Kindern auf der Straße. Da kam Sāriputto vorbei. Als die anderen Kinder den Mönch sahen, erwiesen sie ihm den ehrfurchtsvollen Handgruß und warfen sich vor ihm zu Boden, wie sie es bei ihren Eltern gesehen hatten. Das Mädchen aus der ungläubigen Familie blieb trotzig stehen, weil es von ihren Eltern keine Verehrung der Mönche kannte. Sāriputto richtete seinen Geist auf ihr Vorleben, und er sah, daß ihr als Folge ihrer einstigen Tierquälerei bald die Hölle bevorstünde, da sie keinerlei Verdienst aufzuweisen hatte. Er sah aber auch, daß sie, wenn sie ihn grüßen würde, noch einmal mit dem Peta-Dasein davon kommen und dann von ihm erhoben werden könnte. So sagte er zu den Kindern, von Mitleid bewogen: "Ihr grüßt die Mönche, aber dieses Mädchen bleibt ungezogen stehen. "Da faßten die anderen sie bei der Hand und veranlassten sie mit Gewalt, Sāriputto zu grüßen. Als die erwachsen war, wurde sie mit einem Jüngling im Nachbardorf verheiratet. Bald wurde sie schwanger und starb im Kindbett. Sie wurde als Petī wiedergeboren. Eines Nachts zeigt sie sich Sāriputto. Als er sie sah, redete er sie an:

(95)
Sāriputto:
Nackt bist du, unschön anzusehn,
bist abgezehrt, die Adern frei,
o du, von der man Rippen sieht,
du Magre, sag, wer bist du wohl?
 
(96)
Petā:
Bin eine Petī ja, o Herr,
ging abwärts, kam in Yamas Welt.
Nachdem ich böses Werk gewirkt,
gelangt ich in die Petawelt.
 
(97)
Sāriputto:
Was hast du Böses denn getan
in Taten, Worten und dem Geist,
daß du als Ernte für dies Werk
zur Petawelt hinab gelangt?
 
(98)
Petī:
Es nahm sich meiner keiner an, o Herr,
der Vater nicht, die Mutter nicht und kein Verwandter,
der mich zum Gabenspenden hätt veranlaßt,
mit heitrem Herzen, an Asketen und Brahmanen.
 
(99)
Seitdem ich wandere herum fünfhundert Jahre
in dieser Mißgestalt, in dieser Nacktheit,
verzehrt von Hunger und verzehrt von Dürsten.
Das ist die Frucht von meinem bösen Wirken.
 
(100)
Ich fleh: Nimm an dich meiner, o Verehrter,
o Kluger, heitren Herzens, du Vielmächt'ger.
Gib bitte etwas, das auf mich bezogen,
erlöse mich, o Herr, von schlechter Fährte.
 
(101)
Sprecher:
"Gut", sagte Sāriputto drauf
und nahm sich also ihrer an:
Er gab den Mönchen Bissen ab
und eine Handbreit Kleiderstoff
und einen Becher Wasser auch
und widmete dies alles ihr.
 
(102)
Sofort nach dieser Zuweisung,
da zeigte sich die Ernte schon
an Speise, Kleidung und an Trank.
Das war hier dieser Gabe Frucht.
 
(103)
Darauf in glänzend reinem Kleid
- Benares' Bestes trug sie wohl -,
geschmückt mit allerschönstem Stoff
kam sie zu Sāriputto gleich.
 
(104)
Sāriputto:
Gar überschön bist nunmehr du,
wie du dastehst, o Göttliche,
nach zehn der Seiten strahlend hin,
so wie der Morgenstern es tut.
 
(105)
Woher bist du geworden so,
weshalb hast dieses du erlangt
und fallen dir Genüsse zu,
die lieb dem Geiste immer sind?
 
(106)
Ich frage dich, o Göttin, du Vielmächt'ge,
du menschennaher Geist, durch welch Verdienst wohl
hast du bewirkt denn, daß du also leuchtest,
daß allerwärts dein Körper herrlich strahlet?
 
(107)
Petī:
Die Rippen sichtbar, mager sehr,
ganz nackt, die Haut verwelkt, zerfall'n,
sahst mich auf schlechter Fährte du,
du Seher voll Barmherzigkeit.
 
(108)
Den Mönchen gabst du Bissen ab
und eine Handbreit Kleiderstoff
und einen Becher Wasser auch,
und alles widmetest du mir.
 
(109)
Die Frucht des Bissens, sieh sie an:
zehntausend Jahre Nahrung ich
genieße, Wünsche sind erfüllt,
Gerichte vielerlei Geschmacks.
 
(110)
Die Handbreit Kleidung, sieh sie an,
die Reife, welche das gebracht:
Soviel Gewänder hab ich jetzt,
wie sie der König Nanda hat.
 
(111)
Noch viel mehr, als da diese zähl'n,
hab ich, o Herr, an Kleidern jetzt
aus Seidenstoff, aus Wolle auch,
aus Leinen und aus Baumwollstoff.
 
(112)
Gar viele sind es, kostbare,
sie hängen mir im Raume hier,
ich kleide immer mich mit dem,
was meinem Geist am liebsten ist.
 
(113)
Der Becher Wasser, sieh ihn an,
von welcher Art die Frucht da ist:
Hab Lotosteiche, die gar tief,
viereckig, ausgemessen schön.
 
(114)
Gewässer hell, zugänglich leicht,
kühl und von schönem Duft erfüllt,
an blauem, rotem Lotos reich,
von Wasserlilien übersät.
 
(115)
So bin ich froh, ergötze mich,
ich freue mich, bin frei von Furcht.
Zu dir, dem Seher mitleidsvoll,
o Herr, dich ehrend kam ich her.

 


Bemerkungen:

Verse 95 - 97 kommen noch öfter vor, so 463- 465 usw.

Verse 102 - 103 = 124 - 125

Verse 104 - 106 =Pv126 - 128 = 162 - 164 =Vv 9

Vers 110: Zu den Gewändern von König Nanda erzählt der Kommentar eine lange Geschichte (S. 78 - 80), wie dieser unzählige göttliche Kleider besaß und in seinem Reich niemand mehr zu spinnen brauchte.
Das Dogma von der automatischen Erlösung aus dem Wandelsein (samsāramocana; in D 2 samsāra-suddhi als Lehre Makkhali Gosalas) führt dazu, daß man sich alles erlauben kann und keinerlei Hemmungen der Triebe kennt. Egal, was man tut, man wird ja doch erlöst.

Daß die erzwungene Ehrerweisung und Verbeugung solche Wirkung haben soll, erscheint seltsam. Aber es war wohl so, daß das Mädchen noch einen Rest von Peta-Dasein statt Hölle erwirkt hatte und daß jene Tat den Weg dahin ebnete. Es war aber nur eine Verschiebung der Ernte um eine kleine Zeit. Ein paar Jahre später starb sie im Kindbett, eine Ernte ihres früheren Tötens. Kaum war sie als Petī erschienen, da verschaffte ihr Sāriputto ein göttliches Dasein. Sie hatte ja nun ihre Irrlehre aufgegeben und hatte das Saat-Ernte-Gesetz eingesehen.


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