Leer ist die Welt

GESCHICHTE UND LEGENDE

 

IM Mahāparinibbānasutta

 

In frühbuddhistischer Zeit, in der der Pali-Kanon entstand, trat im Denken der Buddhisten die Person des Meisters hinter seiner Lehre zurück. Was im Pali-Kanon über Buddha mitgeteilt wird, reicht gerade aus, um eine Vorstellung von dem Charakter und der geistigen Bedeutung des großen Weisen zu geben, um seine Heimat, seinen Wirkungskreis und seine Umgebung erkennen zu lassen; der äußere Verlauf seines Lebens aber wird nur in zwei, allerdings in den beiden wichtigsten Perioden geschildert: in der Zeit von der Bodhi bis zur Gründung der Gemeinde und in den letzten Monaten vor seinem Tode.

Der erste Bericht findet sich im Vinaya-Pitaka, der zweite im Sutta-Pitaka, im 16. Stück des Dīgha-Nikaya, das den Namen Mahāparinibbānasutta (MPNS) führt.

Wenn dieses, wie die Überlieferung behauptet, bald nach dem Hinscheiden Buddhas verfaßt, das heißt: in mündlichem Vortrag festgestellt und von den Schülern auswendig gelernt worden ist, so muß es die verhältnismäßig zuverlässige Kunde von den letzten Lebensabschnitten Buddhas, von den Vorgängen bei seinem Tode und von seiner Bestattung bewahrt haben. In der Tat besteht kein Grund, daran zu zweifeln, daß das MPNS geschichtliche Wahrheit enthält. Zutreffend sagt Geiger (Pali Literatur und Sprache, Seite 8): "Man kann doch z.B. das MPNS nicht lesen ohne den Eindruck, daß hier wirkliche Erinnerungen an die letzten Tage des Meisters vorliegen." Es ist aber ebenso gewiß, daß vieles im MPNS Dichtung, Legende, jüngere Zutat ist. In der Gestalt, in der das MPNS dem Pali-Kanon einverleibt worden ist und uns jetzt vorliegt, ist es ein Werk, an dem mehrere Generationen, vielleicht mehrere Jahrhunderte gearbeitet haben. Neben ganz alten, schlichten und nüchternen Berichten, die den Stempel der Ursprünglichkeit tragen, stehen unvermittelt allerlei Wundergeschichten und Mythen, die zwar alt sein mögen, aber Erzeugnisse der Phantasie sind, sowie Lehrsätze und Vorschriften, die erst nach dem Tode Buddhas entstanden sein können und die man Buddha in den Mund legte, um dadurch ihre Autorität zu erhöhen. Endlich begegnet man hier einigen Textstücken, die in anderen Teilen des Kanons vorkommen und die, sei es irrtürmlich, sei es aus Gründen des literarischen Geschmacks, in das MPNS hinübergenommen worden sind.

Nicht immer läßt sich sicher entscheiden, welcher dieser Gruppen die einzelnen Abschnitte zuzuzählen sind, im großen Ganzen aber ist es doch möglich, den geschichtlichen Kern aus dem Rankenwerk der Legende und der sonstigen Beigaben herauszulösen.

 

Wertvolle Hilfe kann hierbei das Buddhacarita (BC) des Asvagosha leisten. Von diesem Epos ist zwar gerade der Teil, der dem MPNS entspricht, bis jetzt nicht in seinem Sanskrit-Urtext, sondern nur in der chinesischen Übersetzung "Fo so hsing t'san ching" (1) des Dharmaraksha aus dem 5. Jahrhundert nach Chr. bekannt, aber auch in dieser Gestalt zeigt es so viel Übereinstimmung mit der Pali-Tradition, daß eine Vergleichung beider gute Dienste leisten kann.

Im BC (deutsche Übersetzung von Th. Schultze, "Buddhas Leben und Wirken", Leipzig, Reclam) ist deutlich zu erkennen, daß mit dem 22. Kapitel die dichterische Umgestaltung eines älteren Werkes beginnt, das eine frühere Form des MPNS gewesen zu sein scheint. Im ersten Vers dieses Kapitels tritt zum ersten Mal das Wort 'nieh p'an (2) = Nirvāna im Sinne des Parinibbāna unseres Pali-Textes auf, und der Bericht beginnt mit der Wanderung Buddhas von 'wang shé ch'éng' (3) = Stadt Königshausen - was die wörtliche Übersetzung von Rājagaha (Pali) und Rājagrha (Sanskrit) ist - nach 'pa lien fu i' (4) = Pātaliputra, dem im MPNS das Dorf Pātaligāma entspricht. In beiden Werken wird übereinstimmend die Erinnerung daran festgehalten, daß dieser Ort gerade damals, in den letzten Lebenstagen Buddhas, durch Beauftragte des Königs von Magadha zu einer befestigten Grenzstadt (dem späteren Pātaliputta oder Pātaliputra, von den Griechen Palibothra genannt, heute Patna) ausgebaut wurde und daß Buddha die künftige Größe der Stadt mit dem Hinweis darauf, daß Geister den Ort beschützten, voraussagte; ferner daß das Stadttor, durch das Buddha die Stadt betrat, den Namen Gotama-Tor = Chü t'an mén (5) und die Furt, auf der er den Ganges überschritt, den Namen Gotama-Furt = Chü t'an chin (6) erhielten. Beide Werke berichten hier auch über eine Wundertat Buddhas, die Überschreitung des Flusses ohne Boot und Floß. Asvagosha bemerkt hierzu, dies sei ein Sinnbild der Überfahrt im Boot der Weisheit über den Strom des Daseins, während das MPNS hier ein Udāna, einen Ausspruch Buddhas bewahrt hat:

 

 

Wenn der Sinn dieses dunklen Spruchs der ist, daß der Weise keiner äußeren Hilfsmittel bedarf, um die Fluten des Samsāra zu kreuzen und zum Nirvana zu gelangen, so lag es nahe, das Wort umzudeuten in die Wundertat der leiblichen Überschreitung des Ganges, und man stieß sich nicht an dem Widerspruch, der darin liegt, daß unmittelbar vorher von einer Furt (tittha, chinesisch = chin (7) die Rede ist, auf welcher Buddha ohne Boot und Floß das andere Ufer erreichen konnte.

Im MPNS werden der auch aus anderen Stellen des Pali-Kanons bekannte Name des damaligen Königs von Magadha, Ajātasattu Vedehiputta, und die Namen seiner die Festung Pātaliputta bauenden Minister Sunīdha und Vassakāra genannt. Die Namen fehlen in der chinesischen Fassung des BC. Das MPNS ist hier auch insofern genauer als das BC, als es den Anlaß zur Befestigung jener Grenzstadt andeutet: Es besteht eine politische Spannung zwischen Magadha und dem Staat der Vajjī, der bei Pātaligāma an Magadha grenzt. König Ajāasattu trägt sich mit der Absicht, einen Krieg gegen die Vajjī zu führen, und läßt durch seinen Minister Vassakāra Buddha um seine Meinung über die Aussichten eines solchen Krieges befragen. Diese Befragung, mit der das MPNS beginnt, soll auf dem Geierberg bei Rājagaha stattgefunden haben, bevor Buddha seine letzte Wanderung antrat. Asvagosha erwähnt hiervon nichts. Trotzdem könnte das MPNS hier eine geschichtliche Tatsache festgehalten haben. Dagegen sprechen aber zwei Umstände: einmal die auffällige Wiederkehr des Namens Vassakāra bei der Unterredung auf dem Geierberg und bei dem Festungsbau bei Pātaligāma. Wenn wirklich derselbe Minister Vassakāra, der Buddha um Rat gefragt hatte, nachher in Pātaligāma wieder auftaucht, so muß man bei der sonstigen Ausführlichkeit und Umständlichkeit des Berichts erwarten, daß wenigstens mit einigen Worten erwähnt wird, wie er dort hingekommen ist. Es kommt im MPNS mehrmals vor, daß je zwei Personen, die den gleichen Namen führen, kurz nacheinander auftreten: Cunda der Schmied und Cunda der Bhikkhu, Subhadda der letzte Jünger und Subbhada der Abtrünnige. Solche Wiederholungen legen immer den Verdacht nahe, daß Gedächtnisfehler unterlaufen seien. Vielleicht war Vassakāra nicht ein Minister, sondern der Bote des Königs von Magadha, der nach Asvagoshas Bericht dem Verwalter des Bezirks Pātaligāma den Befehl zur Befestigung des Ortes überbringt, und vielleicht war vorher derselbe Bote zu Buddha geschickt worden.

Ein zweiter Umstand, der die Geschichtlichkeit des Berichts über die Befragung Buddhas zweifelhaft erscheinen läßt, ist die eigentümliche Verknüpfung der Antwort mit einer langen Rede Buddhas an seine Jünger über fünfmal sieben und sechs "aparihāniyā dhammā", "Bedingungen für das Gedeihen der Gemeinde", genauer "Bedingungen für die Verhütung eines Niedergangs". Für sich allein betrachtet, würde es nicht unwahrscheinlich sein, daß Buddha, nachdem er sieben Gründe angeführt hatte, weshalb ein Krieg gegen die Vajjī keinen Erfolg verspreche, im Anschluß hieran eine gleichfalls in Gruppen von je sieben Ermahnungen geteilte Lehrrede an seine Jünger hielt. Da wir aber im MPNS öfter solchen Anknüpfungen leicht erkennen läßt, daß es sich hierbei um spätere Zusätze handelt, so werden wir annehmen müssen, daß dies die literarische Manier eines späteren Überarbeiters war, und auch diese Häufung von je sieben, zuletzt sechs, aparihāniyā dhammā auf die Rechnung jenes Erweiterers zu setzen haben. (Die ganze Rede findet sich auch in A VII, 20-30.)

