Vom Wachstum der inneren Werte
Aus dem Prakrit übersetzt und eingeleitet von Wolfgang Schumacher
26 "Bodhi-Blätter" Eine Schriftenreihe aus dem Haus der Besinnung CH - 9115 Dicken 1991
Dieses Heft ist dem Andenken des Berliner Buddhisten Dr. med. Wolfgang Schumacher (1908-1961) gewidmet. Er wurde 1926 der letzte persönliche Schüler Paul Dahlkes, gründete Ende 1932 die Zeitschrift WISSEN & WIRKEN, veranstaltete 1933 in Berlin einen Buddhistischen Kongress und übersetzte 1936 und 1942 zwei Seneca-Anthologien. Nach 1945 war er Chefarzt der Lungenheilstätte Ganz in der Mark Brandenburg. Er hinterließ drei Buchmanuskripte über "Weisheit des alten China", dann aus dem Tibetischen übersetzte Texte des ethischen Mahayana ("Die goldene Trommel") und Tiergeschichten.
Die längst vergriffene 1. Auflage des vorliegenden Heftes erschien 1948 in Konstanz beim Weller-Verlag. Diese 2. Auflage erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Frau Gabriele Schumacher, der Witwe des Autors.
Beim Abdruck wurden geringe Kürzungen in der Einleitung und den Anmerkungen vorgenommen. Seit 1948 sind nur einige kleinere Edikte Asokas neu entdeckt worden, es gibt aber noch keine deutsche Gesamtausgabe der Asoka-Inschriften. Für die Literatur, auf die in diesem Rahmen nicht näher eingegangen werden kann, sei verwiesen auf: O. v. Hinüber, Das ältere Mittelindisch im Überblick, Wien 1986, Einleitung.
H. Hecker
Im Jahre 1801 berichtete der im Dienste der Ostindischen Gesellschaft stehende englische Captain Hoare über eine von ihm in Delhi aufgefundene 14 m hohe Steinsäule mit einer geheimnisvollen Inschrift in einer unbekannten Schrift. Die Säule war nach seinen Feststellungen vom Mogulkaiser Firuz Schah im 14. Jahrhundert von ihrem ursprünglichen Standort Mirat nach Delhi gebracht worden. Aber schon damals hatten auch die größten Gelehrten die Schrift auf der Säule nicht lesen können. Erst im Jahre 1838 gelang es dem englischen Forscher James Prinsep durch Vergleich mit zweisprachigen Münzinschriften die geheimnisvollen Zeichen auf der Säule zu deuten. Man nannte die Schrift "Alt-Brahmi". Die Sprache der Inschriften war ein Prakrit-Dialekt. Das Prakrit, eine Schwestersprache des Sanskrit und des Pali, war die altindische Volkssprache. Inzwischen waren auch anderwärts in Indien Inschriften auf Felsen und Säulen in derselben Schrift und ähnlichem Dialekt aufgefunden worden. 1822 hatte Major James Todd auf der Halbinsel Kathiawar bei Gimar einen Granitblock gefunden, dessen Fläche zum größten Teil mit einer Inschrift in "Alt-Brahmi"-Schrift bedeckt war. 1837 entdeckte Leutnant Kittoe in Dhauli, nahe Puri an der Ostküste Indiens, eine weitere Felseninschrift.
Es erwies sich, daß alle diese Inschriften von einem König herrührten, der sich Priyadārsin oder Piyadassi ("der Humane") nannte und der, nach der weiten Verbreitung der Inschriften zu urteilen, über ganz Indien geherrscht haben mußte. Anhaltspunkte, die eine Datierung nach unserer Zeitrechnung ermöglicht hätten, fehlten. Die Inschriften enthielten Edikte moralisch-religiösen Inhalts, Aufrufe zur sittlichen Lebensführung und Ermahnungen zu Frieden, Toleranz und Güte.
Inzwischen war man in Ceylon auf eine alte Chronik aus dem 4. Jahrhundert nach der Zeitwende gestoßen (Dipavamsa-Inselchronik), in der von einem indischen König Asoka die Rede war, der in dieser Chronik wechselnd Asoka und Piyadassi genannt wird. Nun war das Rätsel der Inschriften gelöst. Die geheimnisvollen Inschriften erwiesen sich als Edikte des großen buddhistischen Königs Asoka aus dem Geschlechte der Maurya, der von 273-232 vor der Zeitwende über Indien geherrscht hatte.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts sind dann noch an zahlreichen anderen Stellen Indiens Asoka-Inschriften gefunden worden. Man kennt jetzt 6 große Felsen-Inschriften mit je 14 im wesentlichen gleichlautenden Edikten. Zwei Felsen enthalten noch Separat-Edikte. Ferner sind 6 Pfeiler oder Säulen mit je 6-7 Edikten gefunden worden. Daneben gibt es eine Anzahl kleinerer Felsen-, Pfeiler- und Höhlen-Inschriften Asokas.
