SATIPATTHᾹNA

V. GEISTESRUHE UND KLARBLICK

A. DER ZWEIFACHE ÜBUNGSWEG BUDDHISTISCHER MEDITATION

Das Gesamtgebiet buddhistischer Meditation unterteilt sich in zwei große Übungswege: 1. die Entfaltung der Geistesruhe (samathabhāvanā), 2. die Entfaltung des Klarblicks (vipassanā-bhāvanā).

1. Die Entfaltung der Geistesruhe erstrebt jene vollkommene Sammlung des Geistes (appanā-samādhi), welche in den meditativen Vertiefungen (jhāna) erreicht wird. Diese Vertiefungen werden gewonnen durch die methodische Übung eines der vierzig traditionellen Meditationsobjekte der Geistesruhe (samatha-kammatthāna), die in den Lehrreden des Buddha überliefert und im «Weg zur Reinheit» (Visuddhi-Magga) ausführlich dargestellt sind. Durch den in den Vertiefungen erreichten hohen Grad an geistiger Sammlung, Verinnerlichung und Stille werden die Sinneswahrnehmungen vorübergehend ausgeschaltet, und reflektierendes Denken, das auf der ersten Vertiefungsstufe noch schwach vorhanden ist, schwindet völlig in den folgenden Vertiefungsstadien während deren Dauer. Schon aus diesem letzten Umstand kann entnommen werden, daß die Erreichung der Vertiefungen für sich allein nicht zum höchsten Ziel der Buddhalehre, der Leidbefreiung, führen kann. Dieses erschließt sich vielmehr nur durch den Klarblick (vipassanā), d.h. die unmittelbare, aus meditativer Anschauung gewonnene Einsicht in die vergängliche, leidhafte und unpersönlich-substanzlose Natur aller Daseinsgebilde. Hierfür aber ist reflektierendes Denken (vitakkavicāra) unerläßlich, freilich ein meditativ verfeinertes, von Unrast befreites, vertieftes und gestärktes. Der Übende muß daher nach dem Austritt aus der Vertiefung seine Meditation mit der Entfaltung des Klarblicks fortsetzen.

2. Bei der Entfaltung des Klarblicks werden nun die während der Vertiefung aufgetretenen geistigen Vorgänge, sowie die körperlichen Vorgänge, auf denen sie beruhen, analysiert und im Lichte der drei Daseinsmerkmale (als vergänglich usw.) betrachtet. Diese Prozedur (Vertiefung gefolgt von Klarblick) wirkt übrigens auch als ein Schutz gegen eine durch Glaubensvorstellungen beeinflußte, spekulative oder gefühlsbedingte Interpretierung der meditativen Erlebnisse, wie sie sich so häufig in der Mystik aller Länder und Religionen findet.

Das Ausmaß der geistigen Sammlung, das durch die Entfaltung des Klarblicks erreichbar und dafür auch unerläßlich ist, hat den Stärkegrad der «angrenzenden Sammlung» (upacāra-samādhi). In ihr sind, ebenso wie in der «vollen Sammlung» der Vertiefungen, die fünf hauptsächlichen Hemmungen (nīvarana) der Meditation zeitweilig ausgeschaltet, und die für starke Konzentration charakteristischen fünf Vertiefungsglieder (jhānanga) sind in gewissem Stärkegrad vorhanden.

Diese Übungsmethode des «Klarblicks mit vorangehender Geistesruhe» (samatha-pubbangama-vipassanā; siehe Anguttara Nikāya IV.170) ist es, die in den Lehrreden des Buddha zumeist dargelegt wird. Wer dieser Methode folgt, wird als ein samatha-yānika bezeichnet, d.i. «einer, der die Geistesruhe als Vehikel (meditativer Übung) hat».

Doch durchaus nicht selten wird in den kanonischen Texten eine Methode beschrieben, die in späterer Terminologie als der reine (oder bloße) Klarblick (sukkha-vipassanā) und der ihn Übende als «einer, der den Klarblick als Vehikel hat» (vipassanā-yānika) bezeichnet wird. Hier wird, ohne vorherige Erreichung der Vertiefungen, ein direkter Zugang zum erlösenden Klarblick erstrebt, welcher allein die endgültige Aufhebung von Gier, Haß und Wahn, d.h. die Erreichung der Heiligkeit, bewirken kann.

