DIE WURZELN VON GUT UND BÖSE

34. Betrachtung des Geistes

"Und wie, ihr Mönche, weilt der Mönch, beim Geist in der Betrachtung des Geistes? Da weiß der Mönch vom lustbehafteten Geist: 'Lustbehaftet ist der Geist'; er weiß vom lustfreien Geist: 'Lustfrei ist der Geist'; er weiß vom haßbehafteten Geist: 'Haßbehaftet ist der Geist'; er weiß vom haßfreien Geist: 'Haßfrei ist der Geist'; er weiß vom verblendeten Geist: 'Verblendet ist der Geist'; er weiß vom unverblendeten Geist: 'Unverblendet ist der Geist'. ...

So weilt er nach innen beim Geist in der Betrachtung des Geistes; oder er weilt nach außen beim Geist in der Betrachtung des Geistes; oder er weilt nach innen und außen beim Geist in der Betrachtung des Geistes. Die Dinge in ihrem Entstehen betrachtend, weilt er beim Geiste; die Dinge in ihrem Vergehen betrachtend, weilt er beim Geiste; die Dinge in ihrem Entstehen und Vergehen betrachtend, weilt er beim Geiste. 'Geist ist da', so ist seine Achtsamkeit gegenwärtig, eben nur soweit es der Erkenntnis dient, soweit es der Achtsamkeit dient. Unabhängig lebt er, und an nichts in der Welt ist er angehangen."

Aus dem Satipatthāna Sutta


35. Frei von Glauben

"Gibt es wohl eine Weise, ihr Mönche, auf Grund deren ein Mönch unabhängig von Glauben, unabhängig von Gutdünken, unabhängig von Überlieferung, unabhängig von gedanklichen Schlußfolgerungen, unabhängig von theoretischem Studium die Gewißheit verkünden könnte: 'Versiegt ist die Wiedergeburt, vollendet ist der heilige Wandel, getan was zu tun war, nichts weiteres nach diesem hier'? ....

Es gibt einen derartigen Weg, ihr Mönche, und welches ist er?

Da hat ein Mönch mit seinen Augen eine Form gesehen, und wenn in ihm Gier, Haß und Verblendung da sind, so weiß er: 'In mir ist Gier, Haß und Verblendung'; und wenn sie in ihm nicht da sind, so weiß er: 'In mir ist keine Gier, kein Haß, keine Verblendung'.

Da hat ferner, ihr Mönche, ein Mönch mit den Ohren einen Ton gehört ... mit der Nase einen Duft gerochen ... mit der Zunge einen Geschmack gekostet ... mit dem Körper eine Berührung empfunden ... mit dem Geiste ein Geistobjekt erkannt, und wenn in ihm Gier, Haß und Verblendung da sind, so weiß er: 'In mir ist Gier, Haß und Verblendung'; und wenn sie in ihm nicht da sind, so weiß er: 'In mir ist keine Gier, kein Haß, keine Verblendung'.

Und wenn der Mönch solches weiß, sind dies dann etwa durch Glauben zu erkennende Dinge, durch Gutdünken zu erkennende Dinge, durch Überlieferung zu erkennende Dinge, durch gedankliche Schlußfolgerungen zu erkennende Dinge, durch theoretisches Studium zu erkennende Dinge?

"Gewiß nicht, o Herr."

"Sind es nicht vielmehr Dinge, die, in Weisheit geschaut, erkennbar sind? " - "So ist es, o Herr." "Dieses, ihr Mönche, ist die Weise, auf Grund deren ein Mönch unabhängig von Glauben, unabhängig von Gutdünken, unabhängig von Überlieferung, unabhängig von gedanklichen Schlußfolgerungen, unabhängig von theoretischem Studium die Gewißheit verkünden kann: 'Versiegt ist die Wiedergeburt, vollendet ist der heilige Wandel, getan was zu tun war, nichts weiteres nach diesem hier'."

