Ein traditioneller Pali-Text aus Sri Lanka, dessen Quelle unbekannt ist.
"Oft, ihr Mönche, sollte man über seinen eigenen Geist auf diese Weise nachdenken: 'Lange Zeit hindurch ist dieser Geist von Gier, Haß und Verblendung getrübt worden.' Geistige Makel machen die Wesen unrein; geistige Lauterkeit reinigt sie...
Der Geist ist weitaus bunter als ein vielgestaltiges Gemälde...
Der Geist ist vielfältiger als die Mannigfaltigkeit der Tierwelt...
Deswegen, ihr Mönche, sollte man oft über seinen eigenen Geist auf diese Weise nachsinnen:
'Lange Zeit hindurch ist dieser Geist von Gier, Haß und Verblendung getrübt worden.' Geistige Makel machen die Wesen unrein; geistige Lauterkeit reinigt sie. "
Samyutta Nikāya, Vol. III, Nr. 100 (Auszug)
"Es gibt die folgenden Wurzeln des Unheilsamen: Gier, Haß und Verblendung; und es gibt drei Wurzeln des Heilsamen: Gierlosigkeit, Haßlosigkeit und Unverblendung."
Digha Nikaya, Nr. 33: Sangiti Sutta
Definitionen: Diese zwei Dreiergruppen sind die Wurzel-Ursachen für unheilsames oder heilsames willentliches Wirken (Kamma) durch Taten, Worte und Gedanken.
Der Begriff Wurzel (múla) ist gemäß der kommentariellen Tradition zu verstehen als starke Unterstützung, Ursache, Bedingung und Erzeuger. In Einklang mit dem bildlichen Charakter des Begriffes kann die "Wurzel" betrachtet werden als Zubringer des nährenden Saftes - heilsam oder unheilsam - für die Geistesfaktoren und ihre Funktionen, die gleichzeitig bestehen, sowie für die heilsamen und unheilsamen Handlungen, die aus diesen Wurzeln sprießen.. Sie sind Erzeuger, weil sie Wiedergeburt erzeugen.
Die Wörter unheilsam und heilsam sind, wie hier gebraucht, Übersetzungen der Pali-Begriffe akusala und kusala. Die Begriffe heilsam und unheilsam umfassen alle willentlichen Handlungen (Kamma), welche die Lebewesen an den Samsāra, die "Runde der Wiedergeburt und des Leidens" fesseln. Die Betätigungen, denen diese Wurzeln zugrunde liegen, gelten daher als karmisch heilsam oder unheilsam. Der Bereich des Unheilsamen ist somit größer als der des Unsittlichen, weil es z.B. solche Formen der Gier einschließt, die im strikten Sinne nicht unsittlich, obwohl für die Leiderlösung hinderlich sind (siehe Einführung und Erläuterung zu Text 8). Das Heilsame, wie es hier und in den meisten der folgenden Texte behandelt wird, ist von weltlicher Art (lokiya-kusala). Das Heilsame der überweltlichen Art (lokutara-kusala) erzeugt kein Kamma und führt deswegen nicht zur Wiedergeburt (siehe Text 11)*.
*[ Weltlich" (lokiya) sind alle diejenigen Bewußtseinszustände, die nicht mit den vier Heiligkeitsstufen (Stromeintritt usw.) verbunden sind, beispielsweise des unerlösten Weltlings.
"Überweltlich" (lokuttara) ist das Bewußtsein der vier Heiligkeitsstufen, nämlich des in den Strom Eingetretenen, des EinmalWiederkehrers, des Nicht-Wederkehrers und des Heiligen.]
Die Kommentatoren der Pali-Schriften erklären kusala, das Heilsame, als einen gesunden Geisteszustand (ārogya), als sittlich makellos (anāvajja) und als günstiges oder glückliches Kamma-Ergebnis (sukha-vipāka) habend. Ein anderer Begriffsinhalt von kusala, nämlich befähigt oder geschickt (cheka), ist den Kommentatoren zufolge in diesem Zusammenhang nicht anwendbar. Immerhin können karmisch heilsame Handlungen auch als geschicktes Verhalten bezeichnet werden, da sie ja sowohl zu glücklichem Leben in Gegenwart und Zukunft als auch zum Fortschritt auf dem Pfad zur Befreiung führen.
Akusala, das Unheilsame, hat die gegenteiligen Charakteristiken: es ist ein ungesunder oder krankhafter Geisteszustand (gelañña), sittlich tadelhaft (sāvajja) und unglückliche Kammaergebnisse (dukkha-vipāka) erzeugend. Aus all diesen Gründen kann gesagt werden, daß unheilsame Handlungen in Gedanken, Worten und Taten ungeschickte Reaktionen auf das Leben sind.
