Note 100 zu D.33
Ist zugleich eine Abwehr der Lehre der Jainās, nach welcher der Mensch die Folgen schlechter Taten nur Stück um Stück leidvoll abbüßen könne: A.IV.195, diese jinistische Ansicht wird besonders ausführlich, mit großartigem Einblick und Umblick, in M.101 widerlegt.
Durch eingehende Prüfung der hier von anderen Seiten überlieferten Hauptstellen wird die dunkle Schicksalslehre der Jainās bei den Zeitgenossen richtig beleuchtet und einigermaßen verständlich. Man muß jedoch den Jainās zugestehn, daß sie im ācāro oder Lebenswandel, in der Praktik, auf die es ja schließlich allein ankommt, dem Asketentum Gotamos recht nahe gefolgt sind. Der Lehrsatz Nāthaputtos, der in M.101. von seinen Jüngern erklärt wird: «durch Tatenversiegung Leidenversiegung», kammakkhayā dukkhakkhayo, scheint von Nāthaputto eingeführt und von Gotamo übernommen zu sein. Er ist selten, sonst nur vereinzelt, offenbar als asketisches Erbstück, wie in der Svetāsvataropanisat VI v. 4 und im Mabābhāratam XIII 338 zu finden.
Wie nach der Seite der Erkenntnis jene klare Besonnenheit, von der oben im Texte Sāriputto spricht, zu betrachten sei, zeigt die allumfassende Meisterrede im Anguttaranikāyo, Tikanipāto 62:
Drei gibt es, sagt Gotamo, der Hafenplätze, über die man sich mit Kennern zu befragen, auszuforschen, zu unterrichten pflegt; ist man aber hingelangt, so verharrt man in Untätigkeit: und welche drei? Manche Asketen und Priester sagen und lehren, daß alles was der Mensch an Wohl und Weh oder weder Weh noch Wohl erfährt eine Folge seiner früheren Taten sei. Andere wieder behaupten, alles geschehe nach dem Plan eines Schöpfers. Und wieder andere was immer der Mensch erlebt, es ist alles ein Spiel des Zufalls, unbegründet, unbedingt. Jenen Weltweisen, die das Leben des Menschen als sein vorhergewirktes Werk erklären, erwidert nun Gotamo, daß sie dann zu Mördern, Dieben, Lügnern, Gehässigen, Verblendeten usw. infolge ihrer früheren Taten werden könnten. Wenn sie sich da nun ernstlich auf die früheren Taten zurückbeziehn, dann gibt es für sie keinen Willen und keinen Kampf: <Das ist zu tun, und das ist zu lassen.> Und da man sich so auf kein Tun und kein Lassen wahrhaft und sicher Stützen kann, kommt es mit Leuten, die sich nicht zu besinnen und nicht zu behüten verstehn, zu keiner sich selbst betrachtenden, Asketen geziemenden Unterredung.
