„Beständig ist ihr Herz erschreckt“
§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf einen, der gegen seine Verwandten wohltätig war.
§D. Die Erzählung aus der Gegenwart wird im zwölften Buche im Bhaddasāla-Jātaka [1] berichtet werden.
§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva im Krähengeschlechte seine Wiedergeburt. Eines Tages nun ging der Hauspriester des Königs, nachdem er außerhalb der Stadt im Flusse gebadet hatte, mit Parfüms besprengt, mit einem Kranze geschmückt und mit herrlichen Gewändern angetan in die Stadt hinein. Auf dem Torbogen des Stadttores saßen zwei Krähen. Die eine von ihnen sprach zur andern: „Freund, ich werde auf das Haupt dieses Brahmanen meine Exkremente fallen lassen.“ Die andre versetzte: „Möge dir dies nicht gefallen! Dieser Brahmane ist ein Herr und mit Herrenleuten ist eine Feindschaft etwas Böses. In seinem Zorne könnte er alle Krähen vernichten.“ „Ich kann aber nicht anders.“ „Man wird es ja sehen“, erwiderte die zweite Krähe und flog davon. — Als nun der Brahmane gerade unter dem Torbogen war, ließ die Krähe auf sein Haupt ihren Kot fallen, wie wenn sie eine Girlande herunterließe. Der Brahmane wurde zornig und fasste Hass gegen die Krähen.
Zu dieser Zeit hatte eine um Lohn Reis zerstampfende Sklavin den Reis an der Haustüre in der Sonne ausgebreitet und gab darauf Acht; als sie aber so dasaß, fiel sie in Schlaf. Ein langhaariger Bock aber, der ihre Ermüdung wahrnahm, kam herbei und fraß vom Reis. Als sie erwachte und ihn sah, verjagte sie ihn. Der Bock kam ein zweites und ein drittes Mal wieder, als sie schlief, und fraß vom Reis. Als jene ihn zum dritten Male fortgejagt hatte, dachte sie: „Dieser wird, wenn er immer wieder davon frisst, noch die Hälfte des ganzen Reises verzehren. Daraus wird mir ein großer Schaden erwachsen. Jetzt will ich bewirken, dass er nicht wieder kommt.“ Und sie nahm eine Fackel und setzte sich nieder, als ob sie schliefe. Als nun der Bock zum Fressen kam, sprang sie auf und schlug den Bock mit der Fackel. Seine Haare fingen Feuer. Als sein Körper brannte, lief er rasch davon, um das Feuer auszulöschen, und wälzte seinen Körper in einer Heuhütte herum, die in der Nähe eines Elefantenhauses stand. Das Gras fing an zu brennen und die aufsteigenden Flammen ergriffen das Elefantenhaus. Da aber das Elefantenhaus brannte, gerieten auch die Rücken der Elefanten in Brand und viele Elefanten trugen Wunden an ihren Körpern davon. —
Die Ärzte konnten die Elefanten nicht gesund machen und teilten dies dem Könige mit. Darauf sprach der König zu seinem Hauspriester: „O Lehrer, die Elefantenärzte vermögen nicht, die Elefanten zu heilen; kennst du nicht vielleicht ein Heilmittel?“ „Ich kenne eines, o Großkönig“, erwiderte er. „Was muss man nehmen?“ „Krähenfett, o Großkönig.“ Darauf sagte der König: „Tötet also die Krähen und bringt ihr Fett herbei!“
Von da an wurden die Krähen getötet; da man aber kein Fett bei ihnen vorfand, warf man sie allenthalben auf einen Haufen. So kamen die Krähen in große Lebensgefahr. — Damals weilte der Bodhisattva in einem großen Leichenfeldgehölze, umgeben von achtzigtausend Krähen. Da kam eine Krähe herbei und meldete dem Bodhisattva die entstandene Lebensgefahr. Er dachte: „Außer mir ist niemand im Stande, die Lebensgefahr wieder zu beseitigen, in der meine Anverwandten schweben. Ich werde sie beseitigen.“ Darauf stellte er sich die zehn Vollkommenheiten vor Augen [2], machte die Betätigung der Liebe zu seiner Führerin, sprang mit einem Satz in die Höhe und flog durch ein geöffnetes großes Fenster in den Palast, wo er unter den Thron des Königs schlüpfte. Ein Mann wollte ihn ergreifen; der König aber, der auf seinem Throne saß, hielt ihn davon ab mit den Worten: „Packe ihn nicht.“
