Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

340. Die Erzählung von Visayha (Visayha-Jātaka)

„Du gabst Almosen“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf Anāthapindika.

§D. Die Begebenheit ist schon oben im Khadirangara-Jātaka [Jātaka 40] erzählt.

Damals aber sprach der Meister zu Anāthapindika: „O Hausvater, obwohl die Weisen der Vorzeit von dem in der Luft stehenden Götterkönig Sakka zurückgehalten wurden, sie sollten keine Almosen mehr geben, wiesen sie diesen zurück und spendeten ihre Gaben weiter.“ Nach diesen Worten erzählte er auf seine Bitte folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, war der Bodhisattva ein Großkaufmann namens Visayha, der achthundert Millionen Vermögen besaß. Er war ausgerüstet mit den fünf Tugenden und hatte seine Lust und Freude am Spenden von Almosen. An den vier Stadttoren, in der Mitte der Stadt und an der Türe seines Hauses, an diesen sechs Orten ließ er Almosenhallen errichten und teilte dort Gaben aus. Tag für Tag wurden sechshunderttausend Geldstücke dafür ausgegeben; auch erhielten die Bittenden dieselbe Speise wie der Bodhisattva selbst.

Während er so durch seine Spenden den ganzen Jambu-Erdteil ertönen ließ, erzitterte durch die übernatürliche Kraft seiner Freigebigkeit der Palast des Sakka und der mit gelben Tüchern belegte Steinsitz des Götterkönigs wurde heiß. Als Sakka überlegte, wer ihn wohl von seinem Platze verdrängen wollte [2], bemerkte er den Großkaufmann. Da dachte er: „Dieser Visayha gibt Almosen, indem er allzu viel wegwirft und den ganzen Jambu-Erdteil dadurch ertönen lässt. Er wird durch diese Spenden mich verdrängen und selbst der Gott Sakka werden, meine ich. Ich werde sein Vermögen verschwinden lassen, ihn arm machen und dadurch bewirken, dass er keine Almosen mehr gibt.“ Und er ließ alles Geld, alles Getreide, Öl, Honig, Butter u. dgl., ja sogar alle Sklaven und Knechte verschwinden.

Da kamen die ihrer Spende Beraubten und sagten: „Herr, die Almosenhalle ist verschwunden; da wo sie stand, sehen wir nichts mehr.“ „Bringt also das Auszuteilende hierher; lasst die Gaben nicht aufhören“, versetzte Visayha. Er ließ seine Gattin rufen und sagte zu ihr: „Liebe, lass die Gaben austeilen.“ Nachdem sie das ganze Haus durchsucht und nicht einmal ein halbes Masaka [3] gefunden hatte, meldete sie: „Edler, außer dem Gewande, das wir tragen, finde ich sonst nichts; das ganze Haus ist leer.“ Man öffnete die Türen der Schatzhäuser, die mit den sieben Arten der Kleinodien angefüllt waren, und fand nichts; außer dem Großkaufmann und seiner Gattin sah man auch keine Sklaven und Diener. Wiederum sprach das große Wesen zu seiner Gattin: „Liebe, man darf mit den Spenden nicht aufhören; durchsuche das ganze Haus und hole irgendetwas herbei!“

In diesem Augenblicke warf ein Grasholer seine Sichel, seinen Tragbalken und seinen Strick zum Zusammenbinden des Grases in die Tür hinein und lief davon. Als die Gattin des Großkaufmanns dies sah, sagte sie: „Herr, außer diesem finde ich nichts“; und sie brachte es herbei und gab es ihrem Manne. Das große Wesen erwiderte: „Liebe, ich habe die ganze Zeit bisher kein Gras geschnitten. Heute werde ich aber Gras schneiden, herbeibringen, es verkaufen und dementsprechende Almosen geben.“ Aus Furcht, die Almosenspendung könnte unterbleiben, nahm er die Sichel, die Tragstange und den Strick, ging zur Stadt hinaus, begab sich zu dem Grasplatz hin und mähte Gras ab. Indem er dachte: „Ein Büschel wird für uns sein, das andere werde ich als Almosen geben“, band er zwei Grasbüschel zusammen, hing sie an die Tragstange und ging damit fort. Am Stadttore verkaufte er sie und bekam ein Masaka dafür. Den einen Teil gab er den Bettlern.

