(von KE Neumann)
608
Nur Tugend kann uns taugen hier,
Auf Erden tüchtig eingeübt:
Allein die Tugend dauert aus,
Erteilt Gedeihung jedem Ding.
609
Der Weise sei der Tugend Hort!
So glänzt ihm bald ein dreifach Glück:
Der Preis der Edlen, reiche Huld,
Und nach dem Tode himmlisch Heil.
610
Wer Tugend kennt, wer dulden kann
Gewinnt gemach gar manchen Freund:
Doch wer der Tugend frech entsagt,
Der wird von Freunden aufgezehrt.
612
Die Tugend ist der Eckstein, Grund
Und Giebel aller Edelart,
Der Anfang aller Wesenheit:
Die Tugend taug' uns immerdar.
613
Gebot ist Tugend und Verbot,
Zum Herzen spricht sie insgeheim,
Ist aller Auferwachten Furt:
Die Tugend taug' uns immerdar.
Der Tugend eignet größte Kraft,
Der Tugend eignet beste Wehr,
Der Tugend eignet hellster Schmuck,
Ein wunderbares Panzerhemd.
615
Die Tugend trägt uns hoch hinauf,
Die Tugend duftet reinsten Duft,
Ist bester Balsam überall,
Durchweht gewaltig diese Welt.
616
Die Tugend reicht zur Reise aus,
Ist beste Zehrung, beste Kost,
Die Tugend ist das rasche Roß,
Das durch die Welt fährt windesgleich.
618
In dieser Welt, in jener Welt
Erlangt ein Weiser lichtes Lob:
Gewitzigt ist er dort und da,
Der wohl die Tugend kennen will.
Nur Tugend taugt am besten hier,
Der Weise nur ist höchster Held:
Bei Menschen siegt, bei Göttern siegt
Nur Tugendkraft, nur Weisheitkraft.
Vom Paria zum Brahmanen
620
Geboren in niedriger Kaste,
Nicht viel hatt' ich da zu verzehren,
Und niedrig war auch mein Gewerbe:
Den Straßenschmutz mußte ich kehren.
621
Ich ward von den Menschen gemieden,
Verachtet und niedergedrückt;
Ich mußt' unterwürfig mit ducken
Und grüßen die Leute gebückt.
622
Dann sah ich den völlig Erwachten,
Den Mönchen voran schritt er da
Und hielt als ein Held seinen Einzug
In die Hauptstadt von Magadhā.
623
Die Tragstange warf ich bei Seite
Und trat, ihn zu grüßen, heran.
Aus Mitleid mit mir armem Teufel
Blieb stehen der herrliche Mann.
624
Ich neigte mich zu seinen Füßen,
Dann hab' ich mich zu ihm gestellt,
Ich bat um Novizenweihe
Den obersten Herrn aller Welt.
Der Meister erbarmte sich meiner
In seiner Barmherzigkeit:
"Tritt ein und sei Mönch!" sprach er zu mir.
So ward ich zum Mönch schon geweiht.
626
Ich ging in den Wald und blieb einsam
Mit Eifer und in mich gekehrt,
Die Weisung des Meisters befolgend,
Wie er mich ermahnt und belehrt.
Und einst, im Verlaufe des Abends,
Hab' ich frührer Geburten gedacht;
Um Mitternacht hab' ich mir weiter
Das Hellsehn zu eigen gemacht;
Und jegliche Trübung des Geistes
Entschwand mir am Ende der Nacht.
Als endlich die Dämmerung anbrach,
Die Sonne kaum aufgegangen,
Erschienen mir Indra und Brahma,
Verneigten sich vor mir und sangen:
629
"Verehrung dir, Edelgebor'nem!
Du hast jetzt das Höchste erreicht,
Du hast diese Welt überwunden.
Es seien dir Gaben gereicht!"
630
Es sah mich der Meister, umgeben
Von Göttern, die so mich geehrt.
Ein Lächeln ließ er erscheinen
Und hat mich dann also belehrt:
631
"Durch Eifer und heiligen Wandel
Und Selbstbeherrschung dazu,
So wird man ein echter Brahmane.
Ein echter Brahmane bist du!"