Der Stromeintritt

von Hellmuth Hecker

Erster Teil:

Einführung in die Lehrrede (M 24)

In den ursprünglichen Lehrreden des Buddha werden immer wieder Eigenschaften und Entwicklungen des Herzens gezeigt, die in vielen Begriffsreihen niedergelegt sind.

Eine der vier Kernsammlungen der Reden, die Angereihte Sammlung, ist in ihren fünf Bänden nach der Zahl dieser Lehrbegriffe aufgebaut. So enthält das Siebenerbuch alle Reden, in denen sieben solcher Phänomene vorkommen, und zwar sind es nicht weniger als 84 Reden. Doch in keiner einzigen davon kommen die sieben Reinheiten vor.[1] In einer anderen Kernsammlung, der Längeren Sammlung, werden in zwei Reden zehnfach alle Dinge genannt, die der Erhabene geäußert hat. Bei der Aufzählung in D 33 werden nun 14 Phänomene vorgestellt, die je sieben Begriffe enthalten. Doch auch dort findet sich nichts von sieben Reinheiten. In D 34, wo unter anderen Gesichtspunkten ebenfalls je 10 Dinge vorkommen, fehlt bei den 10 Siebenheiten wiederum eine Erwähnung der sieben Reinheiten, die nur versteckt bei der Neunergruppe unter anderem Vorzeichen zu finden sind, worüber später Näheres zu sagen ist.

An allen drei Orten der numerisch geordneten Lehr-Elemente fehlen also die sieben Reinheiten. So könnte man auf den Gedanken kommen, daß sie eben nicht so wichtig seien, vielleicht eine subjektive Lieblingsidee des Mönches Punno, der sie in M 24 vorträgt.

Andererseits aber hat tausend Jahre nach dem Buddha der Mönch Buddhaghosa auf Sri Lanka das bekannteste Grundwerk des Theravâda-Buddhismus geschrieben, den "Weg zur Reinheit" (Visuddhi Magga), der die sieben Reinheiten zum Inhalt und Leitfaden der Gliederung hat. Das voluminöse Werk umfaßt im Text der Pâli Text Society in lateinischen Buchstaben 712 Seiten, in der deutschen Übersetzung Nyânatilokas 857 Seiten reinen Text. Genügt ein solches Werk nicht zur Erklärung der sieben Reinheiten? Leider nicht. Man sieht dort den Wald vor lauter Bäumen nicht. Buddhaghosa hat den gesamten Inhalt der Lehre in diese sieben Reinheiten einzuordnen versucht, wobei man den roten Faden, den Überblick und die notwendige Entwicklung leicht aus den Augen verlieren kann. Jedenfalls erging es mir auch nach 50 Jahren der Lehrnachfolge immer noch so, daß mir die sieben Reinheiten in ihrem Verhältnis zum Stromeintritt, und besonders das Gleichnis von der Eilpost in M 24, wie ein unübersteigbares "Siebengebirge" vorkamen. Wo ich manchmal eine Ecke verstanden zu haben meinte, da widersprach das anderem. Als ich aber schließlich resignierte und dachte, daß man ja auch nicht alles in der Lehre genau verstehen müsse und daß mein sonstiges Lehrverständnis wohl ausreiche, da kam mir plötzlich, wie aus heiterem Himmel, die Intuition, wie es wohl sein müsse. Das Folgende ist der Versuch, dies zu erklären.


I. Die Lehrrede

Vorgeschichte in Râjagaha

Der Erwachte weilte im Bambuskloster vor Râjagaha, der Hauptstadt von Magadhâ. Viele Mönche, die in ihrer Heimat die dreimonatige Regenzeit-Klausur verbracht hatten, kamen nach deren Beendigung zu ihm, wohl um weiterer Belehrung willen, nachdem die Regenzeit schon besonders dem Unterricht in der Lehre gedient hatte. Der Buddha fragt sie nun nicht, ob ein Mönch sich in jener Zeit als besonders befähigter Lehrer gezeigt habe, er fragt vielmehr, welcher von den befähigten Heiligen ihnen vor allem als Belehrer nützlich gewesen sei. Dabei nennt der Buddha 10 innere Voraussetzungen eines solchen Lehrers und umreißt in sechs Worten dessen Lehrfähigkeiten. Der Lehrer muß diese 10 heilsamen Eigenschaften [2] verwirklicht haben. Nicht jeder Heilige muß sie derart ausgeprägt haben, damit er als Lehrer wirken kann:

1. Er muß bescheiden sein, bedürfnislos an Ehrsucht (app'iccha), was bezeichnenderweise an erster Stelle genannt wird, da ein Lehrer sehr leicht dem Geltungsdrang verfallen kann, etwas sein will, stolz auf seine Begabung werden kann.

2. Er muß genügsam, zufrieden sein (santutthi), nämlich mit äußeren Gütern, nicht auf Essen, Kleidung und sonstige Gaben der Laien schielend, sondern zufrieden mit der Askese, mit den vier Bedarfsgegenständen des Mönches: Almosen, Robe, einfaches Lager, Arznei.

3.Er muß gern abgeschieden, zurückgezogen, einsam sein (pavivitta), muß etwas mit sich allein anzufangen wissen, d.h. sich der Meditation, der eigenen Läuterung, gewidmet haben und auch als Heiliger gern im Herzensfrieden weilen, der Leib und Seele wohltut.

4. Er muß, als Kehrseite dessen, ohne Sucht nach Gesellschaft sein, unbedürftig am Verkehr und Austausch (asamsattha), eine Eigenschaft, die in feiner Form selbst der Nichtwiederkehrer Anando noch nicht vollkommen besaß (s. M.122).

5. Während alle diese Eigenschaften sein spirituelles Selbstvertrauen, seine religiöse Grundhaltung ausmachen, ist die 5. Eigenschaft die aktive Konsequenz daraus: Er muß seine Tatkraft einsetzen (âraddhaviriya), um entweder letzte Triebe bei sich zu bekämpfen oder, als Heiliger, darauf bedacht sein, bei der Unterweisung in anderen diese Kraft zu erwecken.

6.-10. Die letzten fünf Eigenschaften muß er bereits voll besitzen, muß sie erworben haben (sampanno), nämlich die fünf von jedem Heiligen zu verwirklichenden "Lehr-Faktoren" (dhamma-khandha): Tugend, Einigung (Vertiefung), Weisheit, Erlösung, Wissensklarheit der Erlösung. Sie sind unten näher erklärt.