Zwei dieser Kommentar-Erklärungen sind einer Lehrede des Buddha, "Der Mantel" (Bāhitika Sutta, Majjhima Nikaya, Nr. 88), entnommen: nämlich „sittlich tadelhaft" oder "makellos" (sāvajjo, anāvajjo) und "unglückliche oder glückliche Kammawirkungen" habend (dukkha-, sukha - vipāka). Die Lehrrede fügt hinzu, daß das Unheilsame Beschwernis und Schädigung (sabyāpajjo) mit sich bringt, während das Heilsame frei von Beschwernis und Schädigung (abyāpajjo) ist. Das entspricht der kommentariellen Beschreibung des Unheilsamen als eine ungesunden und des Heilsamen als eines gesunden Geisteszustandes.
I. DAS UNHEILSAME. - Die drei unheilsamen Wurzeln sind nicht auf jene sehr starken Erscheinungsformen beschränkt, die durch die deutschen Begriffe Gier, Haß und Verblendung ausgedrückt werden. Zum Verständnis ihres Geltungsbereiches ist es wichtig zu wissen, daß diese drei Begriffe in den buddhistischen Texten für alle Stärkegrade gebraucht werden, selbst für deren schwächste Formen und für alle Varianten, in denen diese drei unheilsamen Triebkräfte erscheinen. Bei den schwächeren Erscheinungsformen sind die unheilsamen Einflüsse auf den Charakter und die karmischen Folgen, die sie hervorbringen, natürlich nicht so schwerwiegend wie bei den stärkeren Formen. Aber sogar schwache Formen von Gier, Haß und Verblendung bringen die Gefahr mit sich, entweder allmählich stärker zu werden oder den Charakter des Menschen empfänglicher zu machen für deren stärkere und gefährlichere Erscheinungsformen.
Es folgen nun einige Beispiele für die verschiedenen Erscheinungsformen der drei unheilsamen Wurzeln.
Gier: Begierde, Machtgier, Sucht, Ruhmsucht, Habsucht, Trunksucht, Begierde nach den fünf Sinnesobjekten, Verlangen, Sehnsucht, Neigung, Zuneigung, Anhänglichkeit, Vorliebe, Verliebtheit.
Haß: Wut, Zorn, Rachsucht, Abscheu, Ärger, Übelwollen, Unwillen, Widersetzlichkeit, Abneigung, schlechte Laune, Widerwillen, Verdruß, Ressentiment.
Verblendung: Unwissenheit (von wesentlichen Dingen, z. B. den vier edlen Wahrheiten), falsche Ansichten, Fanatismus, Dünkel, Verwirrung, Stumpfsinn, Dummheit, Vorurteil, Dogmatismus.
II. DAS HEILSAME umfaßt trotz der negativen Formulierung der drei Begriffe auch ihre positiven Gesichtspunkte.
Gierlosigkeit: Selbstlosigkeit, Freigebigkeit, Großzügigkeit, Opferbereitschaft, Verzicht, Entsagung, Freiheit von Leidenschaft.
Haßlosigkeit: Güte, Mitgefühl, Sympathie, Freundlichkeit, Versöhnlichkeit, Nachsicht.
Unverblendung: Weisheit, Einsicht, Verständnis, Wissen, Urteilskraft, Scharfsinn, Unparteilichkeit, Gleichmut.
"Gier hat das Merkmal, einen Gegenstand zu ergreifen wie Vogelleim (lit. Affenleim). Ihre Funktion ist das Anhaften oder Kleben, wie ein in eine heiße Pfanne gelegtes Stück Fleisch anklebt. Sie manifestiert sich als Unwilligkeit, ihr Objekt aufzugeben, so wie Lampenruß schwer entfernbar ist. Ihre unmittelbare Ursache ist das Vergnügen an Dingen, die zur Fesselung führen. Anschwellend durch die Strömung heftiger Begierde, schwemmt Gier die Wesen mit sich in elende Daseinsformen, wie ein reißender Fluß seine Fluten ins Meer trägt.
Haß hat das Merkmal eines wilden Geisteszustandes, wie der einer gereizten Schlange. Seine Funktion ist es, sich auszubreiten wie ein Tropfen Gift im Körper oder gar den eigenen Nährstoff aufzuzehren, wie ein Waldbrand. Haß hat die Erscheinungsweise, den Hassenden zu verderben, wie ein Feind, der eine Gelegenheit dafür hat. Seine unmittelbare Ursache sind die in den Lehrreden angegebenen Gründe für Ärgernis (āghāta vatthu; siehe A.V.150). Er sollte wie abgestandener Urin betrachtet werden, der mit Gift vermischt ist.