Samy.47.12 


36. Die sichtbare Lehre 1 (siehe auch 14.)

"Einst ging der ehrwürdige Upavāna zum Erhabenen, begrüßte ihn ehrerbietig und setzte sich zur Seite nieder. Seitwärts sitzend, sprach der ehrwürdige Upavāna zum Erhabenen also: 'Von der sichtbaren Lehre spricht man, o Herr, Inwiefern nun, o Herr, ist die Lehre sichtbar, unmittelbares Ergebnis bringend, zu eigener Erfahrung einladend, zum Ziele führend, dem Weisen aus ihm selber heraus verständlich? ' 'Da hat, Upavāna, ein Mönch mit den Augen eine Form gesehen, und er ist der Form gewahr und der Gier nach der Form gewahr. Von der in ihm bestehenden Gier nach Formen weiß er: 'In mir ist Gier (*1) nach Formen.' Wenn er nun (so dabei) weiß: 'In mir ist Gier nach Formen', so eben ist dann die Lehre sichtbar, bringt unmittelbares Ergebnis, ladet ein zu eigener Erfahrung, führt zum Ziel und ist dem Weisen aus ihm selber heraus verständlich.'

(*1) obwohl dieser Text nur die Gier erwähnt, sind diese Aussagen auch für Haß und Verblendung gültig.

(Dasselbe wird ausgesagt über Ohr und Töne, Nase und Düfte, Zunge und Geschmack, Körper und Berührung, Geist und Geistobjekte.)

'Da hat ferner, Upavāna, ein Mönch mit dem Auge eine Form gesehen, und er ist bloß der Form gewahr, doch keiner Gier nach der Form gewahr. Von der in ihm nicht bestehenden Gier nach Formen weiß er: 'In mir ist keine Gier nach Formen'. Wenn er nun (so dabei) weiß: 'In mir ist keine Gier nach Formen', so eben ist dann die Lehre sichtbar, bringt unmittelbares Ergebnis, ladet ein zu unmittelbarer Erfahrung, führt zum Ziel und ist dem Weisen aus ihm selber heraus verständlich.' "

(Dasselbe wird ausgesagt über Ohr und Töne, Nase und Düfte, Zunge und Geschmack, Körper und Berührung, Geist und Geistobjekte.)

Samy.35.70

 

Erläuterungen zu den vorstehenden Texten 34 - 36.

Wenn Gedanken verbunden mit Gier (Verlangen, Anziehung), Haß (Ärger, Abneigung) oder Verblendung (Vorurteile, falsche Ansichten) in einem ungeschulten Geist aufsteigen, wird die Reaktion auf sie gewöhnlich eines von zwei Extremen sein: entweder wird der Betreffende sich diesen unheilsamen Gedankengängen überlassen, oder er wird versuchen, sie zu ignorieren und ihnen keine Aufmerksamkeit zu schenken, weil sie als etwas Unwürdiges gelten und dabei der Selbstachtung abträglich sind. Durch diese zweite Reaktionsweise wird versucht, diese unheilsamen Gedanken leicht zu nehmen und sie aus der Erinnerung auszulöschen. Durch die erste Reaktionsweise identifiziert man sich völlig mit ihnen, mit der zweiten versucht man, ihre Anwesenheit nicht zu beachten, indem man sich einer Auseinandersetzung mit ihnen entzieht.

Die Methode der reinen Achtsamkeit ist, wie in den Texten 34 - 36 aufgezeigt, ein mittlerer Weg, auf dem die zwei extremen Reaktionsweisen vermieden werden. Da gibt es weder willige Unterwürfigkeit noch fluchtartiges Zurückschrecken, sondern ein volles Gewahrsein der unheilsamen Gedanken, während man an der Geisteshaltung sachlicher Beobachtung festhält. Diese Gedanken werden jetzt als psychologische Vorgänge, als unpersönliche und bedingte Geistesprozesse angesehen: "Leere Phänomene rollen dahin ..." (suddha-dhammā pavattanti). Sobald diese unheilsamen Gedanken in solcher Weise objektiviert worden sind, wird es auf sie keine gefühlsmäßige Reaktion durch Anhänglichkeit, Abneigung oder Furcht geben. Reine Achtsamkeit befreit diese Gedanken von jeglicher egozentrischen Bezogenheit, und sie werden weder positiv noch negativ mit einem illusorischen Ich identifiziert. In dieser Weise kann selbst aus solcher Konfrontierung mit den eigenen Schwächen eine starke Erfahrung von Anattā (Ichlosigkeit, Nicht-Selbst) erwachsen. Daraus wiederum kann ein Geisteszustand hervorgehen, wie er in der Rede von den Grundlagen der Achtsamkeit am Ende einer jeden Übung beschrieben ist. "Unabhängig lebt er, und an nichts in der Welt ist er angehangen."