Wenn die Antwort Buddhas und seine Rede an die Jünger in der älteren Fassung enthalten gewesen wären, würde sich Asvagosha, der es liebte, sein Epos mit eingelegten Reden Buddhas zu schmücken, diese gewiß nicht haben entgehen lassen. Daraus folgt jedoch nur, daß die Rede ursprünglich nicht im MPNS stand, nicht, daß sie nicht trotzdem echtes Buddhawort sei. Sie mag gut überliefert sein, aber sie ist an einen falschen Platz geraten.

Ebenso verhält es sich mit dem Bekenntnis Sāriputtas, das im MPNS nach drei kurzen, formelhaften Absätzen auf die aparihāniyā folgt. Daß dieses Stück in dem gleichen Wortlaut und mit der gleichen Ortsangabe - bei Nālandā im Pāvārika-Mangowald - in D XVIII noch einmal vorkommt, braucht für sich allein noch keinen Verdacht der späteren Einfügung zu erwecken. Es drängt sich aber die Frage auf: Wo bleibt Sāriputta, der doch neben Mahāmoggallāna als der vornehmste Jünger Buddhas gilt, im weiteren Verlauf der letzten Wanderung des Meisters? Kann man glauben, daß er plötzlich die Fühlung mit dem greisen Buddha so vollständig verliert, daß er von dessen späterer Erkrankung nichts erfährt und beim Parinirvana nicht zugegen ist? Wenn er sein Bekenntnis zu jener Zeit abgelegt hätte, von der das MPNS handelt, so müßte er einen triftigen Grund gehabt haben, um sich fortan dauernd von Buddha fernzuhalten, und der Berichterstatter würde gewiß nicht unterlassen haben, diesen Grund zu nennen. Nun, wir kennen den Grund, weshalb Sāriputta im MPNS nicht weiter erwähnt wird: er war schon gestorben, bevor Buddha die letzte Wanderung antrat. In S 47.13 wird berichtet, daß er in Nālagāmaka im Lande Magadha starb, während sich Buddha im Jetahain bei Sāvatthi aufhielt. (Vgl. "Buddhistische Heilige", S. 34.) Freilich ist die Zeitangabe so unbestimmt wie nur denkbar, und auch mit der Ortsangabe ist nicht viel anzufangen. Mögen sie nun richtig oder falsch sein, die Tatsache scheint doch in der Erinnerung der alten Gemeinde festgestanden zu haben, daß Buddha seine beiden vornehmsten Jünger überlebt hat. Da aber ein für die Gemeinde so wichtiges Ereignis wie der Tod Sāriputtas sicherlich im MPNS erwähnt worden wäre, wenn es in die Berichtszeit gefallen wäre, so folgt daraus mit Sicherheit, daß das Bekenntnis Sāriputtas hier am unrechten Platz steht.

Zur Verlängerung und Ausschmückung des Berichts ist wahrscheinlich auch die Rede an die Bürger von Pātaligāma über die fünffachen Folgen sittlichen und unsittlichen Lebenswandels später eingefügt worden. Ihre Echtheit als Ausspruch Buddhas soll damit nicht bezweifelt werden. Sie findet sich im gleichen Wortlaut auch in A V, 213, wohin sie offenbar gehört, und ist eigentlich gar keine Rede, sondern eine Disposition für eine Rede oder eine Sammlung von Denksprüchen.

Von dem ersten Kapitel des MPNS bleibt hiernach an geschichtlichem Stoff nichts weiter übrig, als was den 1735. bis 1746. Vers des BC entspricht.

Eine kurze Bemerkung verdient jedoch noch die Gāthā "Yasmim padese", mit welcher Buddha den Ministern Sunīdha und Vassakāra für die Bewirtung gedankt haben soll. Sie lautet:

 

 

R O. Franke gleitet (in seinem Dighanikaya, Seite 192) leicht darüber hinweg mit der Bemerkung: "Es wäre naiv, in solchen den Götterkult empfehlenden Versen echtes Buddhawort sehen zu wollen." So einfach ist die Sache nicht abzutun. Auch die von Dutoit gebilligte Erklärung Rhys Davids', mit den Gottheiten oder Geistern seien eben die Heiligen, die sich selbst Bezwingenden, gemeint, scheint mir nicht das Richtige zu treffen. Ist es denn überhaupt wahr, daß Buddha die Verehrung der Götter und Geister schlechthin verworfen hat? An welcher Stelle des Kanons findet sich ein Wort Buddhas, das diesen Sinn hat? Abgelehnt und verworfen hat Buddha nur den Glauben, daß Götterverehrung zur Erlösung vom Leiden des Samsāra, zur Erreichung des Nirvana etwas beitragen könne. Im übrigen aber hat er die Pflege alter frommer Bräuche, die Darbringung von Spenden und Opfern für Gottheiten und für Verstorbene nicht nur nicht verboten, sondern ausdrücklich empfohlen, so in D XXXI, 28 (Singālovādasutta) und im MPNS selbst, I, 4, bei den sieben Bedingungen für das Gedeihen der Vajjī. Für den Buddha waren die Devas, die Gottheiten oder Geister, die den Engeln der Christen, Juden und Moslem entsprechen, ebenso real wie die Menschen. In Pātaligāma, wo seine Gastgeber die Festungswerke errichteten, hatte er sie gesehen. Wir dürfen annehmen, daß die Bauaufseher nicht minder von der Existenz der Devas überzeugt waren, wie auch davon, daß es in der Hand dieser Wesen liege, den Bau zu fördern oder zu hindern. Was lag also näher, als daß Buddha den Bauaufsehern empfahl, nachdem sie ihn und seine Gemeinde gespeist hatten, auch den Devas eine Gabe darzubringen? Es handelt sich hier ja nicht um ihr eigenes Heil, sondern um das Gelingen eines Bauwerks. Ich sehe hiernach keinen Grund, die Echtheit der Gāthā anzuzweifeln.

 

Auch das zweite Kapitel des MPNS findet sich Punkt für Punkt im BC wieder: Buddha wandert nach Kotigāma, dem Dorf Koti, wofür in der chinesischen Übersetzung des BC Chiu-li (8) steht, hält hier eine Rede über die vier edlen Wahrheiten - die Rede wird auch im BC erwähnt, aber nicht ihr Inhalt -, gelangt dann nach Nādikā - im BC Na-t'i (9) -, wo er auf Befragen Auskunft gibt über das jenseitige Schicksal der dort verstorbenen Bhikkhus und Laienanhänger. Von dort zieht er weiter nach Vesālī - im BC Ping-shé-li (10) -zum Mangohain der Hetäre Ambapālī - im BC Anlo (11). Bei der Begegnung Buddhas mit der Ambapālī benutzt Asvagosha die Gelegenheit, um ihn eine lange Rede über die Gefahren der Frauenschönheit halten zu lassen, die im MPNS fehlt. Sie ist wahrscheinlich ein von Asvagosha frei erfundenes Zierstück seines Gedichts, ebenso wie die Ansprache an die Ambapālī, die im MPNS nur mit einer stereotypen Formel erwähnt wird. Im BC schenkt Ambapālī Buddha ihren Mangohain bei dieser Begegnung, während sie ihn im MPNS erst mit den Bhikkhus auf den folgenden Tag zum Mahl einladet und ihm dort den Hain zum Geschenk macht. Daß Buddha ihre Einladung annahm und deswegen die etwas später kommende Einladung der Licchavī, der Ratsherren von Vesālī, ablehnte, die darüber ungehalten waren, wie in beiden Berichten im wesentlichen übereinstimmend erzählt wird, darf als geschichtliche Tatsache betrachtet werden. Beide Texte haben auch die Erinnerung daran festgehalten, daß Buddha nun die dreimonatige Regenzeit bei Beluva - P'i-niu (12) - hielt und darauf noch einmal nach Vesālī zurückkehrte. Das MPNS berichtet hier noch, daß Buddha in Beluva erkrankte und Ānanda ihn nach seiner Wiedergenesung um eine letzte Anordnung für die Bhikkhugemeinde, den Mönchsorden, bat, die Buddha ablehnte, indem er er klärte, er habe nichts aufgespart oder geheimgehalten, habe deshalb nichts mehr anzuordnen; wenn er gestorben sein werde, sollten die Bhikkhus sich selbst Rettung und Zuflucht sein oder die Lehre als ihre Rettung und Zuflucht betrachten.

Im BC fehlt die Erkrankung und das Gespräch mit Ānanda. Diese Abweichung könnte einen besonderen Grund haben. Man weiß, daß sich die Vertreter des Theravāda, zu denen vor allem die Hüter der Pali-Tradition gehören, gerade auf diesen Ausspruch Buddhas berufen, um zu beweisen, daß es keine Geheimlehre, keinen esoterischen Buddhismus gebe, während die Mahāyanisten, auf deren Seite Asvagosha steht, das Gegenteil behaupten. Ihm muß also daran liegen, das fragliche Gespräch zu verschweigen, auch wenn es in der ihm vorliegenden Fassung des Berichts enthalten war, wie umgekehrt auch_ mit der Möglichkeit gerechnet werden muß, daß die Stelle in den Pali-Bericht später eingefügt wurde, um die These des Theravāda zu stützen. Aus dem Schweigen Asvagoshas kann also ebensowenig gefolgert werden, daß die Stelle unecht sein müsse, wie ihr Vorhandensein im MPNS ohne weiteres ihre Echtheit beweist. Wer aber den Pali-Bericht ohne Voreingenommenheit liest, wird sich kaum dem Eindruck entziehen können, daß hier ein wirkliches Geschehnis erzählt wird. Die Krankheit des Meisters, die Besorgtheit seines treuen Ānanda um ihn, dessen Frage und die Antwort Buddhas reihen sich ungezwungen aneinander, und das Ganze paßt gut in das Gesamtbild, während solche Stellen, die wir als spätere Zusätze erkannt haben oder noch erkennen werden, den Fortgang der Erzählung hemmen und wie Fremdkörper lose eingefügt sind. Man wird darum diese Episode unbedenklich als geschichtlich gelten lassen und annehmen dürfen, daß Asvagosha sie verschwiegen hat.

