Ānanda aus der Sippe Gotama im Adelsgeschlecht der Sakyas, also ein Vetter Buddhas, etwa zwanzig Jahre jünger als dieser [er war gleichaltrig, WG], war einer jener sechs Sakya-Jünger, die sich dem Bhikkhu-Orden bald nach seiner Gründung anschlossen. Ānanda blieb aber fast zwanzig Jahre lang Laienanhänger, dann erst wurde er Bhikkhu und begleitete von nun an ständig Buddha auf seinen Wanderungen als treuer Gehilfe (Thg 1039 bis 1044). Er zeichnete sich durch feine Umgangsformen aus, war immer höflich und liebenswürdig, seine besondere Stärke aber war ein erstaunliches Gedächtnis. Jedes Wort, das er von Buddha hörte, prägte sich ihm so fest ein, daß er noch nach vielen Jahren alle Aussprüche und Reden Buddhas wortgetreu hersagen konnte. Er wußte auch immer genau, an welchem Ort und bei welcher Gelegenheit Buddha gesprochen hatte. Dank seinem guten Gedächtnis konnte Ānanda auch anderen die Buddha-Lehre richtig vortragen, merkwürdigerweise aber konnte er selbst lange Zeit nicht den tiefsten Kern der Lehre verstehen.
Bei den Indern und auch bei anderen Völkern Asiens ist dies übrigens nichts Ungewöhnliches, denn dort ist es von alters her und auch heute noch üblich, daß man zuerst nur die Worte auswendig lernt; erst wenn der Lernende einen größeren Vorrat von Lehrsätzen auswendig hersagen kann, fängt der Lehrer an, ihm den Sinn klar zu machen. Was hinter dem Sinn der einzelnen Worte und Sätze liegt, ihr Zusammenhang und ihr tieferer Gehalt, wird dem Lernenden erst nach Jahren mitgeteilt. Mancher begreift ihn nie und kann doch über die Lehre reden, ja er soll es auch schon in diesem Stadium, denn oft kommt es vor, daß dem Vortragenden, indem er selbst redet, plötzlich das tiefere Verständnis der Sache aufgeht. Diese Erfahrung ist jedoch nicht auf Asien beschränkt, sie ist allgemein menschlich. Wenn die Römer sagten: docendo discimus - indem wir lehren, lernen wir - meinten sie dasselbe, und ein deutscher Gelehrter, der große Chemiker Baeyer, der wissenschaftliche Begründer der Farbenindustrie, pflegte seinen Assistenten zu sagen: "Wenn mir etwas nicht klar ist, halte ich einen Vortrag darüber." So machte es Ānanda, und seine Vorträge waren so gut, daß mehrere von ihnen ausführlich überliefert worden sind. Buddha selbst wünschte, daß Ānanda solche von ihm auswendig gelernte Vorträge hielt.
So geschah es einmal, als die Sakyas in Kapilavatthu ein neues Staatsgebäude errichtet und Buddha gebeten hatten, es einzuweihen. Zu seinem Empfang wurde das Gebäude festlich geschmückt, Buddha trat ein und hielt eine Festrede, die bis tief in die Nacht dauerte. Danach wandte er sich an Ānanda und sagte: "Entsinne dich der ausführlichen Lehrrede über die Eigenschaften eines nach Erkenntnis Strebenden und trage sie den Sakyas vor! Der Rücken ist mir ermüdet, ich möchte mich niederlegen." Darauf legte er sich nieder, und Ānanda hielt einen Vortrag, in dem er ausführte:
Ein Jünger Buddhas, der den höheren Pfad beschritten hat, befolgt streng die Sittlichkeitsregeln, er wacht über die Tore der Sinne, so daß er bei allen seinen Wahrnehmungen weder Begehren noch Widerwillen aufkommen läßt. Beim Essen hält er Maß und bedenkt dabei immer, daß er die Nahrung nur verzehrt, um sein Leben zu erhalten, nicht um des Genusses willen. Er ist stets achtsam und bei klarem Bewußtsein und hütet sich vor Schläfrigkeit. Er nimmt sich Buddha zum Vorbild, ist gewissenhaft und bescheiden, hat die Lehre gut gelernt und hält sie sich immer gegenwärtig, er übt sein Gedächtnis, bemüht sich um höheres Wissen und pflegt die vier Stufen der Versenkung. Hat er alle diese Eigenschaften erworben, so kann er sich seiner früheren Daseinsformen erinnern und das Schicksal der Wesen nach dem Tode voraussehen, vor allem aber kann er das Nirvana erreichen. Ānanda schloß seinen Vortrag vor den adeligen Herren mit dem Vers:
- "Der Adel gilt als erster Stand
- Beim Volke, das Geburtsrang schätzt.
