Das Licht der Lehre

von Sri Gnanawimala Maha Thero

10. KAMMA UND VIPAKA (Wirken und Frucht des Wirkens) 2. Teil



Zu Beginn dieses 2. Vortragsteiles wollen wir noch einmal ganz kurz das Wichtigste des 1. Teiles zusammenfassen. - Wir haben gehört, daß Kamma den heilsamen oder unheilsamen Willen bezeichnet, der als körperliches Tun, als Sprechen oder auch nur als Denkvorgang in Erscheinung tritt und der mittels dieser Wirkensformen in den Daseinsprozeß eingreift. Das Resultat oder die Frucht des Wirkens nannten wir vipāka.


Die willentlichen Eingriffe führen zu einer Veränderung der Wirklichkeit, die sich sowohl in der objektiven Erscheinungswelt wie auch im Bereich subjektiven Erlebens vollzieht und dabei bestimmten Gesetzen unterworfen ist. Wie nämlich der Tatvorgang als solcher die materielle Dingwelt im Rahmen physikalischer Gesetze umgestaltet, so verändert das Tatbewußtsein im Rahmen des Kamma- Gesetzes den Geisteszustand.

Den Funktionen von Ursache und Wirkung im äußeren physikalischen Geschehen entsprechen dabei im inneren psychischen Erleben Kamma und vipāka. In beiden Bereichen sind Grund und Folge durch das Gesetz der Kausalität verbunden, allerdings in unterschiedlicher Strenge.

Der Nachweis des Kausalnexus im organisch- psychischen Bereich wird erschwert durch den Umstand, daß das Tatbewußtsein, also die Kamma- Ursache, nicht unmittelbar und sofort von der vipāka Wirkung gefolgt wird. Je höher nämlich die Entwicklungsstufe eines Lebewesens ist, desto mehr Faktoren bestimmen seinen jeweiligen Geisteszustand, wobei der direkte Einfluß des einzelnen, neu hinzutretenden Kamma- Elementes immer geringer wird.

Die einzelnen Kamma- Elemente werden im Unterbewußtsein gespeichert und vermischen sich um so mehr, je länger es ihnen an geeigneter Gelegenheit fehlt, als vipāka in Erscheinung zu treten. Bikkhu Silacara vergleicht diesen Vorgang mit einem Fluß, der von mehreren verschiedenfarbigen Quellen gespeist wird, wodurch im Flußbett zunächst ein Nebeneinander farbiger Strömungen entsteht. Die Farben vermischen sich aber während des Fließvorganges mehr und mehr, bis an der Flußmündung die einzelnen Strömungen nicht mehr zu unterscheiden sind. Trotzdem kommen alle zugeflossenen Farbpartikel früher oder später an der Flußmündung an und geben dem Flußwasser sein spezifisches Aussehen.

Ähnlich bilden die einzelnen Kamma- Elemente in ihrer Gesamtheit die geistige Grundstruktur, den Charakter eines Lebewesens, der entscheidend die Qualität seiner erlebten Wirklichkeit bestimmt. Ob in dieser einem Lebewesen vorwiegend Glück oder Leid zuteil wird, hängt ab von seinem Kamma; es ist Erbe seiner Taten, gleich ob ihm dieser Umstand bewußt ist oder nicht.


Kein Ereignis geschieht ohne Ursache aus dem Nichts heraus, weder in der Objektwelt noch im Bereich geistigen Erlebens. Der strenge Kausalnexus zwischen Ursache und Wirkung im physikalischen Geschehen lockert sich aber im psychischen Bereich zu einer Beziehung zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit. Jedes Kamma- Element kann deshalb nur hinsichtlich seiner Tendenz beurteilt werden, in welche es die weitere Entwicklung beeinflußt. Zu dieser Beurteilung ist die Kenntnis des jeweiligen Entwicklungsstandes unbedingt erforderlich, denn nur in bezug auf diesen kann man sagen, ob es sich um heilsames oder unheilsames Kamma handelt.