 

Zu dem umgekehrten Ergebnis führt eine Untersuchung des Abschnitts über den "Spiegel der Lehre" (Dhammādāsa), der im MPNS hinter der Auskunft Buddhas über das jenseitige Schicksal der verstorbenen Anhänger in Nādikā steht und im BC fehlt. Schon die Umständlichkeit, mit der im MPNS gerade zwölf Namen von Verstorbenen genannt und für jeden einzelnen das Fazit seines Wandels gezogen wird, deutet auf jüngeren Ursprung hin. Der Dhammādāsa selbst macht vollends den Eindruck einer von der Bhikkhugemeinde und nicht von Buddha aufgestellten Bekenntnisformel. Es ist höchst unwahrscheinlich, daß Buddha selbst die Huldigungsworte vorgeschrieben habe, mit denen seine Anhänger seiner gedenken sollten. Außerdem werden in dieser Formel zwei grundverschiedene Begriffe einander gleichgesetzt: der Sāvakasangha als die unsichtbare, im Geistigen liegende "Gemeinschaft der Heiligen" und die sichtbare, auf gläubige Anerkennung und Verpflegung durch die Laienanhänger angewiesene Bhikkhugemeinde. Daß Buddha diesen logischen Schnitzer begangen haben sollte, wird niemand im Ernst glauben. Dagegen lag es für die Bhikkhus sehr nahe, ihm diesen Ausspruch anzudichten, um die Laien zu eifrigem Spenden anzuspornen.

 

Im dritten Kapitel gelangen wir zu der Versuchung Buddhas durch Māra, die mit dem Verzicht Buddhas auf weitere Lebensdauer endet. Im BC wird diese Geschichte in wenigen Versen einfach und klar erzählt, während Sie im MPNS außerordentlich weitschweifig und mit allerlei nicht hierher gehörigen Einlagen in die Länge gezogen ist.

Schon Windisch hat in seinem Werk "Mara und Buddha" (Leipzig 1895) darauf hingewiesen, daß die Abschnitte über die acht Stufen der Erlösung "unverkennbar spätere Zusätze" sind (Seite 87). Die Aufzählung der acht Versammlungen findet sich mit denselben Worten im D XXXIII, wo auch die acht Stufen des Überwindens und die acht Stufen der Erlösung darauf folgen. In diesem Sutta, in dem eine Art Inventur der Buddhalehre nach der Reihenfolge der Multiplikatoren aufgemacht wird - z.B. drei Wurzeln des Bösen, vier Aufrichtungen der Achtsamkeit, fünf Hemmnisse, sechs Bewußtseinsgebiete, sieben Vorstufen zum Erwachen, acht Stufen des Überwindens usw. - sind diese Aufzählungen am rechten Platz, im MPNS aber wirken sie fremdartig. Man hat den Eindruck, daß der rezitierende Mönch, als das Stichwort "acht" fiel, irrtümlich in das andere Sutta hineingeriet und nun mechanisch fortfuhr mit dem, was er für jene Stelle auswendig gelernt hatte. Stand aber, wie wir annehmen müssen, das Sutta D XXXIII in seiner heutigen Form damals schon fest, als diese Abschnitte mit den acht Gegenständen in das MPNS abglitten, so muß die weitere Ausschmückung der "acht Versammlungen" im MPNS, übrigens ein ziemlich plumper Versuch zur Verherrlichung Buddhas, eine noch jüngere Beigabe sein, denn sie fehlt in der Parallelstelle.

Daß auch die vorhergehende Māra-Geschichte in der Form, in der wir sie im MPNS finden, nicht ursprünglich ist, hat Windisch gleichfalls wahrscheinlich gemacht. Er vergleicht sie mit den entsprechenden Sanskritversionen im Divyāvadāna und im Lalitavistara und kommt dabei zu folgendem Ergebnis: "Auch den Wiederholungen gegenüber . . . scheint mir der Sanskrittext wenigstens teilweise ein älteres Verfahren wiederzugeben . . . Ich kann nicht glauben, daß diese verwirrende Umständlichkeit schon in der ersten Form dieser Geschichte vorhanden gewesen ist, und möchte vermuten, daß das Divyāvadāna hier den einfacheren Stil einer älteren Textform gewahrt hat. Das ist um so wahrscheinlicher, als auch der Lalitavistara an der entsprechenden Stelle . . . diese Wiederholungen nicht hat."

Nimmt man mit Windisch an, daß die Māra-Geschichte in der vorliegenden Form erst in späterer Zeit entstanden ist, so bleibt noch zu untersuchen, ob ihr nicht ein geschichtlicher Vorgang zugrunde liegt und welcher Art dieser gewesen sein mag. Dabei ist von der wohlbegründeten Ansicht Windischs auszugehen, daß sich Buddha einer poetischen Ausdrucksweise bediente, indem er den Tod personifizierte und von Māro Pāpimā sprach, und daß nach Buddhas Tode solche Sätze und Verse wörtlich genommen und zu Legenden verwendet wurden. "Da Buddha in seiner Lehre oft so gesprochen hat, an vielen Orten, so wurden daraus Zurückweisungen von wiederholten Angriffen Māras." (Windisch, Seite 213)

Hiernach wird man das Richtige treffen, wenn man den Anfang der Begebenheit, die im dritten Kapitel des MPNS erzählt wird, im 34. Absatz sucht: Der Buddha teilt Ānanda mit, daß er beim Cāpāla-Cetiya den Entschluß gefaßt hat, den Lebens-Sankhāra, das heißt die den Lebensprozeß bewirkende organisierende Vorstellung, aufzugeben, und zwar kleidet er diese Mitteilung in die Form einer Māra-Erzählung. Māra der Böse habe ihn aufgefordert, jetzt aus dem Leben zu scheiden, nachdem er sein Lebenswerk zu Ende geführt habe, und er, Buddha, habe jenem erwidert, daß er in drei Monaten scheiden werde. Jetzt bittet Ānanda Buddha, doch länger am Leben zu bleiben. Daß er diese Bitte sehr nachdrücklich vorbringt, wird, wie dies gewöhnlich im Kanon geschieht, durch dreimalige Wiederholung ausgedrückt. Buddba weist ihn ab mit der Frage, ob er an die Bodhi, das Erwachen, des Vollendeten glaube. Der Sinn ist wohl der, daß Buddha, weil im Besitz der Bodhi, kein Verlangen nach Verlängerung des Lebens haben könne. Darauf begründet Ānanda seine Bitte mit dem von früher her bekannten Ausspruch Buddhas (der in D XXVI, 28 aufbewahrt ist), daß, wer im Besitz übersinnlicher Kräfte sei, sein Leben über ein Weltalter erstrecken könne. Was hat Buddha darauf erwidert? Sicherlich nicht das, was an dieser Stelle im MPNS überliefert wird: "So ist es eben dein Fehler, Ānanda, dein Versehen, daß du den Vollendeten nicht batest, ein Weltalter lang am Leben zu bleiben. . . Diese Antwort mit ihren maßlos gehäuften Wiederholungen ist ebenso wie der an die vorhergehende Erwähnung des Erdbebens anknüpfende angebliche Ausspruch Buddhas über die acht Ursachen von Erdbeben mönchische Zutat aus jüngerer Zeit. Das Erdbeben selbst, das heißt die Feststellung, daß in dem Augenblick, da Buddha den Lebens-Sankhāra aufgab, die Erde furchtbar bebte und der Donner rollte, scheint zum alten gestande der Überlieferung zu gehören; denn sie findet sich auch im BC. Dieses Erdbeben ist offenbar ein innerer Vorgang: für Buddha, in seinem Bewußtsein, bebte die Erde. Erst spätere Überarbeiter haben daraus einen äußeren Vorgang gemacht, ein für andere wahrnehmbares Erdbeben, indem sie erzählten, daß Ānanda sich über das Erdbeben gewundert und Buddha nach dessen Ursache gefragt habe.

Lassen wir diese lange Einschiebung weg, so gelangen wir zu der wirklichen Antwort Buddhas. "Na nu evam Ānanda. . ." "Habe ich nicht früher schon erklärt, daß man von allem, was einem lieb und angenehm ist, sich einmal trennen und Abschied nehmen muß? . . ." Dieser Ausspruch (der nicht etwa so aufzufassen ist, daß Buddha noch etwas "lieb und angenehm" sei, sondern so, daß Ānanda sich mit der Trennung von dem, was ihm lieb und angenehm ist, abfinden müsse) würde sich durchaus sinngemäß an Ānandas Begründung seiner Bitte anschließen. In BC ist der Hergang insofern noch einfacher, als dort der Hinweis Ānandas auf die übersinnlichen Kräfte fehlt. Dafür entfaltet Asvagosha seine Kunst in der rhetorischen Ausschmückung der Worte Ānandas und Buddhas.