Verblendung hat das Merkmal geistiger Blindheit oder das der Unwissenheit. Ihre Funktion ist die Unfähigkeit zu verstehen, oder das Verbergen der wahren Natur eines Objektes. Sie erscheint als Mangel an rechter Erkenntnis (Kommentar: mangelnde Kenntnis der Wahrheit vom Leiden usw.) oder als Dunkelheit (des Nichtwissens). Ihre unmittelbare Ursache ist unweise Aufmerksamkeit. Sie sollte als die Wurzel alles Unheilsamen angesehen werden."
Freie Wiedergabe nach Visuddhi Magga
"Gierlosigkeit hat das Merkmal mangelnder Begehrlichkeit für ein Objekt oder mangelnden Anhaftens daran, wie ein Wassertropfen von einem Lotusblatt spurlos abgleitet. Ihre Funktion ist das Nicht-Aufgreifen von Gierobjekten, wie es bei einem befreiten Mönch der Fall ist. Gierlosigkeit zeigt sich darin, daß man die Gierobjekte nicht mehr als seine Zuflucht betrachtet (nicht mehr in ihnen Geborgenheit sucht); oder darin, daß man sich nicht daran klammert, ebensowenig wie ein Mann, der in Unrat gefallen ist.
Haßlosigkeit hat das Merkmal, von der Wildheit des Geistes frei zu sein, oder das Merkmal der Nicht-Widersetzlichkeit, wie bei einem gleichgesinnten Freund. Seine Funktion ist die Beseitigung von Verärgerung oder das Beschwichtigen des durch Haß erregten Fieberns des Geistes, gleich der besänftigenden Wirkung des Sandelholzes. Haßlosigkeit zeigt sich als etwas Wohltuendes wie das Licht des Vollmonds.
Unverblendung hat das Merkmal, die Dinge ihrer wahren Natur gemäß zu durchschauen, oder das Merkmal sicherer Durchdringung, wie die Durchschlagskraft eines Pfeiles, der von einem geschickten Bogenschützen abgeschossen wurde. Ihre Funktion ist das Beleuchten des gegenständlichen Umfeldes wie eine Leuchte. Sie zeigt sich als Unverworrenheit, gleich der eines sicheren Bergführers.
Diese drei Eigenschaften hat man als die Wurzeln alles Heilsamen zu betrachten.
Freie Wiedergabe nach Visuddhi Magga
"Gierlosigkeit ist ein Gegensatz zum Makel des Geizes, Haßlosigkeit zum Makel der Unsittlichkeit und Unverblendung zum Makel eines unentwickelten Zustandes heilsamer Eigenschaften.
Gierlosigkeit ist eine Bedingung für Freigebigkeit (dāna), Haßlosigkeit ist eine Bedingung für Tugend (sila), und Unverblendung ist eine Bedingung für geistige Entwicklung (bhāvanā).
Durch Gierlosigkeit wird man anziehende Personen oder Objekte nicht überschätzen, wie es gelüstige Menschen tun. Durch Haßlosigkeit wird man unliebsame Personen oder Objekte nicht unterschätzen oder mißbilligen, wie es haßerfüllte Menschen tun. Durch Unverblendung hat man eine unverzerrte Ansicht der Dinge, während ein Verblendeter sich die Dinge auf verzerrte Weise vorstellt.
Durch Gierlosigkeit wird man einen bestehenden Fehler (in anziehenden Objekten oder Personen) zugeben und sich entsprechend verhalten, während eine giererfüllte oder lüsterne Person den Fehler verbergen wird (sich selber und anderen gegenüber).
Durch Haßlosigkeit wird man eine bestehende Tugend (unliebsamer oder feindlicher Personen oder Objekte) zugeben und sich entsprechend verhalten, während der Haßerfüllte diese Tugend herabsetzen wird. Durch Unverblendung wird man Tatsachen annehmen, wie sie sind, und sich entsprechend verhalten, während ein verblendeter Mensch das Richtige für falsch und das Falsche für richtig hält.
