Der Geist nimmt in der Lehre des Buddha einen hervorragenden Platz ein. Das
Dhammapada beginnt mit den bezeichnenden Worten:
Mano-pubbangama dhamma, mano-settha, mano-maya.
Das heißt: Geist- gelenkt sind die Dinge, Geist- geprägt, Geist- gemacht. Diese drei Aussagen wollen wir uns einmal etwas genauer anschauen.
1. Geist- gelenkt sind die Dinge - d. h. Geist wirkt als Kraft auf die Dinge
ein und bewegt sie in die ihm gemäße Richtung.
2. Geist- geprägt sind die Dinge - d. h. Geist prägt den Dingen seinen eigenen
Wertmaßstab auf und gliedert ihre Vielfalt entsprechend seinem Ordnungsvermögen.
3. Geist- gemacht sind die Dinge - d. h. die Dinge sind ihrer innersten Natur
nach geformter, gestalteter Geist.
Die Wissenschaft nennt nun das bewegende Prinzip Energie, das ordnende
Information und das formbildende Substanz. Seit einiger Zeit ist es auch im
Westen kein Geheimnis mehr, daß diese Größen eng miteinander verwandt sind. Die
Umwandlung von Substanz in Energie wird bereits wirtschaftlich mit Hilfe von
Atomkraftwerken genutzt. Den umgekehrten Prozeß, das sogenannte Härten von
Strahlung zu Materie, kann man heute schon als klassisches Experiment der
Kernforschung bezeichnen. Und die Informatik, ein jüngerer Zweig der
Wissenschaft, entwickelte erstaunliche Theorien über den inneren Zusammenhang
zwischen Energie-, Informations und Stoffmengen.
Es bereitet heute keine Schwierigkeiten, genau zu berechnen, welche Energiemenge in einem Gramm Materie verkörpert ist oder welche Informationsmenge die Gitterstruktur eines Salzkristalles enthält.
Aber obwohl Energie, Information und Substanz zumindest theoretisch ineinander überführt werden können, weiß kein Wissenschaftler anzugeben, worin denn nun eigentlich das Gemeinsame dieser so unterschiedlichen Größen besteht.
Genau diese Frage aber beantwortet der Buddha und lehrt: Die universelle Macht, die alles bewegt, alles erkennt und alles gestaltet, ist der Geist (mano). Nun wäre wenig gewonnen, wenn es bei dieser bloßen Benennung des allgemeinsten Wirkprinzips bliebe. Geist wäre dann eben nur der abstrakte Sammelbegriff für die unterschiedlichen Wirkensarten. Tatsächlich aber zielt die Buddhalehre gerade darauf ab, den Geist als eine konkrete Macht bewußt zu machen. Es geht ihr, populär gesagt, darum, die gewaltigste Kraftquelle der Welt zu erschließen und nutzbar zu machen.
Dringt man nun in die Besonderheiten dieses Problems ein, so zeigt sich nach einiger Überlegung, daß mit den herkömmlichen Methoden der Wissenschaft diese Aufgabe nicht gemeistert werden kann. Der Geist läßt sich mit keiner technischen Apparatur nachweisen, geschweige denn einfangen.
Auch mit Philosophie und Logik ist ihm nicht beizukommen. Dies liegt daran, daß der Geist überhaupt kein Objekt im üblichen Sinne ist, das in irgendeiner Weise ergriffen oder begriffen werden könnte. Bei allen Objekten materieller oder ideeller, seien es nun Dinge, Eigenschaften, Zustände, Verhältnisse, Vorstellungen oder Ideen, handelt es sich ja nicht um den Geist selbst, sondern um geistige Gestaltungen, Produkte des Geistes also. In den Objekten erblicken wir stets nur die Wirkung geistiger Aktivität, nie aber das geistige Tätigwerden, das lebendige und schöpferische Wirken.
Geist kann niemals einem Erkennenden Gegenstand der Erkenntnis sein - das ist
völlig ausgeschlossen. Dies heißt aber keineswegs, daß Geist unerkennbar wäre.
Tatsächlich ist Geist dann erkannt, wenn er sich seiner selbst bewußt wird, wenn
er sich unmittelbar selbst in seinem Wirken erlebt.
Das ganze Problem der Geistesforschung besteht exakt darin, Zugang zu diesem Erleben zu finden. Es ist klar, daß die Eigenart dieser Aufgabe eine besondere Vorgehensweise dessen verlangt, der sich an ihre Lösung macht. Der Geistesforscher nähert sich der Lösung von außen, aber er kann nicht, wie der Naturwissenschaftler außerhalb des Experimentes stehen bleiben er muß sich mehr und mehr in dasselbe hineinbegeben.