Die moralischen Edikte Asokas stehen unter den epigraphischen Dokumenten des indischen Kulturkreises nach Form, Inhalt und Verbreitung einzigartig da. Felsen-Inschriften sind auch von anderen indischen Fürsten erhalten. Sie dienten meist der Verherrlichung kriegerischer Taten dieser Herrscher. Aber der Gedanke, moralische Anweisungen in solchem Umfang in allen Teilen seines riesigen Reiches in den Felsen einmeißeln zu lassen, blieb dem großen Sproß der Maurya-Dynastie, Asoka, vorbehalten. Vom Hindukusch im Nordwesten Indiens bis zum Gangesdelta im Osten, vom Himalaya im Norden bis in die Gegend von Mysore im Süden dehnte sich das Reich Asokas, und seine Edikte finden sich auf einem Quarzfelsen am Abhang des Himalaya (Kalsi) ebenso wie auf einem Granitblock der Halbinsel Kathiawar (Girnar). Sie finden sich bei Puri im Osten und bei Bombay im Westen, bei Peshawar im Nordwesten und bei Madras im Süden.
Die Mehrzahl der Edikte ist in der formschönen, klaren, rechtsläufigen "Alt-Brahmi"-Schrift, die semitischen Ursprungs ist, eingemeißelt, zwei Felsen-Inschriften jedoch in der linksläufigen Karoshti, die man aus aramäischen Schriftzeichen herleitet. Die Sprache der Edikte ist überall das Prakrit. Die Dialektunterschiede der einzelnen Inschriften sind in den verschiedenen Landschaften recht erheblich.
Für die indische Kulturgeschichte sind die Inschriften von unschätzbarem Wert. Geben sie uns doch ein anschauliches Bild vom kulturellen, politischen und religiösen Leben einer längst vergangenen Epoche. Das ist für uns um so wertvoller, als wir mit Dokumenten zur Geschichte Indiens nur spärlich versorgt sind. Der geringe Sinn des Inders für Geschichte trägt die Schuld an diesem Mangel. Eine lückenlose Geschichtsschreibung, wie wir sie aus China kennen, fehlt in Indien ganz. Aus den Asoka-Inschriften aber ersteht die altindische Welt um 250 vor der Zeitenwende mit großer Lebendigkeit. Wir werden in die glanzvollste Zeit der indischen Geschichte hineinversetzt.
Im Jahre 327 vor der Zeitwende hatte Alexander der Gr. den Hindukusch und den Indus überschritten, die Fürsten des Induslandes unterworfen und griechische Statthalter in Indien eingesetzt. Nach seinem Tode und dem Zerfall seines Reiches in die Diadochenstaaten erfolgte ein allgemeiner Aufstand der Inder gegen die griechischen Unterdrücker. Dabei reißt der abenteuerliche Candragupta, der Begründer der Maurya-Dynastie, die Führung an sich, vertreibt die Griechen und stößt bis in die östlichen persischen Provinzen vor. 317 stürzt er das Dynastengeschlecht der Nanda in Buddhas Heimat Magadha am unteren Ganges und macht sich dadurch zum Beherrscher von ganz Nordindien. Er residiert nun in Pataliputra am Ganges und empfängt hier an seinem glanzvollen Hofe den Gesandten des Diadochen-Fürsten Seleukos Nikator, der seit 321 in Babylon herrscht. Dieser griechische Gesandte mit Namen Megasthenes hat uns eine eindrucksvolle Schilderung vom alten Indien und vom Hofleben des Candragupta hinterlassen. Die engen kulturellen Beziehungen der Maurya-Dynastie zu den griechischen Diadochenfürsten werden auch noch unter dem Enkel Candraguptas, Asoka, fortgesetzt. Asoka erwähnt im 2. Felsenedikt den Seleukiden-König Antiochos H. Theos von Syrien und im 13. Felsenedikt außerdem die Könige Ptolemaios II. (Philadelphos) von Ägypten, Antigonos Gonatas von Makedonien, Magas von Kyrene und Alexander von Korinth.
