Das Licht der Lehre

von Sri Gnanawimala Maha Thero

15. Die gestaltenden Kräfte des Geistes 2. Teil



"Geist- geprägt sind die Dinge", heißt es im Dhammapada. Der Begriff "prägen" umfaßt dabei zwei wichtige Funktionen des geistigen Wirkens: Formgebung und Wertzuweisung.

Was hierunter zu verstehen ist, können wir leicht am Beispiel der Münzprägung verdeutlichen. Die Formgebung der Münze erfolgt dadurch, daß sich Prägestempel und Matrize fest ins Metall des Münzrohlings eindrücken, wonach dessen Oberfläche gleichsam als plastischer Spiegel die negativ gezeichnete Kontur des Prägewerkzeuges positiv in allen Einzelheiten abbildet.

Durch den Prägeschlag gewinnt der Rohling aber nicht nur eine scharf umrissene Gestalt, sondern auch eine neue Qualität: zur Münze ausgeformt avanciert das Metallscheibchen zum Geldstück, in welcher Eigenschaft ihm ein bestimmtes Quantum Kaufkraft zukommt - somit wird es zum Träger eines idealen Wertes. Der reale Wert des ungeprägten Metalles bestimmte sich noch aus seiner Verwendbarkeit zur Herstellung nützlicher Dinge; der neue, ideelle Wert jedoch beruht auf bloßer Vereinbarung - in der materiellen Substanz der Münze ist er unauffindbar. Zu ganz analogen Resultaten führt die Prägung der Dinge durch den Geist, welchen Vorgang wir uns heute etwas näher ansehen wollen.


Wie die materielle Basis der Münze aus einer Legierung verschiedener Metalle besteht, setzt sich auch der geistige Rohstoff, welcher die eigentliche Substanz der geistigen Gestaltungen ausmacht, aus verschiedenen Elementen zusammen. Objektiv gesehen werden z. B. die Wahrnehmungen aus energetischen Impulsen unterschiedlicher Frequenz und Amplitude gebildet, welche durch Erregung der fünf Sinnesorgane entstehen und im Gehirn weiter verarbeitet werden. Subjektiv nennen wir diese unterschiedlichen Signale Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten und Denken.

Gewöhnlich aber wird dieser Erfahrungs- Rohstoff als solcher gar nicht bewußt, denn sofort ergreift ihn der Geist und gestaltet ihn zu Dingen mannigfacher Art. Hierbei faßt er die einzelnen Sinnesreize zu Wahrnehmungs- Komplexe zusammen, drückt diesen wie ein Prägestempel seine eigene Kontur auf und projiziert sie nach außen, wodurch dann die Welt der gegeneinander abgegrenzten Objekte in Erscheinung tritt.

Die Gestaltung der Einzelwahrnehmungen zu Dingen erfolgt auf dieser Entwicklungsstufe ganz spontan und unbewußt, und erst in Anschauung des jeweiligen Resultates entsteht Bewußtsein. Es handelt sich hier um genau den gleichen Gestaltungsprozeß, der auch den Körper hervorbrachte, nur eben um eine fortgeschrittene Phase desselben.


Im Gegensatz zur schlagartigen Münzprägung formt und entfaltet sich die Welt der geistigen Gestaltungen durch ein allmähliches, organisches Wachstum, ähnlich wie sich allmählich aus einem Samenkorn eine Pflanze entwickelt. Alle wesentlichen Merkmale der zukünftigen Pflanze sind bereits im Samenkorn vorhanden, zunächst aber nur als Anlage, als Möglichkeit. Damit sie wirklich in Erscheinung treten, muß der Keim Nahrung aufnehmen und diese gestalten, und dieser Vorgang braucht seine Zeit.

Erst die voll entwickelte Pflanze macht sichtbar, welcher Bauplan im Samenkorn verborgen war und welche Kräfte in ihm schlummerten. Ebenso wird die Struktur des prägenden Geistes erst dadurch sichtbar, daß er Nahrung ergreift (upadana) und diese entsprechend seiner Veranlagung gestaltet (sankhara). Der aufgenommene und verarbeitete Nährstoff wird hierbei mit der Zeit immer feiner und bildsamer, das Gestaltete immer ausdrucksvoller und geistähnlicher, so daß nach und nach in immer schärferer Zeichnung das Bild des prägenden Geistes in Erscheinung tritt.


Wir können den geistigen Gestaltungsprozeß in drei Entwicklungsphasen gliedern, deren jede durch eine bestimmte Art der Ernährung gekennzeichnet ist. So verwirklicht sich die grobstoffliche Struktur im Aufbau des Leibes, wobei die begierigsten Kräfte auch den gröbsten Nährstoff, die materielle Substanz, an sich ziehen.