Aber wie kann solches geschehen? Hier zeigt sich der unschätzbare Wert der Buddhalehre: Sie bietet eine bewährte Methode an, die Geisteskräfte erfahrbar zu machen und ihre Gesetzlichkeit zu erforschen (samādhi), vermittelt die hierzu erforderlichen Wissensgrundlagen (pañña) und gibt genaue Anweisung, wie die jeweils gewonnenen Kräfte praktisch eingesetzt werden müssen, wenn ein Fortschritt gewährleistet werden soll (sīla).
Geistesforschung ist unmittelbarste Praxis; ihr Ziel ist kein anderes, als das
Wirken in den Griff zu bekommen. Versuchen wir zunächst einmal selbst, das
Aktionsfeld des Wirkens, unsere Wirklichkeit also, etwas genauer zu bestimmen.
Wie erleben wir Wirken? Auf zweierlei Weise: als Erfahrung und als Verhalten. Erfahrung und Verhalten sind grundlegende Funktionen unseres Daseins. Erfahrung entsteht ohne unser Zutun, sie strömt aus der Umwelt gleichsam in uns hinein, wir erleben sie passiv.
Verhalten dagegen kehrt die Wirkensrichtung um; hier sind wir selbst Aktionsquelle und wirken auf die Umwelt ein.
Die Frage ist nur: Welcher Zusammenhang besteht zwischen unserer Erfahrung und unserem Verhalten? Erschöpft sich in diesen beiden Funktionen unsere Wirklichkeit? Kritische Beobachtung lehrt: Zwischen Erfahrung und Verhalten vermittelt ein prüfendes und wertendes Element, welches wir mit Erkennen bezeichnen wollen. Je nach Erkenntnisvermögen werden gleiche Eindrücke unterschiedlich gedeutet und geben zu abweichendem Verhalten Anlaß Erkenntnis prägt die Erfahrung und läßt eine bestimmte Situation in diesem oder jenem Licht erscheinen.
Und wie wir die Welt sehen, so reagieren wir auf sie. Dieses "Wie" ist von ausschlaggebender Bedeutung. Es entscheidet darüber, ob wir die Welt als harmonisch geordnetes Ganzes schauen und im Einklang mit ihr leben können, oder ob wir in ein wirres Chaos blicken und entsprechend schwachsinnig reagieren.
Wir können dies leicht durch Beobachtung an uns selbst feststellen, weil unser Erkenntnisvermögen Schwankungen unterworfen ist. Es gibt Momente geistiger Klarheit, in welcher wir viele Faktoren unserer Wirklichkeit zu einer geordneten Übersicht verbinden können; dann sind wir von Freude durchdrungen und unser Handeln ist von spontaner Sicherheit und Gutheil.
Dann wieder trüben Gier, Haß, Unruhe, Schlaffheit oder Zweifel unseren Blick, wir sehen die Dinge verzerrt, fühlen uns unsicher und elend und machen alles falsch. Verstehen oder Mißverstehen entscheiden mehr über unser Daseinsbefinden als die Dinge und Vorgänge, mit denen wir gerade konfrontiert sind.
Mangelndes Erkenntnisvermögen nennt der Buddha Unwissenheit (avijja). Unwissenheit stört unsere Erfahrung, und gestörte Erfahrung bewirkt gestörtes Verhalten. Gestörtes Verhalten aber macht die Situation noch komplizierter, schafft neue Verwicklungen, neue Verwirrungen, neue Unsicherheit.
Wo kann man den Kreis aufbrechen? Um klarer zu sehen, müssen wir noch tiefer in das Problem geistigen Wirkens eindringen. Erinnern wir uns hierzu unseres Dhammapada- Verses! Drei Funktionen des Geistes werden hier genannt: Geist lenkt die Dinge, Geist prägt die Dinge, und Geist gestaltet die Dinge aus sich selbst heraus.
Alle drei Funktionen stellen zusammen das geistige Wirken dar, das wir als unsere Wirklichkeit erleben. In Wahrheit hat der Geist nur ein Wirken, oder besser: er ist dieses eine Wirken selbst. Aber wie wir beispielsweise bei einer Flamme, dem Erscheinungsbild des Brennens, Form, Farbe und Temperatur unterscheiden können, so können wir auch unsere Wirklichkeit, die ja nichts anderes ist als das Erscheinungsbild des geistigen Wirkens, nach verschiedenen Gesichtspunkten untergliedern.
Stellen wir uns dabei selbst in den Mittelpunkt der Betrachtung, so erleben wir subjektiv unsere Wirklichkeit als Erfahrung, Erkennen und Verhalten. Eine günstigere Perspektive freilich ergibt sich, wenn wir der Anregung des Dhammapada-Verses folgend direkt vom Geist ausgehen und Wirklichkeit als einen geistigen Gestaltungsprozeß auffassen.
