Majjhima Nikaya, Mittlere Sammlung
M. 98. (X,8) Vāsettha Sutta (Vasettho) - (Pali
Version)
DAS HAB' ICH GEHÖRT. Zu einer Zeit weilte der Erhabene
bei Icchanangalam, im Waldgehölz von Icchanangalam.
Um diese Zeit nun hielten sich viele wohlbekannte,
wohlberühmte hochmögende Priester zu Icchanangalam auf, als da waren Canki der
Priester, Tarukkho der Priester, Pokkharasati der Priester, Janussoni der
Priester, Todeyyo der Priester, und noch andere wohlbekannte, wohlberühmte
hochmögende Priester. [1]
Als nun eines Tages Vasettho und Bharadvajo, zwei junge
Brahmanen, auf einem Spaziergange lustwandelnd sich ergingen, kam folgende Rede
unter ihnen auf:
"Sagt mir, Herr, wie man Priester wird!"
Bharadvajo der junge Brahmane gab also Antwort:
""Wenn da, Herr, einer beiderseits wohlgeboren ist, vom
Vater und von der Mutter aus, lauter empfangen, bis zum siebenten Ahnherrn
hinauf unbefleckt, untadelhaft von Geburt, ist er insofern, Herr, ein Priester."
Vasettho der junge Brahmane gab also Antwort:
"Wer da, Herr, tugendhaft ist und gewissenhaft lebt,
ist insofern, Herr, ein Priester."
Aber weder vermochte Bharadvajo der junge Brahmane
Vasettho den jungen Brahmanen zu seiner Ansicht zu bringen, noch auch vermochte
Vasettho der junge Brahmane Bharadvajo den jungen Brahmanen zu sich zu bekehren.
Da wandte sich denn der junge Vasetther also an den jungen Bharadvajer:
"Es hält sich da, o Bharadvajo, der Asket Gotamo, der
Sakyersohn, der dem Erbe der Sakyer entsagt hat, bei Icchanangalam auf, im
Waldgehölz bei Icchanangalam. Diesen Herrn Gotamo aber begrüßt man allenthalben
mit dem frohen Ruhmesrufe, so zwar: 'Das ist der Erhabene, der Heilige,
vollkommen Erwachte, der Wissens- und Wandelsbewährte, der Willkommene, der Welt
Kenner, der unvergleichliche Leiter der Männerherde, der Meister der Götter und
Menschen, der Erwachte, der Erhabene.' Wir wollen uns, o Bharadvajo, dorthin
begeben wo der Asket Gotamo weilt und den Asketen Gotamo darum befragen: wie es
uns der Asket Gotamo erklären wird, so wollen wir es halten."
"Gut, Herr!" sagte da zustimmend der junge Bharadvajer
zum jungen Vasetther.
Und die beiden jungen Brahmanen Vasettho und Bharadvajo
begaben sich dorthin wo der Erhabene weilte. Dort angelangt tauschten sie
höflichen Gruß und freundliche, denkwürdige Worte mit dem Erhabenen und setzten
sich seitwärts nieder. Seitwärts sitzend sprach nun der junge Vasetther den
Erhabenen mit den Sprüchen an:
- "Als Kenner sind wir anerkannt,
- In drei der Veden eingeweiht:
- Pokkharasati lehrte mich,
- Tarukkho Diesen, meinen Freund.
"Was Vedendeuter kundgetan,
- Vollkommen haben wir's gemerkt,
- Behalten sinnig Satz um Satz
- Und sprechen wie ein Meister spricht.
"Als von Geburt die Rede war
- Erstand ein Streit uns, Gotamo:
- 'Ein Priester ist man durch Geburt'
- Behauptet Bharadvajo hier,
Ich aber sage: durch die Tat;
- Du sollst es wissen, Seherfürst!
- "Und keiner können beide wir
- Zufrieden miteinander sein:
- Den Herrn zu fragen sind wir da,
- Den Auferwachten hochberühmt.