Ganz auf die gleiche Weise werden sodann die anderen Gelehrten abgewiesen, die da vermeinen, alles geschehe nach dem Plan eines Schöpfers, oder alles sei bloß ein Spiel des Zufalls. Denn auch hier träfe immer zu, daß es dann keinen Willen und keinen Kampf gäbe: <Das ist zu tun, und das ist zu lassen.> Und da man sich so auf eigenes Tun und Lassen nicht wahrhaft und sicher stützen kann, ist mit verwirrten und haltlosen Leuten nichts auszurichten. Das ist die Abweisung, die den Lehren jener Asketen und Priester gegeben wird. Denn es sind drei Hafenplätze, über die man sich mit Kennern zu befragen, auszuforschen, zu unterrichten pflegt; ist man aber hingelangt, so verharrt man in Untätigkeit. Da hab' ich denn, ihr Mönche, eine Satzung dargelegt, die man nicht abweisen, nicht bemakeln, nicht bemängeln kann, gegen die sich kein verständiger Asket oder Priester auflehnen kann: und was für eine Satzung ist das? Sechsfache Artung gibt es: Art zur Erde, Art des Wassers, Art des Feuers, Art der Luft, Art des Raumes, Art des Bewußtseins. Sechsfache Berührung: Gesicht ist Berührung, Gehör ist Berührung, Geruch ist Berührung, Geschmack ist Berührung, Getast ist Berührung, Gedenken ist Berührung. Achtzehn geistige Angehungen: hat man mit dem Gesichte eine Form erblickt, so geht man die erfreulich bestehende Form an, geht die unerfreulich bestehende Form an, geht die gleichgültig bestehende Form an. Hat man mit dem Gehöre einen Ton gehört, hat man mit dem Geruche einen Duft gerochen, hat man mit dem Geschmacke einen Saft geschmeckt, hat man mit dem Getaste eine Tastung getastet, hat man mit dem Gedenken ein Ding erkannt, so geht man das erfreulich bestehende Ding an, geht das unerfreulich bestehende Ding an, geht das gleichgültig bestehende Ding an. Vier heilige Wahrheiten: sechsfacher Artung anhangend kommt es zur Empfängnis, ist es dazu gekommen wird Geistigkeit und Körperlichkeit, durch Geistigkeit und Körperlichkeit bedingt ist sechsfaches Reich, durch sechsfaches Reich bedingt ist Berührung, durch Berührung bedingt ist Gefühl; wer aber fühlend geworden ist, ihr Mönche, dem künd' ich an <Das ist das Leiden>, künd' ich an <Das ist die Leidensentwicklung>, künd' ich an <Das ist die Leidensauflösung>, künd' ich an <Das ist der zur Leidensauflösung führende Pfad>.
Hieran schließt sich nun die bekannte Darstellung, unserer 22. Rede gemäß. In jene drei Hafenplätze, titthāyatanāni, hatte aber Gotamo sämtliche anderen noch möglichen einbezogen. Zu seiner Zeit waren insbesondere sechs titthakarā oder tīrthankarās, darunter auch der Freie Bruder Nāthaputto, als Häupter der Schulen berühmt: Ordensväter, bekannte, gefeierte Bahnbrecher, die viel bei den Leuten galten, Meister, die ihren Jüngern die Rettung über den samsāro oder das Meer der Wandelwelt und die sichere Landung im Hafen der Ewigkeit verhießen.
Doch gab es noch unzählige andere tīrthās oder Gelegenheiten zur Überfuhr, wie es unsere 16. Rede mit andeutet, späterhin das Mahābhāratam III 4091 etc. beglaubigt und heute noch an einer der abergläubigsten östlichen Wallfahrten der Tempel des Kotitīrthesvaras, des «Herrn der Zehnmillionen Überfahrten», bei Bhuvanesvar, nördlich Jagannāth, den Pilgerscharen bezeugt; «andersfährtige Pilger», aññatitthiyā paribbājakā, wurden sie von Gotamo und seinen Jüngern genannt, nicht tadelnd, nur kennzeichnend, immer wie oben in unserer 28. und 29 Rede.
Die Satzung Gotamos ist nun freilich dagegen, wie wir oben gesehen haben, auf eine äußerst bescheidene Norm gebracht: und zugleich vollkommen frei von Geheimsinn und Hinterweltkunde, sie beschränkt sich auf die jedem Verständigen zugänglichen Tatsachen. So schafft sie den festgefügten Stapel, sagt Telakāni in den Liedern der Mönche 764-766, von Pfeiler zu Pfeiler steigt man auf, erblickt das Schiff und erfindet die beste Überfuhr, tittham uttamam. Schiff, nāvā, ist da nur dichterischer Ausdruck für kullo, das eigentlich gemeinte Floß der Lehre. -
Wer nun, wie Gotamo, das Selbst, attā, als nirgend auffindbar erklärt, daher alles als wandelbar, leidig, nichtig abweist, kann wirklich zu wahnlosem Wohlbefinden gelangen, ja es kann gar nicht anders ausgehn: weil er die Möglichkeit des Leidens in sich getilgt hat, ist er über jede Leidigkeit hinweggekommen, fraglos und wahnlos schon bei Lebzeiten zu einem leidlosen Wesen geworden.