DIE HEILSLEHRE DES BUDDHA

VERTIEFUNG

„Ihr, die ihr zum Höchsten strebt,
ihr habt das Gute zu lassen,
geschweige denn das Ungute."

Die Sittlichkeit ist die Grundlage in der Heilslehre des Buddha ebenso wie in allen anderen Religionen. Das zu betonen ist nötig, denn der Abendländer ist geneigt, von der Buddhalehre nur den weltanschaulichen Teil zu sehen und das Wissen wichtiger zu nehmen als die Selbstzucht, obwohl der Buddha ausdrücklich betont, dass das eine vom anderen abhängt.

"Wieweit Weisheit, soweit Zucht;
Wieweit Zucht, soweit Weisheit;
Zucht und Weisheit sind das Beste in der Welt."

Wer sich nicht von den gröbsten Schlacken befreit, ist nicht aufgeschlossen für die Erkenntnis aller Zusammenhänge, und wer sich nicht immer wieder dem Guten ergibt, vermag den weiteren Weg nicht zu gehen. Nur durch die rechte Sittlichkeit erhält der Anhänger jenes sichere Fundament, das ihn für die schweren Aufgaben befähigt. Die Zucht wird ihm zur höchsten Wichtigkeit, weil sie die Voraussetzung ist, um die Innenarbeit durchführen zu können. Ein ungeläutertes Inneres, ein von Gier, Haß und Wahn erfüllter Mensch ist in seinem Außen und Innen viel zu bewegt, um jener Tiefenarbeit und Erkenntnis fähig zu sein, auf die es im Weiteren ankommt.

Neben der Sittlichkeit ist die Reinheit des Körpers zu pflegen, die in der Heilslehre des Buddha nicht durch strenge Askese oder bestimmte Speise- und Reinigungsvorschriften erreicht wird, sondern in der allgemein gültigen Anweisung von Maß und Mitte und somit auch nur maßvoller Nahrungsaufnahme. Für den Laienanhänger gilt als vorteilhaft, möglichst von einfacher Nahrung zu leben. Fastentage oder Nahrungseinschränkungen gelten als heilsam.

So wichtig der rechte Wandel ist, die Heilslehre des Buddha erschöpft sich nicht darin. Denn alles Tun, das Gute und Schlechte, erweist sich bei tieferer Erkenntnis als Bindung und ist bei weiterem Fortschritt ganz zu lassen. "Beide Handlungen sind Anhängen, wer Gutes tut, schafft sich eine gute Zukunft, wer Böses tut, eine schlechte. Aber beides sind schaffende Kräfte und gehören als solche zum Reiche Maras".[42] Darum stellt der Buddha der zuerst notwendigen Bindung ans Gute das Loslassen von allem, auch vom Guten, gegenüber. Dem Tun des Guten und dem Lassen des Bösen im Anfang des Weges folgt bei weiterem Fortschreiten das richtige Tun und Lassen.

Um auf dem Heilswege die notwendige Tiefe zu erlangen, übt der Buddhist die Meditation. Meditation ist zuerst als bewußte Neugestaltung und Umarbeitung des Bewußtseins anzusehen, da der Tiefenweg nur im Diesseits und durch das Bewußtsein möglich ist. "Vom Bewußtsein wird die Welt gelenkt, an das Bewußtsein ist die Welt gebunden, der Macht des Bewußtseins ist die Welt unterworfen." Ang. Nik.

Da aber die allgewaltig wirksame Bilderwelt des Unbewußten der Träger der Lebensgestaltung, der Hauserbauer ist, so ist seine Durchdringung und Überkommung das nächste Ziel alles religiösen Strebens, das über das eigene Erkennen und Erleben dieser Zusammenhänge, zur völligen Triebvernichtung führt.

Die zügellosen, schlechten Gedanken und Vorstellungen, die von jedem Sinneseindruck bewegt und gelenkt werden, müssen einerseits kontrolliert und vermieden und andererseits durch gute ersetzt, zielgerichtet und bewußt gelenkt werden, damit diese Umgestaltung erreicht wird. Diesbezüglich heißt es:

Keine schlechten Gedanken aufkommen lassen.
Aufgestiegene schlechte Gedanken vertreiben.
Gute Gedanken aufsteigen lassen.
Aufgestiegene gute Gedanken pflegen.

Die schlechten und falschen Gedanken und Vorstellungen sind vom Anhänger des Buddha zu meiden und durch gute und richtige Gedanken und Vorstellungen zu ersetzen. Es kommt also auf eine bestimmte positive Haltung in erster Linie an. Das wird häufig von Außenstehenden übersehen und die Buddhalehre fälschlich als nur lebensverneinend hingestellt. Nur durch die positive Einstellung ist es möglich, das Alte zu überkommen und Neues wirksam wirkend aufzubauen. Das ist ein mühsames Beginnen. Aber das gute Denken und die betont gute Vorstellung muß neu gepflanzt und das Bewußtsein so ausschließlich davon erfüllt werden, daß für nichts anderes mehr Platz ist. Diese Umgestaltung ist nur möglich durch die Beständigkeit guten Denkens, wobei die einfachste Vorstellung und das einfachste Denkobjekt am besten geeignet sind. So staffeln sich die Meditationsobjekte, auf die im weiteren näher eingegangen wird, von den einfachsten Objekten für den Laienanhänger bis zu den umfassenderen und schweren für den in der Einsamkeit lebenden Mönch. Genau so wie die sittlichen Forderungen einen Stufenweg darstellen. Nur wer mit den einfachsten Meditationsobjekten beginnt und sein Bewußtsein damit jeweils restlos erfüllt, hat Aussicht auf Erfolg und die Möglichkeit, auch mit den schweren Objekten, der Leichenbetrachtung und des Todes, einmal ohne Schaden fertig zu werden.

"Ich lehre das Tun und auch das Nichttun.

Ich lehre das Nichttun: Ich lehre, daß schlechter Wandel in Werken, Worten und Gedanken, daß irgendwelche als schlecht und unheilvoll zu bezeichnenden Dinge nicht getan werden sollen.

Und auch das Tun lehre ich: ich lehre, daß guter Wandel in Werken, Worten, Gedanken, daß irgendwelche als heilsam zu bezeichnenden Dinge getan werden sollen." Ang. Nik.

"Während also auf der einen Seite die Mängel irdischer Existenz zum Gegenstand einer die Leidenschaften tilgenden Kontemplation gemacht werden, wird auf der anderen gerade das Positive in den Brennpunkt der Betrachtung gestellt. Diesem weisen Ausgleich ist es zu verdanken, daß sich auf dem Antlitz von Buddhisten, die sich derartigen religiösen Betrachtungen hingeben, zumeist eine strahlende, sieghafte Heiterkeit widerspiegelt, wie man sie von den Bekennern einer Lehre, die alles Irdische als "anicca, dukkha, anatta" (vergänglich, leidvoll, wesenlos) ansieht, nicht erwarten würde. Aber der Buddhismus ist ja keine Religion, die pessimistischen Gedanken um ihrer selbst willen nachhängt, sondern eine Heilslehre, die zur Ruhe, zum Frieden, zur Vollendung führen will. Indem sie ihren Jüngern die ganze Schwere des Daseins mit allem Ernst zum Bewußtsein zu bringen sucht, ist sie zugleich doch bestrebt, ihnen von Anfang an schon einen Vorgeschmack der von ihr als Ziel allen Strebens bezeichneten geistigen Vollkommenheit zu geben, auf dass sie dadurch befriedigt und beglückt den dornigen Weg zum Nirvana in unermüdlicher Entschlossenheit fortsetzen." (H. v. Glasenapp.)