"Gleichwie der vollgewordne Mond,
- Hervorgekommen, fromm begrüßt
- Vom Volke, froh gefeiert wird,
- So preisen sie auch deinen Preis.
- "Das Auge, das der Welt erwuchs,
- Befragt sei von uns Gotamo:
Ist man ein Priester durch Geburt,
- Ist man es durch die Tat allein?
- Die Ungewissen weise du,
- Auf daß den Priester wir verstehn."
DER HERR:
- "So will ich denn erklären euch
- Der Reihe nach und recht genau
- Der Wesen mancherlei Geburt,
- Von einer Art zur andern Art.
"Das Gras, ihr kennt es, kennt den Baum,
- Doch euch erkennen diese nicht:
- Ihr Stamm ist von Geburt bestimmt,
- Von einer Art zur andern Art.
Die Kerfe dann, was kriecht und fliegt,
- Ameisen, Asseln insgesamt:
- Ihr Stamm ist von Geburt bestimmt,
- Von einer Art zur andern Art.
"Vierfüß'ge Tiere, klein und groß,
- Auch sind euch diese wohlbekannt:
- Ihr Stamm ist von Geburt bestimmt,
- Von einer Art zur andern Art.
"Bauchläufer kennt ihr, was da schleicht
- Als Schlange hin, als Echse her:
- Ihr Stamm ist von Geburt bestimmt,
- Von einer Art zur andern Art.
"Und Fische kennt ihr, was da schwimmt
- Und schweifend in Gewässern west:
- Ihr Stamm ist von Geburt bestimmt,
- Von einer Art zur andern Art.
"Die Vögel kennt ihr, was da schwebt,
- Auf Schwingen durch die Lüfte zieht:
- Ihr Stamm ist von Geburt bestimmt,
- Von einer Art zur andern Art.
"Wie nun bei diesen Arten hier
- Bestimmt ist einzeln jeder Stamm,
- So gilt es bei den Menschen nicht,
- Daß einzeln sei der Stamm bestimmt.
"An Haaren nicht, am Haupte nicht,
- An Ohren und an Augen nicht,
- Am Munde nicht, an Lippen nicht,
- An Nase nicht, an Brauen nicht,
"Am Halse nicht, an Schultern nicht,
- Am Bauche nicht, am Rücken nicht,
- An Brust nicht und an Hüften nicht,
- An After nicht und nicht an Scham,
- "An Händen und an Füßen nicht,
- An Fingern und an Nägeln nicht,
- An Schienen und an Schenkeln nicht,
- Nicht an Gestalt und Stimme nicht
- Ist einzeln jeder Stamm bestimmt
- Wie bei den andern Arten hier.
"Gemeinsam ist ein jeder Mensch
- Mit seinem Leibe so begabt:
- Was Menschen unterschieden macht,
- Es ist ein Name, den man gibt.
"Wer es von Menschen immer sei,
- Der von der Viehzucht sich ernährt,
- Verstehe da, Vasettho, wohl:
- Ein Bauer heißt er; Priester nicht.
"Wer es von Menschen immer sei,
- Der durch ein Handwerk sich erhält,
- Verstehe da, Vasettho, wohl:
- Handwerker heißt er; Priester nicht.
"Wer es von Menschen immer sei,
- Der sich durch Handel unterhält,
- Verstehe da, Vasettho, wohl:
- Ein Händler heißt er; Priester nicht.
"Wer es von Menschen immer sei,
- Der sich in Andrer Dienst erhält,
- Verstehe da, Vasettho, wohl:
- Ein Dienstmann heißt er; Priester nicht.
"Wer es von Menschen immer sei,
- Der nimmt was ihm nicht angehört,
- Verstehe da, Vasettho, wohl:
- Ein Räuber heißt er; Priester nicht.
"Wer es von Menschen immer sei,
- Der sich um Sold verdungen hat,
- Verstehe da, Vasettho, wohl:
- Ein Söldner heißt er; Priester nicht.