- Am höchsten aber wird geehrt,
- Wer in Wissen und Wandel vollkommen ist."
Dann erhob sich Buddha und sprach Ānanda seine Anerkennung für den guten Vortrag aus. Auch die Sakyas spendeten Beifall. (M 53). Der Vers läßt übrigens erkennen, daß die Brahmanen, die heute die erste Stelle in der Kastenordnung behaupten, zur Zeit Buddhas an Ansehen eingebüßt hatten und in der Schätzung des Volkes hinter der Adelskaste zurückstanden. Darauf deuten auch manche andere Anzeichen in den Berichten aus dieser Zeit und den nächstfolgenden Jahrhunderten hin. Erst nach dem Niedergang des Buddhismus in Indien und seiner Verdrängung durch die Hindu-Religion stieg die Macht und die Wertschätzung der Brahmanen wieder.
Gleich dem Vortrag über die Eigenschaften des nach Erkenntnis Strebenden behandeln auch die anderen Reden Ānandas Gegenstände verhältnismäßig einfacher Art, ohne schwierige Fragen zu berühren. Der König Pasenadi von Kosala, dem Ānanda persönlich bekannt war, begegnete ihm einmal, als er auf einem Elefanten aus der Stadt Sāvatthi hinausritt, und ließ ihn um eine Unterredung bitten. Da setzte sich Ānanda mit dem König am Ufer des Flusses Aciravati nieder und der König fragte, worin schlechter und guter Wandel in Werken, Worten und Gedanken bestehe. Darüber hielt ihm Ānanda einen Lehrvortrag, und der König schenkte ihm zum Dank dafür ein großes Stück schönen Tuchs, das er von der Gemahlin des Königs Ajātasattu von Māgadha erhalten hatte; Ānanda sollte sich daraus ein neues dreifaches Gewand machen. (M 88)
Mit dem andersdenkenden Samanen Sandaka und dessen Anhängern, die in einem Garten bei der Stadt Kosambi versammelt waren, sprach Ānanda über die verschiedenen damals in Indien vertretenen Weltanschauungen und zeigte ihm, immer unter Berufung auf Worte Buddhas, daß jede von diesen zu falschen Schlußfolgerungen führt. Er behandelte
1. den Materialismus, wonach mit dem Tode alles zu Ende ist;
2. den Amoralismus, d.h. die Lehre, daß es keine moralische Schuld gebe;
3. den transzendentalen Fatalismus, wonach der blinde Zufall über das Schicksal des Menschen nach dem Tode entscheidet;
4. die Prädestinationslehre, wonach seit Ewigkeit für jedes Wesen im voraus bestimmt ist, ob es zur Erlösung oder zur Verdammnis gelangt, und daß der Mensch durch sein sittliches Verhalten nichts daran ändern könne.
In derselben Weise besprach Ānanda dann noch weitere vier Lehrmeinungen oder Lehrmethoden:
1. den immanenten Fatalismus, wonach alles Tun und Lassen und auch die Folgen davon in diesem Leben vom Schicksal unabänderlich bestimmt sind;
2. den Traditionalismus, der sich nur auf alt überlieferte Lehren beruft, ohne sie auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu prüfen;
3. die Begriffsspekulation, die aus ungenügend geprüften obersten Begriffen ihre Schlußfolgerungen ableitet;
4. den Disputiersport, der mit Trugschlüssen den Gegner ins Unrecht setzen will.