Das für den Laienanhänger einfachste und erste Meditationsobjekt ist die Betrachtung über den Buddha. Sie wird in den östlichen Ländern allgemein vor einem Buddhabild oder einer Buddhaplastik vorgenommen, oder vor einem heiligen Text, einer geweihten Stätte, einem Bobaum, einem Stupa oder in östlicher Himmelsrichtung. Es wird gedacht oder gesprochen:

"Verehrung ihm, dem Erhabenen, Heiligen, Vollerwachten".

(Pali: Namo Tassa Bhagavato Arahato Sammasambuddhassa.)

Diese und die weiterhin erwähnten einfachen Formeln werden stets dreimal, also schon vertiefend, einprägend wiederholt und in den Buddhistischen Ländern vor den Buddhabildern unablässig rezitiert. Ja, "bei Unruhe und Bedrängnis sind solche oder ähnliche Formeln solange herzusagen, bis das Herz zur Ruhe kommt." (Nyanasisi.) Durch die Betrachtung des Buddhabildes, das in der mahnenden Haltung der Meditation dargestellt wird, wird ein erwünschter Kontakt aufgenommen. Durch die Betrachtung der unvergleichlichen Reinheit, Gute, Weisheit und Größe des Buddha wird eine Bindung zum Besten hergestellt und das Vertrauen zum Lehrer und dem Vollendeten geweckt, als der unerläßlichen Vorbedingung zum inneren Geöffnetsein. Die beste Vorstellung, die des meditierenden Buddha, wird gepflegt. Das höchste Idealbild wird bewußt aufgenommen und ins Innere verpflanzt.

Ein Objekt wird zur Grundlage gemacht, das in dieser Form und Art anzuwenden auch dem Kinde und dem einfachsten Menschen mühelos möglich ist. Wie der fromme Christ gläubig positiv ist, bei der Andacht vor einem Heiligenbild oder beim Hersagen des Rosenkranzes, diesen grundlegenden christlichen Meditationen, ist die geistige Haltung des Buddhisten seinen Idealen gegenüber vertrauensvoll positiv.

Das nächste, schon erweiterte, aber ebenso einfache und positive Meditationsobjekt, ist die Betrachtung über die Dreiheit: Buddha, Lehre, Mönchschaft. Die Formel, die dieses Vertrauen besonders betont, lautet:

"Unerschütterliches Vertrauen zu dem Buddha soll uns erfüllen, so zwar:

dies ist der Erhabene, Heilige, vollkommen Erwachte, der Wissens und Wandels Bewährte, der Wegesmächtige, der Weltkenner, der unvergleichliche Leiter der zu bezähmenden Männerherde, der Meister der Götter und Menschen, der Erwachte, der Erhabene."

Unerschütterliches Vertrauen zur Lehre soll uns erfüllen, so zwar:

Wohl verkündet ist vom Erhabenen die Lehre, die Sichtbare, Zeitlose, Einladende, zum Ziele führende."

Unerschütterliches Vertrauen zur Heiligen Mönchsschar soll uns erfüllen, so zwar:

Gut wandelt die Mönchsschar des Erhabenen,
auf dem rechten Wege wandelt die Mönchsschar des Erhabenen,
in Pflichttreue wandelt die Mönchsschar des Erhabenen,
als da sind:
die vier Paare der Heiligen,
die acht Arten der Heiligen.
Das ist des Erhabenen Mönchsschar,
würdig der Gaben,
würdig der Gastfreundschaft,
würdig der Spenden,
würdig des ehrfurchtsvollen Handgrußes,
unvergleichliches Saatfeld der Verdienste in der Welt." [43]

 

Oder als Zufluchtsformel:

der gewöhnlich die 5 Entschlüsse (silas) folgen.

Dieses sind die täglichen Meditationen und Bekenntnisse von Millionen Lippen und Herzen, bei denen es über andere Bewußtseinsinhalte um eine neue Bildsetzung geht, die erste Umgestaltung des Unbewußten. Bei diesen einfachen Objekten geht es darum, den Geist zu sammeln und in eine ruhige und bessere Bahn zu lenken, während den weiteren Meditationsobjekten andere, wichtigere Aufgaben zufallen.

Wer sich auf eine längere Formel oder auf ein längeres Denken nicht konzentrieren kann, sagt, wie schon erwähnt, eine kurze Formel und dieselbe so oft und so lange her, bis ihm dieselbe geläufig wird. Nur durch Übung, d. h. ständige Wiederholung kommt die Zeit, wo aus einer kurzen Formel eine längere werden kann und sich der Segen dieses rechten Denkens zeigt. Für die im vorigen Abschnitt ausführlich dargestellte Mettaübung würde die Formel kurz gefaßt etwa wie folgt lauten und damit gleichzeitig eine überkonfessionelle Formel sein:

„Möge es mir und allen Wesen wohl ergehen."

Zuerst gutes und weiterhin richtiges Denken wird und muß verwirklichen, wer sein Schicksal verbessern, sein Inneres umgestalten und die Grundlage für weiteren Fortschritt schaffen will. Die Heilslehre des Buddha ist ein Stufenweg und zuerst eine praktische Lebenslehre, die ihre Anhänger zu den bestmöglichen Lebensbedingungen und erst später zu anderen, höheren Zielen führt.

Die Betrachtung über den Buddha, Lehre und Mönchschaft —also die ständig geübte Verehrungs- und Zufluchtsformel—schaffen die Grundlage für die geistige Haltung, die für rechtes inneres Wachstum erforderlich ist: das Vertrauen. Denn Vertrauen, nicht Glauben, ist eine der wesentlichen Voraussetzungen in der Buddhalehre. Ja, der Buddha fordert seine Anhänger geradezu auf, ihm nicht zu glauben:

"Geht, Kalamer, nicht nach Hörensagen, nicht nach dem, was von altersher einer dem andern nachredet, nicht nach Gerüchten, nicht nach der Überlieferung der heiligen Schriften, nicht nach bloßen Vernunftsgründen und logischen Deduktionen, nicht nach äußeren Erwägungen, nicht nach Übereinstimmung mit euern Ansichten und Grübeleien, nicht nach dem Scheine der Wirklichkeit, nicht danach, daß der Asket euer Meister ist: Wenn ihr, Kalamer, selber erkennt, daß diese oder jene Dinge schlecht und verwerflich sind, von den Verständigen getadelt werden und ausgeführt oder begonnen, zum Unheil und Leiden führen, so mögt ihr, Kalamer, dieselben aufgeben." [44] Ang. Nik.

