Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

313. Die Erzählung von dem die Geduld Predigenden (Khantivadi-Jātaka) [1] [1a]

„Der dir die Hände und die Füße“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf einen Zornigen.

§D. Die Begebenheit ist schon oben erzählt [vermutlich Jātaka 252]. —

Der Meister aber sprach zu dem Mönch: „Warum bist du zornig, du, der du in dem Orden des vom Zorn freien Buddha Mönch geworden bist? Die Weisen der Vorzeit empfanden, obwohl auf ihren Körper tausend Schläge fielen, obwohl ihnen Hände und Füße, Ohren und Nase abgeschnitten wurden, doch gegen den andern keinen Zorn.“ Nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Ehedem herrschte zu Benares ein König namens Kalābu über das Land Kasi. Damals hatte der Bodhisattva in einer Brahmanenfamilie, die ein Vermögen von achthundert Millionen besaß, seine Wiedergeburt genommen und war ein junger Brahmane geworden mit Namen „Prinz Kundaka“ [Kundakakumara]. Nachdem er herangewachsen war und zu Takkasilā alle Künste erlernt hatte, lebte er in seiner Familie. Nach dem Tode seiner Eltern aber betrachtete er den Haufen seines Geldes und dachte: „Meine Verwandten, die dieses Geld zusammengebracht haben, sind weggegangen, ohne es mitzunehmen; soll es da mir zukommen, wegzugehen und das Geld mitzunehmen?“ Er gab sein ganzes Vermögen denen, die sich durch Almosen Geben derartiges verdient hatten, nachdem er sie geprüft; er selbst ging in den Himalaya und wurde Asket, indem er sich von den Früchten des Waldes ernährte.

Nachdem er lange dort geweilt, begab er sich einmal, um sich mit Salz und Saurem zu versehen, in das Bereich der Menschen und gelangte allmählich nach Benares. Er verbrachte die Nacht im königlichen Parke und ging am nächsten Tage in die Stadt hinein, um Almosen zu sammeln. Dabei kam er an die Haustüre des Heerführers. Über seinen würdigen Wandel befriedigt ließ ihn der Heerführer in sein Haus eintreten und ließ ihn das für ihn selbst zubereitete Mahl verzehren. Nachdem er dann seine Zustimmung erhalten, ließ er ihn dortselbst im königlichen Parke Wohnung nehmen.

Eines Tages nun begab sich der König Kalābu, von Branntwein berauscht, umgeben von Tänzern mit großem Gefolge in den Park. Auf der königlichen Steinplatte ließ er sein Ruhelager aufschlagen und legte sein Haupt in den Schoß einer Frau, die ihm lieb und hold war. Tänzerinnen, die des Gesanges, der Musik und des Tanzes kundig waren, ließen ihre Lieder ertönen u. dgl. Es war ein Fest wie beim Götterkönig Sakka.

Darauf schlief der König ein. Da dachten die Frauen: „Derjenige, für den wir unsere Lieder u. dgl. aufführten, ist in Schlaf gesunken; was sollen uns die Lieder und Tänze?“ Und sie warfen ihre Lauten und die anderen Instrumente hier- und dorthin und gingen im Parke umher. Durch die Blumen, Früchte und Sträucher verlockt ergötzten sie sich im Parke. —

Damals hatte sich der Bodhisattva am Fuße eines ganz mit Blüten bedeckten Sala-Baumes [Shorea robusta] niedergesetzt, über das Glück der Weltentsagung nachdenkend, einem brünstigen Elefanten gleichend. Als ihn die Frauen bei ihrem Umherwandeln bemerkten, riefen sie: „Kommt, ihr Edlen! Bei dem Mönche, der am Fuße dieses Baumes sitzt, wollen wir, bis der König erwacht, etwas hören und uns zu ihm setzen!“ Sie kamen herbei, begrüßten ihn ehrfurchtsvoll, setzten sich um ihn herum und sagten: „Erzählt uns etwas, was für uns passt.“ Darauf erklärte ihnen der Bodhisattva die Lehre.