Von den kanonischen Texten, die vom Reinen Klarblick handeln, sei das Susīma-Sutta genannt. Die darin erwähnten, zur Heiligkeit gelangten Mönche bezeichnen sich als «durch Weisheit Erlöste» (paññā-vimutta), was vom Kommentar erläutert wird durch «ohne die Vertiefungen, durch Reinen Klarblick». Auch in vielen anderen Texten gibt der Buddha, ohne Erwähnung der Vertiefungen, Übungsanweisungen des Reinen Klarblicks, die ausdrücklich als zur Heiligkeit führend bezeichnet werden, so z.B. in Samyutta Nikāya 35.70 und 35.152. In Anguttara-Nikāya IV.170, wird von der Methode der «Geistesruhe mit vorhergehendem Klarblick» (vipassanā-pubbangama-samatha) gesprochen.

Diese letzte Bezeichnung darf jedoch nicht so verstanden werden, als wäre für die Klarblicksübung keinerlei Grad von «Geistesruhe», d.i. Konzentration, nötig, und diese brauche erst nach vollzogenem Klarblick gepflegt zu werden. Es ist vielmehr auch hier ein hoher Grad von geistiger Sammlung erforderlich und erreichbar. Dieser Konzentrationsgrad wird beim Reinen Klarblick nicht als «angrenzende Sammlung» (siehe oben) bezeichnet, die vielmehr, wie der Ausdruck selber besagt, ein Übergangsstadium zur vollen Sammlung in den Vertiefungen bildet und dadurch ihren besonderen Charakter hat. Im Falle des Reinen Klarblicks wird vielmehr von der momentanen Geistessammlung (khanika-samādhi) gesprochen. Diese momentane Geistessammlung verläuft ununterbrochen von Moment zu Moment in gleicher Stärke und Ruhe, sei es bei einem sich wiederholenden Objekt, wie der Folge der Atemzüge, oder bei neuen Objekten, welche die Übung unterbrechen und vom Übenden mit der gleichen Achtsamkeit, Ruhe und Sammlung aufzunehmen sind wie das Meditationsobjekt. Diese «momentane Sammlung» ist der «angrenzenden Sammlung» gleich in ihrer Kraft, die geistigen Hemmungen (siehe oben) zeitweilig auszuschalten. Die Alten Meister (im Kommentar zum Visuddhi-Magga) sagen sogar, daß sie selbst der «vollen Sammlung» gleichkommen kann. Dies gilt freilich nur, wenn der Klarblick seinen Höhepunkt erreicht, d.h. mit Eintritt in die vier Heiligkeitsstufen (Stromeintritt usw.). Die Momentanhaftigkeit der Sammlung wird hier betont, weil sich bei der Klarblickübung das momentane Entstehen und Vergehen des jeweiligen Objektes zunehmend stärker abhebt.

Weiteres siehe im Wörterbuch, vipassanā und samatha-vipassanā.



B. KÖRPERLICHE UND GEISTIGE ÜBUNGSOBJEKTE

Wie aus dem im folgenden Kapitel gegebenen Übungsprogramm ersichtlich ist, sind die Haupt- und Ausgangsobjekte der Übung sämtlich körperlicher Art und bleiben es auch während des ganzen Übungsverlaufs. Die drei anderen im Satipatthāna-Sutta genannten «Betrachtungen» geistiger Art - Gefühle, Bewußtseinszustand, Bewußtseinsinhalte - werden nicht in systematischer Weise als gesonderte Objekte aufgenommen, sondern nur dann, wenn sie sich der Achtsamkeit darbieten: sei es im Zusammenhang mit dem Hauptobjekt, den sekundären Objekten oder der allgemeinen Achtsamkeit. Zum Beispiel: Schmerzgefühl durch langes Sitzen, Freudegefühl bei erfolgreicher Übung; Ärger über eine Unterbrechung; zerstreuter Geisteszustand; Auftreten der fünf Hemmungen oder der sieben Erleuchtungsglieder usw. In dieser Weise werden auch die drei Betrachtungen des Geistigen in die Übung einbezogen. Geisteszustände als separate Objekte der Klarblickerkenntnis zu nehmen, verspricht den Meditationsmeistern zufolge nur dann Erfolg, wenn der Geist des Meditierenden durch Erreichung der Vertiefungen (jhāna) verfeinert und gefestigt wurde. Doch wenn Bewußtseinszustände in engem Zusammenhang mit einem körperlichen Vorgang auftreten, wird es weniger schwierig sein, ihre subtile Natur mit Achtsamkeit und Wissensklarheit zu erfassen; und dafür wird sich während der Übung sehr viel Gelegenheit bieten.