 

Bei der hier vorkommenden Gāthā, die übrigens mit dem ganzen vorhergehenden Bericht auch in Udāna VI, 1 steht, zeigt sich wieder, daß Asvagosha eine ältere und offenbar bessere Fassung kannte als die Pali-Tradition, und zwar hier dieselbe, die im Divyāvadāna (208) überliefert ist. Der Pali-Text enthält hier wahrscheinlich einen Fehler, auf den schon Windisch (Māra und Buddha, S. 37) aufmerksam gemacht hat. Nach dem MPNS besagen die Verse:

 

 

Dagegen heißt es im Divyāvadāna:

 

 

(Im Pali: "kavacam iv'attasambhavam" = wie einen Panzer das Dasein, das Werden des Selbst; im Sanskrit: "kosam iv'āndasambhavaha = wie der im Ei Entstandene - d.h. der Vogel - die Eischale. Diesem entspricht Wort für Wort die chinesische Übersetzung des BC: "ju niao po luan shéng". (13)

 

Nach dem letzten Blick Buddhas auf Vesālī, den auch Asvagosha verzeichnet, findet sich in beiden Werken eine Rede Buddhas über den Prüfstein der echten Überlieferung, und zwar im wesentlichen gleichlautend. Daraus folgt, daß diese Rede schon in der älteren Fassung enthalten gewesen sein muß, und man braucht nicht zu bezweifeln, daß sie in ihrem wesentlichen Inhalt echt ist. Merkwürdigerweise enthält sie aber sowohl im MPNS als auch im BC zwei Worte, die unmöglich von Buddha in diesem Zusammenhang gesprochen worden sein können - im Pali: Vinaya und Sutta, in der chinesischen Übersetzung des BC: shén lü i (14) und hsiu to lo (15) = Vinaya und Sūtra -; denn sie setzen das Vorhandensein eines abgeschlossenen Kanons voraus, der zu Lebzeiten Buddhas noch nicht bestanden haben kann. Die ältere Fassung des Berichts, die den beiden Werken zugrunde liegt, kann also nicht unmittelbar nach dem Tode Buddhas festgestellt worden sein, sondern frühestens nach jenem Konzil, auf dem der Kanon wenigstens in seinen Grundzügen geordnet wurde. Gerade die Übereinstimmung des MPNS mit dem BC in diesem Punkt ist ein wichtiger Beweisgrund dafür, daß die fromme Fälschung schon sehr früh begonnen hat.

Während in der Māra-Geschichte die Tendenz erkennbar ist, Ānanda anzuklagen, verrät das nächste Kapitel bei der Geschichte vom letzten Mahl Buddhas deutlich das Bestreben, den Schmied Cunda von dem Vorwurf, den Tod Buddhas verschuldet zu haben, zu entlasten. Diesem Zweck dient zunächst der Buddha in den Mund gelegte Satz: "Yan te cunda sūkaramaddavam. . ." "Das Eberweich setze mir vor, den Bhikkhus aber die anderen Speisen." Dadurch wird dem Schmied Cunda die Verantwortung abgenommen und zugleich die einer späteren Generation anstößige Schlußfolgerung abgeschnitten, der "allwissende" Buddha hätte eine giftige Speise genossen, ohne diesen Charakter der Speise vorher erkannt zu haben. Es ist aber schlechterdings nicht einzusehen, warum Buddha, wenn er die Gefährlichkeit der Speise erkannt hatte und seine Bhikkhus vor deren Genuß bewahren wollte, sich selbst wissentlich der Gefahr der Vergiftung ausgesetzt haben sollte. Oder soll man annehmen, daß er sie nicht zurückweisen wollte, weil sie ihm in frommer Absicht dargereicht wurde? Ist aber dieser Ausspruch, wie mir scheint, unecht, so ist damit auch dem Folgenden bis zum Schluß des Absatzes der Boden entzogen. Als geschichtliche Tatsache bleibt hiernach nur übrig, daß Buddha sein letztes Mahl vom Schmied Cunda erhielt, daß sich unter den dargebotenen Speisen auch sūkara-maddava befand (was nach Seidenstücker, "Udāna", Seite 128, vermutlich ein Mischgericht, eine Art Ragout, war) und daß Buddha nach dem Genuß dieser Speise erkrankte, sich aber schnell wieder ein wenig erholte und seine Wanderung nach Kusinārā fortsetzte. Mit anderen Worten: der wirkliche Hergang war so, wie ihn die dem Prosabericht eingefügten Verse kurz und drastisch darstellen:

 

 

Am Schluß des Kapitels wird noch einmal auf die Sache zurückgegriffen und berichtet, Ānanda habe von Buddha selbst die Weisung erhalten, für Cundas Unschuld zu zeugen. Eine solche Weisung, die allerdings im BC fehlt, mag Buddha wohl gegeben haben, aber gewiß nicht mit den Worten, die das MPNS überliefert hat. Daß Ānanda selbst der Verfasser dieses Absatzes sei, ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil darin ein Verstoß gegen die Etikette vorkommt, der dem korrekten Ānanda nicht zuzutrauen ist. Der Schmied Cunda wird hier nämlich sechsmal hintereinander āyasmā "Ehrwürden" genannt, als ob er ein Bhikkhu wäre. Er wird also mit dem Bhikkhu Cunda oder Cundaka verwechselt, von dem kurz vorher die Rede ist. Bei den Augenzeugen ist solche Verwechslung ausgeschlossen, sie lag aber sehr nahe bei einer späteren Generation, die mit den Namen keine anschauliche Erinnerung mehr verknüpfen konnte.

Zwischen die beiden Stellen, die vom Schmied Cunda handeln, schieben sich mehrere Episoden ein, die deutlich als Legendendichtung zu erkennen sind und im BC fehlen: Buddha rastet und bittet Ānanda, ihm Trinkwasser zu holen. Ānanda weigert sich, weil das in der Nähe befindliche Flüßchen durch eine Wagenkarawane, die soeben vorbeigekommen war, getrübt sei, und fordert Buddha auf, an den nicht weit entfernten Fluß Kakutthā zu gehen um dort zu trinken und zu baden. Da Buddha aber auf seiner Bitte beharrt, entschließt sich Ānanda doch, aus dem kleinen Flüßchen Wasser zu holen, und siehe da: es ist jetzt ganz klar. Darin erkennt Ānanda die Wundermacht des Erhabenen.

Das Stichwort "Wagenkarawane" aus dem "Wasserwunder" ruft sogleich eine zweite Legende hervor, die in Form eines Zwiegesprächs zwischen Buddha und dem Malla Pukkusa erzählt wird. Pukkusa, ein Anhänger des Âlāra Kālāma, wandert von Kusināra nach Pāva und sieht Buddha unter einem Baum sitzen. Dabei erinnert er sich seines Lehrers Alāra Kālāma, der auch einmal unter einem Baum saß und so tief in Meditation versunken war, daß er von einer vorüberziehenden Wagenkarawane nichts hörte und sah. Das erzählt Pukkusa Buddha, und dieser erwidert ihm, er selbst habe sich noch viel tiefer versenkt, so daß er sogar von einem Blitzschlag nichts merkte, der in seiner Nähe zwei Bauern und vier Ochsen tötete. (Das Erlebnis Buddhas, das dieser Erzählung zugrunde liegt, braucht nicht bezweifelt zu werden. Es ist wohl möglich, daß es seinen Jüngern bekannt war. Soll man aber glauben, daß Buddha es in dieser Situation dem Pukkusa erzählte, um dadurch Alāra Kālāma zu übertrumpfen?) Auf Pukkusa macht diese Erzählung einen so tiefen Eindruck, daß er den Glauben an Alāra Kālāma aufgibt, sich zu Buddha bekennt und ihm zwei prächtige Gewänder schenkt. Während das Gespräch erdichtet ist, hat die Schenkung wahrscheinlich stattgefunden, denn sie ist in schlichten, altertümlichen Versen festgehalten worden, die wie die oben erwähnten zu dem ältesten Bestande des Berichts zu gehören scheinen. Sie lauten:

 

 

Die Tatsache, daß Buddha kurz vor seinem Parinirvana von Pukkusa ein Paar wie Gold glänzende Gewänder geschenkt wurden, gab Anlaß zu einer weiteren kleinen Legende, die auf einer Mißdeutung des zweiten Verses zu beruhen scheint. Der ursprüngliche Sinn ist doch wohl der, daß Buddha in diesem Gewand prächtig aussah. Die Legende deutet das aber so, daß der Leib des Erhabenen nun zu glänzen anfing und den Glanz des Gewandes überstrahlte. So kommt ein neues Wunder zustande, über das Ānanda in der üblichen Weise sein Erstaunen ausspricht, worauf ihm Buddha erklärt haben soll, daß die Hautfarbe eines Vollendeten zu zwei Zeitpunkten überaus hell und strahlend werde, nämlich in der Nacht, in der er zum höchsten Erwachen gelangt, und in der Nacht, in der er zum "erdenrestfreien Nirvanazustand" dahinscheidet.

Man sieht hier deutlich, wie ein einfacher Vorgang durch Umdeutung ins Wunderbare gehoben und zur Legende ausgestaltet wird, die übrigens, wie manche andere Legende, einen Wahrheitskern hat. Es liegt nahe, daß das Parinirvana ganz besonders hehr und verklärt aussah und daß dieselbe Erscheinung auftrat, als er das höchste Erwachen erlangte. Auch Asvagosha erwähnt, daß Buddhas Leib damals, vor dem Parinirvana, "wie ein Berg Gold erglänzte" - shên jo chên chin shan (16). Das hat aber sicherlich nichts mit den von Pukkusa geschenkten Tüchern zu tun und wird kaum den Gegenstand eines Gesprächs zwischen Buddha und Ānanda gebildet haben.

Im Anschluß daran soll dann Buddha vorausgesagt haben, daß er im letzten Drittel der kommenden Nacht sterben werde. Hier folgt im Bericht der oben angeführte Doppelvers - auch ein Zeichen dafür, daß das Vorhergehende jüngere Einschaltung ist - und an die Verse schließt sich weiter ein kleines Stück echter Geschichte: Buddha geht mit seinem Gefolge zum Fluß Kakutthā, badet und trinkt, steigt an das andere Ufer und betritt dort einen Mangowald, in dem er sich auf ein ihm von dem Bhikkhu Cundaka bereitetes Lager zur Ruhe niederlegt.

Dieser geschichtliche Teil wird wiederum durch Verse bestätigt:

 

 

(Nach einer anderen Handschrift lautet dieser Vers: "Der legt', vom Selbstbeherrschten hoch erfreut". Die eine Lesart ist "codito" = "geben", die andere "modito" = "erfreut".)

