Theragāthā (Vers 608-631)

(von KE Neumann)

Zwölfer-Bruchstück - 12. Dvādasakanipāto - [Pali]

 

Sīlavā

608

Nur Tugend kann uns taugen hier,

Auf Erden tüchtig eingeübt:

Allein die Tugend dauert aus,

Erteilt Gedeihung jedem Ding.

609

Der Weise sei der Tugend Hort!

So glänzt ihm bald ein dreifach Glück:

Der Preis der Edlen, reiche Huld,

Und nach dem Tode himmlisch Heil.

610

Wer Tugend kennt, wer dulden kann

Gewinnt gemach gar manchen Freund:

Doch wer der Tugend frech entsagt,

Der wird von Freunden aufgezehrt.

612

Die Tugend ist der Eckstein, Grund

Und Giebel aller Edelart,

Der Anfang aller Wesenheit:

Die Tugend taug' uns immerdar.

613

Gebot ist Tugend und Verbot,

Zum Herzen spricht sie insgeheim,

Ist aller Auferwachten Furt:

Die Tugend taug' uns immerdar.

614

Der Tugend eignet größte Kraft,

Der Tugend eignet beste Wehr,

Der Tugend eignet hellster Schmuck,

Ein wunderbares Panzerhemd.

615

Die Tugend trägt uns hoch hinauf,

Die Tugend duftet reinsten Duft,

Ist bester Balsam überall,

Durchweht gewaltig diese Welt.

616

Die Tugend reicht zur Reise aus,

Ist beste Zehrung, beste Kost,

Die Tugend ist das rasche Roß,

Das durch die Welt fährt windesgleich.

618

In dieser Welt, in jener Welt

Erlangt ein Weiser lichtes Lob:

Gewitzigt ist er dort und da,

Der wohl die Tugend kennen will.

619

Nur Tugend taugt am besten hier,

Der Weise nur ist höchster Held:

Bei Menschen siegt, bei Göttern siegt

Nur Tugendkraft, nur Weisheitkraft.

 

Sunita

Vom Paria zum Brahmanen

620

Geboren in niedriger Kaste,

Nicht viel hatt' ich da zu verzehren,

Und niedrig war auch mein Gewerbe:

Den Straßenschmutz mußte ich kehren.

621

Ich ward von den Menschen gemieden,

Verachtet und niedergedrückt;

Ich mußt' unterwürfig mit ducken

Und grüßen die Leute gebückt.

622

Dann sah ich den völlig Erwachten,

Den Mönchen voran schritt er da

Und hielt als ein Held seinen Einzug

In die Hauptstadt von Magadhā.

623

Die Tragstange warf ich bei Seite

Und trat, ihn zu grüßen, heran.

Aus Mitleid mit mir armem Teufel

Blieb stehen der herrliche Mann.

624

Ich neigte mich zu seinen Füßen,

Dann hab' ich mich zu ihm gestellt,

Ich bat um Novizenweihe

Den obersten Herrn aller Welt.

625

Der Meister erbarmte sich meiner

In seiner Barmherzigkeit:

"Tritt ein und sei Mönch!" sprach er zu mir.

So ward ich zum Mönch schon geweiht.

626

Ich ging in den Wald und blieb einsam

Mit Eifer und in mich gekehrt,

Die Weisung des Meisters befolgend,

Wie er mich ermahnt und belehrt.

627

Und einst, im Verlaufe des Abends,

Hab' ich frührer Geburten gedacht;

Um Mitternacht hab' ich mir weiter

Das Hellsehn zu eigen gemacht;

Und jegliche Trübung des Geistes

Entschwand mir am Ende der Nacht.  

628

Als endlich die Dämmerung anbrach,

Die Sonne kaum aufgegangen,

Erschienen mir Indra und Brahma,

Verneigten sich vor mir und sangen:

629

"Verehrung dir, Edelgebor'nem!

Du hast jetzt das Höchste erreicht,

Du hast diese Welt überwunden.

Es seien dir Gaben gereicht!"

630

Es sah mich der Meister, umgeben

Von Göttern, die so mich geehrt.

Ein Lächeln ließ er erscheinen

Und hat mich dann also belehrt:

631

"Durch Eifer und heiligen Wandel

Und Selbstbeherrschung dazu,

So wird man ein echter Brahmane.

Ein echter Brahmane bist du!"