Jetzt wird verständlich sein, warum in den Texten 14 und 36 gesagt ist, daß selbst das Gewahrsein des in einem selber vorhandenen Unheilsamen die Lehre "hier und jetzt sichtbar" machen kann.

Diese Anwendung reinen Beobachtens gehört zur ersten Methode des Textes 29, nämlich dem Ersetzen der aufgestiegenen unheilsamen Gedanken durch die heilsamen Gedanken rechter Achtsamkeit. Selbst wenn man dabei keinen vollen Erfolg hat, kann gemäß der zweiten Methode ein nüchternes, sachliches Gewahrwerden der im eigenen Inneren bestehenden Gefahr sich als wirksam erweisen, bevor man genötigt ist, die stärker gefühlsmäßige Einwirkung des Widerwillens zu gebrauchen.

Die folgenden Texte 37 - 39 behandeln die Beseitigung der latenten unheilsamen Neigungen durch die Betrachtung der Gefühle.


37. Die drei Neigungen

"Beim freudigen Gefühl, ihr Mönche, ist die Gier-Neigung aufzugeben, beim leidigen Gefühl ist die Widerstrebens-Neigung aufzugeben, beim weder freudigen noch leidigen Gefühl ist die Nichtwissens-Neigung aufzugeben.

Hat, ihr Mönche, ein Mönch beim freudigen Gefühl die Gier-Neigung, beim leidigen Gefühl die Widerstrebens-Neigung, beim weder freudigen noch leidigen Gefühl die Nichtwissens-Neigung aufgegeben, so nennt man ihn einen Neigungsfreien, einen klar Sehenden. Abgeschnitten hat er den Lebensdurst, abgestreift die Daseinsfessel, durch vollkommene Vernichtung des Dünkens hat er dem Leiden ein Ende gemacht.

Wer Freude fühlt und was Gefühl ist, nicht erkennt, der Gier geneigt, nicht sieht er die Entrinnung.

Wer Leiden fühlt und was Gefühl ist, nicht erkennt, dem Widerstreben zugeneigt, nicht sieht er die Entrinnung.

Und was da Gleichmut ist, wie ihn der Herr der Weisheitsfülle uns gezeigt,

Selbst wenn man hieran sich ergötzt, nicht wird man so vom Leiden frei.

Wenn eifrig ist der Mönch und Klarheit des Bewußtseins stetig wahrt,

Alles Gefühl durchschaut er dann als Weiser.

Hat er Gefühl durchschaut, vom Wahne frei ist er in diesem Leben schon,

Und nach des Leib's Zerfall ist aller Meßbarkeit der Weise ganz entschwunden."

Samy.36.3

 

Erläuterung. - Bei diesen drei Neigungen begegnen wir wieder den drei unheilsamen Wurzeln, obwohl in anderer Formulierung. Diese Neigungen sind Makel, die durch oft wiederholtes Auftreten zu gewohnheitsmäßigen Reaktionen geworden sind auf Situationen, die Gier, Haß und Verblendung hervorrufen. Deshalb tragen sie einen starken Hang in sich, wieder und wieder in Erscheinung zu treten. Wir können sie auch als dem Geist innewohnende starke Tendenzen bezeichnen; sie bilden gewissermaßen eine Unterströmung im Bewußtseinsstrom in einem Zustand der Latenz, jedoch immer bereit aufzutauchen, sobald es einen Anreiz für sie gibt. Sie manifestieren sich dann als unheilsame Taten, Worte und Gedanken. Wenn so zu starker Tendenz und latenter Neigung geworden, erhält jene unheilige Dreieinigkeit von Gier, Haß und Verblendung einen nachhaltigen Einfluß auf den menschlichen Geist. Selbst Sittlichkeit und Konzentration (jhāna) vermögen für sich allein nicht gegen diese Neigungen selber anzukommen, sondern können nur ihre Äußerungen in Taten, Worten und deutlich formulierten Gedanken zügeln oder verhindern. Um die tiefliegende Schwelle der Neigungen zu erreichen, ist Klarblicks-Weisheit (vipassanā-paññā) erforderlich, obwohl diese gewiß von Tugend und Konzentration unterstützt werden muß. Um die unheilsamen Neigungen endgültig an der Wurzel abzuschneiden, muß Klarblicks-Weisheit jene Kraft haben, die auf den letzten Stufen der Befreiung - Nicht-Wiederkehr und Heiligkeit - erworben wird.