Es geht in der Heilslehre des Buddha—und das darf nicht übersehen werden—nicht um Glauben oder um irgend ein Streben, das wohl zu einem hohen ethischen Niveau führen kann, aber für sich allein nur Stückwerk ist. Es geht auch nicht um jene so einseitige Anhäufung von Wissen, die das Kennzeichen unserer Zeit ist, sondern um Ziele, die jenseits solcher Einseitigkeit liegen. Was angestrebt wird, sind stufenweise zu erlangende Erkenntnisse und Einsichten auf dem Weg, den der Buddha lehrt, und dessen höchstes Ziel die Aufhebung des Leidens, die Triebvernichtung ist.

Mit der vertrauensvollen Haltung dem Lehrer, der Lehre und den Bewahrern der Lehre gegenüber unterwirft sich der Anhänger voll bewußt einer Dreiheit, die ihm das Kostbarste ist, was es auf dieser Welt gibt. Dieses Vertrauen wird ihm zum Band, durch das er sich nach geistigem Gesetz an das bindet, was besser, höher, reiner ist als er selbst, und nur wo dieses bewußt geübte und gepflegte Vertrauen vorhanden ist, ist der Weg bereitet für weitere Aufgaben.

Viele der folgenden als Voraussetzungen zu betrachtenden Übungs- und Erkenntnisstufen können auch durch den Laienanhänger angestrebt werden, und die vorhin erwähnten, einfachen Meditationen sind auch ohne diese Vorbedingungen möglich. Im Wesentlichen ist aber die Vertiefung den Mönchen vorbehalten, weil nur im hauslosen Leben die dazu erforderlichen Bedingungen erfüllbar sind. Zu den Vorstufen der Vertiefung, die zuerst auf Ruhe und Konzentration und später auf inneren Gleichmut hinauslaufen, gehören die Sinnenzügelung und die Übung der Achtsamkeit.

"Und wie wacht der Mönch über seine Sinnentore?

Da faßt ein Mönch, wenn er mit dem Auge eine Form erblickt, sie weder als Gesamteindruck auf noch in den Einzelheiten. Deshalb, weil denjenigen, der ungeschützten Auges weilt, Begehrlichkeit, geistiges Elend und böse, ungute Dinge treffen würden, befleißigt er sich dieses Schutzes am Gesichtssinn.

Wenn er mit dem Ohre einen Ton hört, so faßt er ihn weder als Gesamteindruck auf noch in den Einzelheiten. Deshalb, weil denjenigen, der ungeschützten Ohres weilt, Begehrlichkeit, geistiges Elend und böse, ungute Dinge treffen würden, befleißigt er sich dieses Schutzes; er hütet den Gehörsinn; er unterzieht sich des Schutzes am Gehörsinn.

Wenn er mit der Nase einen Geruch riecht, so faßt er ihn weder als Gesamteindruck auf noch in den Einzelheiten. Deshalb, weil denjenigen, der ungeschützter Nase weilt, Begehrlichkeit, geistiges Elend und böse, ungute Dinge treffen würden, befleißigt er sich dieses Schutzes; er hütet den Geruchsinn; er unterzieht sich des Schutzes am Geruchsinn.

Wenn er mit der Zunge einen Geschmack schmeckt, so faßt er ihn weder als Gesamteindruck auf noch in den Einzelheiten. Deshalb, weil denjenigen, der ungeschützter Zunge weilt, Begehrlichkeit, geistiges Elend und böse, ungute Dinge treffen würden, befleißigt er sich dieses Schutzes; er hütet den Geschmacksinn; er unterzieht sich des Schutzes am Geschmacksinn.

Wenn er mit dem Körper ein Gefühl fühlt, so faßt er es weder als Gesamteindruck auf noch in den Einzelheiten. Deshalb, weil denjenigen, der ungeschützten Körpers weilt, Begehrlichkeit, geistiges Elend und böse, ungute Dinge treffen würden, befleißigt er sich diese Schutzes; er hütet den Gefühlssinn; er unterzieht sich des Schutzes am Gefühlssinn.

Wenn er mit dem Denken ein Ding begreift, so fasst er es weder als Gesamteindruck auf noch in den Einzelheiten. Deshalb, weil denjenigen, der ungeschützten Denkens weilt, Begehrlichkeit, geistiges Elend und böse, ungute Dinge treffen würden, befleißigt er sich dieses Schutzes; er hütet den Denksinn; er unterzieht sich des Schutzes am Denksinn." Digh. Nik.

Mit dieser Zügelung der Sinne setzt die bewußte Abkehr vom Außen ein. Es gilt, der Außenwendigkeit Halt zu gebieten; denn das Außen ist es in erster Linie, das dem Lebensdurst den Brennstoff liefert. Wem es ums Freisein vom Leiden geht—und das ist der tiefe Sinn aller Religionen—der darf sich nicht betören lassen von dem sinnenfesselnden Außen, das durch Gestalt, Ton, Duft, Geschmack, Getast und Begreifen das Bewußtsein erfüllt, von den notwendigen Aufgaben und dem inneren Gleichgewicht abgelenkt und sich ins Unbewußte niederschlägt, um Neigung, Trieb, Sucht und Durst zu neuem Greifen zu werden. Denn im Bewußtsein einerseits und im Unbewußten andererseits kommen die Bindungen zustande, die zu erkennen und aufzulösen die nächste weit schwierigere Aufgabe ist. Nur durch völlige Gemütsruhe (samatha) und Einsicht (vipassana) ist diese Erkenntnis und Durchführung möglich.

Die Zusammenhänge vom Sinneseindruck bis zur Leidensverkettung werden mit einer Gründlichkeit und nüchternen Exaktheit ins Licht des Bewußtseins gehoben und begreifbar gemacht, die ihresgleichen nicht wieder finden. Nur die durchdringende Erkenntnis dieser Zusammenhänge gewährleistet die notwendige Abkehr und Ablösung.

Sechs innere Grundlagen muß man verstehen:

Sechs äußere Grundlagen muß man verstehen:

Sechs Bewußtseinsarten muß man verstehen:

Durch Auge und Form bedingt entsteht das Selbstbewußtsein.

Sechs Berührungsarten muß man verstehen:

Durch Auge und Form bedingt entsteht das Sehbewußtsein, durch Zusammenwirken der drei entsteht der Sinneneindruck;

Sechs Gefühlsarten muß man verstehen:

Durch Auge und Form bedingt entsteht das Sehbewußtsein, durch Zusammenwirken der drei entsteht der Sinneneindruck,

durch Sinneneindruck bedingt ist das Gefühl.

Sechs Begehrensarten muß man verstehen:

Durch Auge und Formen, ihr Mönche, bedingt entsteht das Sehhewußtsein; durch Zusammenwirken der drei entsteht der Sinneneindruck; durch Sinneneindruck bedingt ist das Gefühl, durch Gefühl bedingt ist das Begehren.

