15
A. 111, 35
O Mensch, sahst du nicht unter den Menschen den ersten Himmelsboten erscheinen? . . . Sahst du nie unter den Menschen eine Frau oder einen Mann im Alter von achtzig, neunzig oder hundert Jahren, abgelebt, gekrümmt wie Dachsparren, gebückt, auf eine Krücke gestützt, schlotternden Ganges dahinschleichend, siech, mit verwelkter Jugend, mit abgebrochenen Zähnen und ergrauten Haaren, oder kahl, mit wackelndem Kopfe, voller Runzeln, die Glieder mit Flecken bedeckt? Und dachtest du nicht, o Mensch, der du Verstand besitzest und alt genug bist: ,Auch ich bin dem Alter unterworfen, kann dem Alter nicht entgehen. So laß mich denn Gutes tun in Werken, Worten und Gedanken’? O Mensch, aus Leichtsinn hast du weder in Werken noch in Worten, noch in Gedanken Gutes getan. Wahrlich, o Mensch, gemäß deinem Leichtsinne wird man dir’s vergelten. Denn jene böse Tat wurde weder von deiner Mutter getan, noch von deinem Vater, noch von deinem Bruder, noch von deiner Schwester, noch von deinen Freunden und Genossen, noch von deinen Vettern und Blutsverwandten, noch von Geistern, noch von Asketen und Priestern. Du allein hast jene böse Tat begangen, du allein sollst deren Frucht erfahren.
O Mensch, sahst du nicht unter den Menschen den zweiten Himmelsboten erscheinen? Sahst du nie unter den Menschen eine Frau oder einen Mann, krank, elend, schwerleidend, sich im eigenen Kot und Urin herumwälzend, die von dem einen aufgehoben, von einem anderen wieder niedergelegt wurden? . . . Und dachtest du nicht, o Mensch, der du Verstand besitzest und alt genug bist: ,Auch ich bin der Krankheit unterworfen, kann der Krankheit nicht entgehen. So laß mich denn Gutes tun in Werken, Worten und Gedanken’? O Mensch, aus Leichtsinn hast du weder in Werken noch in Worten, noch in Gedanken Gutes getan. Wahrlich, o Mensch, gemäß deinem Leichtsinne wird man dir’s vergelten. Denn jene böse Tat wurde weder von deiner Mutter getan, noch von deinem Vater, noch von deinem Bruder, noch von deiner Schwester, noch von deinen Freunden und Genossen, noch von deinen Vettern und Blutsverwandten, noch von Geistern, noch von Asketen und Priestern. Du allein hast jene böse Tat begangen, du allein sollst deren Frucht erfahren.
O Mensch, sahst du nicht unter den Menschen den dritten Himmelsboten erscheinen? . . . Sahst du nie unter den Menschen eine Frau oder einen Mann einen oder zwei oder drei Tage nach dem Tode, aufgeschwollen, blau verfärbt, mit Eiter bedeckt? . . . Und dachtest du nicht, o Mensch, der du Verstand besitzest und alt genug bist: ,Auch ich bin dem Tod unterworfen, kann dem Tode nicht entgehen. So laß mich denn Gutes tun in Werken, Worten und Gedanken’? O Mensch, aus Leichtsinn hast du weder in Werken noch in Worten, noch in Gedanken Gutes getan. Wahrlich, o Mensch, gemäß deinem Leichtsinne wird man dir’s vergelten. Denn jene böse Tat wurde weder von deiner Mutter getan, noch von deinem Vater, noch von deinem Bruder, noch von deiner Schwester, noch von deinen Freunden und Genossen, noch von deinen Vettern und Blutsverwandten, noch von Geistern, noch von Asketen und Priestern. Du allein hast jene böse Tat begangen, du allein sollst deren Frucht erfahren.
Die drei Himmelsboten (deva-dúta) Alter, Krankheit und Tod findet man in den buddhistischen Ländern vielfach bildlich dargestellt. In M. 130 finden sich neben ihnen noch zwei weitere, nämlich Geburt und Bestrafung für böse Taten.
16
A. IV,182
Vier Dinge, ihr Mönche, kann niemand bewirken, kein Asket, Priester oder Himmelswesen, kein Gott noch Teufel, noch irgend einer in der Welt. Welche vier?