Durch Gierlosigkeit erfährt man nicht das Leid der Trennung von Geliebtem; der Gierige und Lüstende jedoch identifiziert sich mit dem Geliebten und kann daher eine Trennung nicht ertragen. Durch Haßlosigkeit hat man nicht das Leid einer Vereinigung mit Ungeliebtem; aber der Haßerfüllte identifiziert sich mit (seiner Abneigung gegenüber) Ungeliebtem und kann die Vereinigung mit ihm nicht ertragen. Durch Unverblendung erfährt man nicht das Leid des Nicht-Erlangens von Gewünschtem, weil ein unverblendeter Mensch fähig ist, auf folgende Weise nachzudenken: 'Wie kann es möglich sein, daß das, was dem Verfall unterworfen ist, nicht verfallen sollte!'
Durch Gierlosigkeit erfährt man nicht das Leiden der Geburt, weil Gierlosigkeit das Gegenteil des Begehrens (tanhā) ist, und Begehren liegt dem Leid der Geburt zugrunde. Durch Haßlosigkeit wird das Leiden des Alterns nicht (so stark oder vorzeitig) empfunden, denn starker Haß läßt einen schnell altern. Durch Unverblendung gibt es kein leidvolles Sterben, denn es ist Sterben mit einem verwirrten und verblendeten Geist, das dann Leiden bringt, und dies geschieht nicht bei einem Unverblendeten.
Gierlosigkeit erwirkt ein glückliches Leben unter weltlichen Menschen (die oft um Besitztum streiten). Unverblendung bewirkt ein glückliches Leben unter Geistlichen und Mönchen (die oft über Meinungen streiten). Haßlosigkeit bringt glückliches Leben mit allen.
Durch Gierlosigkeit gibt es keine Wiedergeburt im Reich der (hungernden) Geister (preta): weil Lebewesen gewöhnlich so wiedergeboren werden wegen ihrer heftigen Begierde; doch Gierlosigkeit (Selbstlosigkeit, Verzicht) ist dem Begehren entgegengesetzt. Durch Haßlosigkeit gibt es keine Wiedergeburt in den Höllen, denn es ist durch Haß und ein heftiges Temperament, daß Lebewesen in der Hölle wiedergeboren werden, die mit Haß geistesverwandt ist; aber Haßlosigkeit (Güte, mettā) ist dem Haß entgegengesetzt. Durch Unverblendung gibt es keine Wiedergeburt in der Tierwelt, da die Lebewesen gewöhnlich wegen ihrer Verblendung als Tiere wiedergeboren werden, die immer verblendet sind; aber Unverblendung (Weisheit) ist der Verblendung entgegengesetzt.
Von diesen drei verhindert Gierlosigkeit die Annäherung an Lust, Haßlosigkeit verhindert die Entfremdung durch Haß und Unverblendung verhindert den Verlust des inneren Gleichmaßes (und der Unparteilichkeit), der von der Verblendung herrührt."
Sub-Kommentar: "Das bezieht sich auf jene Verblendung, die als Zuneigung oder Abneigung erscheint. Wenn durch einen Wechsel im Schicksal oder durch fortgesetztes Unglück (oder Leid) Abneigung auftritt, kann die (meditative) Betrachtung der Gefühle nicht erfolgreich sein. Aber durch den Einfluß der Unverblendung (Weisheit, Einsicht) wird die Zuwendung zu den Grundlagen der Achtsamkeit, und zwar der Gefühlsbetrachtung (vedanā satipatthāna), erfolgreich sein."
"Weiterhin entsprechen diesen drei heilsamen Wurzeln, in der erwähnten Reihenfolge, die, folgenden drei Gesinnungen: die entsagende, haßlose und friedfertige Gesinnung(*1); sie entsprechen auch den meditativen Themen (saññā) der Unreinheit des Körpers, den Erhabenen Weilungen (*2) und der Analyse der Elemente. Durch Gierlosigkeit wird das Extrem des Sinnengenusses vermieden; durch Haßlosigkeit vermeidet man das Extrem der Selbstkasteiung; durch Unverblendung wird ein Mittelkurs gesteuert.
(*1) nekkhamma-, abyāpāda-, avihimsā-saññā. In diesen dreien besteht die 'rechte Gesinnung', d.i. das zweite Glied des Achtfachen Pfades. Statt des Pali-Begriffs saññā (geistige Vorstellung, Idee, Thema) wurde daher die Bezeichnung 'Gesinnung' gewählt.
(*2) brahma-vihira: Güte, Mitleid, Mitfreude, Gleichmut - Der Text hat hier das weniger bekannte Synonym appamaññā, die Unbegrenzten (Geisteszustände).
Gierlosigkeit bricht die körperliche Fessel (kāyagantha) der Begehrlichkeit, Haßlosigkeit bricht die körperliche Fessel des Übelwollens, und Unverblendung bricht die anderen beiden Fesseln (nämlich die Fessel der Anhänglichkeit an Riten sowie die Fessel des Dogmatismus).