Durch Auge und Formen, ihr Mönche, bedingt entsteht das Sehbewußtsein;

durch Zusammenwirken der drei entsteht der Sinneneindruck;

durch Sinneneindruck bedingt entsteht das, was als freudig oder leidig oder als weder freudig noch leidig empfunden wird. Wenn einer von einem freudigen Gefühl betroffen wird, so ergötzt er sich nicht daran, bejaht es nicht, hält es nicht fest; dem hängt Lustneigung nicht an.

Wenn einer von einem leidigen Gefühl betroffen wird, so empfindet er nicht Kummer und Unbehagen; er weint nicht und schlägt sich nicht die Brust; er kommt nicht von Sinnen; dem hängt Widerstandsneigung nicht an.

Wenn einer von einem weder leidigen noch freudigen Gefühl betroffen wird, so erkennt er wirklichkeitsgemäß dieses Gefühls Entstehen und Vergehen nicht an.

Wenn, ihr Mönche, der wohlbelehrte Hörer des Edlen so durchschaut, so wird er des Auges überdrüssig, er wird der Formen überdrüssig, er wird des Augbewußtseins überdrüssig, er wird der Augberührung überdrüssig, er wird des Gefühls überdrüssig, er wird des Begehrens überdrüssig, überdrüssig wird er entsüchtet, in der Entsüchtung wird er frei, im Befreiten ist das Wissen vom Befreitsein; versiegt ist Geburt, ausgelebt das Reinheitsleben, vollbracht die Aufgabe!—so erkennt er." [45]

Majjh. Nik.

Mit dieser Zügelung der Sinne, die die Bildung weiterer karmischer Bildekräfte verhindern soll und auf ihre Umwandlung und Ablösung hinzielt, geht die Schulung der Achtsamkeit einher.

Mit der Übung der Achtsamkeit (satipatthana) wird eine mehrfache Absicht verfolgt. Es gilt, das sich in ständiger Unruhe befindende Denken, das einem von Ast zu Ast springenden Affen vergleichbar ist, in Gewalt zu bekommen und zur Ruhe zu bringen. In gleicher Weise muß dies mit jedem andern Sinn geschehen. [46] Von den zur Maßlosigkeit und Übertreibung neigenden Sinnen sind besonders dem den Indern als 6. Sinn geläufigen Denksinn Grenzen zu setzen. In der ständig wachen Bewußtheit wird das Denken an das Tun gebunden und damit auf den ihm gebührenden Platz verwiesen, der ihm um der Ganzheitwillen zukommt, und damit wird die Vormachtstellung des Intellektes gebrochen. Dem natürlichen Gefälle überlassen, neigt der Denksinn wie alle Sinne zur Verhaftung, zum Denken um des Denkens willen und damit zur Übertreibung und Unruhe, zu Hochmut und Dünkel. Die Kennzeichen falschen Denkens beginnen durch diese Übung zu schwinden. Die Bindung des Bewußtseins an den Atem gilt als erste und beste Methode zu der so wichtigen und notwendigen Achtsamkeit.

"Da begibt sich, ihr Mönche, ein Mönch in den Wald oder an den Fuß eines Baumes oder in ein leeres Haus und läßt sich mit gekreuzten Beinen nieder, den Körper gerade aufgerichtet, die Aufmerksamkeit voll gewärtig haltend.

Aufmerksam atmet er ein, aufmerksam atmet er aus; wenn er lang einatmet, so weiß er: Ich atme lang ein; wenn er lang ausatmet, so weiß er: Ich atme lang aus; wenn er kurz einatmet, so weiß er: Ich atme kurz ein; wenn er kurz ausatmet, so weiß er: Ich atme kurz aus; Den Atem klar empfindend, werde ich einatmen, so übt er sich.

Den Atem klar empfindend, werde ich ausatmen, so übt er sich.

Diesen Körper-Vorgang beruhigend werde ich einatmen, so übt er sich.

Diesen Körper-Vorgang beruhigend werde ich ausatmen, so übt er sich." [47] Digh. Nik.

So wird alles Tun mit dem Denken in Übereinstimmung und hinab bis zu den feinsten Regungen unter die Kontrolle der Achtsamkeit gebracht. Eine Übung auf dem Wege der Meditation, die für die Befreiung von ausschlaggebender Bedeutung ist; gilt es doch auch über Bilder und Reaktionen, die in der Vertiefung zutage treten, völlige Klarheit zu gewinnen, um dieselben richtig verwerten oder sofort auflösen zu können. Die Ablösung von jeder Bindung bleibt das nächste Ziel. [48]

Was von den karmischen Bildekräften gesagt wurde, gilt in gleicher Weise vom Denken und den andern Sinnen. Es gilt als starke Lebensverhaftung, wenn das Sinnenleben übertrieben wird. Wenn das Auge zu viel sieht, das Ohr zu viel hört, die Zunge zu viel schmeckt, der Verstand zu viel denkt und sich damit von Maß und Mitte immer mehr entfremdet. Zu erstreben ist die Gleichgewichtslage eines ruhigen, ungestörten Gemüts, um tieferer Zwecke willen.

Durch die Achtsamkeit bei allem Denken, Sprechen und Handeln kommt es zum Aufhören des Unruhe und Leiden schaffenden Haftens an der Um- und Innenwelt und einer zielbewußten Umgestaltung des Innern um seines Abbaus willen.

"Der Mönch weiß, wenn er geht: Ich gehe; weiß, wenn er steht: Ich stehe; weiß, wenn er sitzt: Ich sitze; weiß, wenn er liegt: Ich liege. Und wie immer seines Körpers Haltung ist, dementsprechend kennt er ihn.

Und weiter noch, ihr Mönche, ist ein Mönch beim Vorwärtsgehen und beim Zurückgehen sich dieses Tuns voll bewußt. Beim Hinblicken und Wegblicken ist er sich dieses Tuns voll bewußt. Beim Beugen und Strecken ist er sich dieses Tuns voll bewußt. Beim Tragen des Unter- und Obergewandes, der Almosenschale, beim Kauen und Schlucken ist er sich dieses Tuns voll bewußt. Beim Gehen, Stehen und Sitzen, beim Schlafen und Wachen, beim Sprechen und Schweigen ist er sich dieses Tuns voll bewußt." Digh. Nik.

An anderer Stelle heißt es dazu:

"Für einen in der Schulung begriffenen Mönch, der noch nicht im Besitz der Vollendung ist—und der auf ein inneres Hilfsmittel bedacht ist—, sehe ich auch nicht ein so nutzbringendes Heilmittel wie, ihr Mönche, gründliche Achtsamkeit.

Ein Mönch, der gründliche Achtsamkeit übt, gibt das Unheilsame auf und pflegt das Heilsame." Itiv.

"Die Achtsamkeit hemmt alle Ströme der Leidenschaften in der Welt." Sutta Nip. (s. a. Nyanaponika "Satipatthana" Verlag Christiani, Konstanz.)