Daß das, was dem Verfall unterworfen ist, nicht verfallen möge . . . daß das, was der Krankheit unterworfen ist, nicht erkranken möge . . . daß das, was dem Sterben unterworfen ist, nicht sterben möge . . . daß für jenes böse Wirken (Karma), das befleckende, wiedergebärende, schreckliche, leiderzeugende, von neuem wieder zu Geburt, Alter und Sterben führende, keine Frucht erstehen möge: Das, ihr Mönche, kann niemand bewirken, kein Asket, Priester oder Himmelswesen, kein Gott noch Teufel, noch irgend einer in der Welt.
17
S. XV, 3
Unausdenkbar, ihr Mönche, ist ein Anfang dieser Daseinsrunde, nicht zu entdecken ein Beginn der von Unwissenheit gehemmten und von Begehren gefesselten Wesen, die immer wieder den Samsāra durcheilen, durchwandern.
18
S. XV, 1
Was glaubt ihr, ihr Mönche, was ist wohl mehr: Der Tränenstrom, den ihr auf dieser langen Daseinsrunde, mit Unerwünschtem vereint und von Erwünschtem getrennt, klagend und weinend vergossen habt, oder das Wasser der vier Weltmeere? . . . Lange Zeiten hindurch, ihr Mönche, habt ihr den Tod von Mutter und Vater, Sohn und Tochter erfahren, den Verlust von Verwandten und Schätzen erfahren, das Unglück der Krankheit erfahren. Und dabei habt ihr mehr Tränen vergossen, als sich Wasser in den vier Weltmeeren befindet. So habt ihr denn, ihr Mönche, lange Zeiten hindurch Leiden erfahren, Qualen erfahren, Unglück erfahren und das Leichenfeld vergrößert, wahrlich genug, um sich von allen Daseinsgebilden abzuwenden, loszulösen und zu befreien.
19
S. XV, 13
Was glaubt ihr, ihr Mönche, was ist wohl mehr: Der Blutstrom, den ihr, diese lange Daseinsrunde durcheilend und durchwandernd, bei eurer Enthauptung vergossen habt, oder das Wasser der vier Weltmeere? . . . Lange Zeit hindurch wurdet ihr als Räuber und Dorfplünderer ergriffen, als Straßenräuber ergriffen, als Ehebrecher ergriffen, und habt dann wahrlich bei eurer Enthauptung mehr Blut vergossen, als Wasser in den vier Weltmeeren ist.
20
S. XV, 10
Falls man, ihr Mönche, von einem einzelnen Wesen, während es für eine einzelne Weltperiode die Daseinsrunde durcheilt und durchwandert, die Knochen aufschichtete und das Aufgeschichtete nicht verginge, so möchte eine gewaltige Knochenansammlung, ein Knochenhaufen, ein Knochenberg entstehen, so groß wie dieser Vepullaberg . . .
21
S. XV, 5
Lange, ihr Mönche, dauert eine Weltperiode (kappa), und nicht leicht ist es, sie als soundsoviel Jahre oder Jahrhunderte oder Jahrtausende oder Jahrhunderttausende zu zählen. Nehmen wir an, es befinde sich da ein gewaltiger Felsenberg, eine Meile lang, eine Meile breit und eine Meile hoch, ohne Löcher und Höhlungen, ganz aus einem Stück. Diesen nun riebe jedesmal nach Verlauf eines Jahrhunderts ein Mann nur einmal mit einem seidenen Tüchlein. Da würde, ihr Mönche, jener gewaltige Felsenberg dennoch schneller vergehen als eine Weltperiode. So lange, ihr Mönche, dauert eine Weltperiode. Von solchen Weltperioden aber, ihr Mönche, habt ihr viele durchlaufen und durchwandert, viele hunderte, viele tausende, viele hunderttausende. Wie aber ist das möglich?
Unausdenkbar, ihr Mönche, ist ein Anfang dieser Daseinsrunde, nicht zu entdecken ein Beginn der von Unwissenheit gehemmten und von Begehren gefesselten Wesen, die immer wieder den Samsāra durcheilen, den Samsāra durchwandern.