Auch hier lassen sich dann leicht drei Bereiche unterscheiden, in welchen geistiges Wirken jeweils ganz charakteristische Wirkungen hervorbringt. Diese Wirkungen nennen wir allgemein Gestaltungen oder Formationen und unterscheiden also ihrer unterschiedlichen Eigenart entsprechend drei Bereiche der Wirklichkeit, welche sind:
1. der Bereich der Körperformationen,
2. der Bereich der Geistesformationen und
3. der Bereich der Bewußtseinsformationen.
Diese Bereiche werden wir nun einzeln besprechen und sehen, in welcher Weise der
Geist in ihnen tätig wird.
Körperformationen
"Geist lenkt die Dinge", so wird gesagt. Damit Geist die Dinge lenken kann, muß er sie von innen her beherrschen, etwa wie ein Autofahrer von innen her seinen Wagen beherrscht. Die Dinge von innen her lenken bedeutet etwas anderes als die Dinge durch äußeren Anstoß in Bewegung setzen.
Eine Billardkugel wird angestoßen und bewegt sich, sofern ein geübter Spieler den Stoßstab führt, in die von ihm gewünschte Richtung. Aber sobald die Kugel erst einmal frei rollt, entzieht sie sich völlig der Gewalt des Spielers. Sie bewegt sich dann im Kräftefeld eines unpersönlichen, blinden Wirkens, in dessen Gesetzlichkeit der Spieler durch Beobachtung und Übung zwar einigen Einblick, aber keinerlei Zugriff gewinnen kann. Um die Kugel lenken zu können, müßte der Spieler selbst in der Kugel stecken.
Es gibt nun ein Ding, welches der Geist tatsächlich so weit beherrscht, daß er es von innen her in Bewegung setzen kann und in allen Phasen seiner Bewegung unmittelbar zu steuern vermag: dieses Ding ist der Körper. Geist benutzt den Körper als sein Werkzeug und Ausdrucksmittel (vinnatti). Innerhalb gewisser Grenzen kann der Geist frei über den Körper verfügen und ihm diese oder jene Bewegung aufzwingen. Der Körper bewegt sich oder ruht, je nachdem, wie der Geist ihn gestaltet. Ob wir gehen, stehen, sitzen oder uns hinlegen, ob wir den Arm beugen, etwas ergreifen, essen oder trinken, sprechen oder bloß die Miene verziehen - hinter all diesen körperlichen Äußerungen steht geistige Gestaltungskraft, geistiger Ausdruckswille, geistiges Wirken.
Der Willkür des Geistes über den Körper sind allerdings Grenzen gesetzt, denn dieser unterliegt zugleich dem Einfluß äußerer Kräfte und übergeordneter Naturgesetze, die seine Bewegungsfreiheit erheblich einschränken. Hierin zeigt sich eine merkwürdige Polarisierung des universellen geistigen Wirkens. Der körperbeherrschende Geist steht gleichsam in Opposition zu einem anderen Wirken, welches seinen Bestrebungen entgegentritt und seine Entfaltung behindert. Wie kommt es zu dieser Spaltung der geistigen Kräfte?
Die eigentliche Natur des Geistes ist Wirken und Gestalten; seine Tragik aber
besteht darin, daß er sich dabei in seinen eigenen Produkten, den Gestaltungen,
fängt und verwickelt. Der Körper ist ein solches Produkt geistiger
Gestaltungskräfte.
Ursprünglich besteht die materielle Substanz des menschlichen Organismus lediglich aus einer winzigen befruchteten Eizelle, in , welcher aber mächtige schöpferische Kräfte am Wirken sind. Diese Kräfte saugen begierig Nahrungsstoffe aus der Umgebung an sich und modellieren dieses Baumaterial innerhalb von neun Monaten zu einem überaus komplizierten und kunstvollen , Gebilde, eben dem Körper.
Je mehr aber dieses Kunstwerk an Gestalt gewinnt, desto mehr verliert sich die ursprüngliche Schöpferkraft in der ausgeformten, gebundenen Substanz des Körperhaften. Was an gestaltender Kraft noch tätig werden will, wird zunehmend behindert durch bereits Gestaltetes und Fest gelegtes; das schon Gewordene steht dem Werdenwollen zählebig im Wege und läßt ihm keinen Raum mehr zur Entfaltung.
Mit dem Körper hat sich der Geist eine Wohnstätte geschaffen, zugleich aber sein Gefängnis; es sind selbstgeschaffene Mauern, gegen welche er nun anrennt. Aus diesem Gefängnis aber versucht er immer wieder den Ausbruch, indem er den Körper von innen heraus umformt und innerhalb der noch verbliebenen Möglichkeiten gestaltet; hierbei entstehen dann die Körperformationen.