Dieser Nachdruck auf die Körperbetrachtung findet Unterstützung in den Lehrreden des Buddha und auch in den in der alten Kommentarliteratur niedergelegten Übungsanweisungen für die Klarblicks-Meditation. - Vom Erhabenen wurde gesagt:

«Wer, ihr Mönche, die auf den Körper gerichtete Achtsamkeit häufig entfaltet und geübt hat, einbegriffen sind darin für ihn alle heilsamen Dinge, die zur Weisheit führen.» (Mittlere Sammlung 119).

«Wenn der Körper (meditativ) unbemeistert ist (abhāvita), so ist auch der Geist unbemeistert.» (Mittlere Sammlung 36.).

Im «Weg zur Reinheit» (Visuddhi-Magga XVIII) heißt es: «Wenn man nun nach Erfassung des Körperlichen die geistigen Vorgänge aufnimmt, diese aber wegen ihrer Subtilität nicht deutlich werden, so soll man nicht etwa die Übung im Stiche lassen, sondern soll dann immer wieder bloß das Körperliche betrachten, erwägen, erforschen und feststellen. Wenn sich ihm dann das Körperliche ganz deutlich, unverwirrt und klar darstellt, so werden die geistigen Vorgänge, die jene körperlichen Dinge zum Objekt haben, von selber klar werden.... Da geistige Vorgänge nur für den klar werden, der das Körperliche mit voller Deutlichkeit erfaßt hat, soll man jede Bemühung um die Erfassung des Geistigen nur durch ein gründliches Erfassen des Körperlichen unternehmen, nicht anderswie... Wenn man so vorgeht, wird die Übung des Meditationsobjektes zu Wachstum, Gedeihen und Reife kommen.»


C. VERGLEICH DER ZWEI ÜBUNGSWEGE

Versucht man nun, die beiden Übungswege der Geistesruhe und des Klarblicks gegeneinander abzuwägen, so ist wohl, grundsätzlich betrachtet, der Weg über die Vertiefungen gewiß vorzuziehen, insbesondere für diejenigen, deren innere Veranlagung und äußere Lebensumstände dafür günstig sind. In den Vertiefungen erreicht der Geist einen hohen Grad von Ruhe und Sammlung, Glücksgefühl, Läuterung und Loslösung vom Weltlichen und Sinnlichen. Mit solcher Vorbereitung ist zu erwarten, daß der Fortschritt in der sich anschließenden Klarblicksmeditation meist schneller und stetiger sein wird.

Grundsätzlich spricht also manches dafür, den Übungsweg der «Geistesruhe» aufzunehmen, bevor man mit systematischer Klarblicksübung beginnt. Man soll sich dabei auch gewiß nicht von fehlgeschlagenen Anfangsversuchen leichthin abschrecken lassen, wenn nur eigene Neigung und äußere Umstände einigermaßen günstig sind. Es liegt auch keineswegs so, als ob der so genannten «westlichen Geistesart» das Gebiet der Vertiefungen grundsätzlich verschlossen wäre. Ein starkes kontemplatives Leben, wie es einmal im christlichen Mittelalter bestand, mag, theoretisch gesehen, recht wohl auch zu anderen Zeiten im Westen wiederentstehen, falls wirkliches Bedürfnis und ernstes Bemühen da sind. Doch daran fehlt es heute zumeist, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Zudem sind die äußeren und inneren Vorbedingungen für ein Erfolg versprechendes Bemühen um die meditativen Versenkungen sehr ungünstig. Zunächst: die Pflege der Vertiefungen (jhāna) braucht Einsamkeit und Geräuschfreiheit. Dies aber sind Dinge, die zunehmend seltener werden in diesem Zeitalter des Lärms, des Geselligkeits-, Reise- und Wandertriebes, wo Wanderlustige selbst in früher ganz entlegene Waldgegenden eindringen. Auch in manchen buddhistischen Ländern des Ostens und sogar für das dortige Mönchstum sind die Bedingungen in dieser Hinsicht nicht mehr so günstig, wie sie es früher waren.

Was nun die geistigen Tendenzen der Gegenwart betrifft, so zeigt sich zunächst, z.T. unter dem Einfluß der wissenschaftlichen Geisteshaltung, eine starke Neigung zu analytischem Denken. Ein weiteres Charakteristikum unserer Zeit ist die wachsende Vielfältigkeit und Kompliziertheit der uns umgebenden Dingwelt (Technik), der Innenwelt (Differenzierung des Bewußtseins) und der Umwelt (soziale Beziehungen). Diese Vielfalt verlangt vom modernen Menschen eine Auseinandersetzung mit ihr. Beides aber, die Betonung analytischen Denkens und die Einstellung auf eine Welt der Vielfalt, ist, jedenfalls in diesem starken Ausmaß, der Pflege des Vertiefungs- oder Jhāna-Bewußtseins nicht gerade zuträglich. Denn für die Annäherung an das Jhāna-Bewußtsein ist gerade eine zeitweise Reduzierung diskursiven und analytischen Denkens sowie der Objektvielfalt von Wichtigkeit.