Im Besitz dieser 10 inneren Vorzüge kann ein solcher dann seine Ordensbrüder, besonders die jüngeren, belehren. Das wird mit sechs Worten [3] geschildert, die alle Kausative sind, d.h. sie bewirken etwas im Zuhörer:

1. Er ist ein Ermahner (ovâdako), der bei Fehltritten diese beim richtigen Namen nennt, sie nicht beschönigt und verharmlost, sondern daran erinnert, daß es der Sinn des Mönchstums ist, alle Fehler und Mängel zu überwinden.

2. Er ist ein Umgewöhner des Bewußtseins (viññâpako): Er lehrt so verbindlich, daß die Lehre in Fleisch und Blut übergeht, zur Gewöhnung wird, die Bewußtsein, Unterbewußtsein und Unbewußtes umprägt.

3. Er ist Aufklärer, Klarmacher, wörtlich "Sehenlassender" (sandassako), er zeigt die Lehre so anschaulich, daß der Zuhörer es einsieht, bei sich selber klar sieht.

4. Er ist einer, der den Zuhörer die Sache annehmen, billigen, akzeptieren läßt, ohne daß noch Widersprüche bestehen können (samâdapako). Der Hörer eignet sich die Lehre an, "adoptiert" sie, so daß Geist und Gemüt übereinstimmen.

5. Er feuert an (samuttejeko), spornt an, ermutigt, ermuntert und erhebt.

6. Er erheitert sie, macht sie heiter froh (sampahamsako), so daß die Lehre Freude macht und wohltut, sich als befreiend zeigt, als erhellend.

Und die Mönche antworten dem Buddha, daß diese Eigenschaften bei dem Lehrer Punno Mantâniputto zu finden gewesen seien. Damals saß Sâriputto in der Runde und dachte:

"Gesegnet ist der Ehrwürdige Punno Mantâni-putto, dessen vielseitiges Lob verständige Ordensbrüder vor dem Erhabenen preisen, und der Meister freut sich darüber. O daß wir doch gelegentlich einmal mit dem Ehrwürdigen Punno Mantâniputto zusammenträfen, daß wir uns über irgend etwas besprächen."

 

Wer war Punno Mantâniputto?

Als der Bodhisattva in die Hauslosigkeit zog, kamen fünf andere Sakyer, alle Brahmanen, ebenfalls als Asketen zu ihm. Einer von diesen war Kondañño, der bei Benares der erste Wahnversiegte nach dem Buddha wurde. Sofort danach kehrte er in seine Heimatstadt Kapilavatthu zurück. Dort lebte eine Schwester von ihm, die Brahmanin Mantâni. Diese hatte einen Sohn, Punno. Um seinem Neffen ebenfalls den Schatz der Lehre zu vermitteln, kam sein Onkel zu ihm, belehrte ihn, und dadurch wurde Punno Stromeingetretener. Er trat sofort auch in den Orden ein, blieb aber in seiner Heimatstadt. Als Brahmane in der religiösen Praxis wohlgeübt, immer schon um Wahrheit bemüht, wurde er bald ein Heiliger, ohne den Buddha selber gesehen und gehört zu haben. Er hatte solches Selbstvertrauen, daß er es nicht für notwendig hielt, den Erwachten aufzusuchen und sich vorzudrängen. Er war so bescheiden, weil er Bescheid wußte. Auch ohne die Hilfe von Ordensbrüdern, ganz in seiner bisherigen brahmischen Umgebung, war er zum höchsten Ziel gelangt. Das Vorbild seines Onkels, der seinetwegen sofort nach der Triebversiegung von Benares nach Kapilavatthu gekommen war, um ihn zu belehren, zeigte ihm den ungeheuren Wert des Vorbilds. Ihm genügte die Gesellschaft und Lehrerschaft eines einzigen, eben seines Onkels. In dem einzigen von ihm überlieferten Vers sagt er:

"Mit Edlen einzig sei gesellt,
mit Weisen, die da wirklich sehn:
Ein Wohl, gewaltig, tief erzeugt,
erkennbar kaum, so köstlich zart,
erwirbt gemach ein teurer Mann,
der tätig klug ist, aufgeklärt."

(Thag 4)

Sein restliches Leben als Mönch widmete er einzig dem Ziel, den "Weisen, die da wirklich sehn", das bedeutet hier: den religiös Aufgeschlossenen, die Heilslehre zu zeigen, damit sie möglichst noch im gleichen Leben heilig würden. Es kamen die zu ihm, die auch - wie er - nach tiefer Weisheit verlangten. Er hatte viele Mönchsschüler, und zwar waren sie alle zu dem geworden, worin auch er hervorragte: Sprecher der Lehre (dhammakathika) - S 14, 15. Er gab die Lehre so weiter, daß auch seine Schüler fähig wurden, selber die Lehre weiter zu tradieren. Der Buddha nennt ihn als Spitze der Mönche, die Sprecher der Lehre waren (A I/19, neu 24), ebenso wie bei den Nonnen die berühmte Dhammadinnâ. Sogar unter den häuslichen Anhängern findet sich eine Spitze der Sprecher der Lehre, nämlich der Hausvater Citto. Punnos wichtigster Schüler aber wurde Ânando, der durch ihn in der ersten Regenzeit seines Ordenslebens den Stromeintritt erlangte. Ânando berichtet darüber:

"Punno, der Sohn der Mantâni, war uns sehr nützlich, als wir noch Novizen waren. Er belehrte uns wie folgt: `Durch Ergreifen, [4] lieber Ânando, entsteht das Ich-bin, nicht ohne Ergreifen. Und wie entsteht das Ich-bin durch Ergreifen, nicht ohne Ergreifen? Durch Ergreifen von Form, Gefühl, Wahrnehmung, Gestaltungen, Bewußtsein: durch nichts anderes. Gleichwie etwa, lieber Ânando, eine Frau oder ein Mann oder ein Jüngling, die sich zu betrachten wünschen, ihr Spiegelbild in einem Spiegel, der sauber und fleckenlos ist, oder in einem klaren Wasserspiegel nur durch Ergreifen sehen können, nicht ohne Ergreifen'."