 

Des Versmaßes wegen wird der Bhikkhu Cundaka zum Schluß Cunda genannt. Dadurch wurde beim Rezitieren die Erinnerung an den Schmied Cunda geweckt, und so war der Anlaß zur Einschaltung der schon besprochenen Entschuldigung für den Schmied Cunda gegeben, der im weiteren Verlauf des Gesprächs wiederum mit dem Bhikkhu Cunda verwechselt und āyasmā, "Ehrwürden", tituliert wird.

Den Schluß des vierten Kapitels bildet ein Udānā, ein Ausspruch Buddhas, der echtes Buddhawort sein kann, aber ebenso gut bei irgendeiner anderen Gelegenheit gesprochen sein mag und nichts für die Echtheit des vorhergehenden Dialogs beweist:

 

 

Je näher der Bericht dem Parinirvana kommt, um so üppiger entfaltet sich die Legendendichtung, in der die Verehrung der Jünger für den Meister poetischen Ausdruck findet. Da stehen, am Beginn des fünften Kapitels, die Zwillings-Sālabäume in dem Sālawald Upavattana, unter denen sich Buddha zum Sterben niederlegt, in voller Blüte, obwohl es nicht ihre Blütezeit ist, sie überschütten ihn mit Blüten, aus der Luft regnet es himmlische Blumen und himmlisches Sandelpulver, und himmlische Musik ertönt zu Ehren des Vollendeten. Dieses schöne, in der buddhistischen Kunst oft dargestellte Bild wird dadurch noch lebendiger gestaltet, daß Buddha redend eingeführt wird. Er beobachtet das Wunder und knüpft daran die Mahnung für seine Jünger, den rechten Pfad zu wandeln; das sei eine bessere Huldigung für den Vollendeten als jenes Wunder.

Auch die Geister der zehn Welten kommen fast vollzählig heran, um Buddha vor seinem Erlöschen noch einmal zu sehen. Für Ānanda und wahrscheinlich auch für die übrigen Anwesenden sind sie unsichtbar, nur Buddha erkennt sie. Der Bericht erhebt sich hier zu dramatischer Gestaltung. Vor dem liegenden Buddha steht der Bhikkhu Upavāna, der an anderen Stellen des Kanons als einer der dienenden Begleiter Buddhas genannt wird, im MPNS aber sonst nicht vorkommt, und fächelt ihm. Der Meister weist ihn weg. Darüber wundert sich Ānanda und fragt Buddha, warum er Upavāna weggewiesen habe. So bietet sich Buddha ein Anlaß, von den Geistern zu reden, die herbeigeeilt seien und nun murrten, weil der mächtige Bhikkhu vor dem Erhabenen stehe und ihnen die Aussicht versperre.

Asvagosha erwähnt zwar in diesem Zusammenhang die Geister auch, aber nur flüchtig. Wenn ihm die Szene mit Upavāna vorgelegen hätte, würde er sie gewiß in seinem Gedicht mit verwandt haben. Danach scheint es, daß die Anwesenheit der Geister zwar ein Bestandteil der alten Überlieferung war, das Gespräch mit Upavāna aber später hinzugefügt worden ist. Für diese Vermutung spricht auch die Ähnlichkeit der Namen Upavāna und Upavattana. Der Klang Upavattana dürfte einen späteren Überarbeiter verleitet haben, den ihm aus anderen Berichten bekannten Bhikkhu Upavāna hier gewissermaßen als Statisten einzuführen. Die feine, kunstgerechte Art, wie er ihn benutzt hat, um die Anwesenheit der Geister anschaulich darzustellen, zeugt mehr für sein literarisches Geschick als für die geschichtliche Wahrheit der Szene.

Nun verzeichnet das MPNS eine Reihe von Anweisungen, die Buddha für die Zeit nach seinem Parinirvana gegeben habe. Im BC fehlen sie. Die Vermutung liegt nahe, daß man später manches, was sich im Leben des Ordens und der Laienanhänger als frommer Brauch oder als Lehrmeinung herausbildete, hier zusammengestellt hat, um es auf die Autorität Buddhas zu stützen, indem man es dem Meister zuschrieb. Ein Teil dieser Anweisungen mag zwar echtes Buddhawort sein, wenn auch vielleicht nicht zu dem Zeitpunkt gesprochen, bei dem der Bericht hier verweilt.

Die Mahnung, nach den vier im Leben Buddhas wichtigsten Orten zu wallfahrten, und die Verheißung himmlischer Seligkeit für den, der auf solcher Wallfahrt stirbt, stehen zum mindesten nicht im Widerspruch zum Geist der Buddhalehre. Die Aufzählung der vier Wallfahrtsorte findet sich in dem gleichen Wortlaut auch in A IV, 118; und in M 23 am Schluß verheißt Buddha allen, die Vertrauen und Liebe zu ihm hegen, die Seligkeit im Himmel nach dem Tode. Ich sehe deshalb keinen zwingenden Grund, die Echtheit der Stelle anzuzweifeln.

Dann folgt unvermittelt die Frage Ānandas, wie man sich den Frauen gegenüber verhalten solle, und die Antwort darauf. Diese kurze Stelle enthält, wie ich in dem vorigen Abschnitt "Der Buddha und die Frauen" gezeigt habe, nicht weniger als sechs grammatische und stilistische Merkmale, die unzweifelhaft beweisen, daß sie ursprünglich nicht im MPNS gestanden haben kann und erst in späterer Zeit entstanden sein muß. Inhaltlich steht sie durchaus im Widerspruch zu Buddhas Verhalten den Frauen gegenüber - man denke nur an den Besuch bei der Hetäre Ambapāli! - und zu allen sonstigen Äußerungen Buddhas über die Frauen. Sie ist sicherlich unecht.

Besser zur Situation paßt die weitere Frage Ānandas, wie die Jünger mit dem Leichnam des Vollendeten verfahren sollen. Buddha erwidert ihm, sie sollten sich um die Leichenfeier keine Sorgen machen, sondern nur um ihr Heil ringen. Für die Leichenfeier würden schon wohlgesinnte Laien sorgen. Die weitere Frage, was mit dem Leichnam geschehen solle, erscheint hiernach nicht recht am Platz, und es ist wenig glaubhaft, daß Buddha die umständliche Zeremonie für die Feuerbestattung seines Leichnams im einzelnen und die Errichtung eines Thupa (Sanskrit: Stupa) vorgeschrieben haben soll. Auch die sich hier anschließende Aufzählung der vier eines Thupa würdigen Personen -vollkommener Buddha, Paccekabuddha, Tathāgatasāvaka und Cakkavatti-König - scheint spätere Einfügung zu sein.

Die Erwähnung des weltbeherrschenden (Cakkavatti-) Königs hier und bei den Vorschriften für die Bestattung Buddhas legt die Vermutung nahe, daß diese Stellen erst zur Zeit des Kaisers Asoka aufkamen und zur Verherrlichung Asokas dienen sollten. Der Cakkavatti-König erscheint im Kanon als ein feststehender Begriff, dessen Bedeutung beim Hörer als bekannt vorausgesetzt wird. Wir haben aber nicht den geringsten Anhalt dafür, wie das Volk von Magadha oder Kosala zu Lebzeiten Buddhas dazu gekommen sein sollte, von einem wellbeherrschenden Kaiser oder König zu träumen. In der indischen Geschichte, soweit wir sie übersehen können, hatte es bis dahin niemals auch nur etwas Ähnliches wie einen Weltherrscher gegeben, und nichts deutet darauf hin, daß zu jener Zeit eine Volkssehnsucht nach einem solchen aufkommen konnte. Andrerseits liegt es sehr nahe, daß sich während der Regierung des weisen, den Buddhismus fördernden Kaisers Asoka die Meinung bilden konnte, Buddha müsse sein Kommen vorausgesagt haben, und daß die buddhistische Bhikkhugemeinde den von ihr verehrten Kaiser, wo es anging, in die Nähe Buddhas rücken wollte, indem sie ihn in den Kanon einschmuggelte.

Gegen diese Vermutung scheint die Erwähnung des Cakkavatti-Königs in M 115 und 129 zu sprechen, während sein Vorkommen in der Maitrāyaniya-Upanischad I, 4, das K. E. Neumann in seiner Anmerkung zu M 115 anführt, nicht ins Gewicht fällt, da diese Upanischad die letzte der drei jüngeren Prosa-Upanischaden ist (vgl. Deussen, "Allgemeine Geschichte der Philosophie", I, 2, Seite 25) und wahrscheinlich erst zur Zeit Asokas oder noch später verfaßt wurde. Bei näherer Prüfung der Sutten M 115 und 129 zeigt sich jedoch, daß auch sie, wie überhaupt die meisten der letzten fünfzig des M erst lange nach dem Tode Gotamas entstanden sein könen.

 

Nach dieser Abschweifung betritt das MPNS wieder geschichtlichen Boden: Ānanda weint "Ich bin noch ein Ringender (sekha), muß noch viel tun, und nun kommt das Parinirvana meines Meisters, der sich meiner annahm." Buddha tröstet ihn, und zwar mit denselben Worten, mit denen er Ānandas Bitte, länger am Leben zu bleiben, abgewiesen hatte. Dann lobt er seine Treue und Liebe und ermahnt ihn zu weiterem Streben. Zu den Bhikkhus gewandt aber preist er Ānandas Geschicklichkeit als Zeremonienmeister und seine Beredtsamkeit, wobei wieder der Cakkavatti auftaucht, der auch hier als späterer Zusatz zu erkennen ist.

Gleich darauf macht sich wieder das Ruhmbedürfnis der Epigonen geltend: wie konnte der große Buddha auf der Flur eines so kleinen Landstädtchens wie Kusinara zum Parinirvana eingehen! Warum wählte er dafür nicht eine große, angesehene Stadt wie Rājagaha oder Benares? War Kusinārā gegenwärtig klein, so mußte es doch wenigstens in grauer Vorzeit eine bedeutende Stadt gewesen sein. Also ließ man Buddha auf eine Frage Ānandas erklären, Kusinārā sei früher eine Stadt namens Kusāvatī gewesen, die Residenz eines großen Königs der Vorzeit.