Anders liegt es mit der Entfaltung des Klarblicks. Obwohl auch hier ein gewisses Maß von Einsamkeit und Ruhe, besonders für Perioden strikter Übung, erwünscht ist, so ist dies doch keineswegs eine Notwendigkeit. Für die Satipatthāna-Methode ist es ein Grunderfordernis, die Umstände, die man vorfindet, für den Fortschritt zu nutzen und die Achtsamkeit und Geistesgegenwart so zu entwickeln, daß man auch Störungen durch Menschen und Geräusche in die Übung einbeziehen kann. Obwohl auch in der Klarblicksübung ein diskursives Denken unruhiger Art der Ruhe des Reinen Beobachtens Raum geben muß, so werden doch die Ergebnisse dieser Beobachtungen dem Denken und der Wirklichkeitserkenntnis reiche Nahrung geben. Obwohl in Perioden strikter Satipatthāna-Übung die Zahl der dafür gewählten Achtsamkeitsobjekte beschränkt ist, so wird doch keineswegs die Auseinandersetzung mit der Objektvielfalt gewaltsam abgeriegelt. Diese ist vielmehr ein wichtiger Bestandteil der Gesamtübung, wobei die mit dem gewählten Objektkreis erlangten Ergebnisse Bekräftigung und Ergänzung erhalten und eine für weiteste Anwendung wichtige Vertrautheit mit dem Einsatz der Achtsamkeit vermittelt wird. Der Übende wird dadurch in den Stand gesetzt werden, die Vielfältigkeit der Innenwelt und Umwelt auch innerhalb des Alltagslebens besser zu bewältigen, ohne von ihr überwältigt zu werden.

Auch der folgende Umstand spricht heutzutage für den Übungsweg des Klarblicks. Wenn längere Versuche, die Vertiefungen zu erreichen, erfolglos bleiben, so mag dies den Meditierenden schließlich entmutigen; und wenn er auch sonst keine greifbaren Ergebnisse seiner Bemühungen merkt, so mag er das Gefühl haben, leer ausgegangen zu sein. Obwohl gewiß jede meditative Anstrengung einen Gewinn an Ruhe und Selbstkontrolle oder zumindest an Geduld und Ausdauer bringen wird, so mag dies in unserer ungeduldigen und schnelllebigen Zeit als nicht genügend erscheinen. Doch auf dem Wege Rechter Achtsamkeit und des Klarblicks werden sich schon zu Beginn deutliche, seien es auch kleine, Ergebnisse zeigen, deren Wert sich auch im praktischen Leben des Übenden unmittelbar und zunehmend erweisen wird, auch wenn die erstrebten Klarblickserkenntnisse sich nicht gleich einstellen. Solch unmittelbarer Gewinn wird gewiß das Selbstvertrauen des Meditierenden stärken und der Übung frischen Ansporn geben. So erscheint es als eine glückliche Fügung karmischen Geschehens, daß dieser Weg der Geistesschulung in eben dieser Zeit so kraftvoll erneuert wurde. Er erscheint als ein rechtzeitiger Helfer in der gegenwärtigen Situation des westlichen Menschen und bringt seine Hilfe in einer Form, die den Erfordernissen dieser Situation genau entspricht.


 

D. DER WERT GEISTIGER SAMMLUNG IN DER KLARBLICKS-ÜBUNG

Es besteht freilich die Gefahr, daß die Eigenart dieser Methode in allzu einseitiger Perspektive verzeichnet wird, als ein extremer Pendelausschlag gegen Übungswege, welche die Konzentration auf ein einziges Objekt in den Mittelpunkt stellen. Man mag etwa meinen, daß willentliche Konzentration auf ein einziges Objekt oder gar jede methodische Übung wegen ihres angeblichen Zwangscharakters verwerflich seien und es ausreichend sei, eine nicht wählende Achtsamkeit lediglich auf das zu richten, was der Tag zuträgt. Dies ist zum Beispiel die Ansicht Krishnamurtis. Diese Einstellung findet auch Unterstützung durch eine vom Einfluß der Psychoanalyse genährte Furcht, daß jeder formende, wählende und ausschließende Eingriff in das geistige Gefüge zu Verkrampfungen, Verdrängungen und schließlich Neurosen führen mag. In all dem liegt ein berechtigter Kern, und gerade die Satipatthāna-Methode hat dem durch ihren «gewaltlosen», zwangfreien Charakter Rechnung getragen, ohne jedoch in die Extreme der vorgenannten Ansichten zu verfallen (siehe Seite 125ff.).