(S 22,83)

Das bedeutet: Nur wo diese fünf Faktoren des Ergreifens ergriffen werden, gibt es - durch sie bedingt - auch das von ihnen entworfene Spiegelbild einer perspektivischen Ich-Vorstellung. Die fünf Faktoren des Ergreifens sind der Spiegel, der ein Ich spiegelt, das sich als wirkliche Substanz meint. Der Ich-Gedanke ist nur ein Reflex, nur eine Spiegelung, nur ein Schatten. Erst muß man die fünf Faktoren ganz durchschauen, dann fällt auch der Ich-Gedanke, vorher nicht. Und Ânando schließt:

"So war die Belehrung, mit welcher er uns belehrte. Nachdem ich die Lehrdarlegung des Ehrwürdigen Punno Mantâniputto gehört hatte, verstand ich voll und ganz die Lehre."

Weitere Beispiele für die Fähigkeit Punnos, den Stromeintritt zu vermitteln, fehlen im Kanon. Aber die Aussagen und Lobpreisungen in M 24 und S 14, 15 und S 22, 83 sind ja gewichtig genug.


Das Gespräch

Nachdem der Buddha die Regenzeit in Rajâgaha verbracht hatte und das obige Gespräch mit dem Lob Punnos stattgefunden hatte, wanderte er mit seinen Mönchen, darunter Sâriputto, die 350 km von Rajâgaha nach Sâvatthî. Als Punno hörte, daß der Buddha in Sâvatthî sei, begab er sich auch dorthin, da es ja in der Nähe seiner Heimat lag. Der Erhabene gab ihm, dem Heiligen, eine weitere Lehrdarlegung, die er gern hörte.[5] Dann ging Punno in den Wald und setzte sich zur Meditation unter einen Baum. Ein Mönch ging zu Sâriputto und meldete ihm, wo Punno weile. Da ging auch Sâriputto in jenen Wald und meditierte unter einem Baum. Am Abend, nach Aufhebung der Gedenkensruhe, ging er zu Punno und nach einleitenden Worten fragte er ihn:

"Wird beim Erhabenen der brahmische Wandel geführt?" [6] (brahmacariya, KEN: "heiliges Leben")

Nachdem Punno dies selbstverständlich bejaht hatte, fragte Sâriputto weiter:

"Zu welchem Sinn und Zweck, zu welchem Heilsziel (attha) wird nun beim Erhabenen der Brahmawandel geführt?"

Und dabei fragte er nacheinander, ob die sieben Reinheiten, die gleich behandelt werden, das Ziel seien. Aber Punno verneinte das jeweils - zumindest zu unserem Erstaunen. Darauf fragte Sâriputto, zu welchem Heilsziel denn sonst der Brahmawandel geführt werde. Punno antwortete schlicht:

"Um hangloser Wahnerlöschung (anupâda parini-bbâna) willen, o Bruder, wird beim Erhabenen der Brahmawandel geführt."

Und nun fragte Sâriputto wieder bei jeder der Reinheiten, ob deren Vorhandensein schon hanglose Wahnerlöschung sei. Wiederum verneinte Punno dies. Nach dieser zweiten Art von Abweisung schloß Sâriputto mit den Worten, wie denn solcher Rede Sinn verstanden werden solle. Punno erwiderte: Hätte der Erwachte eine der sieben Reinheiten als hanglose Wahnerlöschung bezeichnet, so hätte er etwas Hanghaftes, etwas mit Ergreifen (saupâdâna) als Nichtergreifen bezeichnet -- ein Widerspruch in sich. Wäre aber andererseits die hanglose Wahnerlöschung ohne diese sieben Dinge möglich, dann erlangte der Weltling das Nirvâna, denn der sei ohne die sieben Dinge. Um dies zu verdeutlichen, gab Punno nun das Gleichnis, das dieser Rede den Titel eintrug: Das Gleichnis von der "Eilpost" oder "Etappenreise", das gleich ausführlich erklärt werden wird. So wie sich eine Stafette an die frühere anschließt, ebenso schließt sich eine der sieben Reinheiten an die vorherige an und führt so schließlich zu hangloser Wahnerlöschung.

Dann gab Punno auf Befragen seinen Namen bekannt, da sie sich bisher noch nie gesehen hatten. Nun sagte Sâriputto:

"Wunderbar, o Bruder, außerordentlich ist es, wie erschöpfend ein so gründlicher Kenner des Meisterwortes, der Ehrwürdige Punno Mantâ-niputto, diese überaus tiefsinnigen Fragen beantwortet hat. Gesegnet sind die Ordensbrüder, hochgesegnet sind die Ordensbrüder, denen der Anblick, denen die Gesellschaft des Ehrwürdigen Punno Mantâniputto gegönnt ist. Und wenn den Ordensbrüdern Anblick und Gesellschaft des Ehrwürdigen Punno Mantâniputto nur verhüllten Hauptes gegönnt wäre, so wären sie auch dann noch gesegnet, hochgesegnet. Gesegnet, hochge-segnet sind auch wir, die wir den Anblick und die Gesellschaft des Ehrwürdigen Punno Mantâ-niputto genießen."

Punno erwiderte:

"Als wir uns mit euch, dem Jünger, der dem Meister gleicht, wie man sagt, unterhielten, wußten wir nicht: `Das ist der Ehrwürdige Sâriputto'. Hätten wir das gewußt, wären wir nicht so ausführlich gewesen."

Und dann wiederholt er wörtlich das entsprechende Lob, wie es oben Sâriputto über ihn geäußert hatte. Und so erfreuten sich jene beiden "großen Tiere", wie es wörtlich heißt (mahânâga), an gegenseitiger trefflicher Rede. Sie waren sich wahrlich kongenial: Beide waren Heilige, schnell im Orden zum Ziel gekommen, beide waren weisheitsmächtig, beide je eine Spitze der Jüngerschaft in Weisheit, beide als Brahmanen religiös geschult, und beide wurden nach dem Namen ihrer Mutter genannt: Upatisso Sâriputto (Sohn der Sâri), Punno Mantâ-niputto (Sohn der Mantâni).


II. Das Gleichnis

König Pasenadi, der Mahârâja des Großreichs von Kosalo, mußte in einer dringenden Angelegenheit schnell von Sâvatthî nach Sâketa reisen. Da ließ er zwischen beiden Städten sieben Eilposten einrichten. Jeweils fuhr er mit einer zur anderen, wechselte dort die Kutsche mit den ermüdeten Pferden und bestieg die nächste Kutsche mit frischem Gespann. So sparte er die Zeit des jeweiligen An und Abschirrens der Zugtiere und kam so schnell wie möglich nach Sâketa. Dort stieg er aus der letzten Kutsche. Da fragten ihn seine dortigen Beamten, ob er mit eben dieser Kutsche von Sâvatthî nach Sâketa gekommen sei. Der König aber verneinte dies und erklärte ihnen, wie er sieben Kutschen und Gespanne nacheinander benutzt habe.