Unmittelbar schließt sich hieran wiederum alter Tatsachenbericht: Buddhas Auftrag an Ānanda, nach Kusinārā zu gehen und die dortigen Stadtväter, die Mallas, von dem bevorstehenden Parinirvana zu benachrichtigen. Nachdem Ānanda die Botschaft überbracht hatte, kamen die Mallas an Buddhas Sterbelager, und Ānanda bringt es fertig, die Grußzeremonie in kurzer Zeit zu erledigen, indem er die Mallas nicht einzeln, sondern familienweise an Buddha herantreten läßt.

 

Nun erscheint der (andersgläubige) Wanderasket Subhadda, der von dem bevorstehenden Tode Buddhas gehört hatte und herbei eilte, um sich noch von ihm unterweisen zu lassen. Ānanda will ihn von dem sterbenden Meister fernhalten, aber dieser hört das Gespräch und läßt Subhadda nähertreten, belehrt ihn über den achtfachen Weg, und Subhadda tritt zur Buddhagemeinde über. Die Geschichtlichkeit dieses Vorgangs, an der wir nicht zu zweifeln brauchen, - im BC wird er ebenso dargestellt - wird wiederum durch alte Verse bestätigt Buddha spricht:

 

 

Spätere Zutat könnte in dieser Unterredung zwischen Buddha und Subhadda vielleicht die Erwähnung der vier Gruppen oder Grade der Samanas sein, die in den Versen nicht vorkommt, aber gleich nachher noch einmal wiederholt wird, sowie der Schluß, in dem mit einer stereotypen Formel berichtet wird, Subhadda sei bald ein Arahā geworden. Im BC erlangt er alsbald das Nirvana und stirbt vor Buddha.

 

Das sechste Kapitel bringt Buddhas letzte Worte. Zu Ānanda gewandt spricht er: "Es könnte euch der Gedanke kommen: Die Heilslehre ist nun ohne Verkünder, unser Meister ist nicht mehr. So müßt ihr es jedoch nicht ansehen. Die Lehre und die Satzung, die ich euch verkündet und verordnet habe, die sind nach meinem Hinscheiden euer Meister." Dann fordert er seine Jünger auf, falls einer von ihnen noch einen Zweifel über Buddha oder über die Lehre oder über die Gemeinde oder über den Weg oder über den Pfad hätte, ihn zu fragen, damit sie sich nicht nachher Vorwürfe machen müßten, daß sie ihn nicht rechtzeitig gefragt hätten. Die Jünger schweigen und verharren auch im Schweigen, als er sie noch ein zweites und ein drittes Mal auffordert. "Vielleicht", fährt Buddha fort, "hält euch die Scheu vor dem Meister ab, zu fragen; dann mag der Freund dem Freunde seine Frage anvertrauen." Da die Jünger auch jetzt schweigen, nimmt Ānanda das Wort und sagt: "Herr, es ist höchst erstaunlich: in dieser Gemeinde ist nicht ein einziger Bhikkhu, der einen Zweifel über Buddha oder über die Lehre oder über die Gemeinde, über den Weg oder über den Pfad hat." Nun spricht Buddha: "Wohlan, meine Bhikkhus, höret jetzt, was ich euch noch zu sagen habe: Vergehen muß, was geworden ist. Unermüdlich müßt ihr an euch arbeiten!" Feierlich fügt der Bericht hinzu: "Dieses war das letzte Wort des Vollendeten."

Auch diese schöne, in ihrer schlichten Größe ergreifende Szene hat der Glaubenseifer einer späteren mönchischen Generation nicht mit stilwidrigen Einschaltungen verschont. Im Anfang, hinter der an Ānanda gerichteten Ermahnung, werden gleich drei Verunzierungen angebracht: Buddha soll - in dieser feierlichen Stunde! - ganz unvermittelt angeordnet haben, daß künftig die jüngeren Bhikkhus, wenn sie mit älteren reden, diese mit "bhante" anzureden hätten, die älteren die jüngeren aber mit Vor- oder Familiennamen oder mit "lieber Freund". Dann wird behauptet, Buddha habe der Gemeinde gestattet, nach seinem Tode diese oder jene minder wichtige Vorschrift abzuschaffen. Es muß also neuerungssüchtige Mönche gegeben haben, die ein großes Interesse daran hatten, gewisse willkürliche Änderungen der Ordensdisziplin auf eine von Buddha der Gemeinde gegebene Generalvollmacht zurückzuführen. Endlich soll Buddha, was am allerwenigsten hierher paßt, verfügt haben, daß die Gemeinde einen Bhikkhu namens Channa durch Boykott bestrafen solle. Was dieser unglückliche Channa verbrochen hat, wird nicht gesagt. Wie groß muß die ganz unbuddhistische Gehässigkeit unter den Mönchen gewesen sein, daß sie einen der Ihrigen gerade an dieser Stelle für alle Zeit als Übeltäter brandmarkten!

Buddhas Eingehen in das Parinirvana hat sich nach dem MPNS so vollzogen, daß Buddha die acht Stufen der Versenkung vorwärts- und rückwärts durchlief, dann noch einmal von der ersten bis zur vierten Stufe der Versenkung gelangte und von hier aus verschied. Da sich dieser Teil des Berichts mit einer geringen Änderung auch im BC findet, scheint er zum alten Bestande zu gehören. Spätere Einschaltung aber ist offenbar die im BC nicht vorkommende Wechselrede zwischen Ānanda und Anuruddha. Sie scheint nicht älter zu sein als die eben erwähnte Stelle, wo Buddha den Bhikkhus angeblich vorschreibt, nach seinem Tode die Alters- und Rangunterschiede bei der Anrede zu beachten; denn hier findet sich bereits die erste Anwendung dieser Regel: Ānanda redet Anuruddha mit "bhante", dieser aber jenen mit "lieber Freund" (avuso) an. Ānanda glaubt, daß Buddha in dem Augenblick, in dem er die achte Stufe der Versenkung erreicht hat, erloschen sei, während ihn Anuruddha darüber belehrt, daß er nicht erloschen, sondern nur zur Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung gelangt sei. Von diesem Zwiegespräch an tritt im MPNS Anuruddha in den Vordergrund. Nachdem Buddha verschieden ist, ist Anuruddha der Held der Erzählung.

Das große Ereignis des Parinirvana und der tiefe Eindruck, den es auf alle machte, die es miterlebten, erfordern zu ihrer Darstellung der stärksten Mittel, die dem Berichterstatter zur Verfügung standen: ein furchtbares Erdbeben mit rollendem Donner veranschaulicht die seelische Erschütterung der Jünger. Dann erscheinen die beiden höchsten Personen der Mythologie, Brahmā Sahampati - derselbe, der Buddha nach dem Erwachen erschienen war und ihn gebeten hatte, die Lehre zu verkünden - und Sakka, der Indra der Götter, und huldigen dem erloschenen Meister mit Weihesprüchen. Es bedarf keiner Worte, daß es sich hierbei nicht um geschichtliche Vorgänge, sondern um poetische Ausschmückung handelt. Aber auch die mit den gleichen Worten wie diese Göttersprüche eingeleiteten, Anuruddha und Ānanda zugeschriebenen Verse sind zweifellos dichterische Zutat des Berichterstatters. Besonders dem Spruch Ānandas merkt man deutlich an, daß er erst später gedichtet wurde:

 

 

Dieser Spruch ist wahrscheinlich ein Teil des ältesten, in Versen abgefaßten Berichts, dessen Bruchstücke auch an anderen Stellen dem späteren Prosabericht eingefügt worden sind. Daß gerade dieser Spruch Ānanda zugeschrieben wird, scheint die Annahme zu bestätigen, daß Ānanda der Verfasser jenes ältesten Berichts in Versen ist. (Der Spruch steht übrigens auch in den Theragāthā unter Nr. 1046.)

Die Bhikkhus brechen nun, soweit sie noch nicht von aller Leidenschaft frei sind, in laute Klagen aus. Da tröstet sie Anuruddha. Daß er dies mit den gleichen Worten tut, mit denen vorher Buddha Ānanda getröstet hatte, ist an sich nicht unwahrscheinlich, auch daß er, nachdem er den Rest der Nacht mit Ānanda in religiösem Gespräch verbracht hat, diesen nach Kusinārā schickte um den Mallas Buddhas Tod anzuzeigen, kann richtig sein. Es ist aber doch auffällig, daß er auch hier die gleichen Worte gebraucht, wie vorher Buddha. Und daß er zwischendurch Ānanda über die verschiedenen Arten der Gottheiten und Geister belehrt, die um Buddha trauern, wiederum mit den gleichen Worten, die im fünften Kapitel als angebliche Worte Buddhas vorkommen, macht den ganzen Abschnitt verdächtig. Den Schluß bildet ein umständlicher, mit Übertreibungen und Wundergeschichten ausstaffierter Bericht über die Verbrennung der Leiche und die Verteilung der Reliquien. In diesem letzten Teil treiben auch bei Asvagosha Mythologie und Legende üppige Blüten, und zwar im wesentlichen mit dem gleichen Inhalt wie im MPNS, woraus zu schließen ist, daß das Eingreifen der Geister und die Wundergeschichten schon in der alten Fassung des Berichts enthalten waren. Auf die Einzelheiten der Schlußerzählung einzugehen, mag einer späteren Arbeit vorbehalten bleiben.