Sodann treten gemäßigte Kräfte in ihre Rechte und bewirken durch Aufnahme und Umsetzung von Energie Empfindungen, Wahrnehmungen und Denkvorgänge, wobei in dieser Art Gestaltungen zunehmend die feinkörperliche Struktur des Geistes zutage tritt. Schließlich vermögen die subtilsten Kräfte des Geistes, die seiner unkörperlichen Struktur entsprechen, auch die subtilste Nahrung, nämlich Information zu verarbeiten und diese zu Einsichten, Erkenntnissen und Wahrheiten zu gestalten.

So ordnet sich, bei einem klaren und entwickelten Geiste, das Feld der körperlichen und geistigen Gestaltungen allmählich zu einem transparenten Weltbilde, zu einer ungetrübten Schau der Wirklichkeit, während der Gesichtskreis eines schwachen Geistes durch Mangel an Erkenntniskraft eingeengt bleibt, weshalb er nur zur Vorstellung eines verworrenen Irrgartens gelangt.


Tatsächlich stellt die Welt mit all ihren Widersprüchen, so wie sie erscheint und erlebt wird, letztlich nichts anderes dar als das getreue Spiegelbild des prägenden Geistes. Dies zu begreifen, ist dem unentwickelten Geist jedoch schlechthin unmöglich. Wie nämlich die Münze als plastischer Spiegel die negative Gravur des Prägestempels ins Positive kehrt, so zeigt auch das Spiegelbild des Geistes in den Objekten eine charakteristische Besonderheit: in ihm erscheinen Aktivität und Passivität gerade vertauscht.

Demzufolge erlebt der Geist hier sein eigenes, aktives Wirken in der komplementären, passiven Erscheinungsform des Leidens. Dieses ist nun aber seinem ganzen Streben genau entgegengerichtet und mit ihm völlig unvereinbar, weshalb er der Täuschung unterliegt, es handle sich hier um zwei völlig unabhängige Wirksysteme.


In dieser Entwicklungsphase gleicht der Geist einem Mann mit schwachem Verstande, der vor einem Spiegel stehend die rechte Hand hebt und nun beobachtet, daß sein Gegenüber diese Bewegung mit der linken Hand ausführt, und der nun wegen dieser "Eigenmächtigkeit" hinter seinem gespiegelten Ebenbild eine zweite Person vermutet.

Ebenso vermutet der Geist hinter seinem Spiegelbild, der Welt der Erscheinungen, eine absolute Realität, fähig eines selbständigen Wirkens, das von dem seinen ganz unabhängig sei.

Denn in der Welt, so lehrt ja der Augenschein, regiert nicht sein Wille; vielmehr scheint hier alles darauf angelegt zu sein, seinen Willen geradewegs zu durchkreuzen; und hieraus schließt er auf die Tätigkeit einer fremden Macht, heiße sie nun Gott, Schicksal oder Zufall, die jedenfalls für das viele unverdiente Leiden in der Welt verantwortlich sei.


Der Grund für das Nicht- Erkennen- Können der wahren Zusammenhänge liegt einfach darin, daß hier das geistige Wirken selbst noch weitgehend unbewußt erfolgt und bloß die Wirkungen deutlich ins Bewußtsein treten, die Ursache derselben also verdunkelt bleibt, weshalb die Dinge aus ganz unerklärlichem Grunde erscheinen und als etwas Fremdes empfunden werden. Nun ist allerdings diese Blindheit keine totale, sondern zeigt entwicklungsbedingte Abstufungen.

Im ersten Teil unserer Darstellung sahen wir, wie zunächst blindes, unbewußtes Wirken das Wachstum des Lebenskeimes vorantreibt. Mit der Ausgestaltung des Organismus erwacht aber auch zunehmend der Geist. Als erstes Zeichen dieses Erwachens dämmern schon im Mutterleib die Gefühle auf, nach der Geburt ermöglichen die Sinnesorgane differenziertere Wahrnehmungen, diese werden dann zu geistigen Gestaltungen verarbeitet, welche schließlich als Dinge, Begriffe, Vorstellungen, Ansichten und Weltanschauungen das Bewußtsein füllen.


Allerdings entsteht Bewußtsein keineswegs erst nach der Geburt. Schon wenn dem Embryo die erste dumpfe Empfindung der eigenen Körperlichkeit heraufdämmert, wird dieses Gefühl auch wahrgenommen, d. h. es wird bewußt, mag dieses Bewußtsein auch keimhaft und undifferenziert wie der Körper selbst sein. Und doch ist das Objekt des Bewußtseins immer schon eine geistige Gestaltung.

