Anguttara Nikāya, 1. Buch

I. Kapitel 1. Rūpādi Vagga  - (Pali)

A.1.1. Mann und Weib (I,1-10)

So habe ich gehört. Einst weilte der Erhabene (*1) im Jetahaine bei Sāvattī, im Kloster Anāthapindika. Dort wandte sich der Erhabene an die Mönche. "Mönche!" sprach er. - "Herr!" erwiderten jene Mönche dem Erhabenen. Und der Erhabene sprach:

 


(*1) 'Der Erhabene' (bhagavā) ist die gebräuchlichste Bezeichnung für den Buddha, den Erwachten oder Erleuchteten.


II. Kapitel 2. Nīvaraṇappahāna Vagga - (Pali)

A.1.2. Die fünf geistigen Hemmungen (II,1-10)

Kein anderes Ding kenne ich, ihr Mönche, wodurch in dem Maße die unaufgestiegene Sinnenlust zum Aufsteigen kommt und die aufgestiegene Sinnenlust zu Wachstum und Entwicklung gelangt, wie ein anziehendes Objekt. (subha-nimitta)

Wer nämlich, ihr Mönche, über ein anziehendes Objekt unweise nachdenkt, (ayoniso manasikāra) in dem kommt die unaufgestiegene Sinnenlust zum Aufsteigen, und die aufgestiegene Sinnenlust erlangt Wachstum und Entwicklung.

Kein anderes Ding kenne ich, ihr Mönche, wodurch in dem Maße der unaufgestiegene Hass (vyāpāda) zum Aufsteigen kommt, und der aufgestiegene Hass zu Wachstum und Entwicklung gelangt, wie ein abstoßendes Objekt. (*4)

Wer nämlich, ihr Mönche, über ein abstoßendes Objekt unweise nachdenkt, in dem kommt der unaufgestiegene Hass zum Aufsteigen, und der aufgestiegene Hass erlangt Wachstum und Entwicklung.

Kein anderes Ding kenne ich, ihr Mönche, wodurch in dem Maße die unaufgestiegene Starrheit und Mattigkeit zum Aufsteigen kommt, und die aufgestiegene Starrheit und Mattigkeit zu Wachstum und Entwicklung gelangt, wie die Unlust und Trägheit, das faule Recken der Glieder, die Benommenheit nach dem Mahl und geistige Schlaffheit. Denn im geistig Schlaffen, ihr Mönche, kommt die unaufgestiegene Starrheit und Mattigkeit zum Aufsteigen und die aufgestiegene erlangt Wachstum und Entwicklung.

Kein anderes Ding kenne ich, ihr Mönche, wodurch in dem Maße die unaufgestiegene Aufgeregtheit und Gewissensunruhe zum Aufsteigen kommt und die aufgestiegene Aufgeregtheit und Gewissensunruhe zu Wachstum und Entwicklung gelangt, wie die innere Unruhe. Denn im innerlich Unruhigen, ihr Mönche, kommt die unaufgestiegene Aufgeregtheit und Gewissensunruhe zum Aufsteigen, und die aufgestiegene erlangt Wachstum und Entwicklung.

Kein anderes Ding kenne ich, ihr Mönche, wodurch in dem Maße die unaufgestiegene Zweifelsucht zum Aufsteigen kommt und die aufgestiegene Zweifelsucht zu Wachstum und Entwicklung gelangt, wie unweises Nachdenken. Wer nämlich, ihr Mönche unweise nachdenkt, in dem kommt die unaufgestiegene Zweifelsucht zum Aufsteigen, und die aufgestiegene erlangt Wachstum und Entwicklung.

Kein besseres Mittel (wtl: kein anderes Ding) kenne ich, ihr Mönche, wodurch die unaufgestiegene Sinnenlust nicht zum Aufsteigen kommt und die aufgestiegene Sinnenlust schwindet, wie ein widerliches Objekt. (asubha-nimitta) Wer nämlich, ihr Mönche, über ein widerliches Objekt weise nachdenkt, (*6) in dem kommt die unaufgestiegene Sinnenlust nicht zum Aufsteigen und die aufgestiegene schwindet.

Kein besseres Mittel kenne ich, ihr Mönche, wodurch der unaufgestiegene Hass nicht zum Aufsteigen kommt und der aufgestiegene Hass schwindet, wie die Güte, die Befreiung des Herzens. (*7) Wer nämlich, ihr Mönche, über die Güte, die Befreiung des Herzens, weise nachdenkt, in dem kommt der unaufgestiegene Hass nicht zum Aufsteigen und der aufgestiegene schwindet.