Dazu erklärt Punno Mantâniputto seinem Ordensbruder Sâriputto nun (zunächst in der Übersetzung von KEN):

"Ebenso nun auch, o Bruder, führt 

Um reiner Wahnerlöschung [7] willen, o Bruder, wird beim Erhabenen heiliges Leben geführt."


Die Geographie [8]

Sâvatthî (Skr. Srâvastî) war die Hauptstadt des Großreiches von Kosalo. Dieses Gebiet bildete in Britisch-Indien die "United Provinces of Agra and Oudh" und ist heute der Gliedstaat Uttar Pradesh (= NordProvinz) der Indischen Union. Die Ruinen werden mit Sâheth Mâheth am Ufer der Rapti identifiziert. Die Stadt lag 45 Meilen nordwestlich von Râjagaha, der Hauptstadt des zweiten Großreiches (Magadhâ). Diese beiden Städte und noch vier weitere (Campâ, Kosambi, Benares, Sâketa) waren zur Zeit des Buddha die sechs größten Städte Indiens, wörtlich "Groß-Städte" (mahânagâra): D 16 V. Südlich von Sâvatthî lag Sâketa, einst die Hauptstadt von Kosalo,[9] am Ufer der Ghagara, einem Nebenfluß des Ganges. Während Sâvatthî schon näher an Nepal und den Vorbergen des Himalaya lag, lag Sâketa in der Ganges-Ebene, dem Herzen Indiens.

Die Entfernung zwischen den beiden Großstädten betrug 7 yojana. 1 yojana = 1 geographische Meile = ca. 7 ½ km. Die Strecke war also ca. 52 km lang, etwa wie von Hamburg nach Lübeck. Mit den Eilposten war die Strecke damals innerhalb eines Tages zu bewältigen. Die Fahrt führte durch eine Gegend, die durch Räuber unsicher gemacht wurde, und der König ordnete öfter Soldaten ab, um Reisende zu schützen. Irgendwo zwischen beiden Städten war ein breiter Fluß, der nur per Boot zu kreuzen war.[10]


Schranken des Gleichnisses

Das Gleichnis bezieht sich in abstracto auf das Befahren der Strecke von Sâvatthî nach Sâketa. Der König hatte öfter in Sâketa zu tun, befuhr also die Strecke öfter. Im Gleichnis aber ist nur eine einzige konkrete Fahrt gemeint. Die Heilsentwicklung geschieht eben nur ein einziges Mal im Samsâra. Der Nachfolger fährt also nicht etwa öfter die Strecke zum Heil, sondern nur einmal, ein für allemal.

Das Gleichnis bezieht sich ferner nur auf eine pausenlose Fahrt, ohne Übernachtung, wie es sonst manchmal von Pasenadi berichtet wird. Das heißt: Die Heilsentwicklung wird hier nicht unbedingt innerhalb eines einzigen Lebens beschrieben, denn sie kann viele Leben dauern, nicht nur in den beiden ersten Etappen, sondern sogar für die edlen Jünger sind noch viele "Übernachtungen" möglich, beim Nichtwiederkehrer bis zu fünf Leben, beim Stromeingetretenen bis zu sieben Leben. Nur die am besten vorbereiteten Jünger des Buddha schafften die Wegstrecke zur Heiligkeit in einem einzigen Leben.


Die Parallelen

Die sieben Kutschen entsprechen der Umwandlung des Menschen durch die drei Etappen des Heilsweges: Tugendläuterung mit dem Körper, Herzensläuterung mit der Seele und Weisheitsläuterung mit dem Geiste. Diese Weisheitsläuterung wird in die letzten fünf Etappen der Läuterung unterteilt -- eine Besonderheit, wie sie in den Lehrreden nur hier vorkommt und daher einer ausführlichen Erläuterung bedarf.

Im einzelnen finden sich folgende Parallelen zwischen dem Gleichnis und der Läuterung:

Der König verläßt seinen gewöhnlichen Aufenthalt, seinen Wohnsitz in der höfischen Welt des Palastes. Er verläßt das Haus, geht durch das Burgtor und besteigt auf dem Schloßplatz die erste Kutsche für seine Reise.

Der Mönch - von ihm ist in M 24 die Rede (wenn auch Paralleles für den Laien gilt) - geht aus dem Hause in die Hauslosigkeit, verläßt seinen gewohnten Aufenthalt in der Welt und beginnt seine spirituelle Reise.

1. Mit der ersten Kutsche durchfährt der König seine vertraute Hauptstadt, seine vertrauteste Umgebung. Aber er fährt nicht auf moderne Art mit Blaulicht und Martinshorn durch allen Verkehr, sondern er muß sich durch die vielfältigen Verkehrshindernisse einer damaligen Großstadt hindurchwinden. Statt Pkw sind es Ochsenkarren, statt Lkw sind es Arbeitselefanten, die Baumstämme schleppen. Es streunen Kühe herum, die sich durchaus oft unheilig benehmen. Sänften, Handwerker, Soldaten vermehren das Gewühl von Mensch und Tier. Nur langsam kommt er voran.

So wie sich der König statt in der Weitläufigkeit seines Palastes auf einmal in die Enge einer Kutsche eingezwängt sieht, so sieht sich der Mönch nun im Orden in die Zucht der Tugendregeln eingeordnet, die seine "Willkür" beschränken, statt in der Beliebigkeit des gewohnten Sinnenlebens. Er geht aus dem Ich heraus, nimmt Rücksicht auf die Ordensbrüder, so wie der König Rücksicht auf den Verkehr nimmt. Aber sowohl der König als auch der Mönch bleiben noch in gewohnter Umgebung, eben unter Menschen, im Bereich der Körperlichkeit, im sozialen Feld, das ja Gegenstand der Tugend ist.

2. Der König kommt aus der Stadt an die Stadtmauer, die indische Städte abschloß, und durch das Südtor verläßt er die Stadt. Am Rande gab es Mangohaine, Parks und vor allem Klöster in Parkanlagen, eben Klostergärten und "Ashrams". Das ist nicht mehr die gewohnte Umgebung des Königs, dort ist er schon seltener. Dort ist es im Unterschied zur Stadt schon viel ruhiger. Man kann daran denken, daß nach der mühsamen und die Pferde strapazierenden Fahrt durch die Stadt der erste Wechsel der Kutschen schon bald außerhalb erfolgte.