Aus der Berührung Indiens mit der griechischen Welt erwuchs die Gandhara-Kunst, die griechischen Formsinn und indischen Geistesgehalt miteinander verbindet und von der uns eindrucksvolle Denkmäler von seltener Schönheit erhalten sind.
Asoka, der seinem Vater Bindusara Amitraghata im Jahre 273 vor der Zeitwende auf dem Pfauenthron der Mauryas gefolgt war, beendete die von Bindusara begonnene Unterwerfung der Kalinga im Südosten des Reiches und wurde damit unbestrittener Herrscher von ganz Indien.
Die Erlebnisse während dieses blutigen Feldzuges scheinen auf den feinfühligen Asoka tiefen Eindruck gemacht zu haben und dürften zu seiner Sinneswandlung und seiner Hinwendung zum Buddhismus beigetragen haben. Der Buddhismus hatte sich auch schon unter Asokas Vorgängern von seinem Ursprungslande Magadha weiter über Indien verbreitet, war aber durchaus noch nicht der beherrschende Faktor im religiösen Leben geworden. Die Vorgänger Asokas standen dem Buddhismus gleichgültig gegenüber. Asoka dagegen ließ der Lehre des Erhabenen und dem buddhistischen Mönchsorden nicht nur in Indien weitgehende staatliche Förderung zuteil werden, sondern entsandte auch seinen Sohn Mahinda als Missionar nach Ceylon. Auch nach Hinterindien sollen bereits Missionare Asokas gelangt sein. So stieg der Buddhismus durch Asokas Aktivität von einer indischen Sekte zum Range einer Weltreligion empor.
Asokas Religion ist der frühe Buddhismus, dessen Schwergewicht noch stärker als in der später fixierten Lehre des Pali-Kanons auf der praktisch-ethischen Seite liegt. Metaphysik, Dogmatik und Scholastik treten hier noch zurück hinter den wichtigen Forderungen der Ethik. Wir lernen den Buddhismus aus den Asoka-Edikten sozusagen "in statu nascendi" (Hultzsch) kennen, in einem Stadium, da es noch keinen schriftlich fixierten Kanon, sondern nur eine mündliche Überlieferung gab.
Der Buddhismus der Asoka-Edikte deckt sich weitgehend mit den schlichten moralischen Lehren, die uns aus den ältesten Palitexten, vor allem aus dem Dhammapada bekannt sind. Im Zentrum steht die altindische Vergeltungslehre, wonach der Wandel in diesem Leben das Schicksal des künftigen Daseins bestimmt.
Nur in einem Punkte weichen die Edikte vom Palikanon ab. Die buddhistische Lehre vom Leiden und von der Leidensaufhebung wird in den Edikten nicht erwähnt. Als höchstes Ziel menschlichen Strebens wird bei Asoka die Wiedergeburt in himmlischer Welt bezeichnet.
Es ist auffallend und religionsgeschichtlich bedeutsam, daß ein so wichtiger Begriff wie der Nibbana-Begriff (Sanskrit: Nirvana), der später im Palikanon eine beherrschende Stellung einnimmt, von Asoka noch nicht erwähnt wird. Ob dies daraus zu erklären ist, daß sich das Interesse des Königs vorwiegend auf die praktisch-ethischen Aufgaben des täglichen Lebens richtete, oder ob der Nibbana-Begriff erst später seine überragende Bedeutung im Buddhismus gewonnen hat, wird sich bei den lückenhaften Zeugnissen, die uns zur Frühgeschichte des Buddhismus erhalten sind, kaum mit Sicherheit entscheiden lassen. Jedenfalls hat es nach den Asoka-Edikten den Anschein, daß es anfangs neben dem Mönchsbuddhismus, wie er uns aus dem Palikanon entgegen tritt, einen schlichten Laienbuddhismus ethischer Prägung gegeben hat, in dem die Metaphysik keine wesentliche Rolle spielte. Der spätere Mahayanabuddhismus hat diese Auffassung als eine der Stufen auf dem Wege des Heiles ausdrücklich sanktioniert. Trotzdem bleibt die Nichterwähnung des Nibbana bei Asoka auffallend, und es erhebt sich die Frage, ob die Edikte, vielleicht abgesehen von einigen kleineren Inschriften, die sich direkt an den Mönchsorden wenden, überhaupt als spezifisch buddhistische Proklamationen aufzufassen sind, ob sie nicht vielmehr unter absichtlicher Weglassung gewisser speziell buddhistischer Lehren als allgemeine moralische Ermahnungen für alle, auch für die Nichtbuddhisten, gedacht waren.