Kein besseres Mittel kenne ich, ihr Mönche, wodurch die aufgestiegene Starrheit und Mattigkeit nicht zum Aufsteigen kommt und die aufgestiegene Starrheit und Mattigkeit schwindet, wie die Geisteshaltung (*8) des Willenseinsatzes, des Vorwärtsstrebens und der kraftvollen Ausdauer. Wer nämlich, ihr Mönche, seinen Willen einsetzt, in dem kommt die unaufgestiegene Starrheit und Mattigkeit nicht zum Aufsteigen und die aufgestiegene schwindet.

Kein besseres Mittel kenne ich, ihr Mönche, wodurch die unaufgestiegene Aufgeregtheit und Gewissensunruhe nicht zum Aufsteigen kommt und die aufgestiegene Aufgeregtheit und Gewissensunruhe schwindet, wie die innere Ruhe. Im innerlich Ruhigen nämlich, ihr Mönche, kommt die unaufgestiegene Aufgeregtheit und Gewissensunruhe nicht zum Aufsteigen und die aufgestiegene schwindet.

Kein besseres Mittel kenne ich, ihr Mönche, wodurch die unaufgestiegene Zweifelsucht nicht zum Aufsteigen kommt und die aufgestiegene Zweifelsucht schwindet, wie weises Nachdenken. Wer nämlich, ihr Mönche, weise nachdenkt, in dem kommt die unaufgestiegene Zweifelsucht nicht zum Aufsteigen und die aufgestiegene schwindet. (*9)


(*4) patigha-nimitta; wtl: eine Vorstellung der Abneigung; AK: ein unerwünschtes Objekt.

(*6) K: in gründlichem, methodischem Nachdenken (yoniso manasikāra), wobei man Vergängliches als vergänglich betrachtet usw.

(*7) Güte (mettā). Mit der Beifügung 'Befreiung des Herzens' (ceto-vimutti) wird, lt. K, zum Ausdruck gebracht, dass es sich hier um die in den ersten drei Vertiefungen (jhāna) mit dem Gegenstand der Güte erreichte volle Sammlung des Geistes handelt. Vgl. Weg z. Erl. § 106ff., VisM, Kap. IX.

(*8) dhātu, wtl: Element. Diese Bezeichnung der drei Phasen der Tatkraft (ārambha-dhātu, nikkama-dhatu, parakkama-dhatu) soll hier wohl auf eine entsprechende elementare geistige Einstellung oder Grundhaltung hinweisen.

(*9) Die im Text genannten fünf Eigenschaften werden als 'Hemmungen' (nīvarana) bezeichnet. Diese Eigenschaften hemmen die Läuterung und Entwicklung des Geistes und verhindern dessen volle Sammlung in den meditativen Vertiefungszuständen (jhāna).

Eine Stellenlese von Texten über sie enthält 'Die Einsicht' III,3 (Konstanz 1950, Christiani); ferner Kommentar zum Satipatthāna-sutta (Christiani), S. 113f.


III. Kapitel 3. Akammaniya Vagga - (Pali)

A.1.3. Der ungefüge Geist (III,1-10)

Kein anderes Ding kenne ich, ihr Mönche, das, unentfaltet, so ungefügig ist wie der Geist. Ungefügig, ihr Mönche, ist der unentfaltete Geist.

Kein anderes Ding kenne ich, ihr Mönche, das, entfaltet, (*1) so gefügig ist wie der Geist.

Kein anderes Ding kenne ich, ihr Mönche, das, unentfaltet, zu so großem Unsegen führt wie der Geist. Zu großem Unsegen, ihr Mönche, führt der unentfaltete Geist.

Kein anderes Ding kenne ich, ihr Mönche, das, entfaltet, zu so großem Segen führt wie der Geist. Zu großem Segen, ihr Mönche, führt der entfaltete Geist. Kein anderes Ding kenne ich, ihr Mönche, das, unentfaltet, unaufgeschlossen und vernachlässigt, zu so großen Unsegen führt wie der Geist. Zu großem Unsegen, ihr Mönche, führt der unentfaltete, unaufgeschlossene und vernachlässigte Geist.

Kein anderes Ding kenne ich, ihr Mönche, das, entfaltet, aufgeschlossen und nicht vernachlässigt, zu so großem Segen führt wie der Geist. Zu großem Segen, ihr Mönche, führt der entfaltete, aufgeschlossene und nicht vernachlässigte Geist.

Kein anderes Ding kenne ich, ihr Mönche, das, unentfaltet und vernachlässigt, zu so großem Unglück führt wie der Geist. Zu großem Unglück, ihr Mönche, führt der unentfaltete und vernachlässigte Geist.

Kein anderes Ding kenne ich, ihr Mönche, das, entfaltet und nicht vernachlässigt, zu so großem Glücke führt wie der Geist. Zu großem Glücke, ihr Mönche, führt der entfaltete und nicht vernachlässigte Geist.


(*1) bhāvitam. Dies bezieht sich besonders auf die meditative Geistesentfaltung durch Geistesruhe (samatha) und Hellblick (vipassanā).