Eine solche Selbstkontrolle ist für den Weltmenschen schwer durchführbar, weil sein Dasein zum größten Teil durch Reaktionen auf die Sinneseindrücke, durch unrichtiges Denken und durch Bindung an alles und jedes ausgefüllt ist.

Sittlichkeit aber, selbst hohe Sittlichkeit, die wohl in ihren Auswirkungen viel Leid zu lindern vermag, macht nicht frei vom Leiden, das sich aus allen Verkettungen ergibt.

"Gering, ihr Mönche, und von untergeordneter Bedeutung, nichts als sittliche Zucht ist das, was die Alltagsmenschen wohl meinen, wenn sie mit Anerkennung vom Vollendeten sprechen. Schwer zu verstehen und zu verwirklichen ist die Lehre der Vollendeten."

Es kommt auf tiefere Wandlungen an, wenn es zu einer durchgreifenden Umgestaltung des Innern und damit zur Loslösung schlechthin kommen soll. Der Weg geht über die Vertiefung (Meditation), die bewußte Hinarbeitung zum Unbewußten. Denn das Bewußtsein ist der eine Pol, das Unbewußte der andere. Die bisher erwähnte Arbeit am Bewußtsein ist die eine und der nun folgende Tiefenweg ins Unbewußte, zur Trieberkennung und Triebvernichtung, die andere Aufgabe.

So einfach diese Bewußtseinsumstellung scheint, so sehr verlangt sie eine bestimmt ausgerichtete, meditative Einstellung. Es gibt kaum etwas Schwierigeres für den Weltmenschen als zuerst gut und später richtig zu denken und diese Selbstzucht beharrlich durchzuführen. Aber diese Selbsterziehung ist eine wichtige und einzig erfolgversprechende Aufgabe. Und hier wird erst der im vorigen Abschnitt behandelte rechte Wandel als innere Läuterung, als Gewissensbildung und richtiges Verhalten zur Umwelt voll bedeutsam. Denn nur die bewußt gepflegte innere Reinheit und das bewußt erstrebte Wohlwollen zu allen Wesen geben die Ruhe und geistige Konzentration, die zu den nächsten Stufen, zum Gestilltsein, zur Gemütsruhe und später zum Gleichmut führen. So kommt es des weiteren darauf an, das Denken, diese unruhigste Sinnentätigkeit, in Gewalt zu bekommen, dann neu zu bilden, abklingen zu lassen und still zu sein. Obgleich die Entwicklung des Intellektes eine der wichtigsten Voraussetzungen für die durchdringende Erkenntnis ist, werden in den ständig geübten und gepflegten Meditationen die Bedingungen geschaffen, die das Inerscheinungtreten des Intellektes als primäre Funktion verhindert, da alle Meditationen über die ausschließliche Denktätigkeit hinaus, zum anschaulichen Erleben führen.

In den weiteren Stufen der Vertiefung darf letzten Endes keine Sinnesfunktion mehr herrschen, auch nicht der zuerst in Tätigkeit gesetzte und gewöhnlich überbetonte Denksinn. Dazu bedarf es einer Übung, die dem Sinnen und Denk-verhafteten Abendländer besonders schwer fällt, ja, ihm geradezu nutzlos erscheint, da sich sein Leben innerhalb des durch die Sinne und den sechsten Sinn, das Denken, Wahrnehmbaren abspielt. Jedoch nur bei Regulierung, Einschränkung und schließlich Ausschaltung jeder Sinnestätigkeit kommt es zur Verschmelzung des Bewußtseins und Unbewußten und damit zur Bildung des Überbewußten, als einer weiteren, aber auch noch nicht letzten Stufe. Diese gipfelt im Lassen von Allem, im völligen Gleichmut. Zusammenfassend sei also wiederholt, daß am Anfang das gute Denken als Ziel steht, dann das rechte Denken und am Schluß das Lassen allen Tuns. "Wer weiter kommen will, muß die Differenzierungen wieder einschmelzen." (H. v. Keyserling.)

"Solange ich Gedanken erleide, ist es für mich das Schlechtere; solange ich nicht Gedanken erleide, ist es für mich das Bessere. Denn wenn ich nun denken und Gedanken bilden würde, so würden die Wahrnehmungsformen mir schwinden und andere, grobe Wahrnehmungsformen entstehen. Es wäre vielleicht besser, wenn ich nicht denken, nicht in Gedanken bilden würde!

Der denkt dann eben nicht und bildet nicht in Gedanken.

Und weil er nicht denkt und nicht in Gedanken bildet, so schwinden ihm eben diese Wahrnehmungsformen und andere, grobe Wahrnehmungsformen entstehen nicht. Der erlebt das Aufhören des Wahrnehmungsvermögens.

So erreicht man stufenweise, vollbewußt, den Zustand des höchsten Aufhörens der Wahrnehmungsfähigkeit." [49] Digh. Nik.

Bei den hier folgenden Übungen handelt es sich um Vorbedingungen, die erfüllt sein, um Stufen, die gegangen werden müssen. Es ist unmöglich, Meditation richtig zu üben und richtige Resultate zu erzielen, wenn diese Vorbedingungen nicht erfüllt werden, genau so erfüllt werden, wie die vorher genannten Vorstufen des sittlichen Lebens.

Das sichtbare Ergebnis eines derart systematisch geläuterten und vorbereiteten Innern ist die Zufriedenheit.

"Und wie ist ein Mönch befriedigt? Da ist ein Mönch zufrieden mit dem Gewande, das den Körper deckt, mit der Speise im Bettelnapf, die den Leib erhält. Wohin auch immer er gehen mag, mit diesem versehen geht er. Gleich wie der beschwingte Vogel, wohin auch immer er fliegt, mit seinen Fittichen belastet fliegt, ebenso auch ist ein Mönch zufrieden mit dem Gewande, das den Körper deckt, mit der Speise im Bettelnapf, die den Leib erhält. Wohin auch immer er gehen mag, mit diesem versehen geht er. So ist ein Mönch befriedigt." [50] Digh. Nik.

Von der nächsten, weit schwereren Vorbedingung zur Vertiefung heißt es:

"Gerüstet mit dieser edlen Sittlichkeit, gerüstet mit dieser edlen Sinneskontrolle, gerüstet mit dieser edlen Achtsamkeit und Besonnenheit, gerüstet mit dieser edlen Genügsamkeit, wählt der sich eine einsame Lagerstätte, eine Waldeinöde, die Wurzel eines Baumes, einen Berg, eine Schlucht, eine Felsenhöhle, einen Begräbnisplatz, ein einsames Gehölz, einen freien Platz, einen Strohhaufen.

Nach dem Mahle, vom Bettelgang zurückgekehrt, setzt er sich nieder, kreuzbeinig, den Körper gerade aufgerichtet, die Achtsamkeit voll gewärtig haltend.

