Note 102 zu D. 33
Nach der 110. Rede der Mittleren Sammlung wiederholt. Über das «viel wissen» ebenda das Ende der 12. Rede: wenn einer auch hundert Jahre lebte, mit den höchsten Geisteskräften begabt, und rastlos Frage um Frage stellte, und keine Frage zum zweitenmal, er käme so nie ans Ziel, könnte die Lehre nie auserkunden, es wäre des Fragens und Erklärens kein Ende, und er stürbe darüber hinweg. Diese Art von Gelehrsamkeit hatte auch Gotamo als Arzt verachtet. Was ist also das Vielwissen ? Ein viel wissen. Da kommt einmal ein Jünger zu Gotamo heran und bringt die Frage vor: «'Man weiß viel und ist ein Kenner der Lehre', so heißt es, o Herr: inwiefern denn aber, o Herr, weiß man viel und ist ein Kenner der Lehre?» Der Meister lobt die Frage als eine wohlzutreffende und gibt die Antwort: «Viele Dinge hab' ich, o Mönch, gezeigt: mag nun aber ein Mönch auch nur bei einem vierzeiligen Spruche den Sinn verstehn, die Lehre verstehn und der Lehre lehrgemäß nachfolgen, so kann man schon von ihm sagen, daß er viel weiß und ein Kenner der Lehre ist», A. Catukkanipāto No. 186, ed. Siam. p. 248f.
Der Asket hat anderes und wichtigeres zu tun als pallavapāndityam oder Polymathie zu pflegen, wie etwa unsereins. Der recht Vertraute, recht Gewitzigte braucht ja, nach Gotamos Welt- und Menschenkunde, nicht einmal die ganze Ordensregel zu kennen, mit ihren hundertfünfzig einzelnen Verordnungen und Bestimmungen, und kann doch ein vollkommener Jünger sein, zum Wahnversiegten werden, A. Tikanipāto No. 85-89, ed. Siam p. 299-306:
«Mehr als hundertfünfzig, ihr Mönche, der Ordensregeln sind es, die halbmonatlich vorgetragen werden, wo sich da heilsuchende edle Söhne befleißigen. Drei Regeln gibt es, ihr Mönche, worin dieses Ganze beschlossen ist: und welche drei? Hohe Tugend üben, hohen Sinn üben, hohe Weisheit üben. Das sind, ihr Mönche, drei Regeln, worin dieses Ganze beschlossen ist.»
Diese Sparsamkeit der Mittel, die sich auf das Beste beschränkt, ist von Gotamo wiederholt gezeigt worden: so z.B. dem ehrwürdigen Bhaddāli gegenüber, Mittlere Sammlung 480; desgleichen in einem Gespräch mit dem großen Kassapo, Samyuttakanikāyo ed. Siam vol. II p. 201-203 (PTS 223-225).
Der kommt eines Tages zum Erhabenen hin um die Frage zu stellen: «Was ist wohl, o Herr, der Anlaß, was ist der Umstand, daß es früher weniger Ordensregeln gab, aber mehr der Mönche gewiß bestanden ? Und was ist wiederum, o Herr, der Anlaß, was ist der Umstand, daß es heute mehr der Ordensregeln gibt, aber weniger Mönche gewiß bestehn?» Der Meister antwortet: «Also ist es eben, Kassapo, wann die Leute sich verschlechtern, wann die rechte Lehre untergeht, daß es mehr der Ordensregeln gibt, aber weniger Mönche gewiß bestehn. Nicht eher, Kassapo, wird der rechten Lehre Untergang offenbar, bis nicht ein Scheinbild der rechten Lehre in der Welt aufgeht; sobald aber, Kassapo, ein Scheinbild der rechten Lehre in der Welt aufgeht, dann wird der rechten Lehre Untergang offenbar. Gleichwie etwa, Kassapo, nicht eher des Goldes Untergang offenbar wird, bis nicht Scheinbild des Goldes in der Welt aufgeht sobald aber, Kassapo, ein Scheinbild des Goldes in der Welt aufgeht, dann wird des Goldes Untergang offenbar: ebenso nun auch, Kassapo, wird nicht eher der rechten Lehre Untergang offenbar, bis nicht ein Scheinbild der rechten Lehre in der Welt aufgeht; sobald aber, Kassapo, ein Scheinbild der rechten Lehre in der Welt aufgeht, dann wird der rechten Lehre Untergang offenbar. - Nicht kann da, Kassapo, Art der Erde, Art des Wassers, Art des Feuers, Art des Windes die rechte Lehre zum Untergang bringen: aber hier eben kommen sie auf, die eitlen Menschen, die diese rechte Lehre zum Untergang bringen.»
Solche Warnungen zeigen klar, daß Gotamo die Kasuistik des Vinayo vorausgesehn und unbezweifelbar abgelehnt hatte. Er wußte gar wohl: je schlechter der Orden, desto mehr der Regeln. Auch er hatte die Erfahrung gemacht, die CAESAR bei SALLUST ausspricht: omnia mala exempla ex bonis initiis orta sunt, alle schlechten Beispiele kommen aus guten Anfängen her; mit dem Revers im TACITUS: das verderbteste Gemeinwesen hat die meisten Gesetze, corruptissima re publica plurimae leges. Hierzu noch Bruchstücke der Reden v. 714, wo der Pilger Nālako, nach einem bedeutsamen kurzen Gespräch über die Lehre, zu Gotamo sagt:
Die Fülle reicher Regelkunst |
Erfind' ich beim Asketen nicht, |
Nicht kommt man zwiefach an sein Ziel: |
Hier ist es einfach ausgedacht. |