Note 98 zu D. 33
In diese sechsfache Sechsheit ist alle Daseinsart und Daseinsmöglichkeit einbegriffen. Sāriputto gibt hier nur die Schlagworte zur berühmten Rede des Meisters, die diese Dinge Stück um Stück insgesamt zur Besichtigung vorweist: es ist die 148. der Mittleren Sammlung, und sie hat als bezeichnenden Titel eben den Namen «Sechsfache Sechsheit» erhalten.
Im Samyuttakanikāyo wird diese Art der Betrachtung und Untersuchung in einem ganzen Buche durchgeführt, im Salāyatanavaggo oder dem Abschnitt vom Sechsfachen Reich. Als Beispiel der dort gepflegten Methode und reinen Kritik der Vernunft seien zunächst zwei kurze Stücke, die bloße Stempel abgeben, vorgelegt. Gotamo spricht:
«Alles will ich euch zeigen, ihr Mönche, das mögt ihr verstehen. Was ist also, ihr Mönche, alles? Das Auge ist es und die Formen, das Ohr und die Töne, die Nase und die Düfte, die Zunge und die Säfte, der Leib und die Tastungen, das Denken und die Dinge: das heißt man, ihr Mönche, alles. Wer, ihr Mönche, etwa behaupten wollte: <Ich werde solch ein alles zurückweisen und ein alles von anderer Art aufstellen>, und er würde eben über den Gegenstand seiner Behauptung befragt werden, so könnte er keinen Bescheid geben, müßte vielmehr in Verlegenheit geraten: und dies warum? Weil so etwas, ihr Mönche, nicht zu finden ist. - Zweiheit will ich euch zeigen, ihr Mönche, das mögt ihr verstehen. Was ist also, ihr Mönche, Zweiheit? Das Auge ist es und die Formen, das Ohr und die Töne, die Nase und die Düfte, die Zunge und die Säfte, der Leib und die Tastungen, das Denken und die Dinge: das heißt man, ihr Mönche, Zweiheit. Wer, ihr Mönche, etwa behaupten wollte: <Ich werde solch eine Zweiheit zurückweisen und eine Zweiheit von anderer Art aufstellen>, und er würde eben über den Gegenstand seiner Behauptung befragt werden, so könnte er keinen Bescheid geben, müßte vielmehr in Verlegenheit geraten: und dies warum? Weil so etwas, ihr Mönche, nicht zu finden ist.» (Bd. IV S. 18f. u. 83 der siam. Ausgabe. In der Pali Text Society IV 15 u. 67 nur mit Vorsicht zu gebrauchen, bei den zahlreichen Versehn und Fehlern wie kinci statt kiñ ca, ca statt ceva etc.)
Wie nun dies alles und diese Zweiheit bestehen oder auch nicht bestehen kann, wird dann ferner gezeigt. Und es wird dargelegt, wie es einzig der Wille ist, chando, durch den das Ganze der Verbindung zustande kommt, und daher die Lebenserscheinung mit ihrem ganzen sauberen Weltspuk durchaus nur bedingten Bestand hat. «Wenn das Auge und die Formen, das Ohr und die Töne, die Nase und die Düfte, die Zunge und die Säfte, der Leib und die Tastungen, das Denken und die Dinge den Menschen bänden, dann gäbe es hier kein heiliges Leben zur vollkommenen Leidensversiegung; da nun aber nicht das Auge und die Formen, das Ohr und die Töne, die Nase und die Düfte, die Zunge und die Säfte, der Leib und die Tastungen, das Denken und die Dinge den Menschen binden, es vielmehr der Willensreiz ist, chandarāgo, der aus je beiden hervorgeht: darum gibt es hier ein heiliges Leben zur vollkommenen Leidensversiegung; Auge und Formen, Ohr und Töne, Nase und Düfte, Zunge und Säfte, Leib und Tastungen, Denken und Dinge bestehen, Wille danach besteht nicht mehr, entbunden davon ist das Herz. Wenn ein schwarzer und ein weißer Ochse zusammengespannt sind, hält nicht der schwarze den weißen oder der weiße den schwarzen, das Joch hält sie beide zusammen. Man hat wohl das Auge, man sieht mit dem Auge die Form, aber Willensreiz besteht nicht mehr dabei, gänzlich entbunden ist das Herz. Man hat wohl das Ohr, man hört mit dem Ohr die Töne, aber Willensreiz besteht nicht mehr dabei, gänzlich entbunden ist das Herz. Man hat wohl die Nase, die Zunge, den Leib, hat das Denken, man erkennt mit dem Denken die Dinge, aber Willensreiz besteht nicht mehr dabei, gänzlich entbunden ist das Herz. Daher ist das eben je nach dem Umstand zu beurteilen, insofern nicht das Auge durch die Formen gefesselt wird, und auch nicht die Formen durch das Auge; nicht das Ohr durch die Töne - nicht das Denken durch die Dinge gefesselt wird, und auch nicht die Dinge durch das Denken: sondern was da aus je beiden als Willensreiz hervorgeht, das ist da Fessel.» (Bd.IV S.201ff., PTS 162ff.)