Die Neigung zu Widerstand und Unwillen (Wurzel 'Haß') wird vom Nicht-Wiederkehrer (anāgāmi) ausgeschaltet und teilweise auch die Neigung zu Lust (Wurzel 'Gier'), soweit sie sich auf das Fünf-Sinnen-Begehren erstreckt.

Die noch verbliebene Neigung zu Lust wird vom Heiligen überwunden (d.i. Verlangen nach fein-materieller und unmaterieller Existenz) und auch alle Neigungen zu Unwissenheit (Wurzel 'Verblendung').

Obwohl sittliche Selbstzucht in Taten und Worten keine endgültige Ausmerzung der unterschwelligen Neigungen bewirken kann, so hilft sie doch dazu, die Bildung neuer Neigungen körperlicher oder praktischer Art zu verringern; und durch Konzentration wird die geistige Quelle neuer unheilsamer Neigungen zumindest zeitweilig kontrolliert. Die Ergebnisse der Klarblicks-Weisheit, die sich auf geringeren Stufen als denen der Heiligen Pfade und Früchte einstellen, werden gleichfalls einen allmählichen, stufenweisen Fortschritt vorbereiten, der für die volle Reifung befreiender Weisheit notwendig ist.

Die Art der Klarblicks-Weisheit, die bei der Schwächung und endgültigen Aufhebung der unterschwelligen, unheilsamen Neigungen von besonderer Wirksamkeit ist, ist die Betrachtung der Gefühle (vedanānupassanā), die ein Teil der Satipatthāna-Übung ist. Es sind die unkontrollierten Reaktionen auf Gefühle und Emotionen, welche die unheilsamen Neigungen hervorrufen und weiter ernähren. Nach buddhistischer Psychologie sind die bloßen Gefühle an sich sittlich neutral. Sie sind Ergebnisse des Kamma (vipāka) und keine Erzeuger von Kamma. Es ist die Reaktion auf Gefühle, die den sittlichen, unsittlichen oder (für einen Heiligen) karmisch unwirksamen (kriya) Charakter des Bewußtseinszustandes bestimmt, der dem ersten Auftauchen eines Gefühles folgt. Bei der Betrachtung der Gefühle, die ein Teil der Klarblicks-Meditation ist, wird es zu einer deutlichen Erfahrung, daß ein angenehmes Gefühl nicht mit Lust oder Begehren gleichzusetzen ist und letzteres keineswegs notwendig zur Folge hat; daß ein unangenehmes Gefühl nicht mit Abneigung oder Ärger gleichzusetzen ist und nicht notwendig dazu führen muß; daß ein neutrales Gefühl nicht mit Unwissenheit oder verblendeten Gedanken gleichzusetzen ist und nicht von solchen gefolgt zu werden braucht.

In dieser Übung lernt der Meditierende, bei der bloßen Empfindung des Angenehmen usw. zu verbleiben, und indem er das tut, kann er mit dem Abschneiden der Kette des abhängigen Entstehens an einem entscheidenden Punkt einen Anfang machen, nämlich dort, wo das Gefühl als Bedingung für Begehren (vedanā paccayā tanhā) auftritt. Auf diese Weise wird es zur unzweifelhaften Erfahrung des Meditierenden, daß die ursächliche Folge von Gefühl und Begehren keine Notwendigkeit ist und daß die Worte der Ermutigung vom Buddha wahr sind: "Man kann das Unheilsame überwinden! Wenn es nicht möglich wäre, würde ich euch nicht sagen, es zu tun" (s. Text 28).