Nachdem Ānanda nachgewiesen hatte, daß die ersten vier Weltanschauungen falsch und die zweiten vier Lehrmeinungen oder Lehrmethoden unerquicklich sind, trug er den Andersdenkenden die Grundgedanken der Buddha-Lehre vor mit dem Erfolg, daß Sandaka zu Buddha übertrat und seinen Anhängern empfahl, das gleiche zu tun. (M 76)
Ein kürzeres Gespräch hatte Ānanda mit dem Sohn des Königs Pasenadi, dem General Vidūdabha, der wissen wollte, ob die Götter, die zur Menschenwelt zurückkehren müssen, andere Götter, die sich auf dem Wege zur Heiligkeit befinden, also dem Nirvana zustreben, verdrängen können. Ānanda gab ihm durch ein Gleichnis zu verstehen, daß dies unmöglich ist, und auf die weitere Frage, ob Brahma, der höchste Gott, später einmal wieder Mensch werden muß oder ob er zum Nirvana gelangt, erwiderte Ānanda, das hänge, wie beim Menschen, davon ab, ob er nach dem höchsten Ziele strebe oder nicht. Diesem Gespräch merkt man deutlich an, daß Ānanda keine Visionen von Göttern gehabt hat; über die Götter selbst sagt er nichts, sondern er wendet nur das allgemeine Gesetz auf sie an. (M 90)
Wie Ānanda seinem Meister persönliche Dienste leistete, wird sehr anschaulich erzählt in dem langen Bericht über die letzte Lebenszeit und den Tod Buddhas, im Mahāparinibbānasutta. Mit Buddha, dem eine ansehnliche Schar Bhikkhus folgte, von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt wandernd, vermittelte Ānanda den Verkehr zwischen den unterwegs angetroffenen Laienanhängern und Buddha. Als sie nach der Stadt Nādika gekommen waren, hatten viele dort wohnende Laienanhänger den Wunsch, über das Schicksal ihrer verstorbenen Verwandten nach dem Tode Näheres von Buddha zu erfahren, und wandten sich mit dieser Frage an Ānanda, der sie Buddha vortrug. Buddha beantwortete zunächst alle Fragen und gab dann aus diesem Anlaß den "Spiegel der Lehre" bekannt, aus dem jeder selbst ersehen kann, ob er nach dem Tode zu qualvollen Zuständen hinabsinken oder in die Menschenwelt zurückkehren oder in glücklichem, seligem Zustande, in einer Götterwelt, dem Nirvana zustreben und es, wenn auch erst nach mehreren Lebensläufen, sicher erreichen wird. Im "Spiegel der Lehre" möge jeder selbst prüfen, ob er hingebungsvolles Vertrauen zu Buddha, zur Lehre und zur Bhikkhu-Gemeinde habe und ob er die von Buddha gelehrten Sittlichkeitsregeln aus eigener Überzeugung und mit vollem Ernst innehalte. Wer sich selbst dieses Zeugnis ausstellen kann, der darf sicher sein, daß er, wenn nicht in dem gegenwärtigen, so doch in einem künftigen Dasein das Nirvana erreichen und nicht zu üblen Zuständen hinabsinken wird. (D.16, 2)
Als Buddha auf seiner letzten Wanderung erkrankt und wieder genesen war, bat ihn Ānanda, vor seinem Hinscheiden noch eine Bestimmung über die Bhikkhu-Gemeinde zu treffen. Buddha aber erwiderte: "Was erwartet denn die Gemeinde von mir? Ich habe die Lehre verkündet, ohne ein Geheimnis zurückzubehalten. Nie hatte ich den Hintergedanken, daß ich die Gemeinde leiten wolle oder daß die Gemeinde auf mich angewiesen sein solle. Ich bin jetzt alt und gebrechlich und werde bald sterben. Dann suchet eure Rettung und eure Zuflucht in euch selbst und in der Lehre und nirgends sonst!" Hiermit hat Buddha ausdrücklich erklärt, daß es keine buddhistische Geheimlehre, keinen "esoterischen Buddhismus" gibt. Die ganze Lehre ist öffentlich verkündet.