Die Sache muß aber noch unter einem anderen Aspekt gesehen werden. Mit dem
Körper, der Sinnesorgane und Gehirn enthält, schafft sich der Geist erst den
Spiegel, in dem er sich erkennen und seiner selbst bewußt werden kann. So
gewaltig nämlich die ursprünglichen geistigen Kräfte auch sein mögen, so sind
sie doch selbst blind und ihres Schaffens völlig unbewußt.
Geist weiß von keinem Bauplan, wenn er den Organismus gestaltet; auch besitzt er noch keine reflektierende Intelligenz, den Aufbau zu kontrollieren. Vielmehr ist es die Struktur des Geistes selbst die ihm innewohnende Ordnung, welche sich in der materiellen Form verfestigt und durch sie Ausdruck gewinnt. Ähnlich wie sich Eisenfeilspäne im Kraftfeld eines Magneten ausrichten und die Struktur des magnetischen Feldes sichtbar werden lassen formieren sich im Wirkfeld des gestaltenden Geistes Milliarden und Aber- Milliarden von Atome zum materiellen Erscheinungsbild des Organismus und schaffen durch ihn ein sichtbares Bild von der Struktur des wirkenden Geistes.
Aber nicht alle Geisteskräfte werden beim Aufbau des Organismus materiell
abgesättigt, ein mehr oder weniger großer Anteil bleibt materiell ungebunden.
Dieser freie Teil Geisteskraft, dessen Umfang und Qualität von der geistigen
Gesamtstruktur abhängen, kann nun auf der Grundlage der geordneten
Körpersubstanz aufbauend die Funktionen der Empfindung, der Wahrnehmung und des
Erkennens erfüllen.
Wir wollen die freie Geisteskraft im Organismus einmal dessen Intelligenz nennen; auf die genannten Funktionen werden wir später genauer eingehen. Hier nur soviel: Solange die Intelligenz noch schwach ist, kann Geist seine wahre Natur nicht erkennen. Er weiß nicht, daß er lebendiges Wirken ist, vielmehr identifiziert er sich mit einer bloßen Wirkung, nämlich mit der Fossilen Hinterlassenschaft seines früheren Wirkens, dem Körper. Durch derartige Verleugnung seiner eigenen Natur setzt sich natürlich der erkennende Geist- Anteil in Widerspruch zu allem übrigen Wirken, was letztlich heißt: Geist gerät in Konflikt mit sich selbst.
Diese entwicklungsbedingte Schizophrenie ist ein unvermeidliches Durchgangsstadium geistiger Evolution, der Buddha nennt sie Ich - Wahn. Dem Intellekt erscheint nämlich die Wirklichkeit als in zwei Systeme gespalten, die gegeneinander wirken, diese nennt er "Ich" und "Umwelt".
Im Kampf dieser Systeme reibt er sich auf, erfährt Leiden, wird zum Nachdenken über die Ursache des Leidens gezwungen und entwickelt so nach und nach in einem mühsamen und widerspruchsvollen Lernprozeß eine wirklichkeitsgemäße Vorstellung von den Daseinsvorgängen.
Doch zurück zu den Körperformationen! Was die wechselnden Bewegungen des Organismus anbetrifft, so werden diese erst möglich durch das Vorhandensein freier, materiell nicht abgesättigter Geisteskräfte. Bewegung ist eine schöpferische Aktion, die den Leib zu einem Iebendigen Kunstwerk werden läßt. Mit jedem Schritt, jedem Handgriff, jeder Geste und jedem Wort gebiert sich der Ausdruckswillen des Geistes neu in die Form des Leibes. In der Phase des Ich-Wahns freilich fehlt dieser Schöpferkraft noch das Bewußtsein. Der Intellekt ist nicht wach und feinsinnig genug, Freude an reiner Bewegung zu finden.
Was hier zählt, ist allein der Zweck, dieser aber heißt Stillung der körperlichen Bedürfnisse, und so werden die freien Geisteskräfte immer wieder abgesättigt, entspannt und totgelegt im stumpfsinnigen Kreislauf fortgesetzter Triebbefriedigung. Derart gefesselt an den Körper, unterliegt der verblendete Intellekt leicht furchtbaren Irrtümern; und in seiner Not, die Unersättlichkeit des Organismus zu stillen, lenkt der den Körper auf gefährliche Abwege. Körperliche Bewegungsfreiheit miß brauchend, tötet, stiehlt, lügt, ehebricht er und konsumiert Rauschgifte, wodurch seine ohnehin kümmerliche geistige Potenz Gefahr läuft, in Verbrechen und Wahnsinn restlos zu versiegen.
Hier bietet die Buddhalehre dreifache Hilfe an:
Im Bereich der Körperformationen heißt dies konkret:
Damit aber schließt der erste Teil unserer Darstellung der gestaltenden
Kräfte des Geistes.