BUDDHA UND SEINE JÜNGER

Ratthapāla

 

Die Jünger, von denen bisher die Rede war, stammten teils aus der Brahmanenkaste, teils aus der Adelskaste. Es fehlte aber auch nicht an solchen aus der Bürgerkaste. Einer von diesen war Ratthapāla, in Sanskrit: Rāshtrapāla. Das Wort ist zusammengesetzt aus rattha "Königreich, Land" und pāla "Beschützer, Hüter", man könnte also den Namen mit "Landschütz" übersetzen. Sein Vater war ein Setthi, ein Gildenmeister, ein reicher und angesehener Kaufmann, in einem Dorf namens Thullakotthika im Land des Kurus, die in der Gegend von Delhi saßen. Als Knabe soll Ratthapāla ein Spielgefährte Rāhulas gewesen sein. Man erfährt allerdings nicht, wie er mit ihm zusammengekommen sein mag; das Land der Kurus war von Kapilavatthu ziemlich weit entfernt.

Als Jüngling hörte Ratthapāla einmal eine Rede Buddhas, die in ihm das Verlangen weckte, sich ihm als Bhikkhu anzuschließen. Buddha hatte aber bereits bestimmt, daß ein Haussohn nicht ohne Einwilligung seiner Eltern in den Orden aufgenommen werden dürfe, und stellte deshalb die Bedingung, daß Ratthapāla die Erlaubnis seiner Eltern beibringe. "Das will ich schon machen!" erwiderte Ratthapāla, ging zu seinen Eltern und bat sie, ihn Bhikkhu werden zu lassen. Die Eltern aber sagten: "Lieber Sohn, du weißt von keinem Leid. Komm, iß und trink und lebe fröhlich. Wider unsern Willen von dir trennen müssen wir uns, wenn der Tod kommt; solange wir leben, erlauben wir dir aber nicht, uns zu verlassen." Trotz wiederholten Bitten beharrten die Eltern auf ihrer Weigerung. Da warf sich Ratthapāla auf den Erdboden und sprach: "Hier werde ich sterben oder das Weltleben verlassen." Seine Freunde unterstützten ihn in seiner Bitte und machten den Eltern Vorstellungen: Trete er in den Orden ein, so gebe es immer noch ein Wiedersehen mit ihm; finde er im geistlichen Leben keine Befriedigung, so werde er ins Elternhaus zurückkehren, denn es stehe jedem Bhikkhu frei, nach eigenem Entschluß aus dem Orden wieder auszutreten. Schließlich gaben die Eltern ihre Einwilligung doch, wünschten aber, daß Ratthapāla sich ihnen wieder zeigen solle. So wurde er Bhikkhu und erreichte auch bald die Heiligkeit.

Nach einiger Zeit ging er zu Buddha und bat ihn um die Erlaubnis, seine Eltern zu besuchen. Er hätte dies auch ohne besondere Erlaubnis tun dürfen; denn es gibt im Orden Buddhas keine Gehorsamspflicht gegen Obere; aber die Ehrfurcht vor dem Meister und die Höflichkeit geboten ihm, Buddha vorher zu fragen. Dieser war überzeugt, daß Ratthapāla sich durch das Wiedersehen im Elternhaus nicht von seinem Vorsatz, das Reinheitsleben eines Bhikkhu zu führen, abbringen lassen würde, und stimmte ohne weiteres zu. Darauf machte sich Ratthapāla auf die Wanderung nach Thullakotthika, nahm in der Nähe des Dorfes im Wildpark des Kurukönigs Aufenthalt und unternahm von dort aus seinen Gang zum Speisesammeln in das Dorf. Während er so von Haus zu Haus schritt, gelangte er auch zum Hause seines Vaters. Der saß gerade in der Halle an der Tür und ließ sich frisieren. Wie er den Bhikkhu herankommen sah, sagte er ärgerlich: "Das ist auch einer von diesem kahlköpfigen Mönchspack! Die haben meinen lieben einzigen Sohn zum geistlichen Leben verlockt." Und Ratthapāla erhielt in seiners Vaters Haus keine Gabe und nicht einmal eine Weigerung. Es wurde einfach nur geschimpft. Das war alles, was er erhielt.