So wird es dem Jünger mehr und mehr klar, daß Anfang und Ende der Welt im Menschen selbst gelegen und nicht außen zu suchen sei. Wer als befangener Mensch den Traum der Wandelwelt gültig zu berechnen sich müht, dem wird der gemeinwertige Begriff von Anfang und Ende immer unausdenkbar bleiben, anamataggo: während der Wahnversiegte, der das Werk gewirkt hat, allerdings sicher weiß, daß, wie er sagt, «diese Welt nicht mehr ist», Abschluß der Rede von der Sechsfachen Sechsheit, Mittlere Sammlung. Dieser Gedankengang, der über die letzten und schwierigsten Gipfel des Denkvermögens hinführt, ist dann von Gotamo noch in einen trefflich bezeichnenden Merkspruch zusammengefasst, auf den kürzesten Ausdruck gebracht worden, im Samyuttakanikāyo zweimal überliefert. Er lautet das erste Mal: «Wo es kein geborenwerden und altern, kein sterben und vergehen und entstehen gibt, dies Ende der Welt, sag' ich, kann durch kein Wandern erforscht, erschaut, erreicht werden; und doch sag' ich, daß ohne das Ende der Welt zu finden dem Leiden kein Ende gemacht werden kann: aber in eben diesem klaftergroßen Leibe da, dem wahrnehmen und denken anhaftet, lass' ich die Welt verstanden sein, die Weltentwicklung, die Weltauflösung und den zur Weltauflösung führenden Pfad.» Das andere Mal heißt es: «Durch kein Wandern, sag' ich, kann das Ende der Welt erforscht, erschaut, erreicht werden: und doch sag' ich, daß ohne das Ende der Welt zu finden dem Leiden kein Ende gemacht werden kann.»
Und diese zweite, möglichst knappe Fassung, die der Meister den Jüngern als Stempel gegeben hat, wird nun alsbald von Anando vor den Ordensbrüdern erklärt, wozu dann Gotamo seine Billigung bekundet. Anando aber führt aus: «Wodurch man, ihr Brüder, in der Welt weltbewußt wird, weltbedünkend, das heißt man im Orden des Heiligen <Welt>. Durch was aber, ihr Brüder, kann man in der Welt weltbewußt werden, weltbedünkend? Durch das Auge, ihr Brüder, kann man in der Welt weltbewußt werden, weltbedünkend; durch das Ohr, durch die Nase, durch die Zunge, durch den Leib, ihr Brüder, kann man in der Welt weltbewußt werden, weltbedünkend; durch das Denken, ihr Brüder, kann man in der Welt weltbewußt werden, weltbedünkend. Wodurch man, ihr Brüder, in der Welt weltbewußt wird, weltbedünkend, das heißt man im Orden des Heiligen <Welt>.» -
Das sechsfache Gebiet ist vom Übel und daher nicht zum Ergetzen da. Wie Korn auf der Tenne von Dreschflegeln bearbeitet wird, so wird der gewöhnliche, unerfahrene Mensch von den bald angenehmen bald Unangenehmen Empfindungen der sechs Sinne durchdroschen und wenn er überdies noch an sein künftiges Wiederdasein denkt, wird er nur um so mehr noch zum siebentenmal niedergepeitscht: Samyuttakanikāyo Bd. IV S. 248f. Und es ist unendlich schwer, und wäre doch nur unglaublich leicht, die Genesung zu finden. Denn alles hängt vom Vermeinen ab. «Vermeinen läßt vom Tode gebunden sein, Nichtvermeinen läßt vom Bösen befreit sein. <Ich bin> ist ein Vermeinen, <Ich bin nicht> ist ein Vermeinen, <Ich werde sein> ist ein Vermeinen, <Ich werde nicht sein> ist ein Vermeinen, usw. Vermeinen aber ist krank sein, Vermeinen ist wund sein, Vermeinen ist weh sein. Darum habt ihr da, Mönche, ein Gemüt zu erwerben, das nichts mehr von Vermeinen weiß: also habt ihr Mönche euch wohl zu üben». Von einem solchen Jünger gilt der Spruch, den Sāriputto sagt, Lieder der Mönche 1003:
Ich freue mich des Sterbens nicht, Geduldig wart' ich ab die Zeit, |
Ich freue mich des Lebens nicht: Gleichwie der Söldner seinen Lohn. |