Aber auch abgesehen vom rein Religiösen sind die Asoka-Edikte einzigartige Dokumente edler Menschlichkeit. Liebe zu allen Wesen, Sorge für die materielle und geistige Wohlfahrt der Menschen, Toleranz gegen alles ernste, geistige Streben gleichgültig welcher Richtung und eine glühende Begeisterung für alle wahren sittlichen Werte - das ist der Inhalt dieser Edikte. In schlichter, zu Herzen gehender Sprache, in einfachem, ungekünsteltem Stil treten uns, nicht immer logisch aneinandergereiht, die Gedanken Asokas in temperamentvoller Lebendigkeit entgegen. Echte landesväterliche Gesinnung, hohes Verantwortungsgefühl und eine wahre Besessenheit vom Beruf des Herrschers spricht aus jeder Zeile dieser Edikte. Die materielle Wohlfahrt seiner Untertanen will Asoka gefördert wissen, die Rechtsprechung soll milde sein, alle Härten sollen vermieden werden, für die Armen und Alten soll besonders gesorgt werden.
Eine wohl durchdachte Regierungsmaschinerie mit einem Stab von Beamten der verschiedensten Ressorts soll das große Reich in Ordnung halten. Die Beamten sollen ihre Pflichten gewissenhaft erfüllen. Alle Regierungsgeschäfte sollen prompt erledigt werden. Asoka selbst reist immer wieder im Lande umher, um sich von der praktischen Durchführung seiner Anordnungen zu überzeugen. Auch seine Beamten fordert er auf, durch wiederholte Rundreisen ständig den lebendigen Kontakt mit dem Volk zu erhalten und überall selbst nach dem Rechten zu sehen.
So wichtig aber die Förderung der äußeren Wohlfahrt und die gerechte Verwaltung des Reiches sein mag, sie ist für Asoka nicht die wichtigste Aufgabe des Herrschers. Wie ein Vater fühlt er sich vor allem für das geistig-moralische Heil und die sittliche Höherentwicklung seiner Untertanen verantwortlich. Steht Asoka auch selbst auf dem Boden des Buddhismus, so will er doch keineswegs alle seine Untertanen zum Buddhismus bekehren. Er achtet und fördert vielmehr alles echte geistige und moralische Streben, wo immer er es findet. Aber er setzt auch Beamte ein, die darüber wachen sollen, daß die religiösen Vereinigungen ihre Kraft nicht in dialektischen Streitigkeiten verzetteln, sondern sich um das Zentrale kümmern, um das "Wachstum der inneren Werte" (sara-vadhi).
Scharf griff Asoka mit gesetzlichen Bestimmungen nur gegen die blutigen Opferbräuche der brahmanischen Religion durch, die ihm als unsittlich erschienen. Ebenso geißelt er den Missbrauch religiöser Riten für abergläubische Zwecke, wie Bannungen, Unheilsabwendung etc., die in der Volksreligion Indiens stets eine große Rolle spielten. Wenn Asoka auch das Treiben gewisser Priester und Mönche mit kritischem Auge verfolgt, so tritt er doch den würdigen Vertretern der religiösen Vereinigungen mit tiefer Ehrfurcht entgegen. Er sieht in ihnen die Träger der geistigen Werte, deren Gabe über dieses Erdenleben hinaus für die ganze moralische Weiterentwicklung des Menschen, für sein Schicksal im nächsten Leben von ausschlaggebender Bedeutung ist. An seiner Stelle nach besten Kräften für den moralischen Fortschritt der Menschen zu arbeiten, darin sieht Asoka seine schönste Aufgabe. Deshalb geht sein Bestreben dahin, die Arbeit der geistigen Führer der Menschheit in großzügiger Weise zu fördern, ganz gleich, ob sie nun buddhistische Mönche, brahmanische Ajivikas oder Niganthas der Jaina-Sekte sind.
So tritt er uns aus den Edikten entgegen als ein Weiser auf dem Thron, als ein ehrfürchtiger Mensch voll tiefer Achtung vor der Welt des Geistes, als ein weitschauender Kulturpionier. Mit Recht ließ er seine Edikte für alle Zeiten in Fels einmeißeln als einen Maßstab, an dem alle folgenden Generationen ihr eigenes sittliches Sein und Nichtsein messen können.
Das ist das Bild des geschichtlichen Asoka, soweit wir es aus den Inschriften rekonstruieren können.