Eine Magd des Hauses wollte gerade die Reste einer Reissuppe vom vorigen Tag, die nicht mehr ganz frisch war, ausschütten. Da sprach Ratthapāla zu der Magd: "Wenn dies nur zum Fortschütten gut ist, liebe Schwester, so gieße es mir hier in meine Schale!" Während nun die Magd die Reissuppe in die Schale goß, erkannte sie Ratthapāla, lief zu ihrer Herrin und meldete, der junge Herr Ratthapāla sei gekommen. In ihrer Freude versprach die Mutter der Magd die Freilassung, falls sie die Wahrheit gesagt habe, und eilte zu ihrem Mann, ihm die freudige Botschaft zu bringen. Inzwischen aß Ratthapāla, an eine Mauer gelehnt, die übrig gebliebene Reissuppe. Schnell kam der Vater herbei und sprach zu ihm: "Lieber Sohn, willst du die alte Reissuppe essen? Willst du nicht lieber in dein Haus kommen?" "Wo habe ich ein Haus", erwiderte Ratthapāla, "da ich ein heimatloser Bhikkhu bin? Zu deinem Haus bin ich gekommen, habe aber keine Gabe erhalten, nicht einmal eine Weigerung; es wurde einfach nur geschimpft." "Komm, lieber Sohn", sagte der Vater, "wir wollen ins Haus treten, iß mit uns!" Ratthapāla aber lehnte ab; er habe bereits gegessen. Darauf lud ihn der Vater für den folgenden Tag zum Essen ein, und Ratthapāla nahm die Einladung an, d.h. er drückte durch Schweigen seine Zustimmung aus, wie es bei den Bhikkhus üblich ist. 

Nun ließ der Vater in seinem Haus eine Menge Gold aufhäufen und Matten darüber decken und sprach zu seinen Schwiegertöchtern, den früheren Frauen Ratthapālas - als Sohn eines reichen Hauses hatte er mehrere: "Kommt, legt den Schmuck an, in dem ihr einst eurem Gatten lieb und teuer wart." Am folgenden Tage ließ er ein üppiges Mahl herrichten und Ratthapāla ansagen, daß das Essen für ihn bereit sei. Ratthapāla kam und der Vater ließ das Gold aufdecken und zeigte es ihm; das sei sein väterliches und großväterliches Gut, er möge es nehmen, sich des Besitzes erfreuen und gute Werke tun. Er aber erwiderte: "Wenn du meinem Worte folgen wolltest, Bürger, so würdest du diesen ganzen Haufen Gold fortfahren und in den Ganges werfen lassen, denn nur Leid und Kümmernis erwachsen aus dem Gold." Darauf warfen sich seine früheren Frauen vor ihm nieder und fragten ihn, was für Nymphen das seien, deretwegen er Bhikkhu geworden sei. Er erwiderte: "Ich führe das Bhikkhuleben um keiner Nymphen willen, liebe Schwestern." Bei dem Wort "Schwestern" fielen sie in Ohnmacht, denn daraus entnahmen sie, daß er nicht wieder ehelich mit ihnen leben wollte. Zu seinem Vater aber sprach er: "Willst du mir Speise geben, so gib sie, aber quäle mich nicht!" Darauf lud ihn der Vater zum Essen ein und bediente ihn eigenhändig, wie es sich einem Bhikkhu gegenüber geziemt, mit den erlesensten Speisen, bis er gesättigt war. Nach dem Essen stand Ratthapāla auf und sprach, als Danksagung, folgende Verse:

 

Schau diese Puppe an, bemalt, doch siech inwendig,
Die vieles wünscht und plant, so krank und unbeständig.
Schau, wie sie sich mit Ringen putzt und Edelsteinen!
Vom Kleid verhüllte Knochen wollen schön erscheinen.
 
Die Füße rot belackt, das Mündchen fein geschminkt;
Den Toren täuscht's - nicht den, dem 's andre Ufer winkt.
Die Wimpern schwarz gesalbt, das Haar hoch aufgebaut;
Den Toren täuscht's - nicht den, der 's andre Ufer schaut.
 
Wie neuer Salbentopf den faulen Leib geschmückt;
Den Toren täuscht's - nicht den, der schon hinüberblickt.
Der Jäger warf das Netz, das Reh lief nicht hinein.
Ich aß das Mahl und geh'. Nun mag der Jäger schrei'n!