Die Einteilung in "heilsam" und "unheilsam" charakterisiert also die Richtung der Wirkungsmöglichkeiten, sagt aber nichts aus über die tatsächlich eintretende Wirkung. Eine solche Aussage ist nicht etwa allein wegen der unübersehbaren Vielfalt der Faktoren unmöglich, sondern sie würde den tatsächlichen Gegebenheiten des Daseins auch gar nicht entsprechen. Denn wie in unserem Beispiel vom Fluß mit den verschieden gefärbten Strömungen an jeder Stelle des Flusses, selbst an der Mündung noch, durch Zusatz von neuem Farbstoff das Wasser entscheidend umgefärbt werden kann, so kann in jedem Augenblick das noch nicht zur Reife gelangte Kamma durch neu hinzutretendes unterstützt, geschwächt oder sogar neutralisiert und damit unwirksam gemacht werden. Wir verstehen jetzt auch, warum häufig geübtes Kamma die zukünftige Entwicklung viel stärker und eindeutiger beeinflußt als eine einzelne, für den Charakter untypische Handlung. Wird eine bestimmte Handlungs- und Lebensweise mit allen Kräften so betrieben, daß sie zum allein bestimmenden Element des Kamma- Stromes wird, dann allerdings läßt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit das Resultat vorhersagen. Ein abschreckendes Beispiel liefert uns die Geschichte vom religiösen Fanatiker Seniya, der ein asketisches Leben in der Weise eines Hundes führte und der den Buddha nach dem Lohn dieser Übung fragte. Nach langem Zögern, jedoch auf Grund anhaltenden Drängens antwortete der Erhabene: "Jemand, der die Lebensgewohnheiten eines Hundes annimmt, der sich wie ein Hund verhält, dessen geistige Struktur der eines Hundes gleicht - ein solcher wird nach dem Aufhören dieser Existenz als Hund wiedergeboren." (M.57)


Was hier am üblen Beispiel des Hundeasketen gezeigt wird, gilt umgekehrt auch für das häufig geübte heilsame Handeln. Wer sein Leben in verständiger und einsichtiger Weise führt, dessen Wiedergeburt wird wahrscheinlich unter günstigen Umständen stattfinden können. Für die einzelne Kamma- Handlung aber kann man kein eindeutiges vipāka - Resultat vorhersagen.

Wären Kamma und vipāka durch einen strengen mechanischen Kausalnexus verkettet, so wäre der Mensch ein Automat, dessen Ablauf prinzipiell vorherbestimmbar wäre. Für einen solchen Automaten gäbe es keine Befreiung. Tatsächlich aber bewegt sich alles Leben in einem eigentümlichen Spannungsfeld zwischen Freiheit und Notwendigkeit. Dies trifft insbesondere auf die menschliche Praxis zu: Einerseits ist jede Handlung durch die vorhandene Wirklichkeit motiviert und kann sich nur nach bestimmten Gesetzen und im Rahmen von Grenzen vollziehen, die dieser Wirklichkeit innewohnen.


Andererseits aber führt das bloße Vorhandensein dieser Gesetze und Grenzen nicht notwendig zum Vollzug einer bestimmten Handlung, sondern öffnet einen mehr oder weniger breiten Fächer verschiedener Handlungsmöglichkeiten. Was möglich ist, ist eindeutig bestimmt durch die Gesetze unserer Wirklichkeit und streng getrennt vom Unmöglichen. Wie wir aber diese Möglichkeiten nutzen, was wir zu neuer Wirklichkeit gestalten, liegt in unserer Hand.


Für uns gilt es, die gesetzmäßigen Zusammenhänge des Daseins und seine kausal bedingten Notwendigkeiten zu begreifen, um den Raum realer Möglichkeiten zu entdecken, den diese Welt uns bietet. Der Satz Hegels: "Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit" ist voll tiefer Weisheit. Denn erst mit der Kenntnis unserer Bedingungen und Grenzen können wir das Mögliche vom Unmöglichen unterscheiden und gelangen wir von der Gebundenheit blinden Umhertastens zur Freiheit zielbewußten Wirkens. Im Grunde genommen stellt ja der ganze Prozeß der Bewußtwerdung, der in der Kette von Wiedergeburten sich mühsam vollzieht, nichts anderes dar als den Weg aus dem Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit hin zur endgültigen Befreiung, in der alle Bedingungen und Abhängigkeiten gesprengt sind.


