„Da er die Brahmawelt verlassen“
§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf die Befleckung der Reinheit.
§D. Die Begebenheit ist schon oben erzählt [1].
Nachdem aber hier der Meister gesagt: „Ihr Mönche, dies Weib macht auch reine Wesen befleckt“, erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.
§B. Ehedem herrschte zu Benares — diese Begebenheit aus der Vergangenheit ist in derselben Art wie im Cula-Palobhana-Jātaka [1a] zu erzählen. — Damals aber nahm das große Wesen, nachdem es die Brahmawelt verlassen, als der Sohn des Königs von Kasi seine Wiedergeburt; es erhielt den Namen Prinz Anitthigandha [2]. In der Hand von Frauen blieb er nicht, sondern in Männerkleidung gaben sie ihm Milch zu trinken. In einem für die Meditation bestimmten Hause wohnte er; Weiber schaute er nicht an.
Um dies zu verkündigen, sprach der Meister folgende vier Strophen:
§1. Da er die Götterwelt verlassen,
der Göttersohn von großer Macht,
da wurde er der Sohn des Königs
mit der Erfüllung aller Wünsche.
§2. Doch Lüste oder Lustgedanken
gibt es nicht in der Brahmawelt;
und weil er dieses gar wohl wusste,
empfand er Ekel vor der Lust.
§3. Und in seinem Palaste war
ein Haus zum Nachdenken bereitet;
dort meditierte er allein,
in Einsamkeit zurückgezogen.
§4. Doch jener König jammerte
von Schmerz erfüllt um seinen Sohn:
den einen Sohn nur habe ich
und er genießt die Lüste nicht.
Die fünfte Strophe ist die Klage des Königs:
§5. „Was gibt es für ein Mittel nur
oder wer weiß irgend etwas,
wer kann mir meinen Sohn verführen,
dass er nach Lüsten nur verlange?“
Die nächsten anderthalb Strophen sprach der völlig Erleuchtete:
§6. Es lebt' ein junges Mädchen dort,
mit höchster Schönheit ausgestattet,
geschickt im Tanzen und im Singen,
wohl ausgebildet in Musik.
Dieses begab sich damals hin
zum König und sprach zu ihm also:
§7a. „Ich möchte jenen schon verführen,
wenn er dafür mein Gatte würde.“
Diese halbe Strophe sprach das junge Mädchen. Als aber das Mädchen so redete, sprach zu ihm der König:
§7b. „Verführe du nur diesen hier;
er wird dafür dein Gatte werden.“
Nach diesen Worten aber fügte der König hinzu: „Man soll dieser alle Gelegenheit gewähren“, und sandte sie fort, damit sie dem Prinzen diente. Zur Zeit der Morgendämmerung ging sie mit ihrer Laute fort, stellte sich außerhalb des Schlafgemaches des Prinzen in der Nähe auf und suchte ihn zu verlocken, indem sie mit den Spitzen der Nägel die Laute spielte und dazu mit süßer Stimme sang.
Um dies zu verkündigen, sprach der Meister folgende Strophen:
§8. Sie ging nach dem Palaste hin,
der viele Lüste in sich barg,
und sang dort die verschiednen Lieder
zu Herzen gehend, Lieb' erregend.