Der erwachende Geist blickt sogleich in den Spiegel der Objekte, in welchem ihm das Resultat seines bisherigen aktiven Wirkens, hier eben der Körper in seinem momentanen Entwicklungsstand, passiv mittels Empfindung bewußt wird. Man könnte diese erste Empfindung also mit gleichem Recht als Körperformation, Geistesformation oder Bewußtseinsformation auffassen.


Mit diesem ersten Erkenntnisakt beginnt aber schon die Differenzierung und Aufspaltung der geistigen Kräfte, die für die weitere Entwicklung des Organismus unerläßlich ist. Die Natur eines Gefühls bringt es eben mit sich, daß es entweder als angenehm oder als unangenehm empfunden wird, und sofort reagiert der Geist entsprechend mit Anziehung oder Abwehr. Dies bedeutet, daß ein gewisser Teil des geistigen Wirkens nicht mehr blind, sondern objektbezogen tätig wird. Freilich ist dieser Anteil zunächst sehr gering, denn der Körperaufbau verschlingt den Löwenanteil geistiger Energie im unbewußten Wirken. Aber mit der Ausformung des Organismus entwickelt sich auch das Bewußtsein mehr und mehr; immer deutlicher werden die Empfindungen, immer stärker der zielgerichtete Anteil des geistigen Wirkens.

Mit der Geburt treten die fünf Sinne in Tätigkeit und vermitteln eine Vielzahl neuer Objekte, welche der erwachende Verstand zu gliedern und zu ordnen bemüht ist. Das Chaos von Farben, Formen, Tönen, Gerüchen, Geschmacks- und Testempfindungen lichtet sich allmählich und gewinnt in den Dingen der Außenwelt Gestalt und Festigkeit. Auch lernt der Geist den Körper zu beherrschen und wie ein Werkzeug zu seinen Zwecken zu benutzen. Bei all dem wird ein wachsender Teil des geistigen Wirkens von der Objektwelt absorbiert und zur Auseinandersetzung mit ihr gezwungen. Dieses objektbezogene Wirken nennen wir den Willen (cetanā).


Der Wille aber kann nur deshalb entstehen, weil sich der Geist in den Gestaltungen noch nicht erkennen kann. Seine unmittelbare Voraussetzung ist daher die Unwissenheit (avijja) über den wahren Charakter der Erscheinungen. Solange der Geist sein Spiegelbild noch nicht erkennen kann, fehlt ihm der Überblick über das Gestaltete. Er weiß nicht, weshalb ihm die Dinge so und nicht anders erscheinen, welche Bedeutung diesem oder jenem Vorgang zukommt. Aus seiner beschränkten Sicht scheint ihm vieles am falschen Platz und in heilloser Unordnung zu sein; einige Dinge seiner Welt hält er für ganz entbehrlich, ja für verabscheuungswürdig, andere wiederum für erfreulich und begehrenswert.

Und so macht er sich daran, die Dinge nach seinem Geschmack zu ordnen, wobei seine naive Vorstellung von Ordnung darin besteht, möglichst alles Angenehme an sich zu reißen und alles Unangenehme abzuwehren.

Während also der Geist in seinem ursprünglichen Wirken ganz unbefangen seine eigene Natur verwirklicht und die Dinge in unschuldiger Reinheit (tathata) entstehen läßt, setzt sich nun der Wille mit den gestalteten Produkten kritisch auseinander und versucht sie nachträglich auf jede Weise umzumodeln. Dies gelingt ihm nun allerdings nur in sehr bescheidenem Umfange.

Die unbewußt gestaltete Welt zeigt sich nämlich von einer derart handfesten Solidität, daß gegen sie der Wille nur recht wenig auszurichten vermag. Dies liegt einfach daran, daß sich im unbewußten Wirken noch sämtliche geistigen Kräfte ungeteilt auf den jeweiligen Gestaltungsakt konzentrieren, während der Bewußtwerde-Vorgang die geistigen Kräfte in erkennende und wollende spaltet, wobei das Bewußtsein von den Objekten, d. h. von bloßen Wirkungen so völlig eingenommen und gefesselt wird, daß für ein bewußtes Wirken kaum noch Raum bleibt. Dementsprechend beherrschen die Resultate des primären unbewußten Wirkens das Bewußtsein und erscheinen hier in lebhaftesten Farben als vorgegebene, unabweisbare Realität, wogegen die Resultate des sekundären bewußten Wirkens, des Willens also, ins Wesenlose verblassen. So jedenfalls erscheint die Sache im Spiegel der Objekte.

Im dritten Teil unserer Darstellung werden wir jedoch sehen, daß die gesamte Objektwelt, welche den Willen so hart in seine Schranken verweist, letztlich nichts anderes darstellt als gerade die komplementäre Seite eben dieses Willens.


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