 

Das Ergebnis unserer Untersuchung läßt sich dahin zusammenfassen: Das MPNS in seiner heutigen Gestalt ist jünger als diejenige Fassung des Berichts über Buddhas letzte Lebenszeit, die Asvagosha als Unterlage für sein Epos Buddhacarita gedient hat. Auch diese ältere Fassung kann nicht früher entstanden sein, als das Konzil stattfand, auf dem die Urform des Kanons mit seiner Einteilung in Vinaya und Sutta festgelegt wurde. Im MPNS finden sich jedoch Spuren einer noch älteren Form des Berichts, und zwar in den Gāthās erzählenden Inhalts, die vermutlich den ältesten Kern des MPNS bilden. Zu diesem ältesten Bestand gehören auch diejenigen Buddha zugeschriebenen Verse, die auf die berichteten Vorgänge unmittelbar Bezug haben, während das Udana am Ende des vierten Kapitels, obwohl es an sich vielleicht echt ist, wohl irrtümlich in das MPNS hineingeraten ist. Der älteste, in Versen überlieferte Teil ist ein schlichter, durchaus glaubwürdiger Tatsachenbericht ohne alle Wundergeschichten und ohne Mythologie.

 

 


Nachwort zur vorstehenden Untersuchung

 

Die vorstehende Untersuchung über das MPNS wurde im Frühjahr 1939 abgeschlossen. Fünf Jahre darauf, 1944, erschien eine Abhandlung von Ernst Waldschmidt, "Die Überlieferung vom Lebensende des Buddha", I. Teil, über denselben Gegenstand, jedoch auf anderer Grundlage. Waldschmidt geht aus von dem Sanskrittext Mahāparinirvānasūtra (MPS), von dem die deutschen Turfan-Expeditionen umfangreiche Bruchstücke im Tarimbecken aufgefunden haben. Dieser Sanskrittext ist bisher noch nicht veröffentlicht worden. Waldschmidt teilt aber mit, daß er die Herausgabe vorbereitet hat. Er hat außerdem die tibetischen und chinesischen Parallelversionen des MPS seiner Untersuchung zugrunde gelegt, dagegen berücksichtigt er nicht Asvagoshas Buddhacarita. Wahrscheinlich hat Asvagosha den Sanskrit-Kanon und damit auch das MPS gekannt und für sein BC benutzt.

Aus Waldschmidts Abhandlung habe ich folgendes nachzutragen:

Das "Udāna" bei der Überquerung des Ganges ist nach dem MPS nicht ein Wort Buddhas, sondern eine von drei Strophen, die bei dieser Gelegenheit ein Bhikkhu gesprochen haben soll. Es scheint, daß die beiden ersten dieser Strophen die ursprüngliche Fassung eines Berichts über den tatsächlichen Vorgang waren, später aber in einem übertragenden Sinn aufgefaßt wurden. Die unklare Pali-Version wäre danach ein von den Überarbeitern des MPNS nicht mehr verstandener Rest eines alten Tatsachenberichts in Versform, von dem wir ja mehrere Spuren gefunden haben.

Die Rede über die Bedingungen für das Gedeihen der Gemeinde befindet sich auch im MPS, sogar noch etwas ausführlicher als im MPNS, ebenso die Rede an die Bürger von Pātaligāma. Zu den Versen, in denen Buddha empfiehlt, den Ortsgeistern Opfer darzubringen, weist Waldschmidt aus dem MPS nach, daß es sich hierbei nicht um ein Opfer im gewöhnlichen Sinne handelt, sondern um die symbolische Übertragung des Lohnes für die gute Tat, die in der Speisung Buddhas und seiner Gemeinde besteht, auf die Geister oder Gottheiten.

Buddhas Erklärung, daß er keine Geheimlehre zurückbehalten habe, steht auch im MPS sowie in den chinesischen Parallelen; Asvagosha hat sie also wahrscheinlich gekannt und absichtlich weggelassen. Auch der "Spiegel der Lehre" ist im MPS enthalten, jedoch kürzer. Der "Prüfstein der echten Überlieferung" steht gleichfalls im MPS und seinen chinesischen Parallelen. Dagegen wird die Speise, die Buddha von Cunda bei seinem letzten Mahl erhielt, im MPS nicht erwähnt; in einer chinesischen Parallele, im Dīrghāgama, wird sie "Sandelbaumpilze" genannt. Der Verfasser dieser Übersetzung war also der Meinung, daß es ein Pilzgericht war. Die Übersetzung stammt aus einer Zeit, in der bei den K.E.Neumann erklärt hierzu, daß es sich tatsächlich um eine Pilzart handeln soll. Der Name des Pilzes "Eberwurz" o.ä. ist nach dem Wildschwein benannt, das wurde von einigen Übersetzern als Schweinefleisch interpretiert. Mahāyāna-Sekten das Fleischessen bereits als unerlaubt galt. Im übrigen bestätigt Waldschmidts Abhandlung die von mir ausgesprochene Vermutung, daß die Fassung des Berichts, die dem Asvagosha vorlag -wahrscheinlich eben das MPS - älter ist als das Mahāparinibbānasutta in seiner heutigen Gestalt.

 Hierzu eine Tabelle mit chinesischen Schriftzeichen. Die Beigabe ist notwendig, weil sich die chinesische Sprache mit unserer Buchstabenschrift nicht unzweideutig wiedergeben läßt.

(Die Nummern beziehen sich auf die im vorhergehenden Kapitel angeführten chinesischen Text.)


BUDDHISTISCHES BEI KANT

 

Immanuel Kant wußte nichts von der Buddhalehre. Er konnte nichts von ihr wissen, denn er lebte von 1724 bis 1804, und erst 1821 wurden in Europa die ersten Stücke des buddhistischen Kanons bekannt, solche der nördlichen Tradition in Sanskrit-Handschriften, die der englische Resident beim Raja von Nepal, Hodgson, entdeckt hatte, und solche der südlichen Tradition, des Pali-Kanons, die George Turner auf Ceylon gefunden hatte. Was zu Kants Lebzeiten überhaupt von Buddha in Europa zu erfahren war, hat er aus Reiseberichten zusammengetragen und in seinem Werk "Physische Geographie", das nach seiner Handschrift und in seinem Auftrage von seinem Schüler Friedrich Theodor Rink 1802 veröffentlicht wurde, verzeichnet. Im 3. Abschnitt "Summarische Betrachtung der vornehmsten Naturmerkwürdigkeiten aller Länder nach geographischer Ordnung" lesen wir unter China:

"Die Secte des Fo (Kant wußte nicht, daß Fo das chinesische Wort für Buddha ist) ist die zahlreichste. Unter diesem Fo verstehen sie eine eingefleischte Gottheit, die vornehmlich den großen Lama zu Barantola in Tibet anjetzt bewohnt und in ihm angebetet wird, nach seinem Tode aber in einen anderen Lama fährt. Die Tatarischen Priester des Fo werden Lamas genannt, die Chinesischen Bonzen. Die katholischen Missionaren beschreiben die den Fo betreffenden Glaubensartikel in der Art, daß daraus erhellt, es müsse dieses nichts Anderes, als ein ins große Heidentum degenerirtes Christenthum sein. Sie sollen in der Gottheit drei Personen statuieren, und die zweite habe das Gesetz gegeben und für das menschliche Geschlecht sein Blut vergossen. Der große Lama soll auch eine Art des Sacramentes mit Brot und Wein administrieren."

 

Unter Siam:

 

"Sie haben Nonnen- und Mönchsklöster in noch größerer Anzahl, als es deren in Portugal gibt. Die Mönche werden Talapoins genannt. Sie lehren, daß Alles in der Welt, belebte und unbelebte Wesen, eine Seele habe, die aus einem Körper in den anderen übergehe. Sie geben sogar vor, sich dieser Wanderung selbst zu erinnern. . . Sie verwerfen die göttliche Vorsehung, lehren aber, daß durch eine fatale (d.h. schicksalsmäßige) Notwendigkeit Laster bestraft und Tugenden belohnt werden. Sie vergießen ungern Blut, pressen keinen Saft aus Pflanzen, töten kein Vieh, sondern essen es nur, wenn es von selbst gestorben ist. Daher ihre milden Kriege mit den Peguanern. Die Talapoins leben vom Betteln, sie sind liebreich und tugendhaft. Man verehrt bei ihnen nicht eigentlich ein höchstes Wesen, sondern den Sommona Cadam (offenbar die mißverstandene Wiedergabe von Samana Gotama), einen ehedeß gewesen Talapoin, der sich nun in dem Zustande der größten Glückseligkeit befinden soll, zu welchem auch, wie sie glauben, die Menschen nach vielen Wanderungen gewöhnlich in andere Körper gelangen, indem sich ihre Seele mit der Seele der Welt vermengt und als Funke in dem Himmelsraume übrig ist. Sommona Cadam aber soll wegen seiner großen Heiligkeit dahin gelangt sein. Die Gottlosen werden zu ewigen Wanderungen in andere Körper verurteilt. Die Unempfindlichkeit ist bei ihnen die größte Glückseligkeit. Ihre Leichen werden verbrannt."

 

Unter Pegu (heute Burma):

 

Die Peguanischen Talapoins werden als die gütigsten Menschen von der Welt gerühmt. Sie leben von den Speisen, die sie an den Häusern betteln, und geben, was sie nicht brauchen, den Armen, sie thun Allem, was da lebt, Gutes, ohne Unterschied der Religion. Sie glauben, Gott habe an dem Unterschiede der Religion einen Gefallen und halte alle solche Religionen für gut, die den Menschen gutthätig und liebreich machen. Sie schlichten mit großer Bemühung alle Streitigkeiten unter den Menschen.

 

Unter Ceylon:

 

"Sie verehren einen obersten Gott, beten aber doch auch die Bildnisse der Heiligen und Helden an. Auf der Spitze des Pic d'Adam ist ihrem Vorgeben nach ein Fußstapfen ihres Gottes Buddha anzutreffen. Diesen Fußstapfen verehren sie. Man findet einige prächtige und sehr alte Tempel, die zu einer Zeit müssen erbaut sein, da ein sehr mächtiger Monarch über sie geherrscht hat. Denn jetzt wissen sie nicht einmal etwas an ihnen auszubessern."

