Die Lehre des Buddha von Max Ladner

Neuausgabe 1999, Die Originalausgabe erschien 1946 im Rascher Verlag Zürich

[Diese Neuausgabe wurde mir freundlicherweise von Dr. Max Ladner, dem Sohn von Max Ladner für den <Palikanon.com> zur Verfügung gestellt. WG]


Allgemeines

Die Literatur über den Buddhismus ist sehr umfangreich, auch in deutscher Sprache, und schon eine ganze Reihe namhafter Gelehrter befasste sich mit Übersetzungen aus dem Pali-Kanon und den Mahayana-Texten. So fehlt es also nicht an Arbeiten, die uns Abendländer mit der im Grunde genommen so überaus einfachen und doch so unermesslich tiefgründigen Lehre des Buddha, der "Religion der Vernunft", wie sie auch treffend genannt wird, vertraut zu machen suchen.

Trotz der vielen guten und aufschlussreichen Bücher und Schriften, die es über den Buddhismus gibt, ist doch festzustellen, dass in Europa und überhaupt im Okzident sich nur ein verhältnismäßig kleiner Kreis von wirklichen Verstehern mit der Lehre ernstlich befasst und sie zu seiner Lebensmaxime gemacht hat. Das sagt natürlich nichts gegen den Wert, d.h. gegen den religiösen und philosophischen Wert der Lehre des Erhabenen. Ganz abgesehen von den etwa 400 Millionen Buddhisten, oder buddhistisch beeinflussten Menschen, die es in Asien gibt, ist diese Tatsache viel eher ein Beweis der überragenden Größe des Buddha.

Buddhismus, die Philosophie der Humanität

Es ist eine eigentümliche Erscheinung, dass gerade die nüchternste und klarste aller religiösen Lehren, die Buddhalehre, noch von vielen Europäern so gewissermaßen als ein Götzendienst, als ein exotischer Mystizismus angesehen wird, dem im günstigsten Falle wohl etwelches Interesse vom religions-historischen Gesichtspunkt aus entgegengebracht werden kann, aber nichts weiteres sonst. Dabei wird übersehen, dass der Buddhismus viel wirklichkeitsnaher ist, als wie z.B. das Christentum, viel duldsamer, viel objektiver und kühler, aber auch viel unmittelbarer in seiner Wirkung auf den Einzelnen. Weil er keinen Glauben kennt, keinen Zwang und keine Rache, kennt er auch keinen Fanatismus und keinen Kampf gegen Andersdenkende. Er kennt nur klares Denken und tiefes Schauen, und daraus schöpft er die unendliche Liebe und Güte zu allen Wesen und die Kraft für jenen wunderbaren Weg, der zur völligen Überwindung allen Leidens führt.

H. Tilbe, der seinerzeit Professor des Pali in Rangoon war, nennt in seiner kleinen Schrift "Pali-Buddhism" den Buddhismus eine "Philosophie der Humanität, so tief, so klar, so positiv, dass sie nicht nur bestimmt ist, in absehbarer Zeit das Denken des Westens in Erstaunen zu setzen, sondern dasselbe sogar in ausgedehntem Masse zu beeinflussen, und die ethische Seite dieser Philosophie hat bereits bei manchem, der nicht daran geglaubt hat, dass aus dem 'Heidentum' irgend etwas Gutes kommen könne, Bestürzung und Bewunderung hervorgerufen. "

Das Ziel des Buddhismus

Es sei hier nicht von jenem Buddhismus gesprochen, wie er in den erkenntnistheoretischen Spitzfindigkeiten des Mahayana, mit seinen "barmherzigen Heilandgottheiten, dem Bodhisattva Avalokitesvara, dem Buddha Amitabha und der gütigen Muttergöttin Tara" zum Ausdruck kommt, sondern von der ursprünglichen, alten, im Pali-Kanon niedergelegten Lehre Gotamas, die jeder noch so strengen wissenschaftlichen Kritik standhält und deren Durchleuchtung der Wirklichkeit den höchsten Ansprüchen in religiöser und philosophischer Hinsicht genügt. Das Ziel des Buddhismus ist wohl auch das Ziel aller anderen Religionen: Befreiung vom Leiden, aber allein in der Buddhalehre ist dieses Ziel nicht so wirklichkeitsfern und transzendent, so unerreichbar im Leben und so "gewiss" nach dem Tode, wie in allen anderen großen Religionen. Es ist völlig immanent, ist unmittelbar zu erleben und jedem zugänglich, der den Willen dazu hat.

Nicht glauben, sondern erkennen

Der Buddha war wohl der einzige Religionsstifter, der seine Anhänger davor warnte, mit blindem Glauben seiner Lehre zu folgen. Er verlangte von ihnen selbständiges Forschen und Denken, und er drückte das so aus:

"Richtet euch nicht nach Hörensagen, nicht nach einer Überlieferung, nicht nach einer bloßen Behauptung, nicht nach der Mitteilung sogenannter heiliger Schriften, nicht nach logischen Deduktionen, nicht nach methodischen Ableitungen, nicht nach dem auf Augenschein beruhenden Denken, nicht nach lang gewohnten Ansichten und Vorstellungen, richtet euch nicht danach, ob eine vorhandene Erscheinung dafür spricht, auch nicht danach, ob ein Asket oder Lehrer es gesagt hat; wenn ihr hingegen selbst erkennt: diese Dinge sind verkehrt, diese Dinge sind nicht einwandfrei, diese Dinge, wenn ausgeführt, gereichen zum Unheil, zum Leiden für uns und andere, dann verwerft sie. Erkennt ihr dagegen: diese Dinge sind recht, diese Dinge sind einwandfrei, diese Dinge, wenn ausgeführt, gereichen zum Heil und Glück für uns und andere, dann nehmt sie an und lebt danach." (Ang. Nik. IV. 193)

Das bedeutet schon einen Hinweis auf die eigene Verantwortlichkeit des Individuums und auf die Ablehnung der Idee eines Schöpfers und Beherrschers der Welt. Wie könnten wir verantwortlich sein für unser Denken und Handeln, wie könnten wir eine Moral und Ethik wirklich begründen, wenn wir bloßes Ergebnis eines Schöpferwillens außer uns wären, wenn wir mit all unseren Vorzügen und Fehlern nur das Produkt eines welterschaffenden Gottes wären, der lenkt und leitet, die guten Taten seines eigenen Werkes belohnt und die Sünden seines selbstgeschaffenen Ebenbildes bestraft?