 

Darauf ging Ratthapāla wieder in den Wildpark und setzte sich am Fuß eines Baumes zur Mittagsrast nieder. Um diese Zeit wollte der Kurukönig eine Spazierfahrt durch seinen Wildpark machen. Da ihm aber ein Waldhüter meldete, der Bhikkhu Ratthapāla sitze dort, derselbe, von dem er oft rühmend gesprochen habe, verzichtete der König auf die Spazierfahrt und ging, Ratthapāla seine Aufwartung zu machen. Als er sich Ratthapāla näherte, ließ er sein Gefolge zurück, setzte sich nach höflicher Begrüßung neben ihn und fragte ihn, warum er sein Elternhaus verlassen habe und Bhikkhu geworden sei. Er kenne nur vier Gründe für einen solchen Entschluß: entweder ist man alt und gebrechlich geworden, oder man ist krank, oder man hat sein Vermögen verloren oder man hat keine Angehörigen mehr. Keiner dieser Gründe treffe jedoch für Ratthapāla zu; was habe wohl Ratthapāla gedacht oder gesehen oder gehört, daß er der Welt entsagt habe? Ratthapāla antwortete: Vier Lehren Buddhas habe er bedacht und gesehen und gehört und darum die Welt verlassen, nämlich diese: 

Diese vier Lehren führte Ratthapāla im einzelnen aus, und der König nahm mit Befriedigung davon Kenntnis (M 82). Weiteres ist aus dem Leben Ratthapālas nicht bekannt.


Mālunkyaputta

 

Nicht alle, die dem Buddha-Orden als Bhikkhus beitraten, waren so ernst und eifrig, wie sie hätten sein sollen. Ein solcher, etwas lässiger Bhikkhu scheint, wenigstens in seiner Jugend, Mālunkyaputta gewesen zu sein. Statt rechte Einsicht im Sinne der Buddha-Lehre zu pflegen, spekulierte er gern über unlösbare Fragen. 

Wie Fausts Schüler Wagner meinte er "Zwar weiß ich viel, doch möcht' ich alles wissen", und belästigte Buddha mit Fragen, wie: ob die Welt einen Anfang in der Zeit gehabt habe, ob sie räumlich unendlich oder endlich sei, ob Leib und Seele - im Indischen heißt es: Leben und Leib - ein und dasselbe oder zwei verschiedene Dinge seien, ob der vollkommen Erlöste, der Heilige, nach dem Tode lebe oder nicht. 

Buddha wies diese Fragen ab mit der Begründung, daß die Beschäftigung mit solchen Grübeleien nicht förderlich sei für ein reines Leben und für das Streben nach dem Nirvana. Wenn man sich auf diese Fragen einließe, könnte man darüber endlos diskutieren, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. 

Buddha erklärte ihm das durch ein Gleichnis: Ein Mann wird von einem vergifteten Pfeil getroffen, seine Freunde und Verwandten rufen einen heilkundigen Arzt herbei, aber der Verwundete will sich den Pfeil nicht herausziehen lassen, solange er nicht weiß, wer den Pfeil abgeschossen hat, zu welcher Kaste der Schütze gehört, wie er heißt, woher er stammt, wie groß er ist, welche Hautfarbe er hat, wo er wohnt, von welcher Art der Bogen, die Sehne, der Schaft und die Federn des Pfeils sind, und noch vieles andere. Dieser Mann würde sterben, bevor ihm alle Fragen beantwortet wären. (M 63)

In einer anderen Unterredung mit Buddha zeigte sich, daß Mālunkyaputta die Worte Buddhas ungenau gelernt hatte. Auf die Frage nach den fünf an die Sinnenwelt bindenden Fesseln antwortete er: "Es sind der Wahn, daß die Person das Ich sei; Zweifelsucht; der Irrglaube an die Wirksamkeit ritueller Gebräuche und Sakramente für die Erlösung; Trieb zur Sinnenlust; mißgünstige Gesinnung." Buddha hielt ihm entgegen, daß die Gegner erwidern könnten: Wenn das wirklich die Fesseln wären, dann würde ein Säugling von allen Fesseln frei sein, denn ein Säugling wisse nichts von Person und Ich, er habe keine Zweifel, kenne keine rituellen Gebräuche, keine Sinnenlust und keine Mißgunst. Mālunkyaputta habe nicht gut aufgepaßt und nicht gemerkt, worauf es ankomme. Nicht die Dinge, die er genannt habe, seien die Fesseln, sondern der Hang oder die Neigung dazu. 