An einem besonders schönen Platz in der Nähe des Cāpāla-Denkmals ausruhend, sprach Buddha zu Ānanda: "Wer, wie ich, die vier Grundlagen der übernormalen Fähigkeiten in vollkommenem Maße ausgebildet hat, der könnte, wenn er wollte, eine Weltperiode lang am Leben bleiben." Als Buddha bald darauf Ānanda seinen Entschluß kundgab, nach drei Monaten in das Parinirvana einzugehen, erinnerte sich Ānanda jener Worte und bat Buddha, eine Weltperiode lang am Leben zu bleiben, aber Buddha erwiderte ihm: "Glaubst du denn daran, Ānanda?" und da Ānanda mit Ja antwortete, fuhr Buddha fort: "Dann hättest du mich damals darum bitten sollen, jetzt ist es zu spät, denn nun habe ich meinen Entschluß gefaßt." (D.16, 3)
Später, nach dem Tode Buddhas, machten manche Bhikkhus Ānanda den Vorwurf, er habe durch seine Unachtsamkeit verschuldet, daß Buddha dahingeschieden sei. Sicherlich ist dieser Vorwurf unbegründet. Bis auf den heutigen Tag haben viele Buddhisten darüber nachgedacht, was Buddha wohl mit jenem Ausspruch, vorausgesetzt, daß er wirklich so gelautet hat, gemeint haben könne. Nach einer Überlieferung, die unter den Buddhisten von Ceylon, Siam und Burma verbreitet ist, soll das Wort, das gewöhnlich mit "Weltperiode" übersetzt wird, in diesem Zusammenhang die normale Lebensdauer eines gesunden Menschen bedeuten. Dann wäre der Sinn des Ausspruches: Wer die Grundlagen der übernormalen Fähigkeiten ausgebildet hat, der stirbt nicht vorzeitig durch Unfall oder Krankheit, sondern erreicht das normale Lebensalter. Das hat Buddha, der 80 Jahre alt geworden ist, tatsächlich erreicht. In diesem Falle wäre aber die Berufung Ānandas auf diesen Ausspruch unverständlich. Vielleicht, ja wahrscheinlich, wollte Ānanda Buddha damals auch nur bitten, noch länger am Leben zu bleiben, und Buddha erwiderte ihm, daß sein Entschluß, nach drei Monaten hinzuscheiden, feststehe.
Nach seinem letzten Mahl, das ihm der Schmied Cunda in Pāvā gespendet hatte, erkrankte Buddha an Ruhr, erholte sich aber bald wieder und wanderte mit Ānanda nach Kusinara weiter. Unterwegs machte er Rast und bat Ānanda, ihm Trinkwasser zu holen. Ānanda aber schlug ihm vor, noch ein wenig weiter zu gehen bis zu dem Fluß Kakuttha, der klares, kühles Wasser führe, denn der kleine Wasserlauf in der Nähe seines jetzigen Rastplatzes fließe ganz trübe, weil soeben eine große Wagenkarawane hindurchgefahren war. Buddha bestand aber auf seiner Bitte, und nun folgte Ānanda und fand zu seinem Erstaunen das Wasser in dem Bach klar und rein. Das hielt er für ein Wunder, das Buddha vollbracht habe.