Hier wird sich der Leser erinnern an das uns allen aus Grimms Märchen bekannte Gleichnis: „In Hinterpommern liegt ein Demantberg, der hat eine Stunde in die Höhe, eine Stunde in die Breite und eine Stunde in die Tiefe; dahin kommt alle hundert Jahre ein Vöglein und wetzt sein Schnäblein daran, und wenn der ganze Berg abgewetzt ist, dann ist die erste Sekunde von der Ewigkeit vorbei."
22
S. XV, 14-19
. . . Nicht leicht ist, ihr Mönche, irgendein Wesen zu finden, das nicht schon irgend einmal auf dieser langen Wanderung eure Mutter gewesen wäre, oder euer Vater oder Bruder oder Schwester oder Sohn oder Tochter. Und wie ist das möglich? Unausdenkbar, ihr Mönche, ist ein Anfang dieser Daseinsrunde, nicht zu entdecken ein Beginn der von Unwissenheit gehemmten und von Begehren gefesselten Wesen, die immer wieder den Samsāra durcheilen, den Samsāra durchwandern.
23
S. XVIII, 1-10
„Was glaubst du wohl, Rāhula: Ist das Auge vergänglich oder unvergänglich?"
„Vergänglich, o Ehrwürdiger."
„Was aber vergänglich ist, ist das leidvoll oder freudvoll?"
„Leidvoll, o Ehrwürdiger."
„Von dem aber, was vergänglich ist, leidvoll, dem Wechsel unterworfen, kann man da wohl mit Recht die Auffassung haben: ,Das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst’?"
„Nein, o Ehrwürdiger."
„Sind Ohr, Nase, Zunge, Körper oder Geist vergänglich oder unvergänglich?"
„Vergänglich, o Ehrwürdiger."
„Was aber vergänglich ist, ist das leidvoll oder freudvoll?"
„Leidvoll, o Ehrwürdiger."
„Von dem aber, was vergänglich ist, leidvoll, dem Wechsel unterworfen, kann man da wohl mit Recht die Auffassung haben: ,Das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst’?"
„Nein, o Ehrwürdiger."
„So erkennend, Rāhula, wendet sich der edle Jünger ab von Auge, Ohr, Nase, Zunge, Körper und Geist; sich abwendend löst er sich los, durch Loslösung wird er erlöst, und im Erlösten entsteht das Wissen: ,Erlöst bin ich’, und er erkennt: ,Erloschen ist die Wiedergeburt, erfüllt der heilige Wandel, die Aufgabe vollbracht, und nicht gibt es Weiteres zu tun für diese Welt.’
„Was glaubst du, Rāhula: Sind Formen, Töne, Düfte, Säfte, Körpereindrücke oder Geistobjekte vergänglich oder unvergänglich?"
„Vergänglich, o Ehrwürdiger." . . .
„Sind Seh-, Hör-, Riech-, Schmeck-, Körper- oder Geistbewußtsein vergänglich oder unvergänglich?"
„Vergänglich, o Ehrwürdiger." . . .
„Sind die durch Seh-, Hör-, Riech-, Schmeck-, Körper oder Geisteindruck bedingten Gefühle vergänglich oder unvergänglich?"
„Vergänglich, o Ehrwürdiger." . . .
„Ist die Wahrnehmung von Formen, Tönen, Düften, Säften, Körpereindrücken oder Geistobjekten vergänglich oder unvergänglich?"
„Vergänglich, o Ehrwürdiger." . . .
„Ist der Wille und das Begehren hinsichtlich der Formen, Töne, Düfte, Säfte, Körpereindrücke oder Geistobjekte vergänglich oder unvergänglich?"
„Vergänglich, o Ehrwürdiger." . . .
„Sind Erd-, Wasser-, Feuer-, Wind-, Raum- oder Bewußtseinselement vergänglich oder unvergänglich?"
„Vergänglich, o Ehrwürdiger." . . .
„Sind Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen oder Bewußtsein vergänglich oder unvergänglich?"
„Vergänglich, o Ehrwürdiger."
„Was aber vergänglich, ist das leidvoll oder freudvoll?"
„Leidvoll, o Ehrwürdiger."
„Von dem aber, was vergänglich ist, leidvoll, dem Wechsel unterworfen, kann man da wohl mit Recht die Auffassung haben: ,Das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst’?"
