Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

269. Die Erzählung von Sujātā (Sujātā-Jātaka)

„Nicht sind ja, die in Schönheit prangen“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf Sujātā, die Schwiegertochter des Anāthapindika, die Tochter des Großkaufmanns Dhanañjaya, die jüngste Schwester der Visākhā. — Sie ging nämlich in das Haus des Anāthapindika ein, es mit großer Pracht erfüllend. Sie war aber aufgebläht von Stolz, dass sie eine Tochter von so großer Familie sei, und war darum zornig, barsch und grausam. Ihre Verpflichtungen gegen ihre Schwiegermutter, ihren Schwiegervater und ihren Gatten erfüllte sie nicht; beständig versetzte sie die Bewohner des Hauses in Furcht und schlug sie.

Eines Tages nun kam der Meister, umgeben von fünfhundert Mönchen, in das Haus des Anāthapindika und setzte sich nieder. Der Großkaufmann setzte sich zu dem Erhabenen und hörte von ihm die Lehre. In diesem Augenblicke machte Sujātā mit den Sklaven und Dienern ein Geschrei. Der Meister unterbrach seine Predigt und sprach: „Was ist das für ein Lärm?“ Anāthapindika antwortete: „Diese meine Schwiegertochter aus guter Familie, Herr, ist ohne Ehrfurcht, sie kennt nicht ihre Pflichten gegen ihre Schwiegermutter, ihren Schwiegervater und ihren Gatten; sie gibt keine Almosen, sie hat keine Tugenden. Ungläubig und unbekehrt hat sie Tag und Nacht beständig Streit.“ Der Meister erwiderte: „Rufe sie also her!“

Als sie herbeikam, begrüßte sie den Meister und stellte sich ihm zur Seite. Der Meister fragte sie: „Sieben Gattinnen gibt es für einen Mann, Sujātā; welche von ihnen willst du sein?“ Sie erwiderte: „Herr, ich verstehe dies nicht, wenn es so kurz zusammengefasst wird; erzählt es ausführlich.“ Darauf sagte der Meister: „Spitze also die Ohren und höre zu.“ Und er sprach folgende Strophen:

§0.1. „Falsch ist ihr Herz; des Guten nicht erbarmt sie sich,
die andern liebt sie, ihren Gatten haut sie,
bestrebt ist sie, den Wohlstand zu vernichten.
Wenn so die Gattin eines Mannes ist,
so wird sie die Zerstörerin genannt.
 
§0.2. Wenn für die Frau der Gatte Geld erwirbt
durch eine Kunst, durch Handel, Ackerbau,
und sie ein bisschen nur sich davon nimmt:
wenn so die Gattin eines Mannes ist,
so nennt man sie darum ein diebisch Weib.
 
§0.3. Wer ohne Lust zur Arbeit, faul, gefräßig,
grausam und roh, nur böse Worte redend,
mit seinen Untergebenen verkehrt:
wenn so die Gattin eines Mannes ist,
so nennt man sie die Majestätische.
 
§0.4. Wer immerdar des Guten sich erbarmt,
den Gatten pflegt wie einen Sohn die Mutter,
das Geld, das er verdient hat, treu bewahrt:
wenn so die Gattin eines Mannes ist,
so nennt man sie ein mütterliches Weib.
 
§0.5. Wer wie die jüngste Schwester zu der ältsten
voll Ehrfurcht ist zu ihrem eignen Gatten,
bescheiden, ihres Gatten Wunsch erfüllend:
wenn so die Gattin eines Mannes ist,
so nennt man sie ein schwesterliches Weib.
 
§0.6. Wer stets sich freut, wenn sie den Gatten sieht,
der Freundin gleich, der lange fern der Freund,
ein edles Weib, stets tugendreich, ergeben:
wenn so die Gattin eines Mannes ist,
so gibt man ihr den Namen einer Freundin.
 
§0.7. Wer auch beim Tadel still und abhold jedem Streit,
im Herzen treu, Geduld hat mit dem Gatten,
von Jähzorn frei, des Mannes Wunsch erfüllend:
wenn so die Gattin eines Mannes ist,
sagt man: wie eine Sklavin ist die Frau.

Dies, Sujātā, sind die sieben Arten der Gattinnen eines Mannes. Von diesen kommen die einer Zerstörerin Gleichende, die einer Diebin Gleichende und die Majestätische, diese drei in die Hölle, die andern vier aber in die Nimmanarati-Götterwelt[1].

§0.8. Die Gattin, die man hier Zerstörerin benennt,
dazu die Diebin und die Majestätische,
die sind der Laster voll, sind unhold, frech,
und nach dem Tod gelangen sie zur Hölle.
 