Im Park von Kusinara angelangt, bereitete Ānanda für Buddha eine Lagerstätte zwischen zwei Zwillings-Salabäumen, wo sich Buddha niederlegte und noch einige Anordnungen traf. Ānanda aber ging in den Vihāra, das Bhikkhuheim, blieb dort an die Tür gelehnt stehen und weinte. "Ich bin noch nicht fertig", klagte er, "muß noch lernen und üben, und der Meister, der sich meiner annahm, wird nun bald dahinscheiden!" Buddha vermißte Ānanda und ließ ihn durch einen Bhikkhu rufen. Dann tröstete er ihn und sprach:
"Habe ich nicht früher schon gesagt, daß wir uns von allem, was uns lieb und teuer ist, einmal trennen müssen? Was entstanden und geworden ist, muß zugrunde gehen und hinscheiden; anders ist es nicht möglich. Lange hast du dem Vollendeten in Liebe und Treue beigestanden, in Werken, Worten und Gedanken immer auf sein Wohl bedacht. Viel Gutes hast du getan, Ānanda, ringe nun weiter, bald wirst du von weltlichen Einflüssen frei sein."
Und zu den umstehenden Bhikkhus gewandt, fuhr Buddha fort: "Ānanda ist klug, er weiß, zu welcher Zeit der Vollendete für Bhikkhus und für Laienanhänger, für einen König und seine Minister, für andere Lehrer und ihre Schüler zu sprechen ist. Wenn Bhikkhus oder Laien zu Ānanda kommen, beglückt sie seine Gegenwart, wenn er ihnen einen Lehrvortrag hält, erfreut sie seine Rede, und sie haben noch nicht genug, wenn er aufhört zu reden." (D.16, 4)
So erkannte Buddha die Vorzüge Ānandas vor der Gemeinde an. Dann schickte er ihn nach dem Rathaus von Kusinara, um den dortigen Ratsherren, den Mallas, anzuzeigen, daß Buddha in ihrem Park in der kommenden Nacht zum Parinirvana eingehen werde. Nun kamen die Mallas mit ihren Familien, um von Buddha trauernd Abschied zu nehmen, und Ānanda hatte dafür zu sorgen, daß dieser letzte Besuch bei dem sterbenden Buddha ordnungsmäßig vonstatten ging. Diese schwierige Aufgabe löste er gewandt in der Weise, daß er die Mallas nicht einzeln, sondern familienweise vortreten und dem Buddha ihre Verneigung machen ließ. So brachte er es fertig, daß die ganze Zeremonie im ersten Drittel der Nacht erledigt wurde. (D.16, 5)
Nach dem Tode Buddhas schlossen sich Ānanda viele jüngere Bhikkhus an, um sich von ihm unterweisen zu lassen, denn er war berühmt als der beste Kenner aller Meisterworte. Außerdem war er beliebt wegen seines zuvorkommenden, gegen jeden gleich freundlichen Benehmens. In diese Zeit fallen seine zwei unliebsamen Zusammenstöße mit dem überstrengen Waldeinsiedler Kassapa, von denen wir schon gesprochen haben, und ein Gespräch mit dem Minister des Königs von Māgadha, Vassakāra, demselben, der Befestigungsbauten bei Pātaligāma, dem späteren Pātaliputta, heute Patna, leitete. Vassakāra fragte, wer nach dem Tode Buddhas das Oberhaupt der Bhikkhu-Gemeinde sei, und Ānanda teilte ihm mit, daß weder Buddha ein Oberhaupt eingesetzt noch die Gemeinde einen Vorsitzer gewählt habe. Vassakāra wunderte sich darüber und sprach seinen Zweifel aus, ob die Gemeinde ohne Oberhaupt bestehen könne, aber Ānanda sagte ihm: "Von Buddha ist uns das Pātimokkha hinterlassen worden, eine Satzung für die Beichtfeier. Nun kommen wir alle vierzehn Tage zusammen, so viele von uns, bis auf drei herab, im Umkreis eines Dorfes sich aufhalten, begehen die Feier und fordern dabei einen, der an der Reihe ist, auf, die Beichtformel vorzutragen. Sollte ein Bhikkhu gegen eine Vorschrift der Ordensregel verstoßen haben, so wird über ihn die vorgesehene Verwarnung oder Strafe verhängt. So sorgen wir für Zucht und Ordnung gemäß den Vorschriften Buddhas."