Das Gieren nach der Welt hat er aufgegeben: Begehrlichkeitfreien Gemütes verweilt er; von Begehrlichkeit reinigt er den Geist.

Böswilligkeit und Schlechtigkeit hat er aufgegeben: Wohlgesinnten Geistes verweilt er. Um das Wohl aller Lebewesen besorgt, reinigt er den Geist von Böswilligkeit und Schlechtigkeit.

Trägheit und Energielosigkeit hat er aufgegeben: Frei von Trägheit und Energielosigkeit lebt er. Klar wahrnehmend, achtsam, besonnen reinigt er den Geist von Trägheit und Energielosigkeit.

Aufgeregtheit und schwankende Unruhe hat er aufgegeben: Frei von Aufgeregtheit lebt er. Innerlich beruhigt reinigt er den Geist von Aufgeregtheit und schwankender Unruhe.

Das Zweifeln hat er aufgegeben: dem Zweifel entronnen lebt er. Nicht schwankend bei dem, was gut ist, reinigt er den Geist vom Zweifel." [51] Digh. Nik.

Mit der Aufhebung dieser fünf Hemmungen sind die Vorbedingungen für die weitere, voll bewußt in die Tiefe führende Meditation erfüllt, die das bewußt geübte, anhaltende, vertiefende Denken in einer guten und später allein richtigen Vorstellungsreihe ist. Die zuerst breit angelegt, in immer enger und enger werdenden Denkkreisen, sich schließlich auf ein Objekt begrenzt. Diese Einspitzigkeit des Denkens wird solange durchgeführt, bis völlige Gemütsruhe erreicht ist und aus dieser heraus die bildhafte Schau mit eigenem Erkennen (vipassana), oder die Versenkung (jhana) eintritt.[52]

Worauf es bei der Vertiefung ankommt und weshalb dieser Weg beschritten wird, ist das Erleben der ganzen Wirklichkeit, die sich nicht nur im Bewußtsein, sondern auch im Unbewussten abspielt und sich dem Meditierenden als anfangloser, ewig wechselnder, leidvoller und seelenloser Kreislauf darstellt, solange Willensregungen und Lebensdurst und Haß und Wahn vorhanden sind. Ist es doch nicht nur die kurze Spanne des "diesseitigen" oder bewußten Lebens, die es als Geburt, Alter, Krankheit und Tod zu erleben gilt, sondern ebenso auch die "jenseitigen", unbewußten und überbewußten Zustände, die zusammen den Menschen in seiner Ganzheit ausmachen, an die er karmisch gebunden und ohne Belehrung und Wandlung nahezu hilflos, qualvoll oder freudvoll, ausgeliefert ist. Denn die Wirklichkeit ist der Mensch in seinem Oben und Unten, dem Bewußtsein, Unbewußten und Überbewußten. Wirklichkeit aber ist das, was wirkt, und in der der Mensch als fühlendes Wesen dem Leben und Sterben, der Geburt, dem Alter, der Krankheit und dem Tod, kurz, dem Leiden unterworfen ist. Auf das umfassende eigene Erleben kommt es an; das Bemühen des Buddha ist darauf gerichtet, seine Anhänger zu diesem eigenen Erleben zu führen. Wer das Leben so erlebt, bleibt um seine Läuterung bemüht.

Übe Schauung!
Auf daß ihr später nicht Reue empfindet,
strebet ohn' Unterlaß!"

ist die ständige Mahnung des Buddha und auch sein letztes Wort, und dem kann hinzugefügt werden: dann braucht ihr Mich nicht mehr, dann erkennt ihr selbst die Wirklichkeit, dann seid ihr euch selbst Halt und Stütze und geht selbst den Weg der Befreiung vom Leiden. Dieser Weg ist die Meditation. "Es gibt keinen anderen Weg. [53]

Für die Vertiefung wird weiter gefordert, daß die Ichhaftigkeit, diese Wurzel größten Übels, ausgerottet, zum mindesten aber weitgehend geläutert werde, da in der Meditation Kräfte frei werden, die ohne diese Läuterung weitere Verstrickungen und damit weiteres Leid, ja selbst den Abstieg herbeiführen können. Von der Vertiefung aber heißt es, daß sie nicht ohne Gefahren sei.

Der Buddha selbst warnt vor übereiltem Vorgehen im Meditationsstreben. Es könnte solch einem Übenden ergehen "wie einer unkundigen Gebirgskuh, die immer höher und höher steigt und dann nicht mehr zurückfindet". Geht es doch bei diesem Innenweg unter- und später auch überbewußten Schichten entgegen, die in der Mythologie aller Völker als Höllenwelten erfüllt von Drachen und Dämonen und als Himmelswelten erfüllt mit Engeln und Göttern, gekennzeichnet sind. Die Tiefenpsychologie spricht von dem persönlichen und kollektiven Unbewußten mit seinen archaischen Bildern und mißt diesen unbewußten Bildekräften gleichfalls größte Bedeutung bei. [54] Sie warnt mit Recht davor, den Schleier, der sie verhüllt, zu früh zu lüften, da die allgewaltig wirksamen Bilder des Unbewußten ein unvorbereitetes Bewußtsein überschwemmen und Bewußtseinsspaltung verursachen können. Im „Entschleierten Bild zu Sais" finden die tragischen Folgen dieser Neugierde ihre dichterische Behandlung. In der Heilslehre des Buddha werden diese Tiefenschichten sinngemäß dem Ziel der Triesvernichtung als karmische Bildekräfte, als Sankhara bezeichnet.[55]

Also nicht ihrer reinen Erforschung wegen, als "Unbewußtes" oder ihres Ausgleichsstrebens wegen, als "Ganzheit" oder ihres subtilen Charakters wegen, als "Seele" oder ihres überweltlichen Zustandes wegen, als "Jenseits" oder ihrer allgewaltigen Wirkung wegen, als "numinos" oder ihrer Zielsetzung und absoluten Bindung wegen, als das "Selbst", sondern allein des Ansatzpunktes wegen, um immer—seien sie bös oder gut—bemüht zu sein, um ihre restlose Vernichtung, da nur dann der Kreislauf ewigen Werdens unterbrochen und das Freisein vom Leiden erreicht werden kann.

Der Mensch selbst trägt die Hölle und den Himmel in sich, denn Furcht, Gier, Hass und Wahn objektivieren sich als Bilder grauenvoller, finsterer, dämonischer Gestalten in seinem Unbewußten genau so, wie sich die guten Gedanken und Vorstellungen als lichte Farben und Formen objektivieren und auch in Erscheinung treten können. Der Teufel, den Luther auf der Wartburg sah, war die Projektion solch eines inneren, furchtbaren Bildes; aber das Tintenfaß oder das Wort mag nicht immer zur Hand sein, um die Schreckgestalt zu bannen.