§0.9. Die Gattin aber, die man hier die Mütterliche,
die Schwester, Freundin und die Sklavin nennt,
die kommt ob ihrer Tugend, weil sie lange
die Lust beherrscht, nach ihrem Tod zum Himmel.“

Während so der Meister diese sieben Arten der Gattinnen auseinandersetzte, gelangte Sujātā zur Frucht der Bekehrung. Als er daher fragte: „Zu welcher dieser sieben Arten der Gattinnen willst du gehören?“, antwortete sie: „Ich will einer Sklavin gleichen, Herr.“ Und sie bezeigte dem Vollendeten ihre Verehrung und bat ihn um Verzeihung. Nachdem so der Meister Sujātā, die Schwiegertochter des Hauses, mit einer einzigen Ermahnung bekehrt hatte, kehrte er nach Beendigung des Mahles nach dem Jetavana zurück, wo er der Mönchsgemeinde ihre Pflichten auseinandersetzte. Dann begab er sich in sein duftendes Gemach.

In der Lehrhalle aber begannen die Mönche folgendes Gespräch über den Vorzug des Meisters: „Freund, durch eine einzige Ermahnung hat der Meister die Hausschwiegertochter gebändigt und zur Frucht der Bekehrung gelangen lassen.“ Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Unterhaltung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Als sie antworteten: „Zu der und der“, sprach er: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, sondern auch früher schon wurde Sujātā durch eine einzige Ermahnung von mir gebändigt.“ Und nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva im Schoße von dessen erster Gemahlin seine Wiedergeburt. Nachdem er herangewachsen war und zu Takkasilā die Künste erlernt hatte, bestieg er nach dem Tode seines Vaters den Thron und führte in Gerechtigkeit die Regierung. Seine Mutter aber war jähzornig, hart, grausam, schmähsüchtig und tadelsüchtig. — Der Bodhisattva wollte seiner Mutter eine Ermahnung geben; da er aber dachte: „Es ist unpassend, dies ihr ohne äußere Veranlassung zu sagen“, besann er sich beständig nach einem Gleichnis, um sie zu belehren.

Eines Tages ging er in den Park und seine Mutter ging mit ihrem Sohne. Unterwegs schrie ein Vogel: „Kiki“. Als die Begleiter des Bodhisattva diesen Laut hörten, hielten sie sich die Ohren zu und riefen: „Holla, du mit deiner rauen Stimme, mit deiner garstigen Stimme, höre auf zu schreien!“

Als nun der Bodhisattva, von Tänzern umgeben, mit seiner Mutter im Parke lustwandelte, fing ein auf einem schön blühenden Sala-Baum sitzender Kuckuck [2] an, mit süßer Stimme zu singen. Die vielen Menschen wurden bei diesen Tönen ganz verzückt; sie falteten die Hände und riefen: „O du mit deiner sanften, holden, süßen Stimme, singe, singe!“ Sie reckten die Hälse und blieben stehen, die Ohren spitzend und hinschauend.

Da der Bodhisattva diese beiden Begebenheiten bemerkte, dachte er: „Jetzt werde ich im Stande sein, meine Mutter zu belehren“, und er sagte: „Mutter, als die vielen Leute unterwegs den Laut: ‘kiki’, hörten, riefen sie: ‘Schreie nicht, schreie nicht’, und hielten sich die Ohren zu. Eine garstige Stimme nämlich ist niemand angenehm.“ Und er sprach folgende Strophen:

§1. „Nicht sind ja, die in Schönheit prangen,
die reizend sind und hold zu schauen,
uns lieb, wenn garstig ihre Stimme,
auf dieser Welt noch anderswo.
 
§2. Siehst du nicht, wie der schwarze Vogel,
unschön von Farbe, voll von Flecken,
der Kuckuck durch die holde Stimme
so vielen Menschen lieb geworden?
 
§3. Darum sei freundlich stets die Rede,
verständig und nicht aufgeregt;
das Weltliche und Geistliche
wird klar uns durch ein sanftes Wort [3].“

Indem so der Bodhisattva mit diesen drei Strophen seiner Mutter die Wahrheit verkündete, bekehrte er seine Mutter. Von da an führte sie einen tugendhaften Wandel. Nachdem aber der Bodhisattva seine Mutter durch diese eine Ermahnung zur Selbstbezähmung gebracht hatte, gelangte er an den Ort seiner Verdienste.

 

§C. Nachdem der Meister diese Lehrunterweisung beschlossen, verband er das Jātaka mit folgenden Worten: „Damals war die Mutter des Königs von Benares Sujātā, der König aber war ich.“

Ende der Erzählung von Sujātā


[1] Dies ist dem Range nach die fünfte der Götterwelten, nur noch durch eine von der höchsten, der Brahma-Götterwelt, geschieden.

[2] Der Kokila, der indische Kuckuck, vertritt in Indien die Stelle der Nachtigall.

[3] Diese letzte Strophe entspricht mit Ausnahme der ersten Zeile der Strophe 363 des Dhammapadam.


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