Die Moralgesetze sind relativ

Im Grunde genommen können wir ja nicht daran zweifeln, dass die Moralgesetze relativ sind, und diese Relativität anerkennt auch der Buddhist. Darum gibt es für ihn keine eigentlichen "Sünder", auf die hinab gesehen werden kann, und es gibt auch keine Sünde, weil nichts an sich "böse" ist. Es ist nur ein kleineres oder größeres Maß von Nichtwissen da, das jeweils der Bewusstseinsebene entspricht, die dem Individuum zugehört. Diese Bewusstseinsebene, wir können sie auch Entwicklungszustand nennen, ist wiederum ganz unzweifelhaft nichts anderes als das Ergebnis vorausgegangener Zustände, vorausgegangenen Denkens und Tuns, und wenn wir auf diesem Wege immer weiter rückwärts wandern, immer noch fernere, noch weiter zurückliegende Zustände ins Auge fassen, dann müssen wir schliesslich und endlich zur Einsicht gelangen, dass ein erster Anfang nicht zu erkennen ist.

Es gibt keinen ersten Anfang

Mit den Worten des Buddha gesagt: "Ganz unbekannten Anfangs, ihr Mönche, ist diese Wanderung von Dasein zu Dasein. Man kennt nicht den Ausgangspunkt, von welchem an die Wesen, mit dem Hemmnis der Unwissenheit und der Fessel der Gier behaftet, umherirren und wandern."

Wir wissen also nichts von einem ersten Anfang des Seins und können auch nichts wissen. Was wir wissen ist aber viel wesentlicher und bedeutsamer, und das ist die Gewissheit des Seins, oder buddhistisch gesprochen: die Gewissheit des Leidens. Cartesius formulierte einst aus dieser Erkenntnis heraus das Axiom "ich denke, also bin ich", und damit hatte er die Tatsache des Seins, des Daseins, auf die kürzeste Formel gebracht. Was er aber nicht zu beantworten vermochte, war die Frage nach dem Wesen des Seins, dem Wesen der Persönlichkeit, nach dem Gehalt des Begriffes "Ich". Da versagte nicht nur Cartesius, sondern auch alle anderen vor ihm und nach ihm, bis auf einen, den Vollkommen-Erwachten, den Buddha.

Das religiöse Indien vor Buddha

Damit kommen wir zu einem der Hauptpunkte der Buddhalehre, dem anatta-vada, der Lehre vom Nicht-Ich. Bevor wir näher auf diesen schwierigen Komplex von Erkenntnissen eingehen, wollen wir, um besser verstehen zu können, kurz einen Blick auf den Stand der religiösen und philosophischen Einsichten in der Zeit unmittelbar vor Buddha werfen.

Dieser Stand war ein überaus hoher; er war jedenfalls höher als der heutige okzidentale. Denken wir nur an die wundervollen Strophen im Rigveda, die vom Ursprung der Dinge handeln; sie lauten (in der Übersetzung von Deussen):

1.

Damals war nicht das Nichtsein, noch das Sein,
Kein Luftraum war, kein Himmel drüber her. –
Wer hielt in Hut die Welt, wer schloss sie ein?
Wo war der tiefe Abgrund, wo das Meer?

2.

Nicht Tod war damals, noch Unsterblichkeit,
Nicht war die Nacht, der Tag nicht offenbar. –
Es hauchte windlos in Ursprünglichkeit
Das Eine, außer dem kein andres war.

3.

Von Dunkel war die ganze Welt bedeckt,
Ein Ozean ohne Licht, in Nacht verloren; -
Da ward, was in der Schale war versteckt,
Das Eine durch der Glutpein Kraft geboren.

4.

Aus diesem ging hervor zuerst entstanden,
Als der Erkenntnis Samenkeim, die Liebe; -
Des Daseins Wurzelung im Nichtsein fanden
Die Weisen, forschend, in des Herzens Triebe.

5.

Als quer hindurch sie ihre Messschnur legten,
Was war da unterhalb? und was war oben? –
Keimträger waren, Kräfte, die sich regten,
Selbstsetzung drunten, Angespanntheit droben.

6.

Doch, wem ist auszuforschen es gelungen,
Wer hat, woher die Schöpfung stammt, vernommen?
Die Götter sind diesseits von ihr entsprungen!
Wer sagt es also, wo sie hergekommen? -

7.

Er, der die Schöpfung hat hervorgebracht,
Der auf sie schaut im höchsten Himmelslicht,
Der sie gemacht hat oder nicht gemacht,
Der weiß es! - oder weiß auch er es nicht?

Dieser in der letzten Zeile zum Ausdruck gebrachte Zweifel an der Allwissenheit des Allschöpfers zeugt von einem schwer zu befriedigenden Drang nach Wissen um die letzten Dinge. Darauf weisen auch jene Strophen hin im Rigveda X 12 1, deren Refrain lautet:

„Wer ist der Gott, dass wir ihm opfernd dienen?"


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