Der Mönch kommt nach der Tugendläuterung zum eigentlichen monastischen Leben zur Herzensläuterung, zur meditativen Praxis, zu einer neuen inneren Landschaft, die viel stiller ist als der Bereich der Begegnung, der Reibung, der Zügelung in Handeln und Reden. Und dort erntet er auch schon Früchte seines Bemühens, wird im Herzen lauterer und freier und stiller.

3. Alle übrigen fünf Etappen sind für den König außerhalb der urbanen Sphäre, außerhalb der höfischen Zivilisation, sei es der Agrarbereich der Reisfelder und Dörfer, sei es der Bereich des Dschungels. Es ist die "Wildnis", die Natur, geordnet (Felder) oder ungeordnet (Wälder). Hier fährt der König hindurch, hier "hat er nichts zu suchen", sondern nur die Kutschen zu wechseln, die Dörfer schnell wieder zu verlassen, sich nirgends aufzuhalten.

Der Mönch findet in der Weisheit der letzten fünf Läuterungen seine neue geistige Wohnung, die nie zuvor bezogene. Er findet im Geiste die Verweilungen (vihâra), die im Pâli auch das Wort für Klöster sind. Hier findet er alles, was er bisher in der Existenz nicht fand, nämlich die Sicherheit des absoluten Heils, aber das gewinnt er nur, wenn er sich nirgends länger als nötig aufhält, wenn er auf Loslassen, auf Reisen programmiert bleibt, mag auch die Reise mehrere Leben dauern. "Alle Dinge reichen nicht aus, sich dabei niederzulassen" (sabbe dhamme n'alam abhinivesâya).[11] Unter diesem Vorzeichen kommt er zum Ziel, so wie der König nach Sâketa kommt.

Über diese unmittelbaren Parallelen zwischen Läuterung und Gleichnis hinaus gibt es noch weitere Vergleichsmöglichkeiten:

Der König dürfte mit einer Eskorte gereist sein, um vor der gefährlichen Räubergegend geschützt zu sein. Die Räuber pflegten sich nicht bei den Reisfeldern aufzuhalten, sondern hatten ihren Unterschlupf im Walde. Erst nach der zweiten Etappe des Königs begann die Gegend der Wälder und damit der Ort der Räuber.

Für den Mönch begann die Gefahr der Räuber dort, wo er Mâro, dem Geist des Bösen, entweichen wollte, d.h. ab der rechten Anschauung (3. Reinheit). Dort lauerte die Gefahr, die Suche nach dem "Heiligen Ziel" (M 26) zu verfehlen und Irrlehren und Abwegen des Geistes zu verfallen, die dem Mönch das eigentliche Ziel seines Strebens rauben würden. Wie den König die Eskorte schützte, so schützten den Mönch gegen diese Gefahr die geistigen Waffen der Lehrkenntnis und Lehrerfahrung, die Pfeile im Köcher, Schilde, Lanzen usw. (s.: A. VII/63).

Oben war erwähnt, daß zwischen beiden Städten ein Fluß lag, über den es keine Brücke gab, der nur per Boot überquert werden konnte. Ob dort eine so tragfähige Fähre war, die Kutsche und Gespann übersetzen konnte, ist sehr zweifelhaft. Näher liegt, daß der König mit einer Kutsche bis zu dem Fluß fuhr, dann mit dem Boot übersetzte und drüben eine bereitgestellte neue Kutsche bestieg.

Schließlich wäre noch an eine Parallele zu denken, die sich erst bei näherer Umschreibung ansprechen läßt:

Der König hatte seine Heimat in Sâvatthî, dort war er eingewurzelt, und dorthin kehrte er immer wieder zurück. In den Kutschen war er dagegen nur vorübergehend, und er nahm die zeitweise Beschränkung als notwendiges Übel in Kauf, um sein Ziel zu erreichen. Wegen seiner Pflicht drängte es ihn, die Heimat zu verlassen, die Unbequemlichkeit der Reise auf sich zu nehmen, aber dann im Gefühl erfüllter Pflicht in Sâketa fühlte er sich freudig empfangen und zeitweise wohl, so daß der Ort ihm momentan zur neuen Heimat wurde.

Der Mönch hatte seine Heimat in der Menschenwelt, in der gewohnten Umgebung des Weltlings, des Sinnenmenschen. Aber im Innern drängte es ihn, den tieferen Sinn des Daseins zu suchen, das "heilige Ziel" zu erreichen. So wurde ihm die bisherige Heimat zu unsicher und zu "unheimlich" (un-heimisch), so wie eine mittelalterliche Mystikerin sagte:

"Der Welt Gedränge
ward mir zu enge:
ich bin so weit.
 
Was unerschaffen
wollt ich erraffen
auf ew'ge Zeit." [12]

 

Und so verließ er die Heimat körperlich und geistig und wurde ein heimatloser Pilger. Diese Beschränkung im Äußeren, die auf den ersten Blick wie ein notwendiges Übel erscheint, gleicht der Beschränkung in der Kutsche, war in Wirklichkeit aber eine Befreiung, eine ungemeine Erweiterung von Geist und Seele. Und am Ende stand eine "neue Heimat", die Sicherheit der Geborgenheit in unverletzbarer Unverletztheit durch die Erwachung aus dem wirren Daseinstraum. Da kann er noch viel tiefer mit der obigen Mystikerin sagen:

"Wenn ihr vom Traum des Ich erwacht,
dann ist der Weisheit Werk vollbracht." [13]

 

Schutz vor Räubern, Überqueren eines Stroms, Finden einer neuen Heimat - all das läßt sich aus dem Gleichnis entnehmen.

Hinzufügen könnte man noch ein anderes Gleichnis des Buddha: Er sagt, daß er als Bodhisattva in der Wildnis (samsâra), zugewachsen im Urwald, eine alte Straße entdeckte, ihr folgte und eine alte Stadt erreichte, die völlig verfallen und überwuchert war. Die baute er dann wieder auf. Und das war "das Lehrgebäude" früherer Buddhas, die Lehre von der Bedingten Entstehung aller Dinge aus dem Geist (S 12, 65). So könnte man sagen, daß der edle Jünger diese alte Stadt der Lehre wiederfindet - und im Gleichnis ist eben Sâketa die alte Hauptstadt der früheren Könige gewesen. Sie ist nur noch nicht zerfallen - insofern darf man den Vergleich nicht überziehen.