Die Mönchslegende der ceylonesischen Chroniken und die indische Divyavadana-Legende freilich wissen von Asokas Leben noch viele, phantastische Einzelheiten zu berichten.
Wenig glaubwürdig erscheint etwa die legendäre Angabe, daß Asoka schließlich abgedankt habe, buddhistischer Mönch geworden und in Armut gestorben sei, nachdem er all seinen Besitz dem buddhistischen Mönchsorden übereignet habe. Durch Urkunden belegt ist dagegen die Angabe, daß während der Regierungszeit des Asoka in Pataliputra ein buddhistisches Konzil stattfand, auf dem eine Anzahl ketzerischer Orden verurteilt wurden. Daß Mönchsstreitigkeiten damals an der Tagesordnung und Spaltungstendenzen im Orden vorhanden waren, ersehen wir übrigens auch deutlich aus den Edikten.
Beziehungen zur Persönlichkeit Asokas will man auch in der Gestalt des mythischen Weltherrschers (cakkavatti-raja) gefunden haben, von dem im Pali-Kanon oft die Rede ist und mit dem sich eine ganze Lehrrede der langen Sammlung, "Die gewaltige Predigt vom mythischen Weltherrscher" (Cakkavatti-Sihanada-Suttanta), beschäftigt. Der Weltherrscher soll nach dieser Lehrrede sein Reich auf Recht und Moral gründen, er soll Rechtssicherheit im Inneren gewährleisten und Frieden nach außen halten. Er soll den geistigen Führern seine Verehrung bezeigen und auf ihren Rat hören. Er soll ein Beschützer von Mensch und Tier sein. Dieses hohe Herrscherideal wortgetreu zu verwirklichen, war das Bestreben Asokas, wie uns seine Edikte zeigen.
Die Asoka-Inschriften sind nicht die einzigen Zeugnisse für das Wirken des großen buddhistischen Königs. Wir kennen auch Säulen mit symbolischen Figuren (Löwen, Elefanten), die auf Asoka zurückgehen. Die chinesischen Pilger Fa-hsien und Hsüan-tsang, die in den Jahren 405 und 629 nach der Zeitwende Indien besuchten, haben noch in allen Teilen Indiens Stupas* aus der Asoka-Zeit oder Ruinen davon gesehen. Bis zur Gegenwart haben sich die beiden berühmten Stupen von Sanchi und Bharhut erhalten, mit deren Baugeschichte Asoka in Verbindung gebracht wird.
[Ein Stupa ist ein über einer Reliquie oder an einer Gedenkstätte errichtetes buddhistisches Denkmal].
Auch auf dem Gebiete der Baukunst scheint Asoka als Bahnbrecher einer neuen Epoche gewirkt zu haben. Während noch Megasthenes, der griechische Gesandte des Seleukos Nikator am Hofe von Asokas Großvater Candragupta, berichtet, die Residenz der Mauryas, Pataliputra, sei eine Stadt aus Holz mit einer hölzernen Umfriedung gewesen, erwähnen die chinesischen Pilger Fa-hsien und Hsüan-tsang, daß Asoka die hölzerne Umfriedung durch eine Steinmauer ersetzt habe. Wir dürfen also annehmen, daß Asoka als einer der ersten in Indien Steinbauten errichtete und auch den Stein als Material für Skulpturen heranzog, die man früher nur aus Holz anfertigte.
Diese Auffassung gewinnt an Wahrscheinlichkeit durch die Tatsache, daß uns indische Bauwerke und Skulpturen, deren Entstehung vor der Asoka-Zeit anzusetzen ist, nicht bekannt sind.
Der vorliegenden Übersetzung wurde bei den Felsen-Edikten die Girnar-Fassung, bei den Pfeiler-Edikten die Delhi-Topra-Fassung zu Grunde gelegt. Der Girnar-Felsen auf der Halbinsel Kathiawar ist ein konischer Granitblock von 3,8 m Höhe und 22 m Umfang. Der Pfeiler von Delhi-Topra ist eine 12,5 m hohe Säule. Für das 13. Felsenedikt, das in der Girnar-Fassung zerstört ist, wurde die Kalsi-Fassung gewählt.
Die Übersetzung ist bemüht, den etwas eckigen Stil und die ungekünstelte Diktion des Originals möglichst treu wiederzugeben. Die Unebenheiten in Stil und Ausdruck gehören zum Charakter der Edikte, legen sie doch Zeugnis davon ab, daß die Edikte unmittelbarer Ausdruck der Gedanken des Königs und nicht wohlabgewogene Produkte seiner Kanzlei sind.