"Wer es von Menschen immer sei,
- Der Opferamt bei Hofe hält,
- Verstehe da, Vasettho, wohl:
- Ein Opfrer heißt er; Priester nicht.
"Wer es von Menschen immer sei,
- Der über Land und Leute herrscht,
- Verstehe da, Vasettho, wohl:
- Ein König heißt er; Priester nicht.
"Nicht kann als Priester gelten mir
- Ein fleischgeborner Muttersohn;
- Wohl spricht er andre eifrig an
- Und strebt nach diesem, strebt nach dem:
- Wer nichts erstrebt, wer nichts mehr nimmt,
- Als Priester gelten kann mir der.
"Wer jedes Band durchschnitten hat,
- Wer nimmer bange Furcht erfährt,
- Der Überwinder, fesselfrei,
- Als Priester gelten kann mir der.
"Wer Band und Riemen, Strang und Seil
- Mit Macht zerschnitten hat entzwei
- Und, auferwacht, den Riegel hebt:
- Als Priester gelten kann mir der.
"Wer Schmähung, Schläge, Haft und Tod
- Geduldig, ruhig, sanft erträgt,
- Der Dulderheld, der herrlich taugt:
- Als Priester gelten kann mir der.
"Der unerzürnbar schlichte Mann,
- Der alles aushält, nichts verwünscht,
- Der sanft das letzte Dasein lebt:
- Als Priester gelten kann mir der.
"Dem Tropfen gleich am Lotusblatt,
- Dem Senfkorn gleich an spitzem Pfriem:
- Wer an der Lust nicht hängen bleibt,
- Als Priester gelten kann mir der.
"Der Leiden Ende, wer es da
- Hienieden noch an sich erfährt,
- Von Lasten ledig, Fesseln frei:
- Als Priester gelten kann mir der.
"Der tief bedacht ist, weise will,
- Den Weg und Abweg deutlich schaut,
- Das höchste Gut errungen hat:
- Als Priester gelten kann mir der.
"Der Welt entfremdet, Brüdern fremd,
- Sich keinen Menschen schließend an,
- Zufrieden ohne Heim und Haus:
- Als Priester gelten kann mir der.
"Verwerfend jede Waff' und Wehr,
- Nicht Tieren feind, nicht Pflanzen feind:
- Wer weder tötet, weder schlägt,
- Als Priester gelten kann mir der.
"Wutlos in dieser Wütenswelt,
- Wehrlos in dieser Waffenwelt,
- Wunschlos in dieser Wunscheswelt:
- Als Priester gelten kann mir der.
"Wer abgeworfen Gier und Haß
- Und Hochmut und Scheinheiligkeit,
- Senfsamen gleich von spitzem Pfriem:
- Als Priester gelten kann mir der.
"Wer ohne Ärger, ohne Grimm
- Der Wahrheit klare Sprache spricht,
- Wodurch er keinen kränken kann:
- Als Priester gelten kann mir der.
"Wer da nicht Großes, Kleines nicht,
- Was fein ist, grob, schön, unschön ist.
- Wer nichts von allem nehmen mag:
- Als Priester gelten kann mir der.
"Wer nichts erhofft von dieser Welt,
- Wer nichts erhofft von jener Welt,
- Von Hoffnung heil ist, fesselfrei:
- Als Priester gelten kann mir der.
"Wer nirgend haften, hangen kann,
- In Weisheit nimmer ungewiß,
- Am ew'gen Ufer angelangt:
- Als Priester gelten kann mir der.
"Wer guter Tat und böser Tat,
- Wer beiden Fesseln sich entwand,
- Geläutert, ohne Gier und Gram:
- Als Priester gelten kann mir der.
"Dem reinen vollen Monde gleich,
- Der klar und heiter herrlich strahlt:
- Wer Gnügelust versiegen ließ,
- Als Priester gelten kann mir der.
"Wer diesem Irrweg, diesem Sumpf,
- Dem Wahn der Wandelwelt entrann,
- Gerettet, welterlöst, vertieft,
- Unwandelbar, unzweifelhaft,
- Erloschen ohne Überrest:
- Als Priester gelten kann mir der.