Durch die ersten zwei heilsamen Wurzeln wird man in der Übung der ersten zwei Grundlagen der Achtsamkeit (d. i. Körper und Gefühle) erfolgreich sein; durch die dritte heilsame Wurzel (Unverblendung) wird man in der Übung der letzten beiden Grundlagen der Achtsamkeit (Geisteszustand und Geistesinhalte) Erfolg haben.
Gierlosigkeit ist eine Bedingung für Gesundheit, weil einer, der nicht begehrlich ist, sich kaum auf Unzuträgliches einlassen wird, selbst wenn es sehr verlockend ist; deswegen bleibt er gesund.
Haßlosigkeit ist eine Bedingung für Jugendlichkeit, weil einer, der frei von Haß ist, nicht von den Flammen des Hasses verzehrt wird, wodurch Runzeln und graue Haare entstehen; so bleibt er für lange Zeit jugendlich.
Unverblendung schließlich ist eine Bedingung für Langlebigkeit, wird doch einer, der unverblendet ist, wissen, was zuträglich und was schädigend ist, und durch Vermeiden des Schädlichen sowie durch Pflege des Zuträglichen wird er ein langes Leben haben.
Gierlosigkeit ist eine Bedingung für den Segen des Wohlstandes (bhoga-sampadā), weil einer, der nicht begehrlich ist, durch seine Freigebigkeit Wohlstand (als ein karmisches Ergebnis) erreichen wird. Haßlosigkeit ist eine Bedingung für den Segen der Freundschaft, weil man durch Liebenswürdigkeit Freunde gewinnen und nicht verlieren wird.
Unverblendung ist eine Bedingung für den Segen der Selbstentwicklung, weil einer, der unverblendet ist und nur Heilsames wirkt, sich selbst vervollkommnen wird.
Durch Gierlosigkeit ist man ebenso unangehangen gegenüber Personen und Dingen, die einem selber zugehören, wie man es fremden Personen und Dingen gegenüber ist, weil im Falle ihres Verlustes nicht das Leid empfunden wird, wie es aus starkem Anhaften erwächst. Bei der Haßlosigkeit gilt dasselbe im Falle von Personen und Dingen, die einer feindlich gesinnten Gruppe zugehören, wird doch der Haßfreie keinen Gedanken der Feindschaft hegen selbst gegenüber ihm feindlich Gesinnten. Auch für die Unverblendung gilt dasselbe bei Personen und Dingen, die indifferent sind, weil ja in dem Unverblendeten kein starkes Anhaften an irgend jemand oder irgend etwas besteht.
Dank der Gierlosigkeit wird man die Vergänglichkeit besser verstehen, da ein gieriger Mensch wegen seines Verlangens nach Vergnügen kaum die Vergänglichkeit flüchtiger Phänomene zu erkennen vermag. Durch Haßlosigkeit wiederum wird das Leiden verständlicher, da einer, der nicht zu Haß neigt, die Anlässe zu Ärgernis in sich aufgehoben hat und die Phänomene als leidvoll ansieht. Durch Unverblendung wird man die Lehre vom Nicht-Ich verstehen, ist doch der Unverblendete fähig, die Natur der Wirklichkeit zu verstehen und einzusehen, daß die fünf Anhaftensgruppen ohne einen inneren Lenker sind. Gerade so, wie das Verständnis der Vergänglichkeit durch Gierlosigkeit bewirkt wird, werden umgekehrt auch Gierlosigkeit durch das Verständnis der Vergänglichkeit erzeugt. Also:
Durch das Verständnis der Vergänglichkeit entsteht Gierlosigkeit;
durch das Verständnis des Leidens entsteht Haßlosigkeit;
durch das Verständnis des Nicht-Ich entsteht Unverblendung.
Warum sollte jemand Anhänglichkeit an etwas aufkommen lassen, von dem er nur zu gut weiß, daß es unbeständig ist? Und wer wird, wenn er alle Phänomene als leidvoll erkennt, das zusätzliche und so peinigende Leiden des Ärgers und des Hasses in sich erzeugen? Und schließlich: Wer wird, wenn er alle Phänomene als leer von einem Selbst weiß, wieder in Verworrenheit des Geistes zurückfallen wollen?"
Atthasālini.- Kommentar zum Dhammasangani des Abhidhamma-Pitaka. Aus dem Abschnitt über das Heilsame Bewußtsein der Sinnensphäre (PTS Ausg. des Palitextes S. 127 f.).