III. Nächstverwandte Reihen

In der Einleitung war schon festgestellt worden, daß es keinen einzigen Text im Pâlikanon gibt, der die sieben Reinheiten so wie in M 24 darstellt. Es gibt aber verwandte Reihen, die zwar nicht identisch sind, aber zum gleichen Ergebnis der Erlösung führen.

1. D 34 IX: Unter den zehn Gruppen zu entfaltender Dinge finden sich hier neun "zum Kampf um völlige Reinheit gehörige Qualitäten" (parisuddhi-padhâniy'angâni). Folgende Unterschiede zu M 24 bestehen dabei:

Während M 24 stets nur von Reinheit (visuddhi) spricht, ist hier von völliger Reinheit die Rede (parisuddhi). Das könnte darauf hindeuten, daß hier Tugend und Herzensläuterung nicht im relativen Sinne, sondern bereits im absoluten Sinne angestrebt werden.

Zweitens wird hier der Kampf (padhâna) hervorgehoben, nicht so sehr das Ergebnis.

Drittens und vor allem stehen nach den sieben Reinheiten aus M 24 hier in D 34 zwei weitere Qualitäten (anga = Glieder), nämlich Weisheit und Erlösung. Vorgreifend kann dazu hier nur gesagt werden, daß dabei die Erlösung identisch mit der hanglosen Wahnversiegung in M 24 ist.

2. A IV/194: Hier berichtet Ânando, es seien vom Erhabenen vier "zum Kampf um völlige Reinheit gehörige Qualitäten" verkündet worden, und zwar je: Zur Reinigung der Wesen, zur Überwindung des Leidens, zur Verwirklichung des Nirvâna. Während in allen drei Reden (M 24, D 34 IX, A IV/194) vorwiegend der Weg des Mönches im Orden geschildert wird, was aber den Weg des Hausners nicht ausschließt, geht A IV/194 eindeutig n u r vom Mönch aus. Außerdem wird hier die rechte Anschauung, die wahnlose des Ariya, die in M 24 erst zu erwerben ist (3. Reinheit), bereits vorausgesetzt. Hier erkämpft der Mönch und Ariya auf Grundlage seiner wahnlosen rechten Anschauung die Ordensregeln (pâtimokha), d.h. die völlige Tugendreinheit der 227 Gebote der Mönche, und zwar jeweils gestützt durch die heilende, heilige, edle Weisheit des Erwachten. Als zweite Reinheit folgt nach der Tugendreinheit hier sofort die völlige Herzensreinheit der vier Entrückungen (Schauungen), die bereits das Format eines Nicht-wiederkehrers anzeigen. Als dritte Reinheit folgt dann im Sinne der 9. Stufe der Heilsentwicklung (sammañâna) die entfaltete Weisheit der vier Heilswahrheiten. Als vierte und letzte Qualität kommt dann die völlige Reinheit der Erlösung von den reizenden Dingen (râjaniye dhamme), d.h. von allen Trieben, wobei, wiederum auf Weisheit gestützt, allmählich jede der fünf emporziehenden Fesseln bekämpft, überwunden (ent-reizt) und aufgelöst wird.

Die Rede A IV/194 behandelt im Grunde dieselben vier Hauptpunkte der Lehrnachfolge der Ariya, die der Buddha in seinen letzten Wochen den Mönchen immer wieder einschärft: Tugendwandel, Herzensart, Weisheitsanblick, Erlösungsgewinn (D 16).

3. M 85 und 90, D 33 V, A V/135: Hier werden fünf "zum Kampf gehörige Qualitäten" genannt, und zwar nur von Mönchen: Vertrauen zum Buddha, Gesundheit für die Askese im Orden, Ehrlichkeit und Offenheit gegenüber eigenen Tugendmängeln, Einsatz der Tatkraft auf dem Mönchsweg und durchdringende absolute Weisheit. Nach der Beschreibung setzen diese fünf Dinge die wahnlose rechte Anschauung des Mönches bereits voraus. Der Buddha sagt, ein Mönch könne mit diesen fünf Qualitäten innerhalb eines einzigen Tages heilig werden - wie z.B. Yaso. Der Zuhörer, der durch den Erwachten eingeführt wird (so M 85), muß diese Eigenschaften also aus den vorigen Leben bereits mitgebracht haben und wendet sie nun als Heilsfähigkeiten an.

4. A IV/175: [14] Der Mönch Upavâno fragte Sâriputto, ob man durch Wissen, durch Wandel, durch Wissen und Wandel, ohne Wissen und Wandel zum Ziel (Leidens-Ende) kommen könne. Jedesmal antwortet Sâriputto: "Das nicht". Darauf fragt Upavâno, wie man denn zu jenem Ziel kommen könne. Sâri-putto antwortet, ebenso wie es in M 24 heißt, in den ersten Fällen hieße das, noch mit Ergreifen zum Ziel kommen zu wollen; im letzten Fall hieße es, daß auch ein Weltling das Ziel erreichen könne, denn der sei ohne Wissen und Wandel. Und er schließt mit den Worten:

"Der im Wandel Unvollkommene versteht und erkennt nicht der Wirklichkeit gemäß; der im Wandel Vollkommene aber versteht und erkennt der Wirklichkeit gemäß. Der Wirklichkeit gemäß verstehend und erkennend kommt man zum Ziel (macht dem Leiden ein Ende)."


IV. Andere Heilsweg-Reihen

Nicht nur von den eben genannten Text-Parallelen unterscheidet sich die Siebener-Reihe aus M 24, sondern auch und noch mehr von den häufiger vorkommenden gewohnten Heilsweg-Reihen.

A. Der edle Achtpfad

1. Diese Darlegung der vierten Heilswahrheit, des Vorschreitens zur Leidensauflösung, eben des edlen Achtpfades, beginnt bereits mit der erlangten wahnlosen rechten Anschauung des Ariya, des edlen Jüngers, während die Reihe aus M 24 zeigt, wie sie gewonnen wird, nämlich durch relative bzw. momentane Tugend- und Herzens-Reinheit. Erst danach steht in M 24 an dritter Stelle die wahnlose rechte Anschauung.