„Nein, o Ehrwürdiger."
„So erkennend, Rāhula, wendet sich der edle Jünger ab von Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen und Bewußtsein; sich abwendend löst er sich los, durch Loslösung wird er erlöst, und im Erlösten entsteht das Wissen: ,Erlöst bin ich’, und er erkennt: ,Erloschen ist die Wiedergeburt, erfüllt der heilige Wandel, die Aufgabe vollbracht, und nicht gibt es Weiteres zu tun für diese Welt’."
24
S. XXII, 15
Körperlichkeit, ihr Mönche, Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen und Bewußtsein sind vergänglich (anicca). Was aber vergänglich ist, das ist leidvoll (dukkha). Und was leidvoll ist, das ist Nicht-Ich (anattā). Und was Nicht-Ich ist, das hat man der Wirklichkeit gemäß mit rechter Einsicht also zu erkennen: ,Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst.’
25
S. XXII, 21
Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen und Bewußtsein sind vergänglich, geschaffen, bedingt entstanden, dem Versiegen und Hinschwinden, der Abwendung und Erlöschung unterworfen. Auf Grund des Erlöschens dieser Dinge aber spricht man von Erlöschung.
26
S. XXII, 59
Einst weilte der Erhabene an der Sehersteige im Hirschpark bei Benares. Dort redete der Erhabene die Gruppe der fünf Mönche, mit denen er früher die Schmerzensaskese ausgeübt hatte, an:
„Mönche!" sprach er.
„Ehrwürdiger", erwiderten jene Mönche dem Erhabenen. Und der Erhabene sprach:
„Die Körperlichkeit, ihr Mönche, ist kein Selbst. Wäre nämlich die Körperlichkeit das Selbst, so verfiele die Körperlichkeit nicht dem Leiden, und es erfüllte sich hinsichtlich der Körperlichkeit der Wunsch: ,So soll meine Körperlichkeit sein! So soll sie nicht sein!’ Weil nun aber die Körperlichkeit kein Selbst ist, darum verfällt die Körperlichkeit dem Leiden, und nicht erfüllt sich hinsichtlich der Körperlichkeit der Wunsch: ,So soll meine Körperlichkeit sein! So soll sie nicht sein!’ Das Gefühl, ihr Mönche, ist kein Selbst. Die Wahrnehmung, ihr Mönche, ist kein Selbst. Die Geistesformationen, ihr Mönche, sind kein Selbst. Das Bewußtsein, ihr Mönche, ist kein Selbst. Wäre nämlich das Bewußtsein das Selbst, so verfiele das Bewußtsein nicht dem Leiden, und es erfüllte sich hinsichtlich des Bewußtseins der Wunsch: ,So soll mein Bewußtsein sein! So soll es nicht sein!’ Weil nun aber das Bewußtsein kein Selbst ist, darum verfällt das Bewußtsein dem Leiden, und nicht erfüllt sich hinsichtlich des Bewußtseins der Wunsch: ,So soll mein Bewußtsein sein! So soll es nicht sein!’
Was meint ihr wohl, ihr Mönche: Ist die Körperlichkeit vergänglich oder unvergänglich? Sind Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen und Bewußtsein vergänglich oder unvergänglich?"
„Vergänglich, o Ehrwürdiger."
„Was aber vergänglich ist, ist das leidvoll oder freudvoll?"
„Leidvoll, o Ehrwürdiger."
„Von dem aber, was vergänglich ist, leidvoll, dem Wechsel unterworfen, kann man da wohl mit Recht die Auffassung haben: ,Das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst’?"
„Nein, o Ehrwürdiger."
„So erkennend, ihr Mönche, wendet sich der edle Jünger ab von Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen, Bewußtsein; sich abwendend löst er sich los, durch die Loslösung wird er erlöst, und im Erlösten entsteht das Wissen: ,Erlöst bin ich’, und er erkennt: ,Erloschen ist die Wiedergeburt, erfüllt der heilige Wandel, die Aufgabe vollbracht, und nicht gibt es Weiteres zu tun für diese Welt."
Also sprach der Erhabene. Begeistert stimmten die fünf Mönche den Worten des Erhabenen bei. Während aber der Erhabene diese Erklärung gab, wurden die fünf Mönche haftlos von allen Trieben erlöst.