 

Unter "Kalmüdeen" (Gemeint ist Tibet):

 

In Baranthola, oder wie Andere es nennen, in Potala residirt der Oberpriester der Mongolischen Tataren, ein wahres Ebenbild des Papstes. Die Priester dieser Religion, die sich von dieser Gegend der Tatarei bis in das Chinesische Meer ausgebreitet haben, heißen Lamas; diese Religion scheint ein in das blindeste Heidenthum ausgeartetes katholisches Christenthum zu sein. Sie behaupten, Gott habe einen Sohn, der in die Welt als Mensch gekommen, und in der er blos als ein Bettler gelebt, sich aber allein damit beschäftigt habe, die Menschen selig zu machen. Er sei zuletzt in den Himmel erhoben worden. Dieses hat Gmelin aus dem Munde eines Lama selbst gehört. Sie haben auch eine Mutter dieses Heilandes, von der sie Bildnisse machen. Man sieht bei ihnen auch den Rosenkranz. Die Missionarien berichten, daß sie auch ein Dreifaches in dem göttlichen Wesen statuieren, und daß der Dalai-Lama ein gewisses Sacrament mit Brod und Wein administriren soll, welches aber kein Anderer genießt. Dieser Lama stirbt nicht, seine Seele belebt ihrer Meinung nach alsbald einen Körper, der dem vorigen völlig ähnlich war. Einige Unterpriester geben auch vor, von dieser Gottheit beseelt zu sein, und die Chinesen nennen einen solchen einen lebendigen Fo."


 

Dies ist alles, was Kant von Buddha erfahren konnte. Von dem, was Buddha lehrte, hat er, wie man hieraus sieht, nicht das mindeste gewußt. Um so merkwürdiger ist, daß Kant aus eigenem Wissen in vielen Punkten zu denselben Ergebnissen gelangt ist wie Buddha.

Das kann man nicht kritiklos hinnehmen. Meister Ekkehard hat viele Jahrhunderte früher gelebt und seine Schriften weisen vile Parallelstellen zum Buddhismus auf, siehe Anmerkungen in Majjhima- und Digha-Nikaya von K.E.Neumann. In der "Kritik der reinen Vernunft", Elementarlehre, II. Teil, II. Abteilung, II. Buch, 1. Hauptstück, entwickelt Kant die Anattā-Lehre. Er widerlegt hier die Behauptung, daß es eine immaterielle, unveränderliche, unsterbliche Seele gebe, und kommt sodann zu dem Schluß":

"Nun haben wir aber in der inneren Anschauung gar nichts Beharrendes, denn das Ich ist nur das Bewußtsein meines Denkens; also fehlt es auch, wenn wir blos beim Denken stehen bleiben, an der notwendigen Bedingung, den Begriff der Substanz, d.i. eines für sich bestehenden Subjekts, auf sich selbst als denkend Wesen anzuwenden, und die damit verbundene Einfachheit der Substanz fällt mit der objektiven Realität des Begriffes gänzlich weg und wird in eine blos logische qualitative Einheit des Selbstbewußtseins im Denken überhaupt, das Subjekt mag zusammengesetzt sein oder nicht, verwandelt."

Hierauf folgt bei Kant noch eine ausführliche "Widerlegung des Mendelssohnschen Beweises der Beharrlichkeit der Seele."

Lesen wir weiter in der Kritik der reinen Vernunft, so kommen wir zur "Antinomie der reinen Vernunft", wo Kant dieselben Fragen, die Buddha zu beantworten beharrlich abgelehnt hat, als unlösbar nachweist: Ist die Welt ewig oder zeitlich begrenzt? Ist sie räumlich unendlich oder endlich?

Buddha lehrt, daß der Glaube an die Heilswirkung ritueller Handlungen und Sakramente (sīlabbataparāmāso) - was K.E. Neumann mißverständlich mit "Haften an Tugendwerk" übersetzt - eine der drei Fesseln ist, die an die Sinnenwelt binden und den Aufstieg zum Heil verhindern. Dasselbe hat auch Kant erkannt. In seinem 1793 erschienenen Werk "Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" sagt er (III, 1, VII):

"Der Glaube einer gottesdienstlichen Religion ist ein Frohn- und Lohnglaube (fides mercenaria, servilis), und kann nicht für den seligmachenden angesehen werden, weil er nicht moralisch ist. Denn dieser muß ein freier, auf lauter Herzensgesinnungen gegründeter (fides ingenua) Glaube sein. Der erstere wähnt durch Handlungen (des cultus), welche (obzwar mühsam) doch für sich keinen moralischen Wert haben, mithin nur durch Furcht oder Hoffnung abgenöthigte Handlungen sind, die auch ein böser Mensch ausüben kann, Gott wohlgefällig zu werden, anstatt daß der letztere dazu eine moralisch gute Gesinnung als nothwendig voraussetzt."

Genau wie Buddha nennt Kant den Glauben an die Wirksamkeit ritueller Handlungen eine Fessel: "Das Leitband der heiligen Überlieferung mit seinen Anhängseln, Statuten und Observanzen, welches zu seiner Zeit gute Dienste that, wird nach und nach entbehrlich, ja endlich zur Fessel, wenn er in das Jünglingsalter eintritt. So lange er (die Menschengattung) ,ein Kind war, war es klug als ein Kind, und wußte mit Satzungen, die ihm ohne sein Zuthun auferlegt worden, auch wohl Gelehrsamkeit, ja sogar eine der Kirche dienstbare Philosophie zu verbinden; 'nun er aber ein Mann wird, legt er ab, was kindisch ist'. Der erniedrigende Unterschied zwischen Laien und Klerikern hört auf, und Gleichheit entspringt aus der wahren Freiheit, jedoch ohne Anarchie, weil ein Jeder zwar dem (nicht statutarischen) Gesetz gehorcht, das er sich selbst vorschreibt, das er aber auch zugleich als den ihm durch die Vernunft geoffenbarten Willen des Weltherrschers ansehen muß."

Buddha verwarf die Selbstpeinigung als niedrig, gemein, nutzlos. Ebenso sagt Kant in demselben Werk (IV, 2, §1):

"Je unnützer solche Selbstpeinigungen sind, je weniger sie auf die allgemeine Besserung des Menschen abgezweckt sind, desto heiliger scheinen sie zu sein; weil sie eben darum, daß sie in der Welt zu gar nichts nutzen, aber doch Mühe kosten, lediglich zur Bezeugung der Ergebenheit gegen Gott abgezweckt zu sein scheinen . . . Hier ist nun der Hang zu einem Verfahren sichtbar, das für sich keinen moralischen Wert hat, als etwa nur als Mittel, das sinnliche Vorstellungsvermögen zur Begleitung intellektueller Ideen des Zwecks zu erhöhen, oder um, wenn es den letzteren etwa zuwider wirken könne, es niederzudrücken; diesem Verfahren legen wir doch in unserer Meinung den Werth des Zweckes selbst, oder welches eben so viel ist, wir legen der Stimmung des Gemüths zur Empfänglichkeit Gott ergebener Gesinnungen (Andacht genannt) den Werth der letzteren bei; welches Verfahren mithin ein bloser Religionswahn ist, der allerlei Formen annehmen kann, in deren einer er der moralischen ähnlicher sieht, als in der anderen, der aber in allen nicht eine blos unvorsätzliche Täuschung, sondern sogar eine Maxime ist, dem Mittel einen Werth an sich, statt des Zwecks beizulegen, da denn vermöge der letzteren dieser Wahn unter allen diesen Formen gleich ungereimt und als verborgene Betrugsneigung verwerflich ist."

In § 2: "Alles, was außer dem guten Lebenswandel der Mensch noch thun zu können vermeint, um Gott wohlgefällig zu werden, ist bloser Religionswahn und Afterdienst Gottes."

"Es ist abergläubischer Wahn, durch Handlungen, die jeder Mensch thun kann, ohne daß er eben ein guter Mensch sein darf, Gott wohlgefällig werden zu wollen (z.B. durch Bekenntnis statutarischer Glaubenssätze, durch Beobachtung kirchlicher Observanz und Zucht u. dgl.)."

In § 3: "Das Pfaffenthum ist also die Verfassung einer Kirche, sofern in ihr ein Fetischdienst regiert, welches allemal da anzutreffen ist, wo nicht Prinzipien der Sittlichkeit, sondern statutarische Gebote, Glaubensregeln and Observanzen die Grundlage und das Wesentliche desselben ausmachen."

Buddha warnte, man solle nicht glauben, sondern sich nur an das halten, was man selbst als richtig erkannt hat. Ebenso Kant in demselben Werk (IV, 2, § 2):

"Aber wenn die Kirche ein solches Geheimniß etwa als offenbart verkündigen sollte, so wird doch die Meinung, daß diese Offenbarung, wie sie uns die heilige Geschichte erzählt, zu glauben und sie (es sei innerlich oder äußerlich) zu bekennen, an sich etwas sei, dadurch wir uns Gott wohlgefällig machen, ein gefährlicher Religionswahn sei". Denn dieses Glauben ist als inneres Bekenntniß seines festen Fürwahrhaltens so wahrhaftig ein Thun, das durch Furcht abgezwungen wird, daß ein aufrichtiger Mensch eher jede andere Bedingung als diese eingehen möchte, weil er bei allen anderen Frohndiensten allenfalls nur etwas Überflüssiges, hier aber etwas dem Gewissen in einer Declaration, von deren Wahrheit er nicht überzeugt ist, widerstreitendes thun würde."

Wie in Kants Werken, so findet sich auch in seinem Lebenswandel manches, was an Buddha erinnert. Als Kant, der übrigens ehelos lebte, im Sommer 1786 zum ersten Mal die Rektorwürde der Königsberger Universität antrat, wurde ihm von seinen Schülern ein längeres Gedicht überreicht, das ihn feierte als "Vater, Führer, Freund und Lehrer",

 

 

Kant stand immer früh um 5 Uhr auf, und im Alter begnügte er sich mit einer Mahlzeit am Tage, dem Mittagsmahl. Auch darin war Kant, ohne es zu wissen, Buddha ähnlich.


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