2. Jede Stufe des Achtpfades beinhaltet in sich selber eine allmähliche Entwicklung. Insofern betritt jeder Nachfolger unzählige Male jede Stufe und vervollkommnet sie jedesmal, bis dieser Prozeß erst beim Heiligen vollkommen abgeschlossen ist. Jede Stufe ist erst dann absolut und vollkommen rein. Jeder Fortschritt auf dem Heilsweg, gespeist durch die unversiegbare Quelle wahnloser rechter Anschauung, wirkt sich aber sofort auch schon etwas auf alle weiteren Stufen aus.

Der Nachfolger macht also zwei miteinander korrespondierende Entwicklungen durch: Er lernt die höheren Stufen allmählich und immer besser schon kennen und vervollkommnet gleichzeitig die jeweilige Stufe immer mehr. Es findet also eine ständige Bewegung auf dem Pfad in zwei Richtungen statt, vorwärts (höher) und seitwärts (umfassender), jeweils mit Vorstößen und Rückkoppelungen. Die Reihe in M 24 nennt dagegen eine einlinige und einmalige Entwicklung. Jede Stufe wird nacheinander und nur einmal erreicht, und von ihrem Besitz aus wird dann die nächste Stufe in Angriff genommen und entwickelt.

3. Der Achtpfad bietet dem Nachfolger viele Auswahlmöglichkeiten innerhalb einer Stufe, je nach seiner Veranlagung, z.B. als Gemüts oder als Weisheitstyp. Der Buddha beschreibt eben alle Varianten und gibt in der Lehre ein vollständiges Verzeichnis aller praktischen Vorgehens und Erlebensweisen, die zum Heil führen.

M 24 nennt dagegen ganz abstrakt nur den kleinsten gemeinsamen Nenner aller solcher Varianten konkreter Möglichkeiten. So wird sowohl der am schmalsten veranlagte Nachfolger bei diesem Mindest-Standard erfaßt und nicht ausgeschlossen, als auch der vollendetste Vollkommene einbegriffen.

B. Der "Tathâgata Gang"

"Da erscheint der Vollendete (tathâgata) in der Welt" - mit diesen Worten beginnt die viele Male im Kanon vorkommende Anweisung des Buddha für seine Mönche:[15] Es ist der Gang zur Soheit (tathâta), zur absoluten Wahrheit, die so ist, wie sie ist und sich nie wandelt. Von daher ist diese Anweisung von Dahlke und anderen zutreffend als Tathâgata Gang benannt worden. Er stellt eine Mischung aus den zwei Prinzipien des Achtpfades dar (vorwärts und seitwärts, vorpreschend und rückkoppelnd). Diese beiden Prinzipien treten besonders auf Stufe 6 (rechtes Mühen) und Stufe 7 (rechte Achtsamkeit) des Achtpfades hervor.

Nachdem der Mönch (ebenso natürlich die Nonne) in der Tugend erfahren und weit fortgeschritten ist, d. h. immer weniger Probleme mit der Erfüllung der 227 Mönchsregeln hat, besitzt er bereits eine große Reinheit darin und kennt auch schon gelegentliche Vorstöße zu höheren Stufen. Aber erst dann, nicht eher, nennt der Buddha ihm nun auf Stufe 6 drei konkrete nacheinander zu übende Schritte: Erstens Sinnenzügelung bei allen sechs Sinnesbezügen zur Erlebniswelt (1. Kampf), zweitens Maßhalten beim Essen (Vollendung des 1. Kampfes auf diesem Sinnesgebiet des Schmeckens), drittens Wachsamkeit (2. Kampf) gegenüber den unheilsamen Gedanken des eigenen Herzens, und zwar zwanzig Stunden lang pro Tag. Erst wenn der Mönch diese drei Schritte erobert hat und zumindest weitgehend beherrscht, dann "weist der Vollendete ihn weiter zurecht", wie es öfter heißt.[16]

Erst dann gibt er ihm von den zahlreichen Übungen der 7. Stufe zunächst nur eine einzige, nämlich von den sechs Körperbetrachtungen nur die Klarbewußtheit bei allen Körperverrichtungen, die er dann als fremd, als Nicht-Ich, als bloßes Betätigen eines Werkzeugs des Durstes erfährt. Diese vier Stufen des Tathâgata-Ganges (Sinnenzügelung, Maßhalten beim Essen, Wachsamkeit, Klarbewußtheit) sind das Mindestmaß, um unter der persönlichen Anleitung des Erhabenen innerhalb eines Lebens heil zu werden, zumindest ein Nichtwiederkehrer. Bei diesen Stufen 6 7 findet aber auch im Tathâgata Gang immer eine Rückkoppelung statt, besonders werden rechte Anschauung und rechte Gesinnung immer vollkommener und vollenden sich als erste Glieder, während letzte kleinste Unvollkommenheiten in der Tugend, die wir noch gar nicht als solche registrieren würden, erst beim Heiligen dahinschmelzen.

Auf Stufe 8 des Achtpfades nennt der Buddha im Tathâgata-Gang dann innerhalb des reichen Spektrums von Samâ-dhi Wegen, die der Kanon beschreibt, wiederum nur den schnellsten und erfolgreichsten, nämlich die weltausradierenden Entrückungen auf der Grundlage der Aufhebung der fünf Hemmungen. Damit vollenden sich dann die beiden Früchte des Achtpfades: rechte Kenntnis (meist im Tathâgata-Gang als drei Wissen genannt) und rechte Erlösung.

C. Die fünf Lehr-Faktoren

In der Vorgeschichte zu M 24 wurden unter zehn heilsamen Eigenschaften eines Sprechers der Lehre als letzte Gruppe fünf Erwerbungen (sampadâ) genannt: Tugend, Einigung, Weisheit, Erlösung, Wissensklarheit der Erlösung. Diese fünf tragen sonst den Namen "Faktoren der Lehre" (dhamma-khandha), die zu verwirklichen sind (D 34 V). Sie orientieren sich an den drei Abschnitten (khandha ist hier besser so zu übersetzen) des Achtpfades, am Abschnitt der Tugend (sîla-khandha: Stufe 3 5), am Abschnitt der Einigung (samâdhi-khandha: Stufe 6 8), am Abschnitt der Weisheit (paññâ-khandha: Stufe 1 2 und als Frucht Stufe 9), was dann zur Erlösung (Stufe 10) und zu deren Wissensklarheit (Rückkoppelung zu Stufe 9) führt.