§9. Doch als jener die Stimme hörte
des jungen Weibes, das da sang,
entstand in ihm die Freud an Lüsten
und seine Leute fragte er:
§10. „Von wem kommt diese Stimme oder
wer singt da diese hohen Töne
zu Herzen gehend, Lieb' erregend,
die meinem Ohre wohl gefallen?“
§11. „Es ist ein Mädchen dies, o Fürst,
großes Vergnügen bringt es dir;
wenn du die Lüste kosten wolltest,
würd' es dir immer mehr gefallen.“
§12. „Wohlan, herein sie möge kommen [3],
in meiner Nähe soll sie singen;
ganz nahe der Einsiedelei
soll sie in meiner Nähe singen.“
§13. Da sie gesungen vor der Mauer,
ging sie in 's Haus des Nachdenkens [4]
und fesselte ihn dann allmählich
wie einen Elefant im Walde. —
§14. Doch da er Liebeslust gekostet,
entstand in ihm die Eifersucht:
„Ich will allein die Lust genießen,
kein andrer Mann soll leben bleiben.“
§15. Drauf packte er ein Schwert und fing
die andern Männer an zu töten;
„ich nur allein will sie genießen,
kein andrer Mann soll leben bleiben.“
§16. Die Leute alle von dem Lande
kamen zusammen und sie klagten:
„Dieser dein Sohn, du großer König,
verletzt das Volk, das ihm nichts tut.“
§17. Und ihn vertrieb darauf der König
aus seinem Reich, der edle Krieger:
„Wie weit auch sich mein Reich erstreckt,
ist dir verboten, drin zu weilen.“
§18. Drauf nahm er seine Gattin mit
und wanderte ans Meer hinaus;
eine Laubhütte er erbaute
und ging zum Sammeln in den Wald.
§19. Doch da kam ein Asket gegangen,
er war weit übers Meer geflogen;
und der betrat des Prinzen Haus,
als grad die Essenszeit gekommen.
§20. Diesen verführt' des Prinzen Gattin, —
ach sieh, wie schrecklich war die Tat! —
er gab den heil'gen Wandel auf
und ward der Wunderkraft beraubt.
§21. Der Königssohn jedoch inzwischen
mit Wurzeln viel und Waldesfrüchten,
die er auf der Tragstange trug,
kam in die Einsiedlei zurück.
§22. Als der Asket den Edlen sah,
da eilt' er nach dem Meere hin;
fortfliegen wollt' er durch die Luft,
doch fiel er in das tiefe Meer.
§23. Als nun der Prinz sah den Asketen,
wie er im tiefen Meere lag,
mit Mitleid ward er da erfüllt
und sagte zu ihm diese Strophen:
§24. „Ohne das Wasser zu berühren,
kamst du durch eigne Wunderkraft;
doch da du mit dem Weib verkehrtest,
sinkst unter du im großen Meere [5].
§25. Sie drehen sich, sind voll von Lüsten,
den heil'gen Wandel sie zerstören,
so sinken sie; und wer sie kennt,
der sucht, sie von sich fern zu halten.
§26. Nicht zu befried'gen, Sanftes redend,
den Flüssen gleich schwer auszufüllen
versinken sie, und wer sie kennt,
der sucht, sie von sich fern zu halten.
§27. Doch wenn sie einem sich ergeben
um Lust oder um Geldes willen,
so zehren sie geschwind ihn auf
so wie den Brennstoff frisst das Feuer [6].“
§28. Als dieses Wort des Fürsten hörte
der Weise, da erlosch die Lust;
die alte Fähigkeit erhielt er
und durch die Luft flog er dahin.
§29. Als den Asketen sah der Edle,
wie er dahinflog durch die Luft,
da ward mit Reu' erfüllt der Edle
und zur Weltflucht entschloss er sich.
§30. Nachdem er dann die Welt verlassen,
die Gier nach Lüsten gab er auf,
und da die Lustgier er verloren,
gelangt' er in die Brahmawelt.
§C. Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen, fügte er hinzu: „So, ihr Mönche, werden durch das Weib auch die reinen Wesen befleckt“, und verband hierauf das Jātaka mit folgenden Worten: „Damals war ich der Prinz Anitthigandhaka.“
Ende der großen Erzählung von der Verlockung
[1] Nämlich im Cula-Palobhana-Jātaka (der kleinen Erzählung von der Befleckung), Jātaka 263.
[1a] Das Culla-Palobhana-Jātaka Nr. 263 wird hier Cula-Palobhana-Jātaka genannt.
[2] Auf Deutsch: „der nicht an Frauen sein Wohlgefallen hat“.
[3] Es ist mit Fausböll zu lesen „agacchaf orena“.
[4] Gemeint ist das Haus, das er sich zur Meditation erbaut hatte.
[5] Diese Strophe steht auch im Jātaka 263 Strophe 1.
[6] Diese Strophen stehen auch im Jātaka 262 Strophen 2-3.