IV. Kapitel 4. Adanta Vagga - (Pali)

A.1.4. Geisteszügelung (IV,1-7)

Kein anderes Ding kenne ich, ihr Mönche, das, ungezähmt, unbehütet, unbewacht und ungezügelt, zu so großem Unsegen führt wie der Geist. Zu großem Unsegen, ihr Mönche, führt der ungezähmte, unbehütete, unbewachte und ungezügelte Geist.

Kein anderes Ding kenne ich, ihr Mönche, das, bezähmt, behütet, bewacht und gezügelt, zu so großem Segen führt wie der Geist. Zu großem Segen, ihr Mönche, führt der bezähmte, behütete, bewachte und gezügelte Geist.


V. Kapitel 5. Paṇihitaaccha Vagga - (Pali)

A.1.5. Der Reishalm (V,1-2)

Dass, ihr Mönche, ein mit dem scharfen Ende nach unten gerichteter (*1) Reis- oder Gerstenhalm, wenn man mit der Hand oder dem Fuß an ihn stößt, die Hand oder den Fuß verletzen oder zum Bluten bringen könnte, das ist nicht möglich; denn der Halm ist ja verkehrt gerichtet. Ebenso, ihr Mönche, dass da ein Mönch mit verkehrt gerichtetem Geiste die Unwissenheit durchbrechen, das Wissen erwecken und das Nibbāna verwirklichen könnte, auch das ist nicht möglich; denn sein Geist ist ja verkehrt gerichtet.

Dass aber, ihr Mönche, ein mit dem scharfen Ende nach oben gerichteter Reis- oder Gerstenhalm, wenn man mit der Hand oder dem Fuß an ihn stößt, die Hand oder den Fuß verletzen oder zum Bluten bringen könnte, das ist wohl möglich; denn der Halm ist ja recht gerichtet. Ebenso, ihr Mönche, dass da ein Mönch mit recht gerichtetem Geiste die Unwissenheit durchbrechen, das Wissen erwecken und das Nibbāna verwirklichen könnte, das ist wohl möglich; denn sein Geist ist ja recht gerichtet.

(*1) Wtl: verkehrt gerichtet; im nächsten Absatz: recht gerichtet.


A.1.6. Herzensdurchschauung (V,3-4)

Ich durchschaue da, ihr Mönche, mit meinem Geiste einen übelgesinnten Menschen. Sollte er nun in diesem Augenblicke sterben, so würde er, wie er sich's erwirkt, (*1) der Hölle verfallen.

Und warum?

Weil seine Gesinnung übel ist. Wegen übler Gesinnung nämlich erscheinen da manche Wesen beim Zerfall des Körpers, nach dem Tode in niederer Welt (apāya), auf einer Leidensfährte (duggati), in den Daseinsabgründen (vinipāta), in einer Hölle.

Ich durchschaue da, ihr Mönche, mit meinem Geiste einen edelgesinnten Menschen. Sollte er nun in diesem Augenblicke sterben, so würde er, wie er sich's erwirkt, in himmlisches Dasein gelangen.

Und warum?

Weil seine Gesinnung edel ist. Wegen edler Gesinnung nämlich erscheinen da manche Wesen beim Zerfall des Körpers, nach dem Tode auf einer guten Daseinsfährte, in einer himmlischen Welt.


(*1) Yathābhatam nikkhitto; wtl: wie Mitgebrachtes abgeworfen wird. K paraphrasiert mit āharttvā thapito, was den gleichen Sinn hat.

Zu M.2 erklärt K: wie von den Höllenwächtern gebracht und in die Hölle geworfen.


A.1.7. Der Teich (V,5-6)

Gleichwie da einer, ihr Mönche, der am Ufer eines trüben, aufgewühlten und schlammigen Teiches steht, trotz seiner Sehkraft unfähig ist, darin die verschiedenartigen Muscheln, den Sand und die Kieselsteine sowie die Scharen der sich darin tummelnden Fische zu erkennen; eben wegen des trüben Wassers: ebenso auch, ihr Mönche, kann der Mönch bei verschlacktem Geiste weder das eigene Heil erkennen, noch das Heil anderer, noch das gemeinsame Heil, und er vermag auch nicht jene ungewöhnliche (uttara-manussa; wtl: übermenschliche) Errungenschaft des zur Heiligkeit befähigenden Erkenntnisblickes (*1) zu verwirklichen; eben wegen seines verschlackten Geistes.