Der Buddha, als ein «Kenner der Welt» (loka-vidu) und besonders der Welt des Geistes, lehrte «mit Unterschied» (pariyāyena). Er wußte, daß der Geist in seinen so mannigfachen Stimmungen und Strebungen zuweilen des Anspornens und der Kräfteanspannung bedarf, zuweilen aber des Entspannens und der Beruhigung, und manchmal auch der Aufheiterung und Anregung (Samyutta Nikāya 46.51, 53; Visuddhi-Magga IV); daß der so flatterhafte Geist häufig energische Zügelung braucht (Dhammapada 33-37); daß der so ungefüge durch regelmäßige Übung an Bildsamkeit gewinnt (Anguttara I, 3).

Der Erhabene besaß und lehrte jene «zwei ganz hohen Dinge, Maß und Mitte» (Nietzsche), und seiner Mittleren Lehre zu gedenken ist auch in diesem Zusammenhang wichtig. Der Lehre vom «Gleichmaß der geistigen Fähigkeiten» (Anguttara VI.55; Visuddhi-Magga IV) gemäß sollen Energie und Geistessammlang (Ruhe), sowie auch Sammlung im Verhältnis zur Weisheit stark und harmonisch ausgebildet sein. Noch in den letzten Monaten seines Lebens sprach der Buddha wiederholt und nachdrücklich davon, daß es die «durch Sammlung voll entfaltete Weisheit» (samādhi-paribhāvitā paññā) ist, die reiche Frucht, reichen Segen bringt (Lange Sammlung 16); denn «der geistig Gesammelte erkennt die Dinge der Wirklichkeit gemäß» (Samyutta XXII, 5).

Dieser letzte Kernsatz wird sich dem Übenden auch in der Entfaltung des Klarblicks bestätigen. Es ist die regelmäßige Pflege des Hauptobjekts, unterstützt von der Übung mit den sekundären Objekten, die drei wichtige Resultate zu zeitigen vermag.

1. Der Geist erhält die nötige Festigkeit, Ruhe und Beharrlichkeit, um ein «reines Objekt», ohne Beimischung von Unzugehörigem oder Wahnhaftem, aufzufassen und festzuhalten. Und nur dann können jene Beobachtungen über die Ablaufsart der einzelnen körperlichen und geistigen Vorgänge gemacht werden, aus denen sich die anschauliche (paccakkha-ñāna) und nicht nur schlußfolgernde Erkenntnis (anumāna-ñāna) der drei Daseinsmerkmale ergibt.

2. Aus der wachsenden Vertrautheit mit einem ganz einfachen körperlichen Hauptobjekt werden jene anfänglichen Beobachtungen allmählich zur Folge jener Klarblickserkenntnisse reifen, von denen die Lehrrede von der «Eilpost» (Mittlere Sammlung 24) und der Visuddhi-Magga handeln und die schließlich in das Heiligkeitsziel münden. Dies ist nicht zu erwarten von einer Achtsamkeitsübung, die ausschließlich die sich gerade bietenden und rasch wechselnden Alltagsobjekte erfaßt.

3. Methodische Übung mit einem Hauptobjekt und sekundären Objekten wird auch das Ergebnis haben, daß sich die auf Normalvorgänge des Alltagslebens gerichtete Achtsamkeit schärft und in größerem Umfang meditativ verwendbare Resultate vermittelt. Schon Anfangserfolge mit dem Hauptobjekt sowie die Gesamtstimmung des Geistes, erzeugt durch den geschlossenen Achtsamkeitskreis strikter Übungsperioden, werden einen tiefen Eindruck hinterlassen und eine Freudigkeit und Zuversicht schaffen, die für weiteren Fortschritt ausschlaggebend sein mögen.

Aus all diesen Gründen ist es daher von Wichtigkeit, auch auf dem Übungsweg der Achtsamkeit und Klarblickserkenntnis die Kraft der geistigen Sammlung durch methodische Übung und recht bemessene Anstrengung zu stärken.


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