Das Unbewußte ist die weit größere, nur unbekannte karmische Gegebenheit, als das Bewußtsein. So sehr es die kurze Spanne Zeit menschlichen Daseins zu nützen gilt, da nur diese es ermöglicht, die Wandlung herbeizuführen, gilt das "Diesseits" nur als die Welt der kurzlebigen Daseinsformen des Scheins, der Täuschung. Im Unbewußten aber liegt der "Hauserbauer", von dem der Buddha sagt: "Hauserbauer, du bist erkannt, du wirst dieses Haus nicht mehr bauen."

Denn das Unbewußte mit seinen seit Urzeit her geformten archaischen Bildern ist die zähere, beständigere Welt. Die karmischen Formationen oder Bildekräfte zu überkommen, die als "Götterkompagnien" furchtbarer und friedlicher Urbilder im Unbewußten da sind, ist die schwerste Aufgabe.

Furchtbar das Los, wenn bei entsprechend karmischer Belastung der grauenvolle und schreckenerregende "Bardo des Erlebens der Wirklichkeit" sich auftut. Die Mahnung zur inneren Läuterung, wie sie in allen Religionen ausgesprochen wird, hat ihre tiefe Bedeutung. Von andern Begriffen ausgehend und mit andern Worten sagt auch die Tiefenpsychologie, daß nur "Eines not tut": sich zu läutern.

Mit jeder neuen guten Vorstellung, die ins Innere gesenkt wird, wird die Summe der alten Bilder in Bewegung gesetzt. Sie werden zum Kampf gestellt. Der Mensch selbst wird zum Schlachtfeld der in ihm widerstreitenden Kräfte. Die Warnung wird darum verständlich, an diese Tiefenarbeit nicht zu früh und nicht unkundig heranzugehen. Der Kampf aber bleibt keinem erspart, dem es ernst ist mit seinem inneren Fortschritt und der späteren Loslösung. Nur besteht ein großer Unterschied darin, ob man dieses Kampffeld mit dem Rüstzeug guter Gedanken, Worte und Taten mit klarem Erkennen und Bewußtseinsfestigkeit betritt oder unvorbereitet ans Werk geht.[56]

Mit dem Gebiet der Vertiefung befinden wir uns im Mittelpunkte des praktischen Buddhismus, wie er sich uns im Mönchtum zeigt. Die bewußt geübte Sittlichkeit ist als notwendige Vorstufe aufzufassen. In der Vertiefung ist das eigene Erleben der Daseinszusammenhänge, als Geburt, Alter, Krankheit und Tod, als Entstehen, Vergehen, als Leiden und als Wesenlosigkeit die nächste und weit schwerere Aufgabe. Nur die Vertiefung führt zum eigenen Erleben und damit zu jener Wandlung, die später einmal zum Lassen von Allem und schließlich auch der aus dem Überbewußten sich ergebenden Zustände führt.

Neben der betonten Sittlichkeit, Sinnenzügelung und Achtsamkeit ist die Armut eine Voraussetzung für die Verwirklichung des Heilsweges. Das bedeutet ein Leben, das an keine äußeren Aufgaben und Pflichten mehr gebunden ist und damit neben der erstrebten inneren Stille äußerliche Ruhe und Stille hat. Auch dies wird manchmal von jenen übersehen, die sofort Vertiefung üben wollen, ohne auch nur eine der vielen Voraussetzungen erfüllt zu haben, auf die bereits verwiesen wurde und im Folgenden noch eingegangen wird.

Wer mit Erfolg Meditation üben und diese Zusammenhänge erkennen und überkommen will, muß auf dieser Stufe geistigen Lebens nur noch vom rein richtigen Streben erfüllt sein. Die Probleme des täglichen Lebens müssen für ihn ohne Bedeutung sein, und Ruhm, Ehre, Macht, Besitz, dürfen nichts mehr gelten. Die Bequemlichkeit muß abgelegt und einfache und kärgliche Kost zur Gewohnheit geworden sein. Die ablenkende Sattheit ist zu meiden. Eine gewisse selbst auferlegte Askese und Enthaltsamkeit ist zu empfehlen, jede Kasteinng aber zu verwerfen. Tanz, Gesang, Schauspiele und alle weltliche Zerstreuung sind auf diesen Stufen der Verinnerlichnug zu lassen. Nur die Einsamkeit ist zu erstreben. Ein furchtloses Gemüt und ein klarer, sichtender Verstand gehören zu diesem Innenweg, da man sonst Gefahr läuft, von den falschen Vorstellungen überwältigt und von den schönen Bildern erneut gebunden zu werden. Wer nicht mit allen Fasern seines Herzens dem Egoismus entsagt, verfällt der Dämonie des Ichs. Es darf nur noch ein Wollen für den Meditierenden geben; und das ist "an sich zu arbeiten, voll Güte und Wohlwollen gegenüber allen Wesen zu sein", und sich von allen Bindungen zu lösen. Das geläuterte Innere ist der beste Schutz, Klarheit des Denkens der sichere Weg, die Achtsamkeit der wichtigste Schlüssel; Loslassen, Entsagen das große Glück; das freie Innere das letzte Ziel.

„Lasse ich mir an diesem Dasein genügen, so mehren sich mir die unheilsamen Dinge und mindern sich die heilsamen; halte ich mir aber das Leiden gegenwärtig, so mindern sich mir die unheilsamen Dinge und mehren sich die heilsamen. Wie, wenn ich mir nun das Leiden gegenwärtig hielte? Und er hält sich das Leiden gegenwärtig. Und indem er sich das Leiden gegenwärtig hält, mindern sich ihm die unheilsamen Dinge und mehren sich ihm die heilsamen". Majjh. Nik.

Auf diesen Stufen des geistigen Lebens ist jeder Besitz bedeutungslos. Nur die Armut ist von Wert. Die im vorigen Abschnitt erwähnte Übung der Güte, des Mitleids, der Mitfreude und des Gleichmuts müssen das Innere neben anderen Übungen voll und ganz beherrschen. So sehr beherrschen, daß der mühelose Ablauf dieser Vorstellungsreihen gesichert ist. Die Vorstellungen müssen zum fest verankerten Inhalt nicht nur im Bewußtsein, sondern auch im Unbewußten werden, wenn sie Wert und Bedeutung haben sollen. Kein anderes Denken darf den sich Vertiefenden erfüllen, wenn er Fortschritte machen und sein Ziel erreichen will.

Das Besondere in der Heilslehre des Buddha ist, daß keine weltfernen Objekte und Vorstellungen erwählt, sondern nur wirklichkeitsnahe Bilder herangezogen und der Meditation zugrunde gelegt werden. Das im nächsten Abschnitt näher ausgeführte "Vergänglich, Leidvoll, Nichtselbst" gilt als die gründlichste geistige Sonde, die alles bloßzulegen in der Lage ist, so daß die letzte Erkenntnis einsetzen kann. Die stereotypen Fragen und Antworten, die zur Abkehr vom Außen und zur Umwandlung des Inneren führen und für alle Willenswendung ausschlaggebend sind, lauten:

"Was entstanden ist, ist das vergänglich oder unvergänglich?"

"Vergänglich, o Herr."

"Was vergänglich ist, ist das freudvoll oder leidvoll? "Leidvoll, o Herr."

