„Mich, die ich eine Schlange bin“
§A. Dies erzählte der Meister, da er im Veluvana verweilte, mit Beziehung auf Ajātasattu. — Der Vater des Königs von Kosala nämlich, Mahakosala mit Namen, hatte dem König Bimbisara seine Tochter zur Frau gegeben und ihr dabei als Badegeld ein Dorf in Kasi geschenkt. Als nun Ajātasattu die Ermordung seines Vaters vollführt hatte [2], starb jene nicht lange danach aus Liebe zum Könige. Da aber Ajātasattus Mutter gestorben war, nahm der König von Kosala jenes Dorf wieder in Besitz und kämpfte mit Ajātasattu, da er dachte: „Jenem Räuber, der seinen Vater getötet, werde ich das meiner Familie gehörige Dorf nicht geben.“
Manchmal nun gehörte dem Oheim der Sieg, manchmal dem Neffen. Wenn aber Ajātasattu gesiegt hatte, ließ er auf seinem Wagen eine Fahne ausstecken und zog mit großem Gefolge in die Stadt; wenn er jedoch besiegt war, so kehrte er voll Missmut zurück, ohne jemanden etwas davon wissen zu lassen. —
Eines Tages begannen die Mönche in der Lehrhalle folgendes Gespräch: „Freund, wenn Ajātasattu seinen Oheim besiegt hat, so freut er sich; wenn er aber eine Niederlage erlitten, so ist er voll Missmut.“ Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Unterhaltung , ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Als sie antworteten: „Zu der und der“, sprach er: „Nicht nur jetzt, sondern auch früher schon freute sich dieser, wenn er gesiegt hatte; wenn er aber besiegt wurde, ward er mit Missmut erfüllt.“ Und nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.
§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva seine Wiedergeburt als ein dunkelgrüner Frosch. — Damals stellten die Menschen in den Höhlen des Flusses und ähnlichen Orten allenthalben trichterförmige Körbe auf, um damit Fische zu fangen. In einen solchen trichterförmigen Korb kamen viele Fische hinein. Eine Wasserschlange aber, die Fische verzehrte, gelangte auch in diesen Korb. Da taten sich viele Fische zusammen und bissen sie, dass sie ganz voll Blut wurde. Als sie keinen Ort gewahrte, der ihr Zuflucht bieten konnte, schlüpfte sie, von Todesfurcht erfasst, oben an dem Trichterkorbe heraus und sank, von Schmerz gepeinigt, am Rande des Wassers nieder. In diesem Augenblick sprang jener grüne Frosch auf und legte sich oben an die Öffnung des Trichterkorbes. Da die Schlange keine Gerichtsstätte fand und den Frosch dort liegen sah, fragte sie ihn: „Lieber grüner Frosch, gefällt dir die Handlungsweise dieser Fische?“ Und sie sprach folgende erste Strophe:
Aber der grüne Frosch entgegnete ihr: „Ja, dies gefällt mir. Wenn du die Fische beißt, die in deinen Bereich kommen, so beißen auch dich die Fische, wenn du in ihren Bereich gekommen. Es gibt nämlich niemand, der in seinem eigenen Bereich, an seiner eigenen Nahrungsstelle nicht stark wäre.“ Und er sprach folgende zweite Strophe:
So entschied der Bodhisattva ihre Sache. Als aber die Schar der Fische merkte, dass die Wasserschlange geschwächt war, kamen sie, um ihren Feind zu erlegen, aus der Öffnung des Trichterkorbes hervor und brachten sie dortselbst ums Leben. Dann zogen sie fort.
§C. Nachdem der Meister diese Lehrunterweisung beschlossen hatte, verband er das Jātaka mit folgenden Worten: „Damals war die Wasserschlange Ajātasattu, der dunkelgrüne Frosch aber war ich.“
Ende der Erzählung von dem grünen Frosch
[2] Die ältere Tradition weiß nur von einem misslungenen Mordversuch; vgl. „Leben des Buddha“, S. 171.