Deshalb wurde von ihm, der in der Meisterung der Gefühle vollkommen war, gesagt, daß er "das Begehren abgeschnitten ... und dem Leiden ein Ende bereitet hat."


38. Der Pfeil

"Ein unkundiger Weltling, ihr Mönche, erfährt ein angenehmes Gefühl, erfährt ein schmerzliches Gefühl oder erfährt ein neutrales Gefühl. Ein kundiger, edler Jünger erfährt ebenso angenehme, unangenehme oder neutrale Gefühle. Was ist nun der Unterschied, die Verschiedenheit, die Differenzierung, die hier zwischen einem kundigen, edlen Jünger und einem unkundigen Weltling besteht?

Wenn ein unkundiger Weltling von einem schmerzlichen Gefühl betroffen wird, macht er sich Sorgen und grämt sich, jammert, schlägt sich die Brust, trauert und ist verzweifelt. Er erfährt demnach zwei Arten von Gefühlen, ein körperliches und ein geistiges Gefühl. Es ist, wie wenn ein Mann von einem Pfeil verwundet wird und nach dieser Verwundung sogleich von einem zweiten Pfeil. Da wird dann jener Mann Gefühle haben, die von zwei Pfeilen verursacht sind. Ebenso verhält es sich mit einem unkundigen Weltling: von einem schmerzhaften (körperlichen) Gefühl getroffen, macht er sich zudem Sorgen und grämt sich, jammert, schlägt sich die Brust, trauert und ist verzweifelt. So erfährt er zwei Gefühle, ein körperliches und ein geistiges Gefühl.

Wird er von jenem schmerzhaften Gefühl getroffen, so hat er ein (inneres) Widerstreben (dagegen) (patighavā hoti): darauf kommt es bei ihm, der so dem schmerzhaften Gefühl widerstrebt, zu einer (unterschwelligen) Neigung zum Widerstreben gegen jene schmerzhaften Gefühle. (*1) Unter der Einwirkung jenes Schmerzgefühls geht er nun daran, sich am Sinnenglück zu erfreuen. Und warum tut er dies? Ein unkundiger Weltling, ihr Mönche, kennt keinen anderen Ausweg aus den schmerzhaften Gefühlen als den Genuß der Sinnenfreuden. Darauf kommt es bei ihm, der die Sinnenfreuden genießt, zu einer (unterschwelligen) Neigung des Verlangens nach angenehmen Gefühlen. Er kennt weder wirklichkeitsgemäß die Entstehung und Aufhebung jener Gefühle, noch den Genuß dabei, die Gefahr, die darin liegt, und das Entkommen aus dieser Gefühls-Verhaftung. In ihm, dem dieses Wissen mangelt, kommt es zu einer (unterschwelligen) Neigung zur Unwissenheit in Bezug auf die neutralen Gefühle.

(*1) patighānusayo anuseti; das bedeutet, daß die unterschwellige Neigung sich zu dieser Zeit selber manifestiert und durch diese Manifestierung gestärkt wird. "Widerstreben" schließt alle Grade der Abneigung, des Ärgers und des Hasses ein.

Wenn er ein angenehmes, ein unangenehmes oder ein neutrales Gefühl erfährt, so empfindet er es als ein davon Gefesselter. Ein solcher Mensch, ihr Mönche, gilt als ein unkundiger Weltling, der von Geburt, Alter, Tod, Sorge, Schmerz, Gram und Verzweiflung gefesselt ist. Er ist an das Leiden gefesselt, das erkläre ich. Wenn aber ein kundiger, edler Jünger von einem schmerzhaften Gefühl getroffen wird, so macht er sich weder Sorgen noch grämt er sich; er jammert nicht, schlägt sich nicht an die Brust oder trauert, noch ist er verzweifelt. Es ist ein einziges Gefühl, das er erfährt: ein körperliches Gefühl, jedoch kein geistiges. Es ist, wie wenn ein Mensch von einem einzigen Pfeil getroffen wird, nicht aber von einem zweiten. Da erfährt er Gefühle, die nur durch einen einzigen Pfeil verursacht sind. Ähnlich verhält es sich mit dem kundigen, edlen Jünger: von einem schmerzhaften Gefühl getroffen, macht er sich weder Sorgen noch grämt er sich; jammert nicht, schlägt sich nicht an die Brust oder trauert, und ist nicht verzweifelt. Er erfährt nur ein einziges Gefühl, ein körperliches.