"Was vergänglich und leidvoll ist, kann ich von dem sagen, das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst?"

"Nein, o Herr."

"Dann gebt es auf, das Aufgegebene wird euch lange zum Heil und Segen gereichen."

Dem Mönch muß diese Betrachtung immer gegenwärtig sein, und auf alle Erscheinungen und Gebilde angewandt werden, damit die Weltabkehr vollkommen und die erstrebte Loslösung erreicht wird. Für den in der Welt lebenden und an ihr karmisch verschuldeten Menschen aber gibt es keine heilsameren, grundlegenden Übungen als die Verehrungsformel oder die Zufluchtsformel, oder die im vorigen erwähnte metta, das Denken in Güte und Wohlwollen.

Aber auch die zur Abkehr von der Sinnenwelt führenden "Fünf Betrachtungen für Jedermann" sind als heilsame Objekte für den Meditationsbeginn zu erwähnen:

"Folgende fünf Gesetze sollte jeder öfters bei sich erwägen, ganz gleich, ob Mann oder Weib, Hausbewohner oder Hausloser: welche fünf?

Das sollte jeder öfters bei sich erwägen, ganz gleich ob Mann oder Weib, Hausbewohner oder Hausloser." (Ang. Nik.)

So wird der Anhänger des Erhabenen am sichersten vom Jugenddünkel durch die Betrachtung des Alters, vom Gesundheitsdünkel durch die Betrachtung der Krankheit, und vom Lebensdünkel durch die Betrachtung des Todes befreit. Er sieht so am klarsten, daß alle Dinge vergänglich, leidvoll und nicht-selbst sind, und daß Entsagen das grolle Glück ist.

"Mit wohl bewachten Sinnestoren wollen wir verweilen, maßhalten beim Mahle, der Wachsamkeit ergeben sein, die heilsamen Dinge beachten und bei Beginn und Ende der Nacht die Erweckung der zum Wissen führenden Dinge üben. Danach habt ihr zu trachten." (Ang. Nik.)

Die hauptsächlichsten Meditationsobjekte neben den bereits erwähnten sind:

Hinzu kommen noch mechanische Übungen, das sind Betrachtungen von Lichtreflexen und Farbscheiben (Kasina-Übungen). Bezüglich aller dieser Meditationen muß auf weitere Werke verwiesen werden (s. a. Nyanatiloka "Visuddhi Magga", Verlag Christiani, Konstanz, und Literaturverzeichnis).

Das allen diesen Übungen gemeinsame ist die Erweckung der Einsicht, wobei die Verschmelzung von Denker und Gedachtem, von Objekt und Subjekt, das Einswerden, eintreten kann. Dabei werden äußere Eindrücke zuerst nur noch schwach und später überhaupt nicht mehr wahrgenommen. Sie führen zu drei bestimmten, innerhalb des Buddhismus fest umrissenen Zuständen: 1. der so genannten präliminaren—2. der angrenzenden—und 3. der vollen Konzentration, als Eintritt in die jhanas oder Versenkungen (s. a. Nyanatikola "Über die Meditation").

Die Meditationen haben alle die Sittlichkeit zur Grundlage. Sie führen zur Einkehr und geistigen Konzentration (Samadhi). Über diese hinaus zur Gemütsruhe (Samatha) und Einsicht (Vipassana). Sie führen alle zur inneren Umgestaltung und, was die Hauptsache sein muß, zur völligen Loslösung. Der Gleichmut und die rechte Einsicht sind dafür ausschlaggebend.

Auf diesen Stufen ist die Loslösung das Ziel, nicht mehr die Bindung, wie sie noch im Anfang notwendig war. Und hier, in den Stufen der Vertiefung, und dem damit erreichten Überbewußten, ist es auch möglich, das Vorher und Nachher der Leben zu erkennen und jene Einsicht in den Ablauf des Werdens anschaulich zu gewinnen, die allein die Ablösung erstrebenswert werden läßt und sie herbeizuführen in der Lage ist.

Zu diesen eigentlichen Meditationen, die zur Erreichung des Zieles als notwendig angesehen werden, sind noch die neun Versenkungsstufen (jhanas) zu erwähnen. Auswirkungen eines in der Meditation neu entstandenen Überbewußten. Es tritt nicht immer auf (trockene Einsicht), wo es aber auftritt, ist es in seinen stufenweisen Zuständen zu meistern und nicht nur in schwärmerischer Verzückung zu genießen, da man ihnen ebenso verfallen kann, wie dem genießerischen Sinnenleben. Auch von den überweltlichen, himmlischen Zuständen muß erkannt werden: entstanden, vergänglich, leidvoll, nichtselbst. "Es sind Zustände einer stufenweise fortschreitenden, gedanklichen Vereinheitlichung, in welcher der Geist, unter Ausstoßung aller auf die Außenwelt bezüglichen Regungen, schließlich zur vollen Ruhe in sich selber kommt (kommen soll); der nicht nur bewußte, sondern auch in sich selber begründete Gleichmut, als letzte Blüte buddhistischen Denkens." (P. Dahlke.)

Von den ersten vier Versenkungen heißt es:

"Wenn der Mönch nun merkt, daß die fünf Hemmungen in seinem Innern geschwunden sind, so erhebt sich in ihm Frohgefühl; dem Frohen erhebt sich Freudigkeit; dem innerlich Freudigen beruhigt sich der Körper; der beruhigte Körper fühlt das Glück, dem Beglückten einigt sich der Geist.

Der weilt dann freigeworden von Lüsten freigeworden von unguten Dingen, im Besitz der ersten Versenkung, der mit Eindrücken und Erwägungen behafteten, der Einsamkeit-geborenen, der freudvoll-beglückenden.

Der tränkt dann sein Inneres mit dem Einsamkeit-geborenen, freudigen Glücksgefühl, er durchtränkt es, erfüllt es, durchdringt es, und vom ganzen Körper bleibt ihm nichts undurchdrungen von diesem Einsamkeit-geborenen, freudigen Glücksgefühl.

Und weiter noch, durch das Zurruhekommen der Eindrücke und Erwägungen erlangt der Mönch die innere Beruhigung, die geistige Einheit, und weilt im Besitz der zweiten Versenkung, der Eindruck- und Erwägung-freien, der Selbstvertiefung-geborenen, der freudvoll-beglückenden.

Und weiter noch, durch das Freiwerden von der Sucht nach Freude weilt der Mönch gleichmütig, achtsam und besonnen und empfindet körperlich das Glück, welches die Edlen nennen: gleichmütig, einsichtig, glücklich weilend. So weilt er im Besitz der dritten Versenkung.

Und weiter noch, durch das Fahrenlassen von Glück, durch das Fahrenlassen von Leid, durch das Hinschwinden der früheren Befriedigungen und Bekümmernisse weilt der Mönch im Besitz der vierten Versenkung, der leidfreien, der glückfreien, der in Gleichmut und Verinnerlichung geklärten".[58] Digh.Nik.


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