Es waren aber viele Bettler da. Als sie immer schrieen: „Gib auch mir, gib auch mir“, gab er ihnen auch den anderen Teil und verbrachte diesen Tag mit seiner Gattin, ohne Nahrung zu erhalten. Auf diese Weise vergingen sechs Tage. Als er am siebenten Tage Gras holte, verdrehte er, da er sieben Tage lang ohne Nahrung geblieben und von Natur zart war, als die Sonnenhitze seine Stirn traf, die Augen; er konnte nicht das Bewusstsein behalten und fiel zu Boden, indem er das Gras verstreute.

Der Gott aber beobachtete beständig, was Visayha tat. In diesem Augenblick kam er herbei und sprach, in der Luft stehend, folgende erste Strophe:

§1. „Du gabst Almosen ehemals, Visayha,
und da du gabst, ist dir dein Gut verschwunden.
Wenn du von jetzt an kein Geschenk mehr gibst,
wenn du zurückhältst dich, bleibt dir dein Gut erhalten.“

Als das große Wesen dessen Stimme vernahm, sprach es: „Wer bist du?“ „Ich bin Sakka“, war die Antwort. Darauf sagte der Bodhisattva: „Sakka ist doch nur, weil er selbst Almosen gab, die Gebote hielt, die Uposatha-Bestimmungen beobachtete und die sieben Verpflichtungen erfüllte, zur Sakka-Würde gelangt. Du aber willst das Almosen Geben hindern, das dir doch selbst zu deiner Herrschaft verhelfen hat. Unedles fürwahr tust du!“ Und er sprach folgende drei Strophen:

§2. „Unedles darf der Edle, Tausendäugiger [4],
auch wenn er ist im Unglück, niemals tun.
Nicht wollen wir das Geld besitzen, Völkerfürst,
um dessentwillen wir die Tugend opfern.
 
§3. Da wo einmal ein Wagen geht,
da geht ein zweiter Wagen auch.
Was früher ich verdient, wuchs an;
auch jetzt wird 's wieder wachsen, Sakka [5].
 
§4. Wenn wir es haben, schenken wir;
wo nichts ist, was kann ich da geben?
Auch noch in dieser Lage schenk ich;
nicht mög' aufhören meine Gabe.“ —

Als Sakka ihn nicht zurückhalten konnte, fragte er: „Zu welchem Zwecke spendest du Almosen?“ Der Bodhisattva antwortete: „Nicht weil ich nach der Sakka-Würde oder der Brahma-Würde strebe, bin ich wohltätig, sondern weil ich die Allwissenheit erlangen möchte.“ Da Sakka diese Worte hörte, war er befriedigt und rieb den Rücken des Bodhisattva mit seiner Hand. In diesem Augenblicke wurde der ganze Körper angefüllt, als wenn er vollständig gespeist hätte.

Durch die übernatürliche Macht Sakkas aber wurde dessen ganzes Vermögen in allen seinen Teilen wieder wie vorher. Dann sprach Sakka: „O Großkaufmann, spende von heute an Almosen, indem du Tag für Tag zwölfhunderttausend dafür ausgibst.“ Er füllte sein Haus mit unermesslichen Schätzen und entließ ihn; er selbst aber kehrte an seinen Wohnort zurück.

 

§C. Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen hatte, verband er das Jātaka mit folgenden Worten: „Damals war die Gattin des Großkaufmanns die Mutter Rāhulas, Visayha aber war ich.“

Ende der Erzählung von Visayha


[2] Gewöhnlich ist das Heißwerden des Sitzes Sakkas das Zeichen, dass ein Edler sich in Not befindet.

[3] Eine ganz kleine Münze.

[4] Ein Beiname des Sakka (Indra).

[5] Im Texte steht Vasava, ein oft gebrauchter Name für Sakka.


  Oben zeilen.gif (1054 bytes)