Gleichwie da einer, ihr Mönche, der am Ufer eines klaren, hellen und ungetrübten Teiches steht, mit seiner Sehkraft fähig ist, die verschiedenartigen Muscheln, den Sand und die Kieselsteine sowie die Scharen der sich darin tummelnden Fische zu erkennen; eben wegen des ungetrübten Wassers ebenso auch, ihr Mönche, kann der Mönch bei schlackenfreiem Geiste das eigene Heil erkennen, das Heil anderer und das gemeinsame Heil, und er vermag auch jene ungewöhnliche Errungenschaft des zur Heiligkeit befähigenden Erkenntnisblickes zu verwirklichen; eben wegen seines schlackenfreien Geistes.

(*1) uttaramanussadhamma-alam-ariya-ñānadassana-visesa.


A.1.8. Das Phandana-Holz (V,7)

Gleichwie, ihr Mönche, das Phandana-Holz (*1) unter den Holzarten als das beste gilt hinsichtlich seiner Geschmeidigkeit und Formbarkeit, ebenso auch, ihr Mönche, kenne ich kein anderes Ding, das, entfaltet und nicht vernachlässigt, so geschmeidig und formbar ist wie der Geist. Geschmeidig und formbar, ihr Mönche, ist der entfaltete und nicht vernachlässigte Geist.


(*1) phandano, so in ChS und K. Die Lesart in PTS und Subk. candano, d.i. Sandel (so auch in der 1. Aufl.) ist unwahrscheinlich, denn das Sandelholz gehört keineswegs zu den weichen und 'gefügigen' Holzarten; phandana hingegen wird mit dem ceylonesischen Kolom-Baum identifiziert, der ein besonders weiches Holz hat.


A.1.9. Der schnelle Wechsel des Bewusstseins (V,8)

Kein anderes Ding kenne ich, ihr Mönche, das so schnell wechselt wie das Bewusstsein; und schwerlich mag man ein Gleichnis finden für diesen so schnellen Wechsel des Bewusstseins. (*1)

(*1) K: nach schnellem Entstehen ein schnelles Vergehen. K bemerkt ferner, dass dieser Text am Schluss einer Lehrunterweisung gesprochen wurde (die uns offenbar nicht erhalten ist). -
Bewusstsein = citta, welches aus stilistischen Gründen vorher mit Geist wiedergegeben wurde.


A.1.10. Das lautere Bewusstsein I (V,9-10)

Lauter, ihr Mönche, ist dieses Bewusstsein; doch es wird verunreinigt von hinzukommenden Befleckungen. (*1)

Lauter, ihr Mönche, ist dieses Bewusstsein; und ist es frei von hinzukommenden Befleckungen.


(*1) 'Lauter' (pabhassara), wtl: leuchtend; K: hell, rein. -

'Der Geist' (citta), im K mit 'Unterbewusstsein' (bhavanga-citta) erklärt. -

'Durch hinzukommende' (āgantukehi); K: d.h. nicht durch (mit dem Unterbewusstsein) zusammen entstandene, sondern erst später im Impuls-Stadium (des Wahrnehmungsprozesses; javana, aufsteigende 'Befleckungen' (upakkilesehi), wie Gier usw.

Der vorhergehende Text 9 vom "schnellen Wandel des Bewusstseins" macht es klar, dass mit dem "lauteren Geist" nicht etwa ein "ewiger, lauterer Seelengrund" gemeint ist.

K erklärt mit bhavanga-citta; das ist jener mit dem Wiedergeburts-Bewusstsein beginnende, unterbewusst verlaufende Geistesprozess, welcher dem individuellen Lebensablauf seine Kontinuität gibt.

Für bhavanga-citta hat sich die Wiedergabe mit 'Unterbewusstsein' eingebürgert; doch man darf diese als Notbehelf dienende Bezeichnung keineswegs mit dem Unter- oder Unbewussten der modernen Tiefenpsychologie gleichsetzen, von dem sich die buddhistische Konzeption in wichtigen Punkten unterscheidet.

Näheres hierüber s. Wtb: bhavanga, viññāna-kicca. -

Dieser unterbewusste Ablauf wird von den jeweiligen Wahrnehmungen oder Gedanken unterbrochen. In der von der späteren buddhistischen Psychologie unternommenen scharfsinnigen Analyse eines Wahrnehmungsvorgangs ist es erst die 5. Phase, das sogen. Impuls-Stadium (javana), in dem Gier, Abneigung oder Verblendung hinsichtlich des betreffenden Gegenstandes auftreten, so dass erst hier eine 'Verunreinigung durch hinzukommende Befleckungen' erfolgt.

Der Subk. sagt hierzu, dass es sich allerdings nicht im strikten und wörtlichen Sinne um eine 'Verunreinigung' handle, da ja das lautere Unterbewusstsein und die 'hinzukommenden Befleckungen, nicht gleichzeitig bestehen, sondern aufeinander folgen. Doch da es sich um die gleiche Bewusstseins- oder Persönlichkeits-Kontinuität (eka-santati) handle, werde hier der bildliche Ausdruck von einer Verunreinigung gebraucht.


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