Jene Frau aber bewegte ihre Seite und weckte dadurch den König auf. Als der König erwacht war und die andern nicht sah, fragte er: „Wohin sind die gemeinen Weiber gegangen?“ Er erhielt zur Antwort: „O Großkönig, sie sind fortgegangen und haben sich um einen Asketen herumgesetzt.“ Voll Zorn nahm der König sein Schwert, und indem er rief: „Ich will diesen falschen Asketen lehren“, ging er rasch dorthin. Als aber die Frauen den König im Zorn daherkommen sahen, gingen diejenigen von ihnen, die er mehr begünstigte, auf ihn zu, nahmen dem König das Schwert aus der Hand und beruhigten ihn.

Der König kam jetzt herbei und fragte, nahe zum Bodhisattva hintretend: „Was predigst du, Asket?“ Dieser antwortete: „Ich predige die Geduld [khantivadi], o Großkönig.“ „Was ist das für eine Geduld?“ „Nicht zornig zu werden, wenn man zankt, schlägt oder tadelt.“ Darauf sagte der König: „Jetzt will ich sehen, ob du wirkliche Geduld besitzest“, und er ließ den Henker [wörtlich: Diebe-Töter] zu sich rufen. Dieser, der nach seiner Gewohnheit sein Beil und eine mit Dornen besetzte Geißel bei sich hatte, kam herbei, in ein gelbes Gewand gekleidet und einen roten Kranz tragend, begrüßte den König ehrfurchtsvoll und fragte: „Was soll ich tun?“ Der König antwortete: „Nimm diesen diebischen Spitzbuben-Asketen, schleife ihn fort, wirf ihn auf den Boden, nimm deine Dornengeißel und gib ihm vorn, hinten und auf beide Seiten, also auf alle vier Seiten zweitausend Schläge.“ Jener tat also. Da wurde dem Bodhisattva der obere Teil der Haut zerfleischt, der untere Teil der Haut wurde zerfleischt, sein Fleisch wurde zerrissen und das Blut strömte heraus.

Wiederum fragte der König: „Was predigst du, Mönch?“ Der Bodhisattva antwortete: „Ich predige die Geduld, großer König. Du meinst aber, in meiner Haut stecke die Geduld. Nicht in meiner Haut steckt meine Geduld, sondern meine Geduld ist im Innern meines Herzens, das du nicht sehen kannst, o Großkönig.“ — Der Henker fragte wieder: „Was soll ich tun?“ „Haue diesem falschen Asketen die beiden Hände ab!“ Jener nahm sein Beil, legte ihn auf den Stamm des Baumes [4] und hieb ihm die Hände ab. Darauf sprach der König: „Haue ihm die Füße ab!“ Der Henker hieb ihm die Füße ab. Aus den Spitzen der Hände und Füße schoss das Blut hervor wie flüssiger Lack aus den Löchern in einem Kruge.

Abermals fragte der König: „Was predigst du?“ Der Bodhisattva antwortete: „Ich predige die Geduld, o Großkönig; du glaubst aber, die Geduld sitze mir in den Enden der Hände und Füße. Sie ist nicht dort, sondern meine Geduld sitzt an einer tieferen Stelle.“ Darauf rief der König: „Schneide ihm Ohren und Nase ab.“ Der andere schnitt ihm Ohren und Nase ab. Der ganze Körper war voll Blut.

Wiederum fragte ihn der König: „Was predigst du?“ Der Bodhisattva erwiderte: „O Großkönig, ich predige die Geduld. Glaube aber nicht, dass meine Geduld in den Spitzen der Ohren und der Nase sitzt; meine Geduld wohnt tief im Innern meines Herzens.“ Darauf versetzte der König: „Du falscher Asket, hebe dir nur deine Geduld auf und bleibe sitzen.“ Er stieß dem Bodhisattva mit dem Fuße auf die Brust und entfernte sich.