Die drei ersten Faktoren oder Abschnitte entsprechen den drei Übungen des Heilsgängers, der sich in Tugendwandel, Herzensart und Weisheitserfahrung übt. Und diese drei Dinge sind wiederum Entsprechungen zu den sieben Reinheiten aus M 24: Tugendwandel als Tugendreinheit, Herzensart als Herzensreinheit, Weisheitserfahrung als die übrigen fünf Stufen in M 24, die dann in die Erlösung führen.

Der entscheidende sachliche Unterschied von M 24 zu allen anderen Entwicklungsreihen liegt darin, daß in den Siebener-Reinheiten die dritte Übung (Weisheit) am ausführlichsten und in einer sonst nicht derart unterteilten Form vorkommt. Darin liegt die Hauptschwierigkeit des Verständnisses von M 24. Die zweite Schwierigkeit besteht darin, daß in M 24 die relative und absolute Erlangung der Reinheiten anders verstanden wird als sonst. Das ist im Hauptteil dieser Abhandlung unten ausführlich zu begründen.

Erwähnt sei dabei noch, daß die fünf Lehr-Faktoren das Mittel sind, um die fünf Faktoren des Ergreifens (upâdâna-khandha) zu überwinden:

Die Tugend als Abschnitt des Heilsweges, die Tugend als Lehrfaktor sowie die Tugend als erste der sieben Reinheiten -- sie bezieht sich vorwiegend auf den Daseinsfaktor der Form.

Die Einigung als Abschnitt des Heilsweges, die Einigung als Lehrfaktor sowie die zweite der sieben Reinheiten, die Herzensreinheit -- das bezieht sich vorwiegend auf die Daseinsfaktoren Gefühl und Wahrnehmung.

Die Weisheit als Abschnitt des Heilsweges, die Weisheit als Lehrfaktor sowie alle fünf weiteren Reinheiten beziehen sich auf den alles umgestaltenden Daseinsfaktor der Gestaltungen.

Und der Lehr-Faktor Erlösung befreit den Faktor Bewußtsein vom Selbstbewußtsein, d.h. von den Trieben.

Der Lehr-Faktor Wissensklarheit der Erlösung ist nur die Kenntnisnahme von der Erlösung.


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[1] Reinheit von Tugend, Herz, Anschauung, Zweifelsentrinnung, Wissensklarheit von Weg und Nichtweg, Wissensklarheit des Fortschreitens, Wissensklarheit. Dagegen hat die Sanskrit-Version des Egottarâgama unter den sieben Dingen auch diese sieben Reinheiten (s. u. Literatur).

[2] Diese zehn heilsamen Dinge kommen auch noch vor in: M 122, Ud IV/1, A V/90 u. 97, A IX/1 - 3, A X/30 u. 69 u. 70. In M 32 nennt Mahâkassapo außer diesen, vorher noch vier strenge Asketenübungen.

[3] Die sechs Kausative kommen nur noch in It 104 und S 47, 13 vor. Die vier letzten allein dagegen an zahlreichen Stellen als Inbegriff der Lehrweise des Buddha. Über diese vier in Verbindung mit dem Stromeintritt siehe weiter unten FN 58.

[4] Zu den fünf Faktoren des Ergreifens (upâdâna-khandha) gehört als Gerundium, als Adverb zu upâdâna sprachlich auch das hier in S 22, 83 verwendetete upâdâya. Es wird zwar meist übertragen in der Bedeutung „wegen" oder „abhängig von" gebraucht. So deutet es auch der Kommentar hier in S 22, 83. Aber wenn die fünf Faktoren als solche die einzige oder wesentliche Bedingung für das Ich-bin wären, dann gäbe es keine Heiligkeit, denn der Heilige erlebt noch die fünf Faktoren, aber ohne ein Ich-bin, d. h. ohne Ergreifen (upâdâna), nicht ergreifend (upâdâya). Die Wesen im Gleichnis, die ihr Bild sehen wollen, ergreifen dazu den Spiegel. Wenn sie keinen Spiegel ergreifen, spiegelt dieser auch kein Bild von ihnen.

[5] Hier stehen dieselben vier Kausative (FN 3). Vielleicht gab der Buddha in seiner Belehrung Punno die sieben Reinheiten nebst dem Gleichnis, oder er hatte sie früher schon Sâriputto so mitgeteilt. Aber das bleibt eine bloße Vermutung.

[6] Die Frage klingt seltsam und ist wohl von Sâriputto nur rhetorisch gemeint, etwa im Sinne von „Wie wir wissen, lehrt der Erhabene den Brahmawandel - aber wie?" Auch ein Sâriputto kann für seine Lehrtätigkeit ja noch von einem solchen Heiligen wie Punno etwas Nützliches erfahren.

[7] Pari-nibbâna (Skr. parinirvâna) wird meist als Synonym für Nibbâna gebraucht, so auch hier. Nur selten bezeichnet pari-nibbâna das völlige Erlöschen der Faktoren beim Tod des Heiligen wie in D 16, wo der Titel (MahâparinibbânaSutta) ja von den Redaktoren stammt. Siehe auch FN 64.

[8] Ausführliche Angaben bei G.P. Malalasekera, Dictionary of Pâli Proper Names (1937), Reprint London 1960, Bd. II, S.1084.

[9] So jedenfalls nach dem Anfang von Jâtaka Nr. 385.

[10] Im Vinaya wird als bekannt vorausgesetzt, daß es über diesen Fluß keine Brücke gab, sondern daß Menschen mit einem Boot übersetzen mußten. Dazu gab der Buddha den Mönchen eine Regel in Pâcittiya 28 und den Nonnen als deren Sanghâdisesa III.

[11] Dieser Satz ist am bekanntesten aus M 37, ebenso in S 35,80 und A VIII/58.

[12] Die holländische Begine Hadewych (= Hedwig),1200 1260 in Vers 3 ihres Gedichtes Nr. 21. Deutsch in WW 1966, S. 115.

[13] dito, aus Gedicht Nr.27 die letzten beiden Zeilen, deutsch bei J. Decroos, Niederländische Gedichte, Freiburg 1960

[14] Eine erste deutsche Übersetzung gab es von Julius von Ott in: „Indien und die Buddhistische Welt", 1912/1913, S. 177 f., unter dem gleichen Titel "Das Leidensende".

[15] Der Tathâgata-Gang kommt sechsundzwanzigmal in den Lehrreden vor, in teils unterschiedlichen Versionen. Im Vinaya, wo man ihn an sich am ehesten vermuten würde, kommt er nicht vor.

[16] So ausdrücklich in M 107 und M 125.


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