Nachdem das große Wesen sich einen Augenblick wieder erholt hatte, stellte er sich die Betätigung der Liebe vor Augen, kam unter dem Thronsessel hervor und sprach zum Könige: „O Großkönig, für einen König ziemt es sich, die Regierung zu führen, ohne auf Gunst u. dgl. [3] Rücksicht zu nehmen; und was man tun muss, das soll man alles mit Aufmerksamkeit und Überlegung tun. Ferner soll man nur das tun, dessen Ausführung einen Erfolg mit sich bringt, und nichts anderes; und wenn Könige etwas tun, dessen Ausführung keinen Erfolg mit sich bringt, so entsteht daraus für viel Volks eine große Not, die zur Todesangst führt. Der Hauspriester hat in seinem Hasse die Unwahrheit gesprochen; die Krähen haben nämlich gar kein Fett.“ Als der König dies hörte, war er darüber sehr befriedigt; und er ließ dem Bodhisattva einen herrlichen goldenen Stuhl geben, ihn unter den Flügeln mit hundertmal und tausendmal geläuterten Ölen bestreichen, ihm auf goldener Platte eine eines Königs würdige treffliche Speise geben und ließ ihn Wasser trinken. Darauf sprach er zu dem großen Wesen, das glücklich war und frei von Angst: „Weiser, du sagst, die Krähen haben kein Fett. Aus welchem Grunde haben sie kein Fett?“ Der Bodhisattva machte aus der ganzen Auseinandersetzung über die Ursache hiervon einen einzigen Ruf [4] und sprach, die Wahrheit erklärend, folgende Strophe:
Nachdem das große Wesen diesen Grund klargelegt hatte, belehrte es den König mit folgenden Worten: „O Großkönig, ein König darf ohne Aufmerksamkeit und ohne Überlegung nichts tun.“ Hierüber befriedigt ehrte der König den Bodhisattva durch das Anerbieten, mit ihm zu regieren [5]. Der Bodhisattva aber gab dem Könige die Herrschaft zurück, befestigte ihn in den fünf Geboten und erbat für alle Geschöpfe Schonung ihres Lebens. Nachdem der König die Lehrunterweisung vernommen, gewährte er allen Geschöpfen Schonung ihres Lebens und ließ für die Krähen beständig Speise bereithalten. Tag für Tag wurde ein Ammana [6] Reis gekocht, mit verschiedenen Arten des Wohlgeschmacks versehen und den Krähen zum Geschenk gegeben; dem Bodhisattva aber wurde nur Königsspeise gereicht.
§C. Nachdem der Meister diese Lehrunterweisung beschlossen hatte, verband er das Jātaka mit folgenden Worten: „Damals war der König von Benares Ānanda, der Krähenkönig aber war ich.“
Ende der Erzählung von der Krähe
[1] Dies ist das 465. Jātaka. Auch im 7. und 22. Jātaka wird darauf verwiesen.
[2] Vgl. die ähnliche Stelle im 22. Jātaka, der Erzählung vom Hunde.
[3] Mit „Gunst u. dgl.“ sind die vier üblen Wege gemeint; vgl. Jātaka 22 Anm. 5. [Die vier üblen Wege sind
(1.) die Betätigung von Parteilichkeit,
(2.) von Schuld,
(3.) von Verblendung und
(4.) von Furcht.]
[4] D. h. er fasste die Erklärung in einer Strophe zusammen.
[5] Ich nehme hier Fausbölls Emendation an, der vorschlägt, statt des überlieferten „Bodhisattassa rajjena“ zu lesen „Bodhisattam sarajjena“.
[6] Ein Ammana ist ein ziemlich großes Hohlmaß; es umfasste 11 Donas zu 4 Alhakas (Jātaka 107 Anm. 4). [Das Alhaka ist ein Hohlmaß etwa viermal so groß wie die Nali.]