Als er gegangen war, wusch der Heerführer vom Körper des Bodhisattva das Blut ab und umhüllte seine Hände, Füße und die Enden seiner Nase und Ohren mit Tuchstückchen. Hierauf setzte er den Bodhisattva langsam nieder, bezeigte ihm seine Verehrung, setzte sich ihm zur Seite und sagte: „Herr, wenn Ihr zornig sein wollt wegen des an Euch begangenen Frevels, so zürnt nur dem Könige, nicht den anderen.“ Und indem er ihn so bat, sprach er folgende erste Strophe:

§1. „Der dir die Hände und die Füße
und Nas' und Ohr hat abgeschnitten,
dem zürne nur allein, du Held;
vernichte nicht dies ganze Reich!“

Als dies der Bodhisattva hörte, sprach er folgende zweite Strophe:

§2. „Der mir die Hände und die Füße
und Nas' und Ohr hat abgeschnitten,
lang leben möge dieser König;
nicht können zürnen, die mir gleichen.“ —

Als aber der König den Park verlassen hatte und aus der Sehweite des Bodhisattva gekommen war, zerbarst die hundertvierzigtausend Yojanas dicke Erde gleich einem festen, harten Tuche; aus der Hölle kam eine Flamme hervor und erfasste den König, indem sie ihn wie ein seiner Familie gehöriges rotes Gewand umhüllte. So fuhr er am Tore des Parkes in die Erde und gelangte in die große Avici-Hölle.

Der Bodhisattva aber starb noch an demselben Tage. Die Leute des Königs und die Stadtbewohner kamen mit wohlriechenden Substanzen, Kränzen und Weihrauch in den Händen und erwiesen dem Leichnam des Bodhisattva die letzte Ehrung. —

§E. Einige aber sagten, der Bodhisattva sei in den Himalaya zurückgekehrt; dies ist aber unmöglich.

§3. Es lebt' in längst vergangner Zeit
ein Weiser, der Geduld gepredigt.
Ihn, der sich der Geduld erfreute,
bracht' um der König von Benares [5].
 
§4. Doch für die grause Tat, die er
verübt, war schrecklich die Vergeltung,
die er empfing, der Kasi-König,
da in der Hölle Schoß er kam.

Diese beiden Strophen sprach der völlig Erleuchtete.

 

§C. Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen und die Wahrheiten verkündet hatte, verband er das Jātaka mit folgenden Worten (am Ende der Verkündigung der Wahrheiten aber gelangte jener zornige Mönch zur Frucht der Nichtrückkehr und viele gelangten zur Frucht der Bekehrung usw.): „Damals war Kalābu, der König von Benares, Devadatta, der Heerführer war Sāriputta, der die Geduld predigende Asket aber war ich.“

Ende der Erzählung von dem die Geduld Predigenden [1a]


[1] Diesen Beinamen legt sich der Bodhisattva in dem Jātaka bei. Das Wort [„Khantivadin“] bedeutet „der die Geduld Predigende“.

[1a] Bei Dutoit heißt das Jātaka „Die Erzählung von Khantivadin“. Auch wenn das Wort „Khantivadi“ an mehreren Stellen am Satzanfang groß geschrieben wird, handelt es sich offenbar nicht um einen Eigennamen, sondern schlicht um den Satz: „Ich predige die Geduld.“ Auch in der Verbindungsformel am Schluss wird „khantivadatapaso“ klein geschrieben und von Dutoit dementsprechend übersetzt. Ich ziehe es daher vor, das Wort im Titel wie von Dutoit in der Anm. 1 übersetzt zu verwenden.

[4] Francis übersetzt: „placing the victim within the fatal circle“. Ich leite das Pali-Wort „gandiya“ ab von skrt. „gandi“, das den Stamm eines Baumes bedeutet.

[5] Der Kommentar fügt hinzu: „Einige Theras aber sagen, dem Bodhisattva seien die Hände und Füße wieder gewachsen; aber auch dies ist falsch.“


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