"Wer da der Liebe Glück verschmäht
- Und haus- und heimlos weiterzieht,
- Wer Liebeslust versiegen ließ,
- Als Priester gelten kann mir der.
"Wer Durst nach Dasein da verschmäht
- Und haus- und heimlos weiterzieht,
- Wer Durst nach Dasein hat versiegt,
- Als Priester gelten kann mir der.
"Entronnen diesem Menschenreich,
- Entgangen aller Götterwelt,
- Von jedem Joche losgelöst:
- Als Priester gelten kann mir der.
"Der Lust und Unlust abgewandt,
- Verglommen nirgend haftend an,
- Der Überwinder aller Welt:
- Als Priester gelten kann mir der.
"Der Wesen Schwinden, wer es merkt,
- Und ihr Erscheinen allzumal,
- Unhaftbar, selig, auferwacht:
- Als Priester gelten kann mir der.
"Von dem nicht Götter, Geister nicht
- Und Menschen nicht die Spur erspähn:
- Der Wahnversieger, Weiheherr,
- Als Priester gelten kann mir der.
"Wem nichts mehr gilt Vergangenheit,
- Nichts Zukunft und nichts Gegenwart,
- Wer nichts erstrebt, wer nichts mehr nimmt
- Als Priester gelten kann mir der.
"Der Hehre, allerbeste Held,
- Der hohe Seher, siegesreich,
- Vollendet, ewig, auferwacht:
- Als Priester gelten kann mir der.
"Vergangen Dasein, wer das kennt,
- So Unterwelt wie Oberwelt,
- Und die Geburten hat versiegt:
- Als Priester gelten kann mir der.
"Nur Name ist es in der Welt
- Den Stand und Titel darzutun,
- Von alters überkommen uns,
- Gegeben weiter fort und fort.
"Was lange Zeiten man geglaubt,
- Das Wort Unweiser, ihr Gebot,
- Man spricht es also noch uns vor:
- 'Ein Priester ist man durch Geburt.'
"Geburt macht nicht den Priester aus,
- Geburt läßt nicht Unpriester sein:
- Die Tat macht einen Priester aus,
- Die Tat läßt ihn Unpriester sein.
"Ein Bauer ist man durch die Tat,
- Ist durch die Tat ein Handwerksmann,
- Ein Händler ist man durch die Tat,
- Ist durch die Tat im Dienste Knecht,
"Ein Räuber ist man durch die Tat,
- Ist durch die Tat ein Kriegsoldat,
- Ein Opfrer ist man durch die Tat,
- Ist durch die Tat ein Landesherr.
"Getreu der Wahrheit, wohlbewährt,
- Betrachten Denker so die Tat;
- Wie eines aus dem andern folgt
- Verstehn sie, was die Tat erwirkt.
"Durch Taten ist die Welt bedingt,
- Bedingt durch Taten ist das Volk;
- Um Taten dreht sich jedes um,
- Wie um die Achse rollt das Rad.
"Ein heißer Ernst, ein keuscher Sinn,
- Genugsamkeit und Selbstverzicht,
- Das macht den Menschen Priester sein,
- Ist allerhöchste Priesterschaft,
"Der Wissen dreifach in sich trägt,
- Gestillt versiegt hat Wiedersein,
- Verstehe da, Vasettho, wohl,
- Ist Brahma, Sakko, recht erkannt."
Also belehrt sagten da die jungen Brahmanen Vasettho und Bharadvajo zum
Erhabenen:
Vortrefflich, o Gotamo, vortrefflich, o Gotamo! Als Anhänger, möge uns Herr
Gotamo betrachten, von heute an zeitlebens getreu."
[1] Diese und noch andere hochberühmte Brahmanen treten namentlich im
letzten Buch des Sutta Nipata (aus dem Kuddhaka Nikaya) recht anschaulich
hervor.