"Aber", meinte Vassakāra, "es gibt doch wohl einen Bhikkhu, den ihr besonders hochschätzt?" "Ja", erwiderte Ānanda, "den gibt es." Vassakāra fand darin einen Widerspruch; er meinte, dann gebe es also doch gewissermaßen ein Oberhaupt der Gemeinde, aber Ānanda klärte ihn über das Mißverständnis auf: Nicht einem bestimmten Bhikkhu gelte die besondere Hochschätzung der Gemeinde, sondern jedem, der das Ziel der Heiligkeit erreicht hat; und er zählte ihm die zehn Eigenschaften auf, die einen Heiligen vor allen anderen Menschen auszeichnen. Diese sind: 1. reiner Lebenswandel, 2. Kenntnis der Buddha-Lehre, 3. Genügsamkeit und Zufriedenheit, 4. die Fähigkeit sich zu versenken, 5. magische Kräfte, 6. himmlisches oder übersinnliches Gehör, 7. die Fähigkeit des Gedankenlesens, 8. Erinnerung an die früheren Daseinsformen, 9. räumliches und zeitliches Hellsehen, vermöge dessen das vergangene und das zukünftige Geschick der Wesen erkannt wird, 10. Befreiung von weltlichen Einflüssen, d.h. Nirvana. Damit war diese Frage erledigt. (M 108)
Eine sehr wichtige Aufgabe hatte Ānanda zu erfüllen, als das Konzil bei Rājagaha, von dem oben schon die Rede war, zusammentrat. Kassapa, der Einberufer und Leiter des Konzils, konnte nicht umhin, obwohl er auf Ānanda nicht gut zu sprechen war, ihm den ehrenvollen Auftrag zu geben, alle Aussprüche und Lehrreden Buddhas und seiner Jünger aus seinem Gedächtnis auf dem Konzil vorzutragen, denn kein anderer hatte so viele Äußerungen Buddhas mit angehört, wie Ānanda, und keiner konnte sich so gut wie er an alle Einzelheiten erinnern.
Vor dem Zusammentritt des Konzils sagte sich Ānanda, es passe sich für ihn nicht, als ein noch nicht heiliger Bhikkhu vor die Versammlung der Ordensältesten zu treten, die ja alle außer ihm schon Heilige waren. Deshalb übte er eine ganze Nacht hindurch bis zum Morgen die Meditation über den Körper, von der bei Sāriputta schon die Rede war. Dadurch erreichte er die Befreiung seines Geistes von den weltlichen Einflüssen und konnte nun als Heiliger zum Konzil gehen. In der Meditation und durch die Meditation über den Körper erlebte er, was er vorher nur gelernt hatte. An diesem Beispiel sieht man, worauf es ankommt: die Buddha-Lehre will nicht nur gelernt und verstandesgemäß begriffen sein, sondern sie will von jedem einzelnen auf seine Art innerlich erlebt werden. Nur wenn sie wirklich erlebt wird, führt sie zum Ziel, zur Befreiung, zum Nirvana (CV XI, 1).
Als Heiliger also trat Ānanda in das Konzil ein, und so verdanken wir ihm die sichere, meist wohl wortgetreue Überlieferung, wenn nicht aller, so doch der meisten Worte Buddhas, wie sie heute im Suttapitaka des Pali-Kanons vorliegt.
In den Theragāthās heißt es, Ānanda habe 82 000 Worte, die er selbst von Buddha gehört, auswendig gewußt und außerdem noch 2000, die ihm von anderen Bhikkhus mitgeteilt worden sind.
- "Den Wortlaut kennt er gut,
- Den Sinn, den Vers, den Klang.
- Er prüft, ob alles stimmt,
- Wahrt den Zusammenhang.
- Er lernt und wägt dann ab
- Mit Fleiß und Emsigkeit,
- Er sammelt sich im Geist
- Und übt zur rechten Zeit."