Wird er von jenem schmerzhaften Gefühl getroffen, so hat er kein (inneres) Widerstreben. Bei ihm, der kein (inneres) Widerstreben hat bei jenem schmerzhaften Gefühl, kommt es dann auch nicht zu einer (unterschwelligen) Widerstrebens-Neigung gegen jenes Schmerzgefühl. Daher geht er auch nicht daran, sich unter der Einwirkung des Schmerzgefühls am Sinnenglück zu erfreuen. Und warum nicht? Als ein kundiger, edler Jünger kennt er einen anderen Ausweg vom Schmerzgefühl als durch den Sinnengenuß. So kommt es dann auch für ihn zu keiner (unterschwelligen) Neigung des Verlangens nach angenehmen Gefühlen. Er kennt wirklichkeitsgemäß die Entstehung und Aufhebung jener Gefühle, kennt den Genuß dabei, die Gefahr, die darin liegt, und das Entkommen aus dieser Gefühls(-Verhaftung). In ihm, der das so erkannt hat, kommt es zu keiner (unterschwelligen) Neigung zur Unwissenheit in Bezug auf neutrale Gefühle.

Wenn er ein angenehmes, ein unangenehmes oder ein neutrales Gefühl erfährt, so empfindet er es als ein davon Ungefesselter. Ein solcher Mensch, ihr Mönche, gilt als ein kundiger, edler Jünger, der nicht von Sorge, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung gefesselt wird. Nicht ist er an das Leiden gefesselt, das erkläre ich.

Dies, ihr Mönche, ist der Unterschied, die Verschiedenheit, die Differenzierung, die zwischen einem kundigen, edlen Jünger und einem unkundigen Weltling besteht.

Samy.36.3 


39. Sechsfache Sinneswahrnehmung

"In Abhängigkeit von Auge und Formen entsteht Seh-Bewußtsein; in Abhängigkeit von Ohr und Tönen entsteht Hör-Bewußtsein; in Abhängigkeit von Nase und Gerüchen entsteht Riech-Bewußtsein; in Abhängigkeit von Zunge und Geschmackstoffen entsteht Schmeck-Bewußtsein; in Abhängigkeit von Körper und Tastobjekten entsteht Tast-Bewußtsein; in Abhängigkeit von Geist und Geistobjekten entsteht Geist-Bewußtsein.

Das Zusammentreffen der drei ist der Sinneneindruck, und mit dem Sinneneindruck als Bedingung entsteht, was als angenehm oder unangenehm oder neutral gefühlt wird. Erfährt man ein angenehmes Gefühl und erfreut sich nicht daran, bejaht es nicht, heißt es nicht willkommen, dann kommt es nicht mehr zu einer (unterschwelligen) Neigung zur Lust. Erfährt man ein schmerzhaftes Gefühl und macht sich keine Sorgen, grämt sich nicht und jammert nicht, schlägt sich nicht die Brust, trauert nicht und ist nicht verzweifelt, dann kommt es nicht mehr zu einer (unterschwelligen) Neigung zum Widerstreben.

Erfährt man ein neutrales Gefühl und erkennt wirklichkeitsgemäß seine Entstehung und Aufhebung, den Genuß dabei, die Gefahr, die darin liegt, und das Entkommen aus dieser Gefühls(-Verhaftung), dann kommt es nicht mehr zu einer (unterschwelligen) Neigung zur Unwissenheit. Dann, wahrlich, ihr Mönche, ist es möglich, daß man hier und jetzt dem Leiden ein Ende macht durch Aufhebung der (unterschwelligen) Neigung zur Lust nach angenehmen Gefühlen, durch Ausschaltung der (unterschwelligen) Neigung zum Widerstreben gegen schmerzhafte Gefühle und durch Aufhebung der (unterschwelligen) Neigung zu Unwissenheit bei neutralen Gefühlen.

Auf diese Weise hat man die Unwissenheit aufgegeben und wahres Wissen erzeugt."

Aus M.148: "Sechs Sechser"


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