Diesen Hang oder diese Neigung habe schon, wenn auch unbewußt, ein Säugling ebenso wie jeder erwachsene Weltling, der die Buddha-Lehre nicht verstanden hat. Um sich von den Fesseln zu befreien, genüge es also nicht, jene falschen Ansichten und schlechten Gesinnungen abzulegen, sondern man müsse den Hang, die Neigung dazu vollständig ausrotten. (M 64)

Erst in vorgerücktem Alter wurde Mālunkyaputta ernster und strebsamer. Als er dann den Meister noch einmal um Belehrung bat, wollte Buddha ihn zunächst abweisen, weil er sich jetzt den jüngeren Bhikkhus widmen müsse; so alte wie Mālunkyaputta hätten lange genug Gelegenheit gehabt, die Lehre zu erlernen. Auf seine nochmalige Bitte gab Buddha ihm aber doch eine kurze Unterweisung, in der er auf seine frühere Begehrlichkeit anspielte. Diese, sagte Buddha, müsse man ganz aufgeben, wenn man auf dem Wege zum Heil vorwärts kommen wolle. (A.IV.254) Nach einem anderen Bericht (S.35.95) gab ihm Buddha bei dieser Gelegenheit eine andere, tiefere Belehrung; er sagte: "Möchtest du nicht Sichtbares, das du noch nicht gesehen hast, sehen oder Töne, die du noch nicht gehört hast, hören oder Düfte, die du noch nicht gerochen hast, riechen oder Säfte, die du noch nicht geschmeckt hast, schmecken oder Tastbares, das du noch nicht betastet hast, betasten oder Vorstellungen, die du noch nicht gedacht hast, denken?" - "Nein, Herr!" - "Dann soll dir auch bei den Dingen, die du gesehen, gehört, gedacht und erkannt hast, Gesehenes nur als Gesehenes, Gehörtes nur als Gehörtes, Gedachtes nur als Gedachtes, Erkanntes nur als Erkanntes gelten. Wenn du es so hältst, dann bist du nicht dabei beteiligt; wenn du nicht dabei beteiligt bist, dann bist du weder in dieser noch in jener Welt noch zwischen beiden. Dies ist das Ende des Übels."

Darauf sprach Mālunkyaputta: "Den Sinn dieser kurzen Belehrung verstehe ich so:

Wer eine Form sieht und das Angenehme
Beachtet, hat Besonnenheit vergessen;
Von Leidenschaft getrübt nimmt er es wahr,
Er haftet dran und ist von ihr besessen.
 
Verschiedene Gefühle steigen auf
Und wachsen an, die aus der Form geboren;
Teils ist er zugeneigt, teils abgeneigt,
Und die Vernunft geht ihm dabei verloren.
Auf diese Art häuft er nur Leiden an.
 
"Fern von Nirvana" heißt ein solcher Mann.
Wer einen Ton hört und das Angenehme . . .
Wer einen Duft riecht und das Angenehme . . .
Wer einen Saft schmeckt und das Angenehme . . .
Wer Körper tastet und das Angenehme . . .
Wer sich ein Ding denkt und das Angenehme . . .
 
Und wachsen an, die aus dem Ton geboren, . . .
Und wachsen an, die aus dem Duft geboren, . . .
Und wachsen an, die aus dem Saft geboren, . . .
Und wachsen an, aus Tastbarem geboren, . . .
Und wachsen an, aus Vorstellung geboren, . . .
 
Er findet nicht Gefallen an der Form;
Hat er gesehen, bleibt er doch besonnen.
Er nimmt sie wahr und haftet nicht daran;
Der Leidenschaftlichkeit ist er entronnen.
 
Auch wenn er eine Form gesehen hat
Und dem Gefühl sich dabei hingegeben,
Er wirft es ab und sammelt es nicht an;
So wird er trotzdem stets besonnen leben.
Auf diese Art häuft er kein Leiden an.
 
"Nirvana nahe" heißt ein solcher Mann.
Er findet nicht Gefallen an dem Ton, . . .
an dem Duft, . . .
an dem Saft, . . .
am Getast, . . .
am Begriff, ...
Auch wenn er einen Ton vernommen,
einen Duft gerochen, einen Saft gekostet,
Körperform betastet hat ...
Auch wenn er eine Vorstellung gedacht hat
Und dem Gefühl sich dabei hingegeben, .. .

"So verstehe ich den Sinn." - "Gut, Mālunkyaputta, du hast die kurze Belehrung richtig verstanden."

Buddha wiederholte Mālunkyaputtas Lied und fuhr fort: "So ist der Sinn meiner kurzen Belehrung zu verstehen."

Mālunkyaputta stand auf und ging weg, lebte dann einsam, zurückgezogen, unermüdlich und selbstbeherrscht und erreichte bald die Heiligkeit.


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