Diesen Weg kann uns niemand abnehmen, wir müssen ihn selbst gehen. Wenn wir uns aber um das Verständnis der Kamma- Lehre bemühen, werden wir viele mögliche Irrwege vermeiden. Allerdings ist unsere Erkenntniskraft noch recht begrenzt. Die verbindende Gesetzlichkeit der komplizierten Daseinsvorgänge zu entdecken, bedurfte es eines Geistes von außerordentlicher Klarheit und spiritueller Kraft.

Der Buddha erkannte diesen Zusammenhang unmittelbar in der meditativen Schau und formulierte ihn später auf verschiedene Weise. Das Kamma- Gesetz zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Buddhalehre. Es ist die fundamentale Gesetzlichkeit, aus deren universeller Wirksamkeit sich dem Buddha die Möglichkeit der Befreiung erschloß.

Das Gesetz von Kamma und vipāka, vom willentlichen Wirken und seinem Resultat, bleibt eine lapidare Aussage ohne Überzeugungskraft, wenn man nur intellektuell an sie herangeht. Um seine uneingeschränkte Wirksamkeit in allen Lebensfunktionen zu erkennen und die ungeheure Bedeutung dieses Gesetzes für das Dasein zu ermessen, muß man die ganze Buddhalehre wirklich begriffen haben.

Ein solches tiefes Verständnis kann aber nicht allein durch Bücherstudium oder Hören von Vorträgen erreicht werden; hierzu ist eigene Erfahrung, eigenes Nachdenken und praktische Verwirklichung des Erkannten im Leben selbst notwendig. Meditation ist hierzu unerläßlich.

Wenn der Buddha lehrte: "Der geistig Gesammelte erkennt die Dinge der Wirklichkeit gemäß", so dürfen wir hinzufügen: nur der geistig Gesammelte. Das soll jedoch nicht heißen, daß alles Bücherstudium sinnlos sei. Im Gegenteil, es kann uns in der Beurteilung vieler Sachverhalte entscheidend weiterhelfen. Wir müssen uns aber der Grenzen und Gefahren bewußt sein, die im Hantieren mit Begriffen bestehen. Es kommt darauf an, daß wir selbst sehen und erleben, was hinter diesen Begriffen steht, und dieses Erleben ermöglicht uns die Meditation.

Durch achtsames Beobachten unserer Willensimpulse und der ihnen folgenden Körperbewegungen können wir einen tieferen Einblick in das kausale Geschehen gewinnen als selbst durch das intensivste Studium wissenschaftlicher Abhandlungen. In der Meditation lernen wir auch zu beurteilen, welche unserer Handlungen heilsam und welche unheilsam waren und an welchem sittlichen Maßstab wir unser zukünftiges Verhalten zu messen haben.

Wenn wir in unserem Innern nach den Ursachen unangenehmer Gefühle forschen, werden wir feststellen, daß sie oft kausale Folgen unheilsamen Wirkens sind und dieses wiederum in den Unreinheiten des Geistes seine Ursache hatte. So in der Meditation fortschreitend und die Kausalkette verfolgend, werden uns die Gegebenheiten und Gesetze unseres Körpers, unserer Gefühle und unseres Geistes vertraut und gewinnt unser keimhaftes Verständnis des Gehörten und Gelesenen durch eigene Erfahrung zunehmend an Klarheit.

Erst in der Meditation erschließt sich uns das volle Verständnis der Buddhalehre und des kamma- Gesetzes, und zwar unmittelbar in direkter Erfahrung. Der Glaube an eine moralische Gerechtigkeit ist nur eine erste Erkenntnisstufe. Sie wird berschritten durch die zweite, die sich nicht auf Glaubensansichten verläßt, sondern nach den Gesetzen und Bedingungen des Daseins fragt: dies ist die Erkenntisstufe wissenschaftlichen, dialektischen Denkens. Die dritte und höchste aber besteht im unmittelbaren Erleben der Wirklichkeit in der meditativen Versenkung. Kein Zweifel ist mehr möglich an dem, was auf dieser Erkenntnisstufe bewußt wird, und klar sichtbar wird der Weg, der zur Befreiung führt.


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