Theragāthā (Vers 1051-1090)

(von KE Neumann)

Vierziger-Bruchstück - 18. Cattālīsanipāto

Kassapo der Grosse

1051

ZUHAUPTE großem Haufen wandle nicht,

Man wird verwirrt nur, faßt nicht festen Fuß;

« Mit vielem Volk zusammensein ist Leid»:

Das merke dir und meide Menschengunst.

1052

Ein Büßer bettle nicht von Haus zu Haus,

Man wird verwirrt nur, faßt nicht festen Fuß;

Dem Kämpfer, der da gute Labe giert,

Entgeht ein Heil, das herrlich letzen kann.

1053

Denn Unrat hat man es mit Recht genannt,

Das Sichbegrüßen, Sichbedanken hin und her;

Ein Splitter schiefert scharf sich ein:

Der Schlechten Lob verschlitzt sich leicht in dir.

1054

Von meiner Klause stieg hinab

Zur Stadt ich um das Bettelmahl;

An einer Hütte stand ich still,

Vor der ein Aussatzkranker aß. 

1055

Von seiner Hand, halb abgefault,

Ließ geben ich den Bissen mir:

Und während er den Bissen warf

Fiel auch ein Finger mit hinzu.

1056

An einer Mauer hielt ich Rast,

Nahm ein den Bissen, aß ihn auf;

Und bei dem Schmaus, und nach

Kam nirgend mich ein Ekel an.

1057

Als Nahrung alter Speise Rest,

Urin von Rindern als Arznei,

Als Bett der Bäume Wurzelwerk,

Den fahlen Fetzenrock als Kleid:

Wer das vermocht hat über sich

Ist Bürger in der ganzen Welt.

1058

Wo mancher Steiger stürzt hinab

Beim Klettern auf den Klippenstein,

Da steigt der Erbe unsres Herrn,

Der köstlich weise Kassapo,

Magiegewaltig witzbegabt,

Zum Gipfelgrate leicht empor.

1059

Zu Mittag, nach dem Bettelmahl,

Steigt Kassapo zum Felsen auf,

Übt Schauung, haftet nirgend an,

Geheilt von banger Furcht und Angst.

1060

Zu Mittag, nach dem Bettelmahl,

Steigt Kassapo zum Felsen auf,

Übt Schauung, haftet nirgend an,

Erloschen in der Flammenwelt.

1061

Zu Mittag, nach dem Bettelmahl,

Steigt Kassapo zum Felsen auf,

Übt Schauung, haftet nirgend an,

Gewirkten Werkes, wahnversiegt.

1062

Die hellen Bergeskuppen hier,

Bedeckt vom wilden Kapernstrauch,

Von Elefanten fern umdröhnt,

Mein Felsenjoch gcfällt mir wohl.

1063

Das wolkenblaue Strahlenriff,

Von Wasserstürzen kühl durchblitzt,

Umschwärmt von Faltern, bunt gefärbt,

Mein Felsenjoch gefällt mir wohl.

1064

Die wolkenblaue Zackenburg,

Die hoch emporragt, zinnengleich,

Von Elefanten fern umdröhnt,

Mein Felsenjoch gefällt mir wohl.

1065

Wo Berg und Tal im Morgentau

Froh glitzert ihm der heilig ist,

Wo Pfauenruf von ferne grüßt,

Mein Felsenjoch gefällt mir wohl.

1066

Zur Schauung reicht es reichlich aus

Dem Manne, der sich innig müht,

Zum Heile reicht es reichlich aus

Dem Mönche, der sich innig müht.

1067

Zur Ruhe reicht es reichlich aus

Dem Mönche, der sich innig müht,

Zur Übung reicht es reichlich aus

Dem Meister, der sich innig müht.

1068

Wo hoch der Hanf in Blüte ragt,

Sich rings herumwölbt, himmelgleich,

Belebt von bunter Vögel Schar,

Mein Felsenjoch gefällt mir wohl.

1069

Wo man den Menschen nicht mehr trifft,

Wo Herden Wildes fröhlich gehn,

Wo sich der Vögel Volk ergetzt,

Mein Felsenjoch gefällt mir wohl.

1070

Der stille See im Felsgestein,

Der Gemsen Labsal, Affen Lust,

Beblüht vom blauen Wasserstern,

Mein Felsenjoch gefällt mir wohl.

1071

Sogar Musik im Fünferspiel

Beseligt mir nicht so den Sinn

Wie klar vollbrachte Wissenschaft

Der Wahrheit in der eignen Brust.

1072

Schaff' niemals dir Geschäftigkeit,

Flieh' Menschenumgang, mach' dich nicht gemein;

Dem Kämpfer, der da gute Labe giert,

Entgeht ein Heil, das herrlich letzen kann.

1073

Schaff' niemals dir Geschäftigkeit,

Lass' fahren hin was nicht zum Heile frommt;

Dein Leib wird matt und müde nur,

Der elend öde kommt zur Ebbung nicht.

1074

Wer bloß die Lippen laut bewegt

Kennt darum noch sich selber nicht:

Mit stolzem Nacken stelzt er hin

Und wähnt: «Ich bin ein beßrer Mensch.»

1075

Der selbst betört, nicht besser, ist,

Meint freilich, daß er besser sei:

Doch keiner preist ihn, der ihn kennt,

Den steifbeherzten, starren Mann.

1076

Doch wer sich da als besser merkt,

Und wieder: wer sich anders weiß,

Sich schlechter oder gleich nur schätzt,

Und nie vom Stolze wird verstört:

1077

Den weisen Mönch, der wahrhaft spricht

Den tugendechten Duldermann,

Der eignen Herzens Ebbung sucht:

Den preist ein jeder, der ihn kennt.

1078

Wer unter Jüngern echter Art

Zu Ehr' und Ansehn nicht gelangt,

Von echter Tugend steht er weit,

Wie Staub von Wolken weit entfernt.

1079

Wer aber Scham und Demut übt

Und immer darstellt, nie vergißt,

Gereift in reiner Heiligkeit:

Der hat sein Wiedersein versiegt.

1080

Ein aufgeblähter zager Mönch,

Der gern die Fetzenkutte zeigt,

Dem Affen gleich im Löwenfell

Läßt ihn Verkleidung kläglich an;

1081

Der unverzagte milde Mönch,

Geschieden reinlich, recht bezähmt,

Paßt wohl in seinen Fetzenrock,

Dem Löwen in der Höhle gleich.

1082

O sieh' die vielen Götter dort

Im Strahlengolde, sonnig hell,

An hundert Häupter hundertmal,

Vom Brahmahimmel kommen sie

1083

Und feiern den Gefestigten,

Den Feldmarschall des Meisterherrn,

Den heilvertrauten, trefflichen,

Den Sohn der Sārī grüßen sie:

1084

«Heil, Edler, dir, Verehrung dir,

Verehrung als dem höchsten Mann!

Wir kennen nicht, wir fassen nicht

Der Schauung Fährte, die du schaffst!

1085

«O Wunder des erwachten Herrn,

O heilig tiefe, eigne Art!

Wir spähen's nicht, erspüren's nicht,

Und spalten wir auch Sonnenstaub!»

1086

Vom Götterkreise sanft gegrüßt

Erglänzte Sāriputto licht;

Da kam nun Kappino heran

Und ließ ein Lächeln sehn, der Mönch.

1087

So weit sich wache Sippe regt -

Den Sippenführer nehm' ich aus -

Üb' ich als erster rauhe Zucht,

Kein andrer mag mir ähnlich sein.

1088

Gedient hab' ich dem Meisterherrn,

Gewirkt hab' ich des Wachen Werk:

Die schwere Last ist abgelegt,

Die Daseinsader ausgedarrt.

1089

Am Kleide nicht, nicht am Gezelt

Und nicht am Bissen klebt der Herr;

Den Gotamiden mißt man nicht.

Erhaben wie der Lotus blüht

Und rein emporragt, unbenetzt,

Ist Er entgangen, ganz erlöst.

1090

Der Einsicht Pfeiler als Genick,

Als Hand und Stütze Selbstvertraun,

Der Weisheit hehre Stirn als